Traugott Böttinger:Schulleistung, Verhalten oder Etikettierung? – Ein Forschungsüberblick zu Einflussfaktoren sozialer Ausgrenzung in inklusiven Grundschulklassen

Abstract: Gelingende soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) im Gemeinsamen Unterricht  ist  für ein ganzheitliches Inklusionsverständnis grundlegend Ein solches bezieht alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrem persönlichen Hintergrund mit ein und fokussiert neben schulorganisatorischen oder kognitiv-leistungsbezogenen Aspekten auf weitere Dimensionen von Bildung und Lernen. Dazu gehört besonders die soziale Dimension: Lernen hänge auch davon ab, ob man sozial in seine Klasse eingebunden ist (u.a. Vock, Gronostaj, Kretschmann & Westphal, 2018). Allerdings betonen Studien (u.a. Huber & Wilbert, 2012; Krawinkel, Südkamp & Tröster, 2017; Krull, Wilbert & Hennemann, 2018) eine deutlich häufigere soziale Ausgrenzung der Schülerinnen und Schüler mit SFB. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich in Form eines systematischen Forschungsreviews (analysiert werden 35 Studien) mit der Frage, ob aus der aktuellen Studienlage Einflussfaktoren für den Primarbereich herausgearbeitet werden können, die mit der vermehrten sozialen Ausgrenzung von Schülerinnen und Schülern mit SFB zusammenhängen. Zudem wird ein Überblick über die verschiedenen Bereiche gegeben und diskutiert.

Stichworte: soziale Partizipation; soziale Integration; soziale Ausgrenzung; Gemeinsamer Unterricht; Forschungsüberblick; Inklusion; Grundschule

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung -  Forschung zur sozialen Partizipation
  2. Begriffsklärungen
  3. Forschungsfrage
  4. Methode des Literaturreviews
  5. Beantwortung der Forschungsfrage
  6. Diskussion und Fazit 
  7. Literatur

1. Einleitung – Forschung zur sozialen Partizipation

Im Inklusionsdiskurs herrscht Konsens, dass sich Inklusion nicht nur über den Zugang zu einem System, sondern auch über Ausmaß bzw. Qualität der Teilhabe an diesem System definiert (Lindmeier, 2013, S.173). Im schulischen Kontext wird dabei zum einen häufig die Ebene der schulischen Leistung in den Blick genommen. Studien zeigen, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) im Gemeinsamen Unterricht eine leicht bessere Leistungsentwicklung als in entsprechenden exklusiven Lerngruppen aufweisen und Mitschülerinnen und Mitschüler ohne SFB in ihren Leistungen nicht zurückfallen (Kocaj, Kuhl, Kroth, Pant & Stanat, 2014; Lütje-Klose, Wild, Gorges & Neumann, 2018; Schuck, Rauer & Prinz, 2018). Zum anderen ist die Frage der sozialen Partizipation bedeutsam: Inwieweit sind Kinder und Jugendliche mit SFB auf sozialer Ebene in Regelschulklassen integriert? Die Ablehnung durch Klassenkameraden hat Einfluss auf die Anzahl der Fehltage (DeRosier, Kupersmidt & Patterson, 1994), stärkere internalisierende und externalisierende Verhaltensweisen (Coie, Terry, Lenox, Lochman & Hymna, 1995; Hoza, Molina & Bukowski, 1995) und eine herabgesetzte Leistungsmotivation (Bagwell, Newcomb & Bukowski, 1998). Entgegengesetzt gilt soziale Akzeptanz als Faktor für erhöhte Unterrichtsbeteiligung, bessere Leistungen und geringere Unzufriedenheit in der Schule (Ladd, Kochenderfer & Coleman, 1997).
Forschung zur sozialen Partizipation beschäftigt sich mit verschiedenen Themen, darunter die Frage nach zentralen Begrifflichkeiten und Definitionen (Bossaert, Colpin, Pijl & Petry, 2013; Koster, Nakken, Pijl & van Houten, 2009), nach einem erhöhten Ausgrenzungsrisiko für Schülerinnen und Schüler mit SFB (Crede, Wirthwein, Steinmayr & Bergold, 2019; Henke, Lambrecht, Jäntsch, Jaeuthe & Spörer, 2017; Krull, Wilbert & Hennemann, 2014a) oder nach der Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden (Gerullis & Huber, 2018; Grütter, Meyer & Glenz, 2015; Kulawiak & Wilbert, 2020). Ursachen sozialer Ausgrenzung auf Klassenebene werden weniger häufig direkt thematisiert (Huber, 2009; Huber & Wilbert, 2012; Huber, Gerullis, Gebhardt & Schwab, 2018), ein Ursachