Abstract: Dieser Beitrag berichtet von der Umsetzung einer inklusiven Hochschule in Norddeutschland. Im ersten Teil wird das Konzept des ART+-Programms vorgestellt. Im zweiten Teil wird das Modell der künstlerischen Studienassistenz vorgestellt. Der dritte Teil besteht aus einem Gruppeninterview, in dem Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Studierenden, Dozierenden und Studienassistenzen sichtbar werden. Im vierten und letzten Schritt wird der Anschluss an aktuelle Inklusionsdebatten gesucht und dem:der Leser:in damit eine eigenständige Anknüpfung an die Praxis- und Forschungsfelder ermöglicht.
Stichworte: Inklusion, ARTplus, Studienassistenz, Hochschule
Inhaltsverzeichnis
Die gewählte sprachliche Form des Artikels strebt eine einfache Lesbarkeit an und soll damit zugänglich für alle beteiligten Studierenden, die im Artikel selbst zu Wort kommen, mit und ohne Assistenzbedarf sein. Die Autorinnen stellten sich damit der Herausforderung, eine inhaltliche Fundierung und eine Diskursanbindung in möglichst einfacher Sprache zu gewährleisten ohne den akademischen Anspruch zu vernachlässigen.
In diesem Artikel nutzen die Autorinnen die Begrifflichkeit Studierende mit Assistenzbedarf. Studierende mit Assistenzbedarf beschreibt Studierende, welche während des Studiums zusätzliche Unterstützung benötigen, um Bildungsbarrieren aufgrund von psychischen, kognitiven oder physischen Behinderungen zu überwinden und gleichberechtigt am akademischen Leben teilzunehmen. Wir benutzen auch den Begriff Mensch(en) mit Behinderung im Sinn einer empowernden Selbstbeschreibung, wie Linda L´Audace vorschlägt
Studierende mit Assistenzbedarf beschreibt Studierende, welche während des Studiums zusätzliche Unterstützung benötigen, um Bildungsbarrieren aufgrund von psychischen, kognitiven oder physischen Behinderungen zu überwinden und gleichberechtigt am akademischen Leben teilzunehmen.
In diesem Artikel wird mit „ : “ gegendert um alle Gender anzusprechen und eine einfachere Leseart und einen nützlicheren Umgang für etwaige Leseassistenzsoftware zu gewährleisten.
Im Sinne des Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention ist es die Aufgabe auch von Hochschulen, Personen zu befähigen, ihr Recht auf Bildung wahrnehmen zu können. Auf Basis dieser Grundannahme hat die Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg, als erste Hochschule Deutschlands Menschen mit Lernbeeinträchtigungen aufgenommen.
Das Interesse der Hochschule an dieser Programmatik ist auf zwei Perspektiven gerichtet. Zum einen möchte die Hochschule Menschen mit Assistenzbedarf die Möglichkeit eines künstlerischen Studiums anbieten und zum anderen möchte sie Studierende ohne Assistenzbedarf dahingehend qualifizieren, dass sie Menschen mit Assistenzbedarf während des Studiums und darüber hinaus kompetent künstlerisch begleiten können.
Die HKS Ottersberg ist ein Ort der umfassenden künstlerischen und künstlerisch-angewandten Bildung und Ausbildung. Sie sieht sich als Motor für soziale Innovationen. Sie bewegt sich nachhaltig an der Schnittstelle von Kunst, Gesundheit und Gesellschaft. Die HKS Otterberg ist eine staatlich anerkannte Fachhochschule für angewandte Wissenschaften und Kunst. Europaweit gehört sie zu dengrößten Ausbildungsstätten für Kunsttherapie. Die Hochschule bietet vier Bachelor-Studiengänge mit einem berufsqualifizierenden Abschluss an: Soziale Arbeit, Kunst im Sozialen. Kunsttherapie, Tanz und Theater im Sozialen. Tanz- und Theaterpädagogik und Freie Bildende Kunst.
Die Hochschule ist eine von drei Bildungseinrichtungen in Niedersachsen, die sich an dem Programm ARTplus beteiligt, das von EUCREA e.V. umgesetzt wird. Ziel des umgesetzten Programms ist es, neue Möglichkeiten der beruflichen Qualifizierung für Kreative mit Asisstenzbedarf zu schaffen.
Die HKS Ottersberg kooperiert bereits seit 2015 mit EUCREA e.V. und dem Programm ARTplus. In dessen Rahmen werden bestehende Barrieren im Blick auf Ausbildungsmöglichkeiten für kreative Personen mit Assistenzbedarf analysiert. Das Programm zielt auf die Entwicklung von Qualifizierungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Künstler:innen mit Behinderung. ARTplus wendet sich an Kreative mit Körper- und Sinnesbehinderungen, psychischen Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten, die aufgrund ihrer Behinderung aktuell nicht den Weg in eine künstlerische Hochschule finden würden. 2023 sind 19 Studierende in den Bereichen Musik, Bildende und Darstellende Künste, sowie zehn künstlerische Ausbildungshäuser in Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Berlin und Nordrhein-Westfalen am Programm beteiligt. In diesen fünf Bundesländern werden Kreative mit Lernschwierigkeiten und künstlerische Ausbildungsinstitutionen in den Bereichen Tanz, Schauspiel, Musik und Bildende Kunst zusammengeführt.
Während des ARTplus-Programms von 2015 bis 2017 nahmen bereits fünf Studierende im Gasthörer:innenstatus an der Lehre im Bachelor-Studiengang „Freie Bildende Kunst“ teil. Hierbei wurden sie in der Anfangsphase von den beteiligten Institutionen „Die Schlumper und barner 16“ aus Hamburg begleitet. Zwei der Gasthörer:innen erhielten die Möglichkeit, in der hochschuleigenen Galerie „level one“ in Hamburg ihre Werke auszustellen.
