Andreas Köpfer, Katharina Papke & Yannick Zobel: Situationsanalyse Autismus – empirische Perspektivierungen zwischen Ratgeberliteratur und pädagogischem Handeln

Abstract: Die Kategorie Autismus stellt im Kontext Inklusiver Bildung ein kontroverses Feld dar: So wird einerseits die Vielfalt individueller Ausprägungen betont, zugleich jedoch werden – trotz steigender Diagnoseraten – selten Zweifel an der Angemessenheit der Diagnose sowie am schulisch-unterrichtlichen Umgang mit ihr geäußert (vgl. Platte, 2019). Da, ungleich zu Fragen von Förderung, die Herstellung der Kategorie Autismus bisher selten empirisch in den Blick gelangt, wird in diesem Beitrag eine Situationsanalyse – in Anlehnung an Clarke (2012) – entlang einer Komparation zweier Datensorten vorgenommen: Auf Basis von Ratgeberliteratur, die Pädagog*innen adressiert, sowie von Interviewdaten, die im BMBF-geförderten Forschungsprojekt »StiEL« erhoben wurden, soll dabei die Frage gestellt werden, welches Wissen als relevant für den schulischen Umgang mit Autismus aufgerufen wird. Mit theoretischen Bezügen zur kritisch-materialistischen Behindertenpädagogik (Feuser, 2004) sowie pädagogischen Professionalisierung (Bohnsack, 2020) werden grundlegende Ambivalenzen der Kategorie Autismus herausgearbeitet und diskutiert.

Stichworte: Autismus, Situationsanalyse, Ratgeber für Pädagog*innen, Kritisch-materialistische Behindertenpädagogik, Pädagogische Professionalisierung

Inhaltsverzeichnis

  1. Perspektivierungen der Diagnose Autismus
  2. Der Umgang mit Autismus als Frage der Profession(alität)
  3. Fragestellung, Datengrundlage und Vorgehen der Situationsanalyse
  4. Komparatives Mapping: Theoretisches vs. handlungsleitendes Wissen
  5. Diskussion – die komplexe Arena ‚Autismus‘
  6. Forschungsperspektiven
  7. Literatur

1. Perspektivierungen der Diagnose Autismus

Obwohl für Deutschland keine offiziellen Zahlen vorliegen (vgl. Bachmann et al., 2018; UBA, 2020), geht man heute von einer deutlich höheren Prävalenzrate für Autismus als noch vor einem halben Jahrhundert aus: Wurde die Häufigkeit im Jahr 1975 noch mit 0,02 % angegeben (vgl. Tebartz van Elst, 2018), findet sich für das Jahr 2016 stellenweise eine Rate von bis zu 1,85 % (vgl. CDC, 2020), wobei jedoch etwa das Deutsche Umweltbundesamt (UBA, 2020) eine deutlich niedrigere Prävalenz von 0,6-1,0 % ausweist. Die im internationalen Vergleich der Prävalenzraten festzustellenden großen Varianzen (vgl. Elflein, 2020) könnten dabei als Hinweis auf große Ermessensspielräume in der Anwendung der diagnostischen Kriterien verstanden werden. Diese ergeben sich unter anderem daraus, dass Autismus nicht auf eine singuläre biophysische Ursache zurückzuführen ist (vgl. Bernard 2017, S. 16). So betont der Psychiater Tebartz van Elst (2018, S. 150), bei Autismus – wie auch ADHS – handle es sich „um Sammelbegriffe, die unterschiedliche psychobiologische Krankheitsbilder und Normvarianten psychobiologischen So-Seins aufgrund phänomenaler Ähnlichkeiten“ zusammenschließen. Während sich dabei in der Forschung Tendenzen der Ausdifferenzierung im Hinblick auf die Ursachenattribution beobachten lassen (vgl. Bernard, 2017), wird die Kategorie Autismus in den aktuellsten Auflagen der Diagnoseleitfäden DSM-5 und ICD-11 weiter vereinheitlicht, indem Subkategorien wie Frühkindlicher Autismus oder das Asperger Syndrom zur allgemeineren Kategorie Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zusammengeführt werden (vgl. APA, 2013; WHO, 2020).
Zwar rücken mit der Abkehr von Subkategorisierungen bzw. der Entscheidung, Autismus auf einem Spektrum zu verorten, die neuen Diagnosekriterien einerseits näher an eine Perspektive heran, die Autismus – wie etwa im Konzept der Neurodiversität – als Teil des Spektrums menschlicher Vielfalt betrachtet (vgl. Lindmeier, 2018); andererseits wird durch die prozessierte Pathologisierung – als (Entwicklungs-)Störung – die Abgrenzung von als normal angenommenen Entwicklungsverläufen aufrechterhalten (vgl. ebd.; Theunissen, 2016), die zur Vereindeutigung von Autismus als klar definiertem Störungsbild in alltagspraktischen Kontexten beiträgt. Aus (inklusions-)pädagogischer (vgl. Platte, 2019) wie soziologischer (vgl. Maynard & Turowetz, 2019) Perspektive wird in diesem Zusammenhang Kritik an der Herstellung und Bedeutung der Diagnose formuliert, indem hervorgehoben wird, dass diese ein interaktionales Produkt darstellt, in dessen Entstehungsprozess sowohl die Normalitätserwartungen der diagnostizierenden Person als auch die soziale Dynamik zwischen diagnostizierender und diagnostizierter Person eine Rolle spielen. Trotz der für soziale Interaktionen üblichen Unsicherheiten schafft das Endprodukt der Diagnose dabei eine Eindeutigkeit und wird so zu einem zentralen Moment in der Herstellung von Behinderung.

2. Der Umgang mit Autismus als Frage der Profession(alität)

2.1 Autismus als sonderpädagogisches Handlungsfeld – oder als Chiffre für Delegation und Exklusion?

Der Umgang mit Autismus als administrative Kategorie im schulischen Kontext zeigt sich im bundesdeutschen Vergleich als different, insofern z.B. die Bundesländer Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein einen eigenen Förderschwerpunkte für Autismus ausweisen (vgl. Czerwenka, 2017), während Autismus andernorts u.a. mit Förderschwerpunkten wie geistige oder emotionale und soziale Entwicklung verbunden wird (vgl. ebd.). Diese uneinheitliche Verfahrensweise könnte damit in Zusammenhang stehen, dass die Diagnoseraten für Autismus in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen sind, dem Diagnoseprozess selbst aber – wie aufgezeigt – einige Ambivalenzen und Spannungsfelder innewohnen. Durch die Diagnostizierung von Autismus als Entwicklungsstörung entsteht jedoch eine Kategorie, die im schulisch-unterrichtlichen Kontext handlungspraktische Anwendung findet: Sie ermöglicht es, spezialisierte bzw. terminologisch fokussierte Wissensbestände für den institutionellen Umgang mit Menschen, denen die Kategorie Autismus zugeschrieben wird, aufzubauen, wie dies im deutschsprachigen Diskurs bislang vor allem innerhalb der interdisziplinär informierten Sonderpädagogik geschah. Inhärentes Ziel dieses Unterfangens ist der Aufbau eines Wissensrepertoires – zur Anwendung innerhalb des (sonder-)pädagogischen Handlungsfeldes Autismus bzw. Pädagogik bei Autismus –, insbesondere für das angestrebte Ziel inklusiver Unterrichtssettings (vgl. Eckert & Gruber, 2016). Die Diagnose Autismus wirkt dann als Begründungsfläche für daran ansetzende förderorientierte Handlungsstrategien und Verfahren, z.B. TEACCH® (vgl. Häußler, 2015), entlang derer im Rahmen der Lehrpersonen-Bildung (nach wie vor überwiegend in Sonder- und Allgemeine Pädagogik unterteilt) professionsspezifisches Wissen vermittelt resp. nicht vermittelt wird.

