Call for Papers: Medien und Teilhabe
Der familiale, freizeit- und bildungsbezogene Alltag von Kindern und Jugendlichen ist heute – von Geburt an – medial geprägt. Neben Foto-, Bild-, Video-, Bücher- und Textwelten werden kommerzielle Anbieter wie WhatsApp, YouTube, TikTok, Instagram und Snapchat sowie Google per Smartphone und Tablet von nahezu allen Kindern und Jugendlichen genutzt. Insgesamt scheint es sich bei der intensivierten Just-in-Time-Medialisierung von Kindheiten und Jugend keineswegs bloß um ein lokales Phänomen zu handeln, sondern um einen globalen Trend. Auch Bildungsorganisationen, angefangen von der Krippe bis hin zum tertiären Bildungsbereich, nutzen Medienumwelten, -plattformen und mediale Produkte, um Lern- und Bildungsprozesse – mehr oder weniger teilhabe-orientiert – zu planen, anzuleiten und zu evaluieren.
Spannend ist auch der Zusammenhang zwischen Dis-/Ability-Konstruktionen und digitaler Medien: Während die Nutzung digitaler Medien im vorschulischen Bildungsbereich im öffentlich-politischen Diskurs eher skeptisch und dem Hinweis auf potentielle ‚Entwicklungsrisiken‘, wie ‚Bildschirmsucht‘, ‚Aufmerksamkeitsdefizite‘ und ‚Bewegungsmangel‘, begegnet wird, wird im Primar-, Sekundar- und Hochschulbereich der unzureichende Ausbau digitaler Infrastruktur eher bemängelt. Hier wird dann der Aufbau von Medienkompetenzen – auf Seiten der Fachkräfte wie auf Seiten der Bildungsadressat*innen – gefordert und zum bildungs- und inklusionspolitischen Ziel erklärt.
Beobachtbar ist in diesem Kontext, dass sich mediale Umwelten heute massiv ausdifferenziert haben. Sie unterliegen einem sozial-technologischen Shift von ehemals schwerpunktmäßig analogen (Massen-) Medien hin zu digitalen, hybriden und netzwerk-geprägten Medienlandschaften. Dieser technologische Wandel ist mit einem sozialkulturellen Wandel verknüpft, so dass heute andere institutionellen, soziale und individuellen Fähigkeiten gefragt sind, wenn es um souveräne und selbstbestimmte Mediennutzung und -repräsentation geht. Fehlen diese Fähigkeiten, stellen sich schnell Sorgen, Versagensängste oder Gefühle von persönlicher Unzulänglichkeit, Unfähigkeit und Limitation ein, die den Alltag behindern können.
Gleichzeitig können Medien als innovierte Formate und Arrangements auch neue Zugänge, individuelle Inklusionsmuster und damit auch Anschlüsse zu inklusiver Bildung, Empowerment und post-kategorialer und post-ableistischer Solidarität schaffen. Hierzu zählen z.B. die Fragen nach Mitsprache- und Teilhabeansprüchen sowie nach Gerechtigkeit und Fairness. Das ‚Cripping-Up‘ beispielsweise wird im anglophonen Raum längst als ableistische Praxis diskutiert – ähnlich derjenigen Praxis des ‚Black Facings‘ als eine rassistische Repräsentationsform.
Mediennutzung, ihre Nutzungsrechte und -ansprüche wie auch Fragen der medialen Repräsentation sind also eng mit Inklusion und Teilhabe verbunden. In Bezug auf die facettenreiche, vielschichtige und relationale Kategorie Behinderung eröffnen sich sowohl für die Praxis inklusiver Bildung als auch für die inklusions-orientierte Bildungs- und Erziehungswissenschaft zahlreiche Fragen und Erkenntnisbedarfe:
- Wie gestaltet sich der mediale Alltag von Kindern und Jugendlichen heute in Behinderungskontexten sowie mit und ohne Behinderung? Welche Wandlungs- und Intensivierungsprozesse sind heute in Bezug auf die Mediennutzung während des Aufwachsens auszumachen? Welche intersektionellen Bezüge zeigen sich in Abhängigkeit von den Kategorien Alter, Geschlecht, Behinderungserfahrungen, Milieu und Orten des Aufwachsens?
- Inwiefern werden Kindheiten und Jugend heute durch Medialisierung in ihrer Diversität dokumentiert, konsumiert und repräsentiert? Inwiefern nutzen Kinder und Jugendliche mit Behinderungserfahrungen Medien, um sich selbst und ihre Erfahrungen als medialisiertes Produkt zu repräsentieren und Bildungsprozesse bei anderen anzustoßen?
- Welche Selbst- und Fremdbilder erzeugen Bildungsorganisationen qua Medienumwelten, Mediennutzung und -repräsentation? Welche Räume entstehen innerhalb von Bildungsorganisationen für empowernde, biografische und politische Selbstinszenierungen von Behinderung, sozialer Diversität und den mannigfaltigen Fähigkeiten und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungserfahrungen?
- Welche kooperativen Möglichkeitsräume für Selbstrepräsentation und -inszenierung der Dis*Abilities einer Lerngruppe oder einer Schulgemeinschaft – etwa in Form von theaterpädagogischen oder fachlichen Darbietungen – werden Kindern und Jugendlichen heute eröffnet? Oder welche erkämpfen sie sich selbst?
- Welche post- und trans-kategorialen Ansätze und Praktiken der Mediennutzung und -repräsentation existieren und werden entwickelt, durch die Behinderung als ‚Wesensmerkmal‘ oder als ‚Verwaltungskategorie‘ ent-essentialisiert werden?
- Welche Auswirkungen hat die mediale Ausdifferenzierung in Richtung Digitalisierung und Netzwerke auf Nutzungs- und Repräsentationsmodi von Kindern und Jugendlichen? Inwiefern laufen sie Teilhabe zuwider oder begünstigen sie?
- Welche In- und Exklusionsmuster lassen sich dechiffrieren? Wie bedingen sich Medien und (Bildungs-) Ungleichheiten in Bezug auf die Kategorie Behinderung?
- …
Diese komplexen Verhältnisbildungen um Teilhabe und Medien sollen die inhaltliche Klammer der Beiträge der angestrebten Ausgabe 03/2025 bilden und zum Erkenntnisgewinn beitragen. Darüber hinaus sind weitere Fragen in diesem Zusammenhang willkommen.
Die Zeitschrift Inklusion-online möchte damit, auf Basis von bildungs-, erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Beiträgen diese Verhältnisse zwischen Inklusion, Teilhabe und Medien auslotend analysieren. Willkommen sind dabei inter- und transdisziplinäre Beiträge, u. a. aus den Disability, Gender und/oder Intercultural Studies. Wissens-, organisations- und ungleichheitstheoretische sowie empirisch-anwendungsbezogene Perspektiven sind dabei gleichermaßen von Interesse.
Die Redaktion der Zeitschrift Inklusion-Online
Informationen zur Zeitschrift Inklusion-Online sowie die Manuskriptrichtlinien finden Sie unter www.inklusion-online.net
Einreichungen bitte nur über die Internet-Plattform
https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/about/submissions#authorGuidelines
Termin zur Einreichung der Beiträge: 31.03.2025 für die Ausgabe 03/2025