Aufbauend auf diesen Erfahrungen wird die Kooperation mit EUCREA fortgesetzt. Im Zeitraum von 2021 bis 2023 sollen Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen am bestehenden künstlerischen Studienbetrieb exemplarisch erprobt werden mit dem Ziel, einen inklusionsspezifischen Erfahrungs- und Wissenszuwachs zu generieren. Dies beinhaltet auch die Flexibilisierung von Abschlüssen für Menschen mit Assistenzbedarf. Ihnen soll ermöglicht werden, Bildungsangebote auch außerhalb der Behindertenhilfe wahrnehmen und einen Abschluss erwerben zu können. Menschen mit Behinderung nehmen im Rahmen von ARTplus an zeitlich begrenzten Projekten, Workshops und an mehrsemestrigen Bildungsangeboten teil. Darin eingeschlossen ist die Option, an den Aufnahmeprüfungen für die Bachelorstudiengänge „Freie Bildende Kunst (B.F.A.)“ oder „Tanz und Theater im Sozialen. Tanzpädagogik/ Theaterpädagogik (B.A.)“ teilzunehmen.
Einem regulären Studium mit der Möglichkeit der Erzielung eines Abschlusses geht somit meist eine Gasthörer:innenschaft voraus. Die HKS ist bundesweit die erste Hochschule, die Menschen mit Lernbehinderung gezielt reguläre Studienplätze anbietet. Nachdem fünf Personen im Wintersemester 2021/22 und im Sommersemester 2022 zunächst als Gasthörer:innen an der Hochschule waren, konnte bereits im Sommersemester 2022 eine Studierende im Bachelorstudiengang „Freie Bildende Kunst“ immatrikuliert werden. Drei weitere Aufnahmen sind im Bachelorstudiengang „Tanz und Theater im Sozialen. Tanzpädagogik/ Theaterpädagogik“ zum Wintersemester 2022/23 erfolgt. Neben den damit vier Vollzeitstudierenden nehmen derzeit vier weitere Gasthörer:innen an den regulären Studienprogrammen teil.
(vgl.www.eucrea.de/was-wir-tun/strukturprogramme/artplus-ausbildung-2021-2024)
Künstlerisches Wirken in sozialen Zusammenhängen, als der programmatische Kern der Ausbildung an der HKS Ottersberg, zielt auf partizipatorische Prozesse sowohl im Hochschulbetrieb als auch in der Gesellschaft. Diese sind durch die Teilhabe am Prozess ARTplus anregend und für alle konkret als Hochschulgemeinschaft erfahrbar.
Nach einem veranstalteten Kollegiumstag zum Thema „Inklusion“ hat sich gezeigt, dass bei den Lehrenden, Lehrbeauftragten und Mitarbeitenden der Verwaltung ein Weiterbildungswunsch zum Thema „Inklusionskompetenz“ besteht. Beispielsweise ist Lehre in einfacher Sprache zu gestalten und trotzdem den akademischen Anspruch nicht zu verlieren keinesfalls selbstverständlich und erfordert Schulung. Ebenso sind die gewohnten Kommunikationsplattformen, Orientierungsleitfäden etc. nicht auf Inklusion ausgerichtet. Einige Bereiche müssen konkret umgestaltet werden. Auch der Lehrkörper soll sich im Zuge der inklusiven institutionellen Öffnung inklusiv formieren. Durch einen diversen Lehrkörper besteht die Möglichkeit, Menschen als Expert:innen ihrer selbst zu stärken. Vorbilder und Identifizierungsmöglichkeiten sind wichtige Bestandteile in der Entwicklung eines jeden Menschen. Durch Marginalisierung von Menschen mit Behinderung fehlen oft eben diese Perspektiven. Das Kollegium ist der Auffassung, dass es wichtig ist, Akteur:innen der Disability Studies, also Forscher:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen mit und ohne Behinderung, einzuladen ihr fachliches sowie ihr Erfahrungswissen zu teilen und sie mittelfristig regulär einzubinden. Der Lehrkörper setzt sich demnach verstärkt ein, den notwendigen Perspektivwechsel in der regulären Lehre zu verankern, sodass Künstler:innen mit Behinderung zum Subjekt von Wissenschaft werden können. Es stellt sich die Frage: Wie können Menschen mit Behinderung, Studierende mit Assistenzbedarf vom Objekt der Forschung zum Subjekt dieser werden? Es ist wichtig, gemeinsam eine Forschungsperspektive zu entwickeln, welche tatsächlich zugänglich ist. Hier bietet sich bspw. der autoethnographische Ansatz an, welcher sich eignet, kunstbasierte Forschungen zu reflektieren (vgl. Adams 2020 et al.,S. 472 ff.). Die Verwendung eines autoethnografischen Ansatzes in der künstlerischen Forschung ermöglicht die Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen im Kontext sozialer, kultureller und politischer Rahmenbedingungen. Künstler:innen können ihre eigene künstlerische Praxis als Mittel zur Reflexion über persönliche Identität, gesellschaftliche Normen und die Bedeutung von Inklusion nutzen. Und damit komplexe soziale Themen auf eine persönliche und kritische Weise erforschen. Durch die künstlerisch forschende Auseinandersetzung mit Inklusion kann ein tieferes Verständnis für die Erfahrungen und Herausforderungen von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Hintergründen entwickelt werden. Ebenso kann die persönliche Sichtbarmachung zu einem größeren Bewusstsein für verschiedene Formen der Vielfalt führen, sei es in Bezug auf Behinderungen, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder soziale Klassen. Mit dem Ziel, einen Dialograum anzubieten und Gemeinschaftsaufbau zu fördern, können kunstbasierte Strategien unterschiedliche Hintergründe nicht nur sichtbar machen, sondern durch partizipative Interventionen auch zusammenkommen und Kollaboration fördern.