Zugleich können der Perspektive kritisch-materialistischer Behindertenpädagogik (vgl. Feuser, 1995; Rödler, 2000; Jantzen, 2007) folgend auch Einwände gegen diese latent essenzialisierende Praxis der Herstellung und Anwendung kategorial-autismusspezifischen Wissens formuliert werden: Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist hierbei das vorausgesetzte und stabile Personenmerkmal Autismus, dessen Produktion als interaktionaler, institutionell gerahmter und hierdurch auch machtbeladener Prozess ausgeblendet wird. So entsteht durch die isolierte und personenbezogene Kategorisierung Autismus eine in pädagogischen Handlungssettings ‚ersehnte‘ Klassifikation, die als Medium für Komplexitätsreduktion fungieren kann. Dieser Vorgang stellt – wie Pfahl (2011) bezogen auf Lernbehinderung zeigt – kein Spezifikum des Labels Autismus, sondern ein Charakteristikum sonderpädagogisch funktionalisierter Kategorien dar. So kann die Diagnose Autismus in engem Zusammenhang von Pathologisierung und Defizitzuschreibung gelesen werden, d.h. als objektivierbare Kategorie, in der die Bedingungen für das Handeln sowie die sozialisationsspezifischen Entwicklungen der als autistisch gekennzeichneten Menschen in den Hintergrund treten. Feuser (2004, S. 4) merkt hierzu kritisch an, der autistische Mensch entstehe „vor unseren Augen nur als ein Konstrukt aus als pathologisch bewerteten Momenten seiner Existenz.“ Auf diese Weise kann – institutionell gewendet – die inklusionspädagogische Konzeptualisierung der Förderung von Schüler*innen mit zugewiesenem Autismus letztlich als Normalisierungs- und Reintegrationsmaßnahme in einem zeitgleich statusdiagnostizierenden (besser-schlechter, normal-anormal) und selektiven Bildungssystem angesehen werden (vgl. ebd.). Innerhalb dieses reziprok angelegten Mechanismus von Förderung und Selektion (vgl. Werning, 2014) ist es wenig verwunderlich, dass das komplexitätsreduzierende Moment der Diagnose Autismus als institutioneller Anlass für Delegation, Besonderung und Exklusion herangezogen bzw. auf professioneller Ebene eine besondere Zuständigkeit legitimiert werden kann, die sich sukzessive in Form der professionellen Rolle Sonderpädagog*in entwickelt und etabliert hat.

„Durch den Verweis der Menschen mit Autismus-Syndrom in die von uns für sie geschaffenen besonderen Lebensräume können wir uns ihnen mehr oder weniger entziehen, weil und so lange wir der Überzeugung sind, dass vor allem die institutionelle Segregierung ihren Bedürfnissen in besonderer Weise angemessen sei. In jene Räume hinein delegieren wir auch die gesellschaftliche Verantwortung, die sich für uns aus der Tatsache menschlicher Existenz mit autistischer Persönlichkeitsstruktur ergibt, an wenige Personen, die wir als Fachleute oder Experten und Expertinnen bezeichnen“ (Feuser, 2004, S. 2).
Die professionale Delegation von Autismus als Diagnose an Diskurse z.B. der geistigen und kognitiven Behinderungen kann dabei als ein Ausweis für die Kolonialisierung autismusspezifischen Wissens in der Sonderpädagogik gesehen werden, die sich in Relation zu einer „Normalpädagogik“ (Oevermann, 1996, S. 151) manifestiert bzw. von der normorientierten Perspektive dieser hervorgebracht wird:
„An letztere [die Sonderpädagogik, d.V.] werden alle jene Fälle delegiert, die als auffällige oder manifeste Abweichungen bzw. Störungen aus der Normalpädagogik herausfallen. Dadurch ist man überhaupt erst berechtigt, von einer Normalpädagogik zu sprechen. Sie ist zugleich jene Pädagogik, die sich von ihrem Selbstverständnis her der objektiv gegebenen Professionalisierungsbedürftigkeit entzieht und diese an den sonderpädagogischen Bereich delegiert und für ihn reserviert” (Oevermann, 1996, S. 151).
Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Vorüberlegungen zum Zusammenhang von Diagnose, Etikettierung und professioneller Bearbeitung von Autismus in Bildungsorganisationen werden mehrere Desiderate ersichtlich. So sind empirische Analysen notwendig, die

2.2 Zum Spannungsfeld von expertisiertem und professionalisiertem Wissen

Zur Analyse des aufgezeigten Spannungsfeldes bzw. der Prozesse der Wissensproduktion und -dissemination erscheinen dabei in theoretischer Hinsicht Bohnsacks (2020) – in Fortführung sowie teils kritischer Abgrenzung[1] zu Oevermann (1996) entstandene – Ausführungen zum Thema der Professionalisierung als hilfreiches Konstrukt: Sie schließen insofern an Oevermanns Ansatz an, als letzterer „nicht die Expertise zur Grundlage professionalisierten Handelns nimmt, sondern Probleme der interaktiven Handlungspraxis“ (Bohnsack, 2020, S. 26), was der praxeologischen Basisunterscheidung zwischen kommunikativer (theoretische Ebene) und konjunktiver Logik (atheoretische bzw. handlungsleitende Ebene) entspricht. Es entsteht so eine strukturelle Differenzierung von Wissensformen, die die wissenschaftliche Expertise – als ein explizierbares bzw. theoretisches Wissen – von einem professionalisierten Wissen, welches sich in einem handlungsleitenden Wissen konstituiert, unterscheidet. Hierin schließt Bohnsack auch an eine Feststellung Luhmanns an: Im „Zentrum der Entwicklung der Professionen steht mithin die Distanz zwischen Idee und Praxis, die durch Wissen allein nicht überbrückt werden kann“ (Luhmann, 2002, zit. in Bohnsack, 2020, S. 22). Bohnsack verortet den Modus der Professionalisierung in diesem Sinne vor allem im Rahmen von Habitualisierung (vgl. ebd., S. 24).

„Denn auch in Bezug auf das Lehren sind die Lehrer*innen […] primordial nicht als Expert*innen gefordert, für welche ein Wissen über etwas, ein theoretisches Wissen, charakteristisch ist. […] Demgegenüber sind die Professionellen primordial hinsichtlich ihres handlungsleitenden [bzw. habitualisierten, d.V.] Wissens gefordert, eines Wissens um oder innerhalb von etwas“ (Bohnsack, 2020, S. 20).
Dreh- und Angelpunkt einer professionalisierten Praxis bilden in diesem Zusammenhang die Bemühungen um ein tatsächliches „Verstehen der Anderen“ (ebd., S. 28) – d.h. der Klient*innen bzw. Schüler*innen –, welches nur aus der „gemeinsamen Einbindung in eine gemeinsame […] Interaktionsgeschichte“ (ebd.) und nicht aus einem theoretisch-generalisierten Wissen hervorgehen kann. In diesem Sinne fasst Bohnsack (2020, vgl. S. 56) – im Rückgriff auf die »reflection-in-action« nach Schön (1983) – Professionalisiertes Handeln als eines, innerhalb dessen Methoden und Ziele nicht vordefinierbar, sondern nur nach und nach in der Interaktion – also in Aushandlungen mit den Klient*innen – bestimmbar sind. Wie Wagener (2020, S. 185) herausstellt, sind die Lehrpersonen in dieser Hinsicht „nicht als Expert*innen für die Fachinhalte oder das (sonder-/heil-)pädagogische Wissen“ gefragt – wie dies etwa auf Wissenschaftler*innen zutrifft –, sondern sie werden primär gemessen am Gelingen der Etablierung einer interaktiven Handlungspraxis mit den (einzelnen) Schüler*innen. In dieser Hinsicht beinhaltet die Perspektive einige Radikalität, insofern die etablierte Unterscheidung allgemein- vs. sonderpädagogischer Professionalität nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. ebd., S. 186) und vielmehr in der – für Erziehung konstitutiven (vgl. Emmerich & Hormel, 2013, S. 108) – Verstehensbemühung um den individuellen Fall aufgehen muss.

