2-2018

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

anbei präsentieren wir ihnen, wie angekündigt, den zweiten Teil unserer Zusammenstellung von frei eingereichten Beiträgen, die wir zunächst zu keinem der vorab geplanten Schwerpunktausgaben zuordnen konnten. Wie sich herausstellte, konnten die Beiträge jedoch unter dem Gesichtspunkt Schule und Unterricht auf der einen Seite und eher grundsatzfragenbezogenen Themenstellungen mit einem besonderen Blick auf die Handlungsfelder Wohnen und Arbeit auf de anderen Seite systematisiert werden. Deshalb freuen wir uns, Ihnen hiermit zeitnah die zweite Ausgabe von Inklusion-Online in diesem Jahr präsentieren zu können.  

Karolina Goschiniak widmet sich der Bedeutung gruppendynamischer Prozesse für eine inklusionsorientierte pädagogische Praxis. Diese psychodynamische Betrachtung von Gruppenbildungsprozessen untersucht, wie pädagogische Situationen zu inkludierenden und/oder exkludierenden Verhältnissen beitragen können. Der Beitrag zielt darauf ab, entsprechend eines unter inklusiven Vorzeichen erforderlichen Paradigmenwechsels, veränderte Ansprüche an pädagogisches Handeln angesichts innerpsychischer Prozesse im Gruppenhandeln zu erheben. Haltungen von Fachkräften spielen dabei eine wichtige Rolle hinsichtlich ihres Effekts auf die Gruppe. „Für die pädagogischen Fachkräfte ergibt sich dadurch ein erweitertes Anforderungsprofil, das nicht nur aus den institutionellen Vorgaben und Normen besteht, sondern vielmehr durch entsprechende Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Szenisches Verstehen oder die Wahrnehmung des kindlichen Erlebens geprägt ist, um so förderliche inklusive Maßnahmen abzuleiten. Durch die Berücksichtigung des Erlebens der Kinder, also einem Perspektivenwechsel, ist es oftmals erst möglich herauszufinden, ob eine Situation als ausgrenzend erlebt wird“.

Nora Gaupp, Sandra Ebner, Sandra Schütz und Folke Brodersen nehmen den Stand der quantitativen Jugendforschung in den Blick, insoweit er sich mit Fragen der Inklusion und Jugendlichen mit Behinderung befasst. Dabei wird zunächst deutlich, dass in der traditionellen quantitativ orientierten Jugendforschung Jugendliche mit Behinderungen oder solchen in anderen besonderen Lebenslagen oftmals wenig Beachtung gefunden haben. Die Autor*innen überprüfen ihre These, dass die Jugendforschung von einer inklusiven Perspektive (noch) weit entfernt ist, durch eine Rekonstruktion des Stellenwerts und der Bedeutung, die Jugendliche mit Behinderung in zentralen Jugendstudien zukommt. Was müsste sich ändern, wenn die quantitative Jugendforschung dem Anspruch inklusiv(er) zu werden, entsprechen möchte? Der letzte Abschnitt des Textes diskutiert, welche Fortschritte, aber auch welche Grenzen und Widersprüchlichkeiten bei einer stärkeren inklusiven Ausrichtung der Jugendforschung zu erwarten sind.   

Karin E. Sauer befasst sich mit Disability Studies im Handlungsfeld von Behinderung und Sexualität. Aus der Perspektive der Disability Studies werden Menschen mit ‚Behinderung‘ nicht mehr als Objekte, sondern als handlungsfähige Subjekte wahrzunehmen. Im Bereich der Sexualität trägt eine diversitätsbewusste Haltung dazu bei, die Differenzlinien Sexualität und Behinderung aus einer menschenrechtlichen Perspektive zu reflektieren. Der Autorin geht es darum, zu beschreiben, wie eine machtkritische Sensibilisierung zur Wahrnehmung von Bedürfnissen und Grenzen führen kann, auf deren Grundlage Präventionsmöglichkeiten von (sexueller) Gewalt bei Menschen mit Behinderungen abgeleitet werden können.  

Hendrik Trescher arbeitet in seinem Beitrag heraus, inwiefern Versorgungsstrukturen des Behindertenhilfesystems in Deutschland als behindernde Praxen wirksam werden. Am Beispiel des Wohnens in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe verdeutlicht er, inwiefern sich in diesem Kontext Behinderungspraxen vollziehen, Behinderung sozial konstruiert und reproduziert wird. Ausgehend von diesem Verständnis von Behinderung als sich diskursiv vollziehende Praxis, wird ein Inklusionsmodell skizziert, das diesen Behinderungspraxen gegenläufig ist. „Inklusion ist in diesem Sinne die Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren, welche immer auch kritisch ist, da sie auf eine Veränderung gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Praxen abzielt“.  

Schließlich begründet Hauke Behrendt inklusions- und wertetheoretisch die berufliche Qualifikation von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen durch technische Assistenzsysteme am Arbeitsplatz. Der Beitrag diskutiert die Chancen und den moralische Wert entsprechender technologischer Entwicklungen im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion zur beruflichen Inklusion mit Blick auf Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass der mögliche Erfolg beruflicher Inklusion „einen ethisch hinreichenden Grund darstellt, diese Systeme am Arbeitsplatz einzusetzen beziehungsweise ihren Einsatz zu befürworten“.

 

Als weitere Themenschwerpunkte der folgenden Ausgaben sind geplant:

3/2018 Anti-Psychiatrie und Inklusion

4/2018 Inklusionsforschung im Spiegel akademischer  Qualifizierungsarbeiten (Studentische Ausgabe)

 

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

 

Carmen Dorrance und Clemens Dannenbeck

für die Redaktion von Inklusion-Online

Veröffentlicht: 25.05.2018