Durch Akademische Lehre von Lehrenden mit Assistenzbedarf kann der Gedanke „ich mache mich sichtbar mit meiner Behinderung. Ich spreche selbst über mich“ umgesetzt werden. In inklusive Bildungs- und Lernumgebungen können durch die Integration von kollaborativen Lernansätzen unterstützende Lernumfelder für alle geschaffen werden. Bei Lehrenden mit Assistenzbedarf muss gewährleistet werden, dass sie diese individuelle Unterstützung bekommen. Hierfür wird das gängige Tutor:innenmodell genutzt. Individuelle Absprachen für personalisierte Assistenzmodelle ggf. verbunden mit entsprechenden Schulungen müssen Raum finden. Sowie mehr Ressourcen als bisher im akademischen Rahmen vorgesehen, für die zwischenmenschliche Begegnung.
Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule ergeben sich laufend zahlreiche Entwicklungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Diese sind institutionell, aber auch ganz persönlich bedeutsam. Um den vielseitigen Bedarfen gerecht zu werden, hat die Hochschule eine wöchentliche Inklusionssprechstunde eingerichtet. Diese hat die Aufgabe, eine geschützte Anlaufstelle für alle an der Hochschule aktiven Menschen zu sein. Sie hat eine beratende Funktion und unterstützt bei persönlichen Entwicklungswünschen. Dank dieser Instanz bekommt die Hochschule die Möglichkeit, schnell auf sichtbar werdende Bedarfe zu reagieren. Hochschulöffentliche Formate zur Unterstützung oder Intervention, wie bspw. ein Seminar zu gewünschtem Thema, können angeboten werden. Im Kern der Idee der Sprechstunde geht es um Sensibilisierung und Sichtbarmachung von Bedürfnissen und unterschiedlichen Grundvoraussetzungen unterschiedlicher Menschen, welche in ihrer Gesamtheit das Wesen der Hochschule präsentieren. Auf dieser Grundlage lässt sich ein dynamisches Inklusionsverständnis in der Hochschule etablieren.
Die Inklusionssprechstunde steht neben weiteren entwickelten neuen Formaten: Aktuell gründet sich ein Inklusionsgremium, die genaue Funktionsweise dieses Gremiums kann je nach den spezifischen Zielen und der Struktur der Hochschule variieren. Wir arbeiten gerade daran, sicherzustellen, dass alle Bereiche der Hochschule barrierefrei und zugänglich sind, sowohl physisch als auch digital, um allen Studierenden die volle Teilhabe am akademischen Leben zu ermöglichen. Ebenso haben sich viele Bedarfe nach Schulungen im Bereich „einfache Sprache in der Lehre“ aufgetan, welche nun durch spezifische Fortbildungsangebote gedeckt werden.
Alle Hochschulen organisieren Informationsveranstaltungen und Orientierungen für Interessierte, oft werden potenzielle Studienanfänger*innen dabei von ihren Eltern begleitet. Eltern, Auch Sie informieren sich über die akademischen Programme, die Ressourcen der Hochschule und die unterstützenden Dienste für die Studierenden . Innerhalb des ART * Programms hat sich ein erhöhter Bedarf an Informationsveranstaltungen für Eltern gezeigt. Um diesen Kommunikationskanal zu bedienen, wurde ein Abendformat entwickelt, welches es allen involvierten Menschen ermöglicht, an relevanten inklusiven Themen mitzudiskutieren und sich mit seiner/ihrer Expertise einzubringen, um Entscheidungsprozesse mitzugestalten und ein transparentes und unterstützendes Umfeld für alle zu schaffen. Der individuelle Studienfortschritt und die Leistungen ihrer Kinder können derzeit im Ausnahmefall auch über Elternsprechstunden geteilt werden, jedoch möchte sich die Hochschule von diesen Sonderangeboten, welche nur Studierenden mit Assistenzbedarf zur Verfügung stehen, zukünftig distanzieren. Wir sind der Meinung, dass diese „Eltern-Sonderformate“ zum Othering beitragen und es muss Ziel sein, an der Hochschule eine Vermittlungskultur zu entwickeln welche die Bedarfe aller Studierender einschliesst.
Im Studiengang TTS werden in einer Semestergröße von etwa 15 Studieren alle Pflichtmodule gemeinsam studiert. Hierdurch drängen sich den Studierenden Fragen und Themen auf. Was verstehen wir darunter, wenn wir davon sprechen, eine Gruppe zu sein? Wie vereinen wir uns mit unserer Unterschiedlichkeit zu einer kollektiven Idee? Und vor allem: Wie gehen wir mit Spannungen um, die uns in der gemeinschaftlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen Arbeit begegnen?
Ausgehend von diesen Fragen begleitet das Seminar "Diversitätsmanagement" die Studierenden des Studiengangs TTS bei ihrem Prozess, sich im Studium als inklusive Gruppe zu finden. Im Zentrum steht dabei die gemeinsame Suche nach alltagstauglichen Ansätzen aus einer szenisch-dramaturgischen Perspektive. Durch das inklusive Studieren tun sich weitere Fragen auf wie: Wer bestimmt die Lerngeschwindigkeit? Wie viel Verständnis hat jede:r für die Unterschiedlichkeiten? Wie geht jede:r mit (über)fordernden Situationen um? Wie können alle lernen, in der Gruppe offen über persönliche Grenzen und Wünsche sprechen, ohne dass unnötige Verletzungen entstehen? Die Semestergruppen verbringen viel Zeit miteinander in intensiven künstlerischen Gruppenarbeiten, sodass lebendige und wohlwollende Formen von Kollaboration wesentlich sind. Der Hochschule ist es wichtig, CO-Kreativität zu fördern, deshalb muss es Raum geben, die wichtigen zwischenmenschlichen Belange in einem kollegialen Austausch zu verhandeln begleitet von einem Coach. Ziel ist es, dass Chancengleichheit im offenen Dialog und kritischen Diskurs geführt wird.