3. Fragestellung, Datengrundlage und Vorgehen der Situationsanalyse

Vor dem Hintergrund der differenzierten Formen expertisierten bzw. theoretischen und professionalisierten bzw. handlungsleitenden Wissens (vgl. Kap. 2.2) wird eine Untersuchung von De-/Professionalisierungstendenzen möglich, die im Feld des schulischen Umgangs mit Autismus – wie aufgezeigt – von besonderer Relevanz ist. So soll im vorliegenden Artikel mittels einer explorativen Analyse der Frage nachgegangen werden, in welcher Situation und durch wen welches Wissen zum schulischen Umgang mit Autismus relevant gemacht wird – und welches nicht. Die Situationsanalyse nach Clarke (2012), die zunehmend im Kontext der Inklusionsforschung Anwendung findet (vgl. Gasterstädt, 2019), bietet sich hierbei an, weil diese intendiert, ein möglichst umfassendes Bild zu generieren, welches sich aus vielfältigen Blickwinkeln speist. Um sowohl die schulische Wissensnachfrage als auch die Angebotsseite zu betrachten, werden deshalb für die Untersuchung Daten aus zwei unterschiedlichen Projekten für eine Sekundäranalyse herangezogen: Dies sind zum einen Vorworte aus – im Rahmen der Dissertationsstudie »Konstruktionen von Autismus zwischen Medizin und Pädagogik – eine Diskursanalyse« (Zobel, i.V.) – untersuchter Ratgeberliteratur[2], welche autismusspezifisches Wissen für als inklusiv ausgewiesene Schulsettings aufbereitet und dabei explizit Pädagog*innen als Zielpublikum benennt (Arens-Wiebel, 2019; Horbach, 2016; Menze, 2015; Sautter, Schwarz, & Trost, 2012; Schirmer, 2016; Schuster, 2011; Schuster & Schuster, 2013; Theunissen & Sagrauske, 2019); sowie zum zweiten Interview-Daten, die im BMBF-geförderten[3] Forschungsprojekt »StiEL – Schule tatsächlich inklusiv« erhoben wurden, wobei der Datenkorpus 134 problemzentrierte Interviews (Witzel, 2000) mit schulischen Akteur*innen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg umfasst (vgl. Köpfer, Papke, & Gerdes, 2019).[4]
Um ein systematisches Bild der Konstruktions- und Aushandlungsprozesse von als für den schulischen Umgang mit Autismus relevantem Wissen zu erhalten, lehnen wir uns in methodologisch-methodischer Hinsicht an den „Multisite-/Multiscape-Ansatz“ (Clarke, 2012, S. 209) an: So kann durch Komparative Mappings ein Vergleich von Diskursmaterialen und Interview-Daten erfolgen – z.B. mit dem Ziel zu erfassen, „welche Elemente eines bestimmten Diskurses von realen Personen übernommen werden und welche nicht und vice versa.“ (ebd., S. 214) Vor dem Hintergrund der Bemühung, die Herstellung der Kategorie Autismus in den Blick zu nehmen, erscheint es dabei als besonders relevant, dass sich die Analyse auch dem Nicht-Thematisierten – also den „positions not taken in the data“ (Clarke, Friese, & Washburn, 2018, S.172) zuwendet. Von zentraler Bedeutung ist hierzu das Konstrukt Sozialer Welten, das davon ausgeht, dass kollektive Akteur*innen innerhalb von Arenen in konflikthafte Aushandlungen treten (vgl. Clarke, 2012, S. 77) und dabei solche (taktischen) Leerstellen produzieren. Folgend werden daher die im Datenmaterial vorzufindenden Positionen komparativ gegenübergestellt (Kap. 4), ehe ein umfassender Blick auf die komplexe Arena ‚Autismus‘ (Kap. 5) versucht wird.

4. Komparatives Mapping: Theoretisches vs. handlungsleitendes Wissen

Im Weiteren finden sich die Ergebnisse der Mapping-Prozesse auf Basis einer Auswertung nach der Grounded-Theory-Methodologie (vgl. Clarke, 2012), wobei die entstandenen Positions-Maps (vgl. ebd.) zu den Ratgeber- wie Interview-Daten einander gegenübergestellt werden. Die vorgängig ausgeführten theoretischen Bezugspunkte (Kap. 2) flankieren die Analyse:

4.1 Positionen innerhalb der Ratgeberliteratur


Abb. 1: Positions-Map der Ratgeberliteratur (Eigene Darstellung)