Insgesamt versucht die Hochschule, ihre öffentlich wirksamen Auftritte, wie z.B. den Tag der offenen Tür, mit barrierearmen Führungen und Gesprächsrunden welche von den Studierenden mit Assistenzbedarf mit gestaltet werden, zu erweitern. Ebenso werden diese Events zu genutzt, um inklusiven Kollektiven oder Bands eine Bühne anzubieten. So spielte z.B. bei dem „Festival- Performance und Medientage“ die Band „Dain Fahrdienst“. Sie ist Teil des Künstlerkollektivs barner 16 aus Hamburg. Wunsch der Hochschule ist es, mit einem heterogenen künstlerischen Programm die Lebendigkeit und Vielfalt auf dem Hochschulcampus widerzuspiegeln. Die beschriebenen und weiteren institutionellen Entwicklungsbewegungen können Dank einer Förderung der Software AG Stiftung in den kommenden zwei Jahren 2024/25 durch eine finanzierte Stelle einer:m wissenschaftlichen Mitarbeiter:in im Bereich Kunst und Inklusion detailliert dokumentiert werden. Ebenso werden drei Stipendien für Masterstudierende ausgeschrieben, welche ihr Forschungsprojekt innerhalb des Studiengangs „Arts and Community / Kunst und Theater im Sozialen“ (MA/MFA)an der HKS realisieren und so maßgeblich an der Entwicklung beitragen. So kann es gelingen, die langfristige Öffnung der Hochschule für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen zu evaluieren. Angedacht sind regelmäßige Befragungen von Studierenden mit und ohne Lernbeeinträchtigungen, sodass deren Erfahrungen, Bedürfnisse und Herausforderungen erfasst werden. Ebenso soll der Studienerfolg der Studierenden mit Assistenzbedarf erfasst werden. Dies kann Hinweise darauf geben, ob die implementierten Maßnahmen zur Unterstützung wirksam sind und welche Verbesserungen weiterhin erforderlich sind. Die Unterstützungsangebote sollen darauf hin überprüft werden, ob diese angemessen sind und welche weiteren Ressourcen oder Anpassungen erforderlich sind. Die kontinuierlichen Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für die Hochschulgemeinschaft sollen ausgewertet werden, um festzustellen, ob das Bewusstsein und die Sensibilität für die heterogenen Bedarfe gestiegen ist.
Ziel ist es, durch die Entwicklung eines Praxismodells auch eine Übertragbarkeit für andere Hochschulen zu ermöglichen.
Mit der Aufnahme eines Studiums bringen alle Studierenden vielfältige und individuelle Kompetenzen und Haltungen ein, die die Inhalte, Arbeits- und Vermittlungsweisen des Hochschulbetriebs impulsieren.
Ein strukturelles Merkmal für das inklusive Studienangebot ist der Assistenzbedarf, den die betreffenden Studierenden mitbringen. Durch die Sonderbegabtenprüfung, welche Bewerber:innen mit besonderen künstlerischen Begabungen auch ohne Hochschulzugangsberechtigung eine Aufnahme gewähren kann, ist eine Immatrikulation möglich. Durch unterschiedliche Modelle des Nachteilsausgleichs, welche über den Beauftragten für die Wahrnehmung der Belange von Studierenden und Mitarbeiter:innen mit Behinderungen vereinbart werden, sind individuelle Lösungen wie zeitliche Erleichterungen, längere Abgabefristen oder die Möglichkeit einer gewissen Flexibilität im Curriculum, z.B. Anpassung des Lehrplans oder der Prüfungsleistungen machbar. Dabei handelt es sich um punktuelle persönliche Beratungsdienste, die den Studierenden bei der Bewältigung von Herausforderungen im Zusammenhang mit ihrem Studium oder ihrer persönlichen Situation helfen.Um darüber hinaus im Studienalltag individuelle Lernbedürfnisse und -stile zu berücksichtigen, sowie die Möglichkeit, alternative Wege des Lernens zu begleiten, hat die Hochschule auf dem Weg zur inklusiven Hochschule die sogenannte „Studienassistenz“ entwickelt. Dafür werden Studierende ohne Behinderung aus allen Studiengängen für die begleitenden Studienassistenzen gewonnen, welche bei studienrelevanten Aufgaben assistieren. Die hierdurch parallel zum Studium erworbenen Kompetenzen qualifizieren die Assistent:innen für eine zukünftige assistierende künstlerische Tätigkeit. Das dafür entworfene Curriculum zur künstlerischen Assistenz im Umfang von 30 CP befindet sich derzeit in Erprobung. Die Studienassistenz ist im Umfang von 10 CP Teil des Programms, das perspektivisch auch als Weiterbildung angeboten werden soll.
Im vergangenen Jahr haben zwölf Studierende sieben Menschen mit Assistenzbedarf im Studium unterstützt. Bedarf besteht vor allem bei der Studienorganisation, der Literaturrecherche und -auswahl, dem Begleiten bei erforderlichen Wegen auf dem Campus, dem Erstellen von (Seminar)Mitschriften und Protokollen, dem Übertragen und Formatieren von Dokumenten, dem Vereinfachen von Inhalten, dem Beschreiben von Abbildungen und vieles mehr. Die Assistenztätigkeit ist am individuellen Bedarf orientiert und wird zu Beginn gemeinsam verantwortlichen Angehörigen und/ oder gesetzlichen Vormündern ermittelt. Die Assistent:innen werden von einer verantwortlichen Person aus dem Lehrkörper mentoriert. Zur Qualifizierung besuchen die Assistenzen ein Seminar Namens „Assistenzcoaching“, um Themen, welche innerhalb der Assistenz erscheinen, zu analysieren und eine eigene Position in diesem Prozess zu finden und lernend sowie fachlich zu füllen.
Da Studierende unserer Hochschule durch die Studiengebühren und damit einhergehende Notwendigkeit von Nebenjobs mehrfach belastet sind, werden sie für ihre Assistenztätigkeit honoriert. Über den Stundennachweis der Assistenzen wird in der Erprobungsphase auch der genaue Assistenzbedarf ermittelt. Ebenso möchten wir mit diesem Modell Studierende vor zu vielen Assistenzaufgaben schützen und ihnen mit der vorgegebenen maximalen monatlichen Stundenanzahl Orientierung bieten. Für jede:n Studierenden oder Gasthörer:in mit Assistenzbedarf kann eine maximale Betreuung von ca. 20 Stunden wöchentlich sichergestellt werden.
Es hat sich im vergangenen Jahr gezeigt, dass es für alle Beteiligten besser ist, nicht mit personalisierten 1:1-Modellen zu arbeiten, sondern einen Pool von Assistent:innen zu bilden. Dies ermöglicht eine verlässliche Assistenzstruktur und zugleich den assistierenden Studierenden die reguläre Fortführung ihres Studiums. Eine heterogene Gruppe, welche sich selbstständig organisiert, ist wünschenswert und wird gefördert. Die Absprachen treffen die Assistenzen mit den betreffenden Studierenden direkt und selbstverantwortlich. Die Stunden werden der Assistenzgruppe als monatliche Gesamtstundenzahl zur Verfügung gestellt und können je nach Bedarf eingesetzt werden. Durch diese Vorgehensweise möchten wir die Gruppe für den selbstverwalteten Umgang mit Ressourcen und für ein kollektives Miteinander schulen.
Ziel der Zusammenarbeit ist es, im Kollektiv einen selbstermächtigten Überblick über ability/disability- diversityzu unterstützen und sich so die künstlerischen und akademischen dynamisch/organischen Praktiken anzueignen. Dies führt zu einer organisatorischen Einheit, die sich darüber bewusst ist, wo ihre Stärken und Schwächen innerhalb eines Teams, einer Gruppe, etc. liegen. So kann dynamisch und ressourcenorientiert geplant und gehandelt werden (hierzu auch interessant: Kubanski 2018) In der Wahrnehmung der befragten Assistenzen in den vergangenen zwei Semestern war der Bedarf an Begleitung individuell sehr unterschiedlich. Dies bezog sich auf den Umfang wie auch auf die Inhalte. Ein als Kollektiv organisiertes Assistenzverständnis kann genau auf diese Unterschiedlichkeit flexibel eingehen und sich an den eigenen Kompetenzen/Grenzen orientieren.
Im folgenden Gruppeninterview sprechen unterschiedliche Protagonist:innen des ARTplus Programms der HKS miteinander über den Ist-Stand des Projektes. In besonderem Maße von Interesse sind die drei unterschiedlichen Perspektiven, welche durch das folgende Interview sichtbar gemacht werden. Das Gespräch wird von Yonit Ben-Yehuda moderiert, sie selbst ist als studentische Assistenz im Projekt involviert, als auch ARTplus-Studierende: Amelie Gerdes, Ole Bramstedt, Erik Bernsen sowie die langjährige Studienassistentin Hanna Frank. Ebenfalls am Gespräch beteiligt ist Professorin und Mentorin Sara Schwienbacher. Im Interview werden die verschiedenen Perspektiven zueinander gebracht, mit dem Blick auf Prozesse und wie Zusammenarbeit gelebt wird und werden kann. Gesprochen wird über den Alltag in der Hochschule, darüber, wie man gefordert oder auch überfordert ist. Hierdurch wird ein praktischer Eindruck vom Verlauf des Projektes und der Entwicklung eines Models gezeichnet. Das Interview schafft ein Bewusstsein für stetige Veränderung, denn die beteiligten Menschen, ihre Meinungen und ihre Bedürfnisse befinden sich in kontinuierlichem Wandel.
Das Interview hat keinen Anspruch auf generalisierbare Aussagen. Vielmehr soll ein konkreter Einblick in das Projekt ermöglicht werden. Es soll Zugänglichkeit und Anknüpfung schaffen.
Yonit: Guten Tag allerseits, vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt. Wir führen ein Gruppeninterview, um eure verschiedenen Perspektiven auf dem Weg zur inklusiven Hochschule zu beleuchten. Unser Ziel ist es, aus unseren Erfahrungen zu berichten und somit zu zeigen, wie Partizipationsprozesse in Hochschulprojekten im Kontext kultureller Bildung gestaltet werden können. Lasst uns direkt mit der ersten Frage beginnen. Ole, du studierst jetzt seit zwei Jahren hier. Wie hat sich dein Leben seit dem Studium verändert?
Ole: Es hat sich vieles verändert. Es war eine große Herausforderung, aber auch sehr bereichernd, vor allem, weil ich in der vorherigen Struktur der HKS nicht die Möglichkeit gehabt hätte, hier zu studieren. Ich finde den Prozess sehr spannend und entwickle mich gerne weiter, auch inhaltlich.
Yonit: Könntest du genauer darauf eingehen, was dir besonders am Studium Spaß macht?
Ole: Natürlich. Mir macht besonders das Miteinander im Studium viel Spaß. In den tänzerischen Prozessen schätze ich die Vielseitigkeit der Gruppe und dass unterschiedliche Perspektiven und Informationen eingebracht werden können. Ich finde es wichtig, nicht nur die Meinung der Dozierenden zu berücksichtigen, sondern auch die Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Studierenden miteinzubeziehen. Alle drei Seiten sollten Hand in Hand arbeiten.
Yonit: Amelie, wie können sich Lehrpersonen, die noch nie im inklusiven Kontext gearbeitet haben, auf den Unterricht vorbereiten?
Amelie: Sie sollten vor allem Geduld und Zeit mitbringen. Es ist sicherlich nicht einfach, einen Unterricht zu gestalten, der zum Beispiel in einfacher und leichter Sprache gehalten ist oder bei dem die Erklärungen angepasst werden müssen. Für mich sind manche Worte komplex und schwer zu verstehen, einige meiner Mitstudierenden haben auch Schwierigkeiten beim Lernen. Deshalb ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und uns nach unseren Bedürfnissen zu fragen, um das Wissen besser aufnehmen zu können. So haben wir nicht das Gefühl, dass die Dozierenden einfach ihren Lehrplan abhaken wollen.
Yonit: Was machst du, wenn du etwas im Unterricht nicht verstehst?