Betrachtet man die im Rahmen der ausgewählten Ratgeberliteratur aufgeworfenen Positionen entlang der unterschiedenen Dimensionen expertisierten bzw. theoretischen Wissens sowie professionalisierten bzw. handlungsleitenden Wissens (vgl. Kap 2.2), so lässt sich eine spezifische Lagerung beschreiben: Dabei zeigt sich insbesondere eine hohe Bedeutung theoretischer Wissensformen, insofern etwa „neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf Autismus“ (Theunissen & Sagrauske, 2019, S. 9) oder auch „Ergebnisse aus […] Forschungsprojekten“ (Sautter et al., 2012, S. 11) in den Vorworten ausgewiesen werden. Legt man die Differenzierung der Wissensstrukturen von Bohnsack (2020) an, so handelt es sich bei dieser wissenschaftlichen Expertise, im Hinblick auf welche sich die Autor*innen entsprechend legitimieren – z.B. mit dem Verweis auf Tätigkeiten im Bereich der „Kinder- und Jugendpsychiatrie“ (Arens-Wiebel, 2019, S. 5) –, um ein theoretisches Wissen. Die Ratgeber-Autor*innen positionieren sich so als „ausgewiesene Fachleute“ (Menze, 2015, S. 7), die der „Hilflosigkeit der Lehrer, die nicht wissen, ob ihre Bemühungen die Kinder überhaupt erreichen“ (Schuster, 2011, S. 9) entgegentreten möchten. In dieser Hinsicht entfaltet sich der für die Ratgeberliteratur von Oelkers (2019, S. 217) beschriebene alarmistische Charakter im Hinblick auf die Lehrpersonen, die als unvorbereitet und überfordert gezeichnet werden. So sehen die Autor*innen ihren Auftrag in einer Ausrüstung der Lehrpersonen mit „Handwerkzeug“ (Schirmer, 2016, S. 9), wobei Oelkers (2019, S. 214) Diagnose einer genrespezifischen Wissensform, die „auf Lösung angelegt“ ist, auch hier als treffend erscheint.[5] Diese Lösung schließt vor allem an Wissensbefunde aus medizinisch-psychiatrischen oder psychologischen bzw. (ergo-, sprach-)therapeutischen Bereichen an (vgl. Arens-Wiebel, 2019; Menze, 2015; Theunissen & Sagrauske, 2019), während erziehungswissenschaftliche Beiträge in den untersuchten Ratgebern nur rudimentär zu finden sind. In diesem Rahmen bieten die Ratgeber einen „Überblick über die möglichen Erscheinungsbilder der ASS“ (Menze, 2015, S. 7) oder Einführungen zum Konzept kategorialer autistischer Störungen an, denen ein unübersehbar pathologisierender Charakter innewohnt. So wird beispielsweise die Subkategorie des Frühkindlichen Autismus bei Arens-Wiebel (2019, S. 5) folgendermaßen beschrieben: „Die betroffenen Kinder sind in ihrem Verhalten viel auffälliger und in ihrer Entwicklung deutlich verzögerter als gesunde Kinder bzw. als die mit dem Asperger-Syndrom – eine weitere Autismus-Spektrum-Störung.“ Kategoriale Differenzierungen sind so zum einen im Hinblick auf diese Subkategorisierungen, aber auch – und vor allem – im Hinblick auf Schüler*innen mit und ohne Autismus-Zuschreibung zu beobachten, wobei diese in ihren Unterscheidungen wenig spezifisch werden:
„In einer Schulklasse befinden sich viele Schüler, die sich in ihrem Verhalten auf den ersten Blick oftmals nicht gleichen. Wenn Schüler im Autismus-Spektrum (folgend mit ‚Schüler im AS‘ bezeichnet) zu einer Gruppe stoßen, erscheinen sie untereinander jedoch schnell wesentlich gleicher, denn Schüler im AS sind besonders. Während ein Pädagoge bei der Förderung von Schülern normalerweise aus seinem reichen Erfahrungsschatz schöpfen kann, müssen bei Schülern im AS häufig andere, manchmal auch außergewöhnliche Wege gegangen werden, um sie ans Ziel zu führen“ (Horbach, 2016, S. 5).
Hierin werden die vorhandenen (professionalisierten) Wissensbestände der Lehrpersonen indirekt als irrelevant für die spezifizierte Situation bewertet. Das Prozessieren einer gegebenen Kategorie Autismus ermöglicht es so nicht zuletzt, dass etwa „allgemeine [H.d.V.] Überlegungen zur schulischen Eingliederung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus“ (Sautter et al., 2012, S. 11) angestellt werden können, an die schließlich mit Informationen und Wissen zur Verfahrenspraxis – etwa hinsichtlich der Beantragung subsidiärer Maßnahmen (vgl. Menze 2015; Sautter et al., 2012; Theunissen & Sagrauske, 2019) – angeschlossen wird.
Ein geringerer Anteil theoretischen Wissens ist demgegenüber im Rahmen der zahlreich in den Ratgebern angeführten „Strukturierungshilfen“ (Horbach, 2016, S. 5) zu finden – in dem Sinne, als diese weniger „Wissen über [H.i.O.] etwas“ (Bohnsack, 2020, S. 20) vermitteln, sondern der aktiven Schaffung einer „angepassten Lernumgebung“ (Horbach, 2016, S. 5) dienen sollen. Zwar wird in diesem Zusammenhang von „Methoden und Techniken der Unterrichtung und Förderung“ (Schirmer, 2016, S. 9) gesprochen, doch sind etwa die Ansätze PECS und TEACCH® eher im Bereich rezepthafter individueller Förderung als im Rahmen von Unterrichtsmethodenliteratur zu verorten, welche sich auf die „Gestaltung des Unterrichts [bezieht, d.V.], ohne dabei […] Ratschläge zu erteilen“ (Oelkers, 2019, S. 232). Dabei ergibt sich jedoch innerhalb des Ratgeber-Korpus ein scheinbares Spannungsverhältnis zwischen einer Orientierung an technizistischen Rezepten wie „Checkliste[n]“ (Menze, 2015, S. 7), die die Kategorie Autismus bedienen und innerhalb dieser ihre universelle Einsatzmöglichkeit proklamieren, und einer Orientierung daran, dass die erteilten Ratschläge „nicht für die individuellen Probleme eines jeden Kindes gleich gut geeignet sein“ (Schuster, 2011, S. 9-10) können. Im Sinne des Slogans „Jedes autistische Kind ist eine neue Herausforderung für die Lehrkraft“ (ebd., S. 9) wird im letzteren Fall an einer erkennbar defizitären Perspektive festgehalten, wobei es zu einer Anfrage von Universalitäten – jedoch nicht zur Dekonstruktion der Kategorie Autismus – kommt. So werden etwa die „spezifische[n] Aspekte des Lernens von Menschen im Autismus-Spektrum“ (Schirmer, 2016, S. 10) vermittelt, die an einer Handlungspraxis orientiert sind, jedoch innerhalb theoretisch-generalisierter Kategorien verharren und etwa „Einblicke in die Innenwelt von Schülern mit Autismus“ (Schuster, 2011, S. 10) bemühen. Eine „reflektierte und verstehende Sichtweise in der Begegnung mit Menschen mit Autismus“ (Sautter et al., 2012, S. 10) sowie „Leitprinzipien zeitgemäßer Behindertenarbeit wie Empowerment, die Stärken-Perspektive und Inklusion“ (Theunissen & Sagrauske, 2019, S. 8) werden dabei proklamiert, jedoch wenig spezifiziert – und verbleiben in einer binären Zuschreibungslogik. Die Betonung der Einzigartigkeit der Kinder führt so tendenziell zu einer „Veranderung“ (Buchner, 2017, o.S.), die die Behinderung in das Kind verlagert, ohne dabei den sozialen (Entstehungs-)Kontexten Beachtung zu schenken.
Für die Behandlung werden in der Folge spezifische Mittel notwendig – dabei wählen die Ratgeber einen Ausschnitt, der auf die Lehrperson und das Kind im AS fokussiert, und kreieren hierin eine spezifische Situation: Der Blick auf den besonderen ‚Fall Autismus‘ fungiert darin als Basis für Lösungsstrategien, die stärker am betroffenen Kind und dessen Familie – und weniger systemisch an der Organisation Schule – ansetzen. Somit bleibt die Rolle letzterer in der Hervorbringung von Heterogenität und Differenz (vgl. Tervooren & Pfaff, 2018) ohne jegliche Betrachtung – und Autismus wird als Wesenheit des Kindes askribiert, wobei hieran schließlich Überlegungen wie die des ‚richtigen Förderortes‘ (vgl. Arens-Wiebel, 2019) andocken können. Die an vielen Stellen angestrebte „autistenfreundliche Schule“ (Schmidt zit. in Sautter et al., 2012, S. 11) ist dabei vor allem eine, die auf spezifische Bedürfnisse mit spezifischen Angeboten reagiert, insofern z.B. „Möglichkeiten eines erweiterten Unterrichtsangebots“ (ebd., S. 13) aufgezeigt werden, während der Regelunterricht nicht in den Fokus der Ratgeber rückt. So verhindert die Blickzentrierung auf die therapeutische Förderung des ‚autistischen Kindes‘ auch, dass etwa die Mitschüler*innen in Überlegungen einbezogen werden, womit diese zu „stumme[n] Akteure[n]“ (Clarke, 2012, S. 128) werden. Hierbei fällt auch auf, dass in die Betrachtungen der Ratgeber kaum die Perspektiven aktueller Schüler*innen mit Autismus-Zuschreibungen einfließen, sondern darin vor allem Erwachsene retrospektiv auf ihre Schulzeit zurückblicken. Implizit wird das Feld damit als konstantes und – durch die Relevanzsetzung der Retrospektion – indirekt auch unveränderliches gefasst, mit dem es mittels spezifischer Strategien umzugehen gilt. In diesem Sinne wird die Thematik der „Unterstützungssysteme“ (Schirmer, 2016, S. 10) vor allem im Rahmen außerschulischer Lösungsfiguren diskutiert, wobei mit diesem Aufrufen subsidiärer und kompensatorischer Maßnahmen ein Weg gefunden scheint, strukturelle Konflikte, die sich aus dem regelschulischen Status Quo heraus ergeben, zu umgehen.