Amelie: Im Allgemeinen stelle ich mir vor, dass ich einen roten Faden im Kopf habe, und versuche dann die Worte zu einem verständlichen Satz zusammenzufügen. Meistens funktioniert es, aber wenn nicht, frage ich meine Mitstudierenden. Wenn sie mir auch nicht weiterhelfen können, frage ich die Dozierenden.
Yonit: Erik, was fällt dir im Unterricht schwer?
Erik: Manchmal fällt es mir schwer, mit der Atmosphäre oder der Arbeitsleistung umzugehen. Wenn die Atmosphäre gedrückt oder angespannt ist, fühle ich mich oft müde und es fällt mir schwer, mich auf den Inhalt zu konzentrieren.
Yonit: Wie begegnen dir deine Mitstudierenden im Unterricht?
Erik: Meistens begegnen sie mir freundlich und erkennen meine Fähigkeiten an, wenn sie mich in Aktion sehen.
Yonit: Erik, du bist auch als Tutor in einem Seminar bei einem Professor für Regie und Maskenarbeit tätig. Wie kam es dazu und was lernst du daraus?
Erik: Der Professor aus diesem Bereich hat mich angesprochen und gefragt, ob ich daran interessiert wäre, ihn zu unterstützen, und ich habe zugestimmt. Es ist eine neue Erfahrung, nicht nur Student zu sein, sondern auch mit den Dozierenden zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass alles reibungslos verläuft. Dazu gehört beispielsweise das Platzieren von Gegenständen oder der Transport von Materialien. Unsere Zusammenarbeit gefällt mir sehr gut und wir sind wirklich wie Kollegen.
Yonit: Lasst uns nun den Fokus auf die künstlerische Studienassistenz legen, die ein wichtiges Modell für die Umsetzung inklusiver Lehre an der HKS ist. Hanna, warum bist du Studienassistentin geworden?
Hanna: Ich wurde im ersten Semester durch das Seminar "Forum Positionen", in dem mittels Vorträgen unterschiedlichste Projekte vorgestellt werden, auf das Programm aufmerksam und fand es sehr interessant. Ich hatte den Wunsch, tiefer in das Thema einzutauchen und Erfahrungen zu sammeln. Es ist mir wichtig, den akademischen Kontext inklusiv zu gestalten.
Yonit: Wie würdest du deine Rolle als Assistenz beschreiben? Was ist dein Job?
Hanna: Mein Job ist vor allem, aufmerksam zu sein und die Bedürfnisse verschiedener Menschen und der Gruppe im Auge zu behalten. Ich weise gegebenenfalls darauf hin, wie etwas gemacht werden könnte oder frage nach, ob alles verstanden wurde. Ich biete Unterstützung an, wenn sie benötigt wird und gehe manchmal tiefer in das Gespräch, um eine Stütze zu sein.
Yonit: Ich hatte das Gefühl, dass die Assistenz zwischen den Stühlen steht. Wir sind nicht nur für Ole, Amelie und Erik da, sondern auch für die Gruppe und die Dozierenden. Wie siehst du das?
Hanna: Absolut. Unsere Rolle ist nicht nur auf die Bedürfnisse der ARTplus-Studierenden beschränkt. Ich fühle mich auch dafür verantwortlich, auf die Bedürfnisse der Gruppe einzugehen und lösungsorientiert und bedarfsorientiert zu handeln. Ich beeinflusse quasi drei Ebenen. Es ist wichtig, den Dozierenden etwas abzunehmen, damit sie nicht alles alleine bewältigen müssen, aber auch auf die Bedürfnisse der Mehrheit in der Gruppe zu achten und gleichzeitig für einen einzelnen Menschen da zu sein, der möglicherweise besondere Unterstützung benötigt.
Yonit: Welche Herausforderungen begegnen dir in deiner Rolle als Assistenz?
Hanna: Zu Beginn war es herausfordernd, weil ich noch nicht viele Erfahrungen in inklusiven Räumen gesammelt hatte. Ich musste mich erst herantasten. Es ist immer noch eine Herausforderung, auf die verschiedenen Bedürfnisse einzugehen und zu verstehen, dass es unterschiedliche Lerntypen gibt. Ich musste viel selbst herausfinden, da es keine klaren Anweisungen gab. Manchmal frage ich mich auch, ob ich alles richtig gemacht habe oder ob ich anders hätte reagieren können. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen dem Studium und der Assistenz zu finden, da ich mehrere Rollen einnehme.
Yonit: Sara, du hast einen großen Anteil daran, dass die HKS inklusiv wird. Wie ist dieser Prozess entstanden?
Sara: Es war ein fließender Prozess, ähnlich wie bei euch. Die Professur war bereits ausgeschrieben, aber mit einem Fokus auf den heilpädagogischen Kontext. Ich selbst bin Professorin für Kunsttherapie und bringe viel Erfahrung in der künstlerischen Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen mit. Als ich 2021 mit meiner Professur begann, leitete ich bereits das Inklusionskolloquium, bei dem die Hochschulleitung und verschiedene Professor:innen zusammenkamen, um Ideen zu entwickeln. In der Praxis begann ich dann konkrete Versuche zur Umsetzung inklusiver Lehre, indem ich Studierende für die Rolle der Assistenz rekrutierte und sie mit meiner Expertise unterstützte. Es ist ein kollegialer Prozess, bei dem wir uns kontinuierlich austauschen und gemeinsam nach Lösungen suchen. So habe ich Formate entwickelt, wie die Supervision für das TTS-Semester oder die Sprechstunde für die Assistenzen, um den Austausch über Erfahrungen zu fördern.
Yonit: Welche weiteren fortschrittlichen Veränderungen fallen dir ein?
Sara: Wir haben nun einen Inklusionsabend zu Beginn und am Ende des Semesters mit allen Beteiligten. Ein großer Punkt war auch, die Eltern der ARTplus-Studierenden mit einzubeziehen, was für Hochschulen untypisch ist. Es geht darum, einen kollegialen Austausch zu gestalten, ohne Bevormundung. Bei diesen Treffen tauschen wir uns aus, planen gemeinsam das Semester und reflektieren es. Es ist toll zu sehen, wie sich die Hochschule verändert und bunter und heterogener wird.
Yonit: Wo merkst du persönliche Grenzen in deiner Position?
Sara: Meine Grenzen liegen vor allem darin, dass ich mich darauf verlassen muss, dass die Gemeinschaft den Prozess trägt. Es kann nicht allein die Aufgabe einiger Personen sein, denn als Hochschule inklusiv zu werden es ist ein langer Prozess, der eine hohe Ausdauer erfordert. Ich bin eher lösungsorientiert und möchte gerne aktiv handeln, aber ich musste auch lernen, dass das nicht immer möglich ist.
Yonit: Wie denkt ihr, werden die nächsten Jahre hier aussehen?
Erik: Es wird definitiv ein weiter Weg sein, um das Ziel einer inklusiven Hochschule zu erreichen. Es wird viele Veränderungen geben, und es hängt von den Menschen ab, die den Prozess tragen. Es kann auch davon abhängen, ob genug Unterstützung und Interesse vorhanden ist.
Sara: Wenn der Prozess weitergeht und wir jedes Semester neue ARTplus-Studierende aufnehmen, könnte die Hochschule stark verändert werden. Es könnte eine buntere und heterogenere Gemeinschaft entstehen. Natürlich wird es auch auf die Gruppe ankommen, die studiert.
Yonit: Glaubst du, dass es in Zukunft keine Assistenz mehr geben wird?
Hanna: Ich glaube, dass es in den ersten drei Semestern immer Assistenz geben wird, um den Übergang zu gestalten und Strategien zu entwickeln. Ab dem vierten Semester könnte es sich möglicherweise in den künstlerischen Fächern selbstständiger tragen, wenn die Gruppe gut funktioniert. Ein Start ohne Assistenz könnte sehr schwierig sein, da es eine große Veränderung wäre, besonders für die ARTplus-Studierenden selbst, die oft aus einem Umfeld mit persönlicher Schul-Assistenz kommen.
Yonit: Ich stelle mir vor, dass die Gruppe nach jedem Semester selbst entscheiden kann, ob sie Assistenz benötigt.
Sara: Das könnte eine gute Lösung sein. Es ist wichtig, flexibel zu bleiben und nicht davon auszugehen, dass eine bestimmte Methode immer funktionieren wird. Es kann sein, dass die Gruppe manchmal Unterstützung benötigt und manchmal nicht.
Yonit: Amelie, wie beschreibst du den Gruppenprozess in deinem Semester? Und braucht es da die Assistenz?
Amelie: Unsere Gruppe hat ein enges Miteinander. Wir verstehen uns gut und nähern uns immer mehr an. Jeder kann freisprechen und es gibt Raum für Gespräche, um Verletzungen aufzuarbeiten. Das hat zu einem starken Gruppengefühl geführt. Wenn tatsächlich mal keine Assistenz im Kurs ist, fragen wir in der Runde, wer Notizen für die Gruppe machen kann. Die anderen Studierenden schließen sich dann oft zusammen und teilen die Notizen. Ich freue mich jeden Morgen darauf, hier zu sein und zu studieren. Es macht mich unglaublich glücklich und dankbar. Ich bin so dankbar, dass so viele Menschen für Inklusion einstehen und kämpfen.
Yonit: Amelie, was ist dein persönliches Ziel?
Amelie: Mein Ziel ist es, in Richtung Theater und Bachelor zu gehen. Die Bühne ist meine Welt, und ich fühle mich dort wohl. Es ist mein zweites Zuhause.
Yonit: Hanna, wie sieht es für dich aus? Ist die Bühne dein zweites Zuhause?
Hanna: Ja, die Bühne lässt mich lebendig fühlen, aber ich habe auch ein großes Interesse daran, Gruppendynamiken zu erleben und zu gestalten. Ich genieße es, gemeinsame Projekte umzusetzen.
Yonit: Vielen Dank an euch alle für eure Zeit und eure Perspektiven! Es ist großartig, zu sehen, wie ihr gemeinsam an der inklusiven Hochschule arbeitet und eure Erfahrungen teilt.
Die Herausforderungen auf dem Weg zu einer inklusiven Hochschule in künstlerischen Studiengängen können vielfältig sein. Hier sind einige Schlüsselherausforderungen, die im Kontext des beschriebenen Modellprojekts auftreten:
Die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert ein systematisches Herangehen an die Strukturierung von Unterstützungsmaßnahmen, Ressourcenallokation und Entwicklung von langfristigen Strategien zur Förderung einer inklusiven Lernumgebung. Zusätzlich ist eine breite Unterstützung von verschiedenen Finanzierungspartnern und öffentlichen Strukturen notwendig, um die Nachhaltigkeit und das Wachstum solcher Projekte zu gewährleisten. Deshalb ist die HKS gemeinsam mit der Programmleiterin von ART + neben stetiger Drittmittelakquise in Gesprächen mit dem Wissenschaftsministerium, den Landesbehindertenbeauftragten, den Sozialämtern und der Eingliederungshilfe.
Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2022 betonen die Bedeutung einer zukunftsfähigen Ausgestaltung von Studium und Lehre. Eine Schlüsselaussage der Empfehlungen ist, dass traditionelle Formate des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung nach wie vor zwar wichtig sind, aber dass verstärkt Wert auf Formate gelegt werden sollte, die die Fähigkeit zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung mit dem erworbenen Wissen fördern. Zudem sollte das Studium darauf abzielen, Studierende auf den Umgang mit neuem Wissen vorzubereiten sowie soziale und personale Kompetenzen zu entwickeln (Wissenschaftsrat 2022, S.20).