4.2 Positionen der schulischen Akteur*innen


Abb. 2: Positions-Map der Interview-Daten (Eigene Darstellung)

Vergleicht man hierzu die Aussagen der Akteur*innen im schulischen Feld, zeigt sich zunächst einmal, dass sich diese konträr zum Expert*innen-Status positionieren: sie betonen „überhaupt nicht ausgebildet für diese ganzen Geschichten“ (LP_BB_30) zu sein und zeigen sich in diesem Sinne entsprechend dem Bild der nicht auf Autismus vorbereiteten schulischen Akteur*innen, wie es in den Ratgebern gezeichnet wird. Dabei wird – analog zu den in der Ratgeberliteratur aufgeworfenen theoretischen Wissensbeständen – ein medizinisch-psychologisches Wissen als relevant markiert: „Erstmal überhaupt das Krankheitsbild, erstmal differenziert nahe-, dass das erstmal uns nahegebracht wird. Denn wir sind ja keine Mediziner […]“ (LP_BB_30). In diesem Zusammenhang scheinen jedoch weniger neueste wissenschaftliche Erkenntnisse als vielmehr eine Art Überblickswissen für die schulischen Akteur*innen interessant („Was gibt es? Wie kommt es vor? Wie erkenn ich es?“, LP_BW_16), welches erkennbar einer Idee der universellen Bestimmbarkeit des ‚Menschen mit Autismus‘ folgt. Insbesondere ein diagnostisches Wissen wird als potenziell hilfreich erachtet, wenn z.B. eine der interviewten Personen im Hinblick auf eine Fortbildung des Schulamtes schildert: „Und da hat man sich dann ausgetauscht, beschäftigt, überlegt: Ist das schon autistisch oder ist das jetzt einfach eine Verhaltensoriginalität? Oder was auch immer. Und das ist gewinnbringend.“ (FV_BW_22). Der Nutzwert der Fortbildung ist so in der Schaffung von Sicherheiten im Hinblick auf die binäre Zuschreibungspraxis nicht-/autistisch verortet. Mit der Diagnose Autismus wird für die schulischen Akteur*innen dabei nicht nur ein Wissen über (externe) Unterstützungsmöglichkeiten relevant, sondern diese fungiert auch als mögliche Erklärung für erwartungswidriges (Lern-)Verhalten:
„Ich habe in meiner Klasse zum Beispiel einen Schüler, der ist Autist und ist lernbehindert – Entschuldigung, hat den Förderbereich Lernen – und er ist jetzt 8. Klasse und es gibt einfach Themen, in Mathe zum Beispiel, das kann er nicht verstehen. Das sind so komplexe Sachen, die kann der Junge nicht begreifen“ (SP_BB_11).
Hierbei finden sich jedoch auch Stimmen zu einer Position, die stärker eine anwendungsorientierte Komponente betonen – und etwa auf den Umgang mit Verhaltensschwierigkeiten fokussieren: „Aber eben solche, wo ich sage, ich will jetzt nicht hundert Tests vorgestellt bekommen, sondern ich will wissen, wie kann ich konkret etwas tun? […] 49 Tipps zu Umgang mit Verhaltensschwierigkeiten.“ (WE_BB_14) Kongruent zur Angebotsseite der Ratgeber zeigen sich so im vorliegenden Fall Nachfragen von technizistisch-rezepthaftem Charakter, wenn etwa die Rede von „Handreichungen“ (FV_BW_23) oder einem „Maßnahmen-Katalog“ (LP_BW_32) ist.
„Ich glaube, was denen fehlt, ist wirklich so eine praktische Handhabe. Also, ne? Sagen wir, das hört sich blöd an, aber für Lehrer muss alles praktikabel sein. Das muss einfach und schnell einsetzbar sein und das heißt, wahrscheinlich bräuchte man eine Handreichung zum autistischen Kind“ (LP_NRW_23).
Des Weiteren fällt im direkten Vergleich auf, dass von den interviewten Personen sonderpädagogische Wissensbestände als äußerst relevant bewertet werden, während in den Ratgeber-Vorworten dieser Disziplin keine explizite Beachtung als primärer Wissensquelle zukommt. Dabei muss jedoch bemerkt werden, dass sich auch Positionen finden, die den praktischen Nutzwert von Kategorisierungen wie Autismus – bzw. von hierauf aufbauenden Fortbildungskonzeptionen – in Frage stellen:
„[…] das war vor zwei Jahren, als wir die beiden Schüler mit Asperger aufgenommen haben, und dann ist das Schuljahr angelaufen und dann irgendwann nach der zweiten oder dritten Teamsitzung kam dann von den Kollegen so zurück: ‚Aber unsere Aspergerkinder sind ganz anders. Ich kann mit dem, was dort in der Fortbildung gegeben wurde, gar nichts anfangen!‘“ (SB_BB_42).
Hinsichtlich der Orientierung an Unterrichtspraxis wird innerhalb der Interview-Daten auch deutlich, dass weniger das einzelne Kind, sondern etwa die „sehr heterogenen Lerngruppen“ (FB_BB_28) stärker in den Fokus der Betrachtungen rücken. So zeigt sich in den Aussagen der interviewten Personen eine Perspektive, die die Nicht-Passung der schulischen Rahmenbedingungen und der Attribute, welche Schüler*innen im Autismus-Spektrum zugeschrieben werden, betont. Insbesondere eine Dimension des (erwartungswidrigen) Verhaltens wird dabei von den interviewten Personen hervorgehoben – und bildet die Grundlage für Überlegungen zu Inklusionsmöglichkeiten:
„Du kannst ja nicht, wenn es da jetzt jemand mit Asperger plötzlich alles zu viel wird, kannst du ihm sagen – ich mein, wenn der bei uns ankommt, hat er seine Strategien in der Regel schon im Blick – kannst du dem sagen: ‚Okay, geh einfach mal raus und komm zurück, wenn es für dich okay ist!‘ Aber, du hast auch Situationen, wo du tatsächlich Zeit bräuchtest, um mit ihm zu reden, aber dann hast du eine ganze Klasse im Rücken und die muss halt auch laufen“ (LP_BW_18).
In dieser Hinsicht werden die Abwägungen zur Teilhabe der Schüler*innen vor dem Hintergrund personeller Ressourcen („[…] wir haben jetzt nicht wie an Grundschulen zum Beispiel die Möglichkeit, in Teams zu unterrichten.“, LP_BW_18) sowie zeitlicher Rahmenbedingungen – in Form von zu erreichender Bildungsziele und Abschlüsse – vollzogen („Aber, wenn du mit so einem Fall konfrontiert bist, dann kann das eben doch ein Stück weit den Unterricht, der auf einen Abschluss ausgerichtet ist, aufmischen und dann kommst du als Lehrkraft in Konflikte.“, LP_BW_18). Eine weitere wichtige Rolle spielen in diesen Überlegungen die Mitschüler*innen, insofern deren (vermeintliche) Perspektiven eingenommen werden:
„Ich glaube, für die Mitschüler ist es eine große Herausforderung und am Anfang sind die Kinder durchaus noch gewillt, ein Problemkind mitzutragen. Aber sobald die Schüler in die Pubertät kommen, ist dieses Problemkind vergessen, dann haben die ihre eigenen Sorgen und Nöte […]“ (LP_BW_13).
Die Klassengemeinschaft und deren Interessen werden so in den Positionen der schulischen Akteur*innen als zu beachtende aufgerufen, wobei jedoch die konkrete interaktionale Rahmung des Klassengeschehens – wie auch dessen Gestaltbarkeit – wenig spezifisch in den Blick gerät. Formuliert Feuser (2004, S. 1), dass der „Begriff ‚Autismus‘ wie kein anderer darauf [verweist, d.V.], dass das wechselseitige Misslingen der Annäherung die Verhältnisse [H.i.O.] beschreibt, in deren Licht wir die Verhaltensweisen [H.i.O.] des Anderen als autistisch bewerten“, so wäre sicherlich nach den Bedingungen zu fragen, die das Klassengeschehen in dieser Hinsicht konstituiert. An die (als autistisch kategorisierten) Schüler*innen werden in diesem Sinne fortwährend implizite „Inklusionsbedingungen“ (Weisser, 2017, S.147) vermittelt, deren Erfüllung sie zu leisten haben. Der etablierte Regelunterricht wird hierbei als zu erfüllende Norm und Positivum gesetzt, welches – im Zweifelsfall über kompensatorische Maßnahmen – zu erreichen ist (vgl. Köpfer et al., 2019). Die Erbringung dieser kompensatorischen Leistungen sehen die Interviewten jedoch vor dem Hintergrund der gegebenen strukturellen Bedingungen als schwierig an, wobei die Forderung nach sonderpädagogischen Lehrpersonen als besonders dringlich ausgewiesen wird („[…] bei unserer Berufsschule kommen sie an mit so einem Tröpfchencharakter: 5-6 Stunden für unsere Schule mit 1300 Schülern“, SL_BW_17). In diesem Zusammenhang lässt sich deutlich beobachten, wie über die außerhalb bzw. übergeordnet zum konkreten Fall gesetzte Diagnose ‚Autismus‘ spezifische Zuständigkeiten auf den Plan gerufen werden, die die Grundlage für Delegationen bilden. Zwar finden sich auch Positionen, die die Notwendigkeit einer veränderten Ausbildung bzw. der Fort- und Weiterbildung der Regelschullehrpersonen herausstellen, doch gehen diese durchaus mit der Idee des Expertentums einher:
„[…] das fänd‘ ich inhaltlich am wichtigsten, dass an jeder Schule zumindest einer ist, der über jede Behinderungsart-, es muss ja nicht einer sein, der über alle Behinderungsarten Bescheid weiß; es kann wirklich sein, dass in einer Schule fünf Leute sind und jeder ist Spezialist für eine Behinderungsart, die vorkommen kann. Und das ist umso wichtiger an allgemeinbildenden Schulen, da ist es noch viel wichtiger, da muss man Spezialisten haben“ (LP_BW_16).