Die veröffentlichten Empfehlungen betonen die Notwendigkeit neuer Lernsettings und Studienumgebungen, die den Studierenden Freiräume bieten, eigenverantwortlich zu lernen und in Interaktion mit anderen (Selbst)Kompetenzen zu erwerben. Dies impliziert, dass Hochschulen Lernumgebungen schaffen sollten, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lernstilen der Studierenden gerecht werden und ihnen ermöglichen, nicht nur fachliche Inhalte zu erlernen, sondern auch ihre sozialen und persönlichen Fähigkeiten zu entwickeln. (Vgl.21) Dieses empfohlene Bestreben ist an der HKS schon Tagesordnung und die innerhalb des ART+ Programms entwickelten Interventionen bestärken ebendiese Lehr- und Lernkultur. Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule zeigt sich, dass innerhalb des Programms alle Beteiligten darin gefördert werden, mit komplexen und sich ändernden Herausforderungen umzugehen. Das ART+ Programm bringt sozial getrennte Gruppen miteinander in Verbindung, die historisch und systematisch voneinander isoliert waren.
Von zentraler Wichtigkeit für alle Beteiligten ist, dass Individuen in Bildungskontexten die Gelegenheit erhalten, ein umfassendes Verständnis von Inklusion zu entwickeln. Um dieses Vorhaben erfolgreich umzusetzen, ist es von entscheidender Bedeutung, sich nicht nur auf die Strukturen und Interaktionen innerhalb der Hochschule zu blicken, sondern auch das Fachwissen von Expert:innen, die sich weltweit z.B. im Rahmen künstlerischer Forschungen mit diesen Themen auseinandersetzen, aktiv in den Unterricht einzuspielen. Dies erfordert von der Professorenschaft, verstärkt die Arbeit von Personen in die Lehre einzubeziehen, welche die kritische Auseinandersetzung mit Inklusion zu einem integralen Bestandteil ihrer künstlerischen Profession gemacht haben[1]. Sie müssen ihre Vermittlungsposition nutzen, um Wissen von diesen Persönlichkeiten in Hochschulzusammenhänge zu tragen und damit zu ermächtigen.
Dazu initiieren wir aktiv Begegnungsformate, in welchen ebendiese Expert:innen eine Plattform finden und ihre Perspektiven teilen. Ein gelungenes Beispiel für einen lebendigen Aushandlungsprozess war das kürzlich stattgefundene EUCREA-Forum: ZUKUNFT IST JETZT! in Berlin an der Weißensee Kunsthochschule Berlin (Programm zur Tagung: https://eucrea.de/zukunft-ist-jetzt-2023/programm-zukunftistjetzt).
An der HKS legen wir Wert darauf, dass verschiedene Stimmen und Standpunkte, vor allem marginalisierter Perspektiven, angemessen vertreten sind. Kritische Lehre bietet allen Studierenden die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven und Denkweisen zu erkunden, sowie reflektierend zu lernen. Neben dem aktiven Einbezug ist es unerlässlich
Die Arbeit der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass mit zunehmender Diversität der Interaktionen und Berührungen zwischen den Menschen nach und nach an der Hochschule inklusionswirksame Kompetenzen im Miteinander entstehen, die jenseits der zukünftigen beruflichen Tätigkeit der Studierenden bereits hier und jetzt wirksam und von gesellschaftspolitischer Bedeutung sind.
Adams, T. E., Ellis, C., Bochner, A. P., Ploder, A. & Stadlbauer, J. (2020). Autoethnografie. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (Band 2: Designs und Verfahren. 2. erweiterte und überarbeitete Ausgabe) (S.472-485). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
EUCREA (1) (Hrsg.). ARTpl. künstlerische Ausbildung und Qualifizierung für Kreative mit Behinderung. https://www.eucrea.de/was-wir-tun/strukturprogramme/artplus-ausbildung-2021-2024 [Abruf:14.10.2023]
EUCREA (2) (Hrsg.). Zukunft ist jetzt! EUCREA-Forum zu inklusiver künstlerischer Ausbildung. https://eucrea.de/zukunft-ist-jetzt-2023/ [Abruf:25.10.2023]
HKS Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg (Hrsg.). https://www.hks-ottersberg.de/studium/kunst-theater-im-sozialen/index.php [Abruf:14.10.2023]
Kopyczinski, W. (Hrsg.) (2016). MARBURGER BEITRÄGE ZUR INKLUSION. Assistenz zur Selbstbestimmung. Fachliche und menschenrechtliche Grundlagen zur Assistenz von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Marburg: Lebenshilfe Landesverband Hessen e.V.
Kubanski, D. & Goeke, S. (2018). Das Verhältnis von Macht, Geschlecht und (Dis-)Ability in der Forschung. Journal für Psychologie, 26(2), 95–113. https://doi.org/10.30820/8248.06 [Abruf: 22.10.2023]
L´Audace, L. (2022). Behindert und Stolz: Warum meine Identität politisch ist und Ableismus uns alle etwas angeht. Hamburg: Edel Verlagsgruppe.
Lehrer, R. www.rivalehrerart.com [Abruf: 24.10.2023]
Papalia, C. www.carmenpapalia.com [Abruf: 24.10.2023]
Tylor, S. www.sunauratylor.com [Abruf: 24.10.2023]
Wissenschaftsrat (Hrsg.) (2022). Empfehlungen für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre. https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9699-22.pdf?__blob=publicationFile&v=13 S. 20 [Abruf:23.10.2023]
[1]Beispielsweise die Künstlerin und Aktivist:innen Sunaura Taylor, (www.sunauratylor.com) deren Werke sich auf die Darstellung von Behinderung und Inklusion konzentrieren und durch verschiedene Medien wie Malerei und Zeichnung zum Ausdruck gebracht werden. Ebenso ist die Arbeit von Riva Lehrer (www.rivalehrerart.com), die sich auf die Darstellung von Personen mit physischen Unterschieden spezialisiert und dabei eine Vielzahl von Identitäten und Erfahrungen reflektiert, oder Carmen Papalia, (www.carmenpapalia.com) ein blinder zeitgenössischer Künstler, durch die Erforschung inklusiver Kunstpraktiken und die Schaffung nicht-visueller, partizipativer Erfahrungen einen bedeutsamen Beitrag zur Thematik dar.