5. Diskussion – die komplexe Arena ‚Autismus‘

Die bisher skizzierten Positionen, wie sie bezogen auf die Ratgeberliteratur sowie die schulischen Akteur*innen herausgearbeitet wurden, stellen erste explorative Perspektivierungen eines komplexen (Handlungs-)Feldes ‚Autismus‘ dar. Gemäß der Situationsanalyse nach Clarke (2012, S. 147ff.) ist die Wissensproduktion und das Handeln in Relation zu übergeordneten (gegenstandsbezogenen wie wissenschaftstheoretischen) Diskursen zu stellen. Zur Nachzeichnung dieser Diskurse wird Clarke (vgl. ebd.) folgend eine Map Sozialer Welten skizziert, in der die Akteur*innen und die in der Bildungsorganisation Schule implementierten Konzepte und Kategorien im Kontext von Autismus aufgeführt und zueinander konstelliert werden. So entsteht eine Schul-Arena ‚Autismus‘ (s. Abb. 3), in der


Abb. 3: Die Schul-Arena ‚Autismus‘ (Eigene Darstellung)

sich die Kategorie Autismus als konstitutives Element im Handlungsgefüge zeigt. Folgende Charakteristika können hier zusammenfassend resümiert werden:

Die Schul-Arena ‚Autismus‘ im Kontext von Inklusion zeigt so ein transformatives Bedingungsfeld, innerhalb dessen eine veränderte Anforderung an die Wissensproduktion, -dissemination und -aneignung gegeben ist. In dieses komplexe Feld hinein adressieren die Autismus-Ratgeber Pädagog*innen und bieten ihnen Lösungsstrategien für den Umgang mit Veränderungsprozessen an. Dabei betonen die Ratgeber die Krisenhaftigkeit der Veränderungsprozesse und charakterisieren ihre Adressat*innen als unvorbereitet und überfordert. Die Fremd- und Selbstbeschreibung erweist sich in diesem Punkt als ebenso kongruent wie die Orientierung an medizinisch-psychologischem Grundwissen über Autismus. Das Wissen zur Symptomatik dient dabei einerseits als Grundlage für allgemeine Überlegungen zur Eingliederung von Schüler*innen mit Diagnose Autismus, andererseits als Anknüpfungspunkt für vorstrukturierte Handlungsstrategien. Zwar wird betont, dass diese keine allgemeingültigen Handlungsanweisungen darstellen können, dabei scheint es sich jedoch eher um eine Absicherung gegen das Scheitern im Einzelfall als – angesichts deren Omnipräsenz – um einen grundlegenden Zweifel an der Angemessenheit der Praktiken zu handeln.
Trotz dieser Einschränkung und der teilweisen Berücksichtigung wenig instrumenteller Ansätze (z.B. im Aufgreifen der Stärken-Perspektive) fehlen sowohl in den Ratgebern als auch den Interviews diskursive Positionen, die die Relevanz einer „Reflexion innerhalb [H.i.O.] der eigenen Praxis“ (Bohnsack, 2020, S. 22) betonen bzw. zu dieser hinleiten. Genau diese Art von Reflexion ist nach Bohnsack jedoch als „Voraussetzung für flexible Handlungsfähigkeit“ (ebd.) zu betrachten, mit der die Überbrückung eines Spannungsverhältnisses zu den theoretischen Wissensbeständen wie zu den organisationalen Normen bzw. das Eingehen einer interaktiven Praxis mit den Schüler*innen gelingen kann. Die Interaktion wäre somit der Ort, an dem sich das „Verstehen der Anderen“ (ebd., S. 28) und eine tatsächlich professionalisierte Praxis vollziehen kann. Eine Methodenliteratur, bzw. Fortbildungskonzeption, hätte sich vor diesem Hintergrund stärker der Gestaltung von gemeinschaftlichen Prozessen zu widmen, in welchen Lehrpersonen und Schüler*innen für das Lernen als hemmend bzw. unterstützend erlebte Situationen erkunden. Hierzu könnten etwa formative und prozessbegleitende Ansätze einer pädagogischen Diagnostik fruchtbar gemacht werden (vgl. Prengel, 2016), womit auf ein ‚Matching[6] mit medizinisch-psychologischen Kategorien verzichtet wird. So würde auch der grundsätzlichen Schwierigkeit entgegengetreten, aus disziplinfremden Kategorien pädagogische Konsequenzen abzuleiten – und damit eine De-Professionalisierung zu prozessieren. In diesem Sinne wäre etwa Boban und Hinz (2017, S. 106) beizupflichten, wenn sie herausstellen, dass es im Rahmen einer inklusiven Diagnostik darum gehen müsste, die „pädagogischen Situationen so zu betrachten, dass ihre Verwobenheit mit individuellen Lernprozessen wie mit dem sozialen Geschehen in den Blick kommt.“ Dabei würde „jegliche Diagnostik fragwürdig, die nur den einzelnen lernenden Menschen betrachtet, ihn anhand von Normalitätsvorstellungen kategorisiert und womöglich einem spezifischem Angebot, einer Stufe oder einer Gruppe zuweist“ (ebd.).
In Ratgeber- wie Interview-Daten wird dieser Prozess allerdings größtenteils umgekehrt – und es soll das theoretische (und disziplinfremde) Wissen über die Kategorie Autismus den Ausgangspunkt für Interaktionen bilden. Daran knüpfen dann sowohl Überlegungen zum organisationalen Zuweisungsprozess (z.B. zum ‚richtigen Förderort‘; vgl. Arens-Wiebel, 2019) als auch zum Arbeitsbündnis zwischen Lehrperson und Schüler*in an, welches sich vor allem über eine Anpassung der als autistisch identifizierten Schüler*innen an die schulisch-unterrichtliche Norm mittels kompensatorischer Maßnahmen (Unterstützungsangebote, Strukturierungshilfen, etc.) und der Expertisierung der Lehrpersonen für diese Anpassungsaufgabe (behinderungsspezifisches Wissen, Kenntnisse über Fördermöglichkeiten) ausformt. Die Möglichkeit, auf Grundlage einer professionalisierten und reflexiven Praxis, die Dissonanzen zwischen dem konkreten Einzelfall und dem organisationalen Rahmen nicht automatisch den betroffenen Schüler*innen anzulasten, sondern stattdessen Veränderungen der schulischen Praktiken auszuloten, wird folglich im Kontext der betrachteten Daten von vornherein ausgeschlossen. So verharren etwa die Ratgeber in ihrer Perspektive der Einzelförderung, die die Klasseninteraktion – v.a. die Peer-Ebene – nicht näher in den Blick nimmt. In der Folge können sie trotz anders lautender Ziele letztlich nur eine defizitorientierte Perspektive auf diagnostizierte Schüler*innen stabilisieren – und systemische Perspektiven (vgl. Kron, Schmidt, & Fischle, 2018) bleiben ausgeblendet.
Den schulischen Akteur*innen scheint es hingegen vermehrt, um eine Kontrolle von störendem Verhalten zu gehen, da sie ihre Zuständigkeit bei der Klasse als ganzer verorten, die hinsichtlich der Selektionsanforderungen auf einen Abschluss vorbereitet werden muss. Obwohl die schulischen Akteur*innen im Vergleich stärker auf die pädagogische Handlungssituation des Klassenunterrichts fokussieren, teilen sie mit den Ratgebern die Auffassung, dass die etablierten Kommunikationssituationen nicht angefragt werden können. Darin auftretende Probleme werden den als autistisch diagnostizierten Schüler*innen ursächlich zugeschrieben, wobei diese selbst wie auch deren Peers als „stumme Akteure“ (Clarke, 2012, S. 128) zu identifizieren sind. So kristallisieren sich in der skizzierten Arena an die Schüler*innen gerichtete „Inklusionsbedingungen“ (Weisser, 2017, S. 147) – im Sinne eines unthematisiert bleibenden Katalogs an Voraussetzungen (z.B. hinsichtlich des Verhaltens) heraus, deren Nicht-Erfüllung Exklusion zur Folge hat (vgl. ebd., S. 145). Es zeigt sich dabei, dass auf Grund ihres impliziten Charakters nicht die Bedingungen selbst in den Blick geraten, sondern vielmehr die Exklusionseffekte – auf Basis ‚objektivierter‘ Diagnoseprozesse bzw. in personenbezogenen Etikettierungen – „den betroffenen Kindern und Jugendlichen überantwortet“ (ebd., S. 146) werden.

6. Forschungsperspektiven

Aus der Einordnung der explorativen Analyseergebnisse in den Fach- und Forschungsdiskurs wird deutlich, dass die eingenommene materialistische Analyseeinstellung weiterführende Fragen des Umgangs mit (Herstellungsprozessen von) Diagnosen bzw. Kategorisierungen aufzeigt. Nachdem erste Verschränkungen von Handlungspraxis, Wissensproduktion und zugrundeliegenden (erziehungswissenschaftlichen bzw. fachmilieuspezifischen) Diskursen aufgezeigt werden konnten, drängen sich ebenso weitere empirisch zu bearbeitende Leerstellen auf. So könnte zum Beispiel – bezogen auf den Zusammenhang der Produktion und Verbreitung von Wissen über Ratgeber und deren Disseminationswege in der Praxis – eine weiterführende empirische Perspektivierung (z.B. via Interviews) zur Anwendung von ratgeberspezifischem Wissen in schulischen Kontexten erfolgen. Hierbei könnte der Fokus auf die handlungspraktische Ausgestaltung von Unterstützung gerichtet und potenzielle Barrieren bzw. „Inklusionsbedingungen“ (Weisser 2017, S. 147) rekonstruiert werden (vgl. hierzu Köpfer et al., 2019). Weiter wären Verhandlungen von Autismus in multiprofessionellen Teams sowie an der Schnittstelle von inklusionsorientierten Schulen und Erziehungsberechtigten zu untersuchen. Die bislang auf die Handlungsperspektive der Pädagog*innen fokussierte Analyse könnte so – wie in der Map der Sozialen Welten abgebildet – auf weitere Akteur*innengruppen ausgedehnt werden. Zudem könnten die spezifischen Mechanismen der Autismus-Arena mit Fokus auf die Ratgeber untersucht werden – zum einen hinsichtlich der auch ökonomisch motivierten Herstellung einer Bedarfslage entlang von (defizitorientierten) Klassifikationen und zum zweiten mit Blick auf die inter- und transdisziplinären Verbindungen/Abgrenzungen von medizinischen, psychologischen sowie (sonder-)pädagogischen Wissensbeständen (vgl. Dissertationsstudie v. Zobel, i.V.).
Als besonders relevant erscheint im Zuge der präsentierten Ergebnisse eine Erweiterung des Blicks auf die Situation um die Perspektiven der Schüler*innen, die etwa via des bereits formulierten Desiderats einer partizipativen Forschung (vgl. Lindmeier, 2018) – d.h. „eines gemeinsamen Forschens im Kontext von Behinderung“ (Goeke, 2016, S. 37) – verfolgt werden könnte. Anders als im Falle der vielfach hiermit verbundenen ‚Empowerment‘-Strategien, die notwendigerweise die Konstruktion homogener Gruppen vornehmen (vgl. Bröckling, 2003), um geteilte Positionen artikulieren zu können, ist jedoch eine Distanzierung von personenbezogenen Kategorisierungen erstrebenswert. Über die Involvierung aller am Unterrichtsgeschehen beteiligten Personen kann in dieser Hinsicht der Zusammenhang zwischen (zugeschriebenen) Behinderungen und den schulischen Bedingungen (wieder-)herzustellen versucht werden (vgl. Weisser, 2017).

7. Literatur

APA (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Aufl.). Arlington, VA: American Psychiatric Association.
Arens-Wiebel, C. (2019). Autismus. Stuttgart: Kohlhammer.
Bachmann, C. J., Gerste, B., & Hoffmann, F. (2018). Diagnoses of autism spectrum disorders in Germany: Time trends in administrative prevalence and diagnostic stability. Autism, 22(3) 283-290.
Bernard, H.-U. (2017). Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen. Stuttgart: Kohlhammer.
Boban, I., & Hinz, A. (2017). Diagnostik im Kontext inklusiver Bildungsprozesse. In I. Boban & A. Hinz (Hg.), Inklusive Bildungsprozesse gestalten (S. 106-131). Seelze: Klett/Kallmeyer.
Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive. Leverkusen: UTB.
Bröckling, U. (2003). You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up. Über Empowerment. Leviathan, 31(3), 323-344.
Buchner, T. (2017). Markierungen und Platzierungen. Zeitschrift Für Inklusion, 11(4). Abgerufen unter https//www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/435
CDC (2020). Autism Prevalence Rises in Communities Monitored by CDC. Abgerufen unter https://www.cdc.gov/media/releases/2020/p0326-autism-prevalence-rises.html
Czerwenka, S. (2017). Umfrage von autismus Deutschland e.V. zur schulischen Situation von Kindern und Jugendlichen mit Autismus. autismus, 83, 42-48.
Clarke, A. E. (2012). Situationsanalyse. Wiesbaden: Springer.
Clarke, A. E., Friese, C., & Washburn, R. (2018). Situational analysis: Grounded theory after the interpretive turn (2. Aufl.). London: Sage.
Eckert, A., & Gruber, K. (2016). Kinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung. In T. Sturm, A. Köpfer, & B. Wagener (Hg.), Bildungs- und Erziehungsorganisationen im Spannungsfeld von Inklusion und Ökonomisierung (S. 221-244). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Elflein, J. (2020). Prevalence of autism spectrum disorder among children in select countries worldwide as of 2020. Abgerufen unter https://www.statista.com/statistics/676354/autism-rate-among-children-select-countries-worldwide/
Emmerich, M., & Hormel, U. (2013). Heterogenität Diversity – Intersektionalität. Wiesbaden: Springer.
Feuser, G. (1995). Behinderte Kinder und Jugendliche. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Feuser, G. (2004). Autismus: Eine menschenmögliche und menschliche Lebensform. Abgerufen unter https://www.georg-feuser.com/autismus-eine-menschenmoegliche-und-menschliche-lebensform/
Gasterstädt, J. (2019). Der Komplexität begegnen und Inklusion steuern. Wiesbaden: Springer VS.
Goeke, S. (2016). Zum Stand, den Ursprüngen und zukünftigen Entwicklungen gemeinsamen Forschens im Kontext von Behinderung. In T. Buchner, O. Koenig, & S. Schuppener (Hg.), Inklusive Forschung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Häußler, A. (2015). Autismus und Diagnostik im Kontext pädagogischer Förderung. In H. Schäfer & C. Rittmeyer (Hg.), Handbuch Inklusive Diagnostik (S. 404-418). Weinheim: Beltz.
Horbach, B. (2016). Praxishandbuch Autismus. Hamburg: Persen.
Jantzen, W. (2007). Kritisch-materialistische Behindertenpädagogik. In H. Greving (Hg.), Kompendium der Heilpädagogik (Bd. 2, S. 86-95). Troisdorf: E1NS.
Köpfer, A. Papke, K., & Gerdes, J. (2019). Rekonstruktionen zum Verhältnis von Inklusionsverständnissen und -bedingungen in der Praxis von Lehrkräften. Journal für Psychologie, 27(2), 170-191.
Kron, M., Schmidt, L. D., & Fischle, A. (2018). Bildungsteilhabe durch schulische Assistenz. Netzwerkbasierte Unterstützung für Schüler und Schülerinnen im autistischen Spektrum. Siegen: Universität Siegen.
Lindmeier, C. (2018). Kinder und Jugendliche aus dem Autismus-Spektrum in der Schule. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69, 396-410.
Maynard, D. W., & Turowetz, J. (2019). Doing Abstraction: Autism, Diagnosis, and Social Theory. Sociological theory, 37(1), 89-116.
Menze, J. (2015). Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Idstein: Schulz-Kirchner.
Oelkers, J. (2019). Ratgeber als Wissensform und die Erziehungswissenschaft. In M. Schmid, U. Sauerbrey, & S. Großkopf (Hg.), Ratgeberforschung in der Erziehungswissenschaft (S. 213-238). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Oevermann, U. (1996). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In W. Helsper & A. Combe (Hg.), Pädagogische Professionalität (S. 70-182). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Pfahl, L. (2011). Techniken der Behinderung. Bielefeld: transcript.
Platte, A. (2019). Beobachtungen zu Norm-VerWendungen in inklusiver Pädagogik und deren (Er- bzw. Be-)Forschung. Zeitschrift für Inklusion, 13(2). Abgerufen unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/533
Prengel, A. (2016). Didaktische Diagnostik als Element alltäglicher Lehrerarbeit. In B. Amrhein (Hg.), Diagnostik im Kontext inklusiver Bildung (S. 49-63). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Rödler, P. (2000). „Geistig behindert“ – nicht wahr aber wirklich. In H. Greving & D. Gröschke (Hg.), Geistige Behinderung – Reflexionen zu einem Phantom (S. 180-201). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Sautter, H., Schwarz, K., & Trost, R. (2012). Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung. Stuttgart: Kohlhammer.
Schirmer, B. (2016). Schulratgeber Autismus-Spektrum-Störungen (4. Aufl.). München: Reinhardt.
Schön, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. New York: Basic Books.
Schuster, N. (2011). Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Schuster, N., & Schuster, U. (2013). Vielfalt leben – Inklusion von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen. Stuttgart: Kohlhammer.
Tebartz van Elst, L. (2018). Autismus und ADHS (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Tervooren, A., & Pfaff, N. (2018). Inklusion und Differenz. In T. Sturm & M. Wagner-Willi (Hg.), Handbuch schulische Inklusion (S. 31-44). Opladen: Budrich.
Theunissen, G. (2016). Autismus verstehen. Stuttgart: Kohlhammer.
Theunissen, G., & Sagrauske, M. (2019). Pädagogik bei Autismus. Stuttgart: Kohlhammer.
UBA (2020). Autismus/Autismus-Spektrum-Störungen. Abgerufen unter https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umweltmedizin/autismusautismus-spektrum-stoerungen#wie-haufig-ist-autismus-in-deutschland
Wagener, B. (2020). Leistung, Differenz und Inklusion. Wiesbaden: Springer VS.
Weisser, J. (2017). Konfliktfelder schulischer Inklusion und Exklusion im 20. Jahrhundert. Weinheim/Basel: Beltz.
Werning, R. (2014). Stichwort: Schulische Inklusion. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 17(4), 601-623.
Witzel, A. (2000). Das problemzentrierte Interview. Abgerufen unter http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1132/2519
WHO (2020). International statistical classification of diseases and related health problems (11. Aufl.). Genf: WHO.
Zobel, Y. (i.V.). Konstruktionen von Autismus zwischen Medizin und Pädagogik – eine Diskursanalyse. Dissertation.


[1] Kritisch ausdifferenziert wird von Bohnsack zum einen die Begrifflichkeit der „diffusen Sozialbeziehung“ (Oevermann, 1996, S. 110), die er präziser in einem „nicht-rollenförmigen [H.i.O.] (konjunktiven) Handeln“ (Bohnsack, 2020, S. 27) bestimmen möchte; sowie zum anderen eine Fassung dieser Sozialbeziehung als eine Beziehung „zwischen ganzen Personen“ (Oevermann, 1996, S. 105), wozu er – mit Verweis auf die Luhmann‘sche Systemtheorie – zu bedenken gibt, dass der „Zugang zum menschlichen Individuum lediglich aspekthaft möglich“ (Bohnsack, 2020, S. 27) ist bzw. sich mit einem solchen Anspruch die Gefahr der „totalen Identifikation“ (ebd., S. 28) verbinden würde.

[2] Als Kriterium für die Auswahl fungierte dabei, dass die Ratgeber (bis Erscheinungsdatum: Januar 2019) es sich zum Ziel machen, Wissen und Strategien für den Unterrichtsalltag anzubieten. Die Vorworte wurden als geeignete Untersuchungsgegenstände ausgewählt, weil die Autor*innen hierin selbst das – aus ihrer Sicht – für die schulische Praxis erforderliche Wissen definieren.

[3] Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Linie »MQInkBi – Qualifizierung Inklusion« (Laufzeit: 2017-2020) gefördert.

[4] Obwohl der Interview-Leitfaden keine expliziten Fragen zu Autismus vorsah, finden sich in 54 der 134 Interviews Passagen, in denen die Gesprächspartner*innen eigenständig auf diese Thematik eingehen.

[5] Dass – wie Oelkers (2012, vgl. S. 214) beschreibt – Ratgeber auf Lösungen und nicht etwa Kritik angelegt sind, wird deutlich, wenn Schirmer (2016, S. 10) im Kontext schulischer Inklusion ein „Spannungsfeld von systemischer und individuumszentrierter Betrachtung von Lern- und Lehrprozessen“ diagnostiziert, um dies wenig später folgendermaßen abzutun: „Dies ist noch pädagogische Zukunftsmusik im deutschsprachigen Raum. […] Ungeachtet des Ausgangs der derzeitigen und zukünftigen theoretischen Diskussionen in der Pädagogik und ihrer Umsetzungen bleibt zumindest anteilig die Notwendigkeit einer individuumszentrierten Pädagogik bestehen, denn spezifische Probleme der Schüler im Autismus-Spektrum sind unabhängig von ihrer Beschreibung Sachverhalte, die im pädagogischen Alltag berücksichtigt werden müssen.“ (ebd., S. 10)

[6] Mit ‚Matching‘wird ein Vorgang bezeichnet, im Rahmen dessen disziplinfremde mit disziplineigenen – also pädagogisch relevanten – Unterscheidungen in Passungsverhältnisse gebracht werden (vgl. Emmerich & Hormel, S. 81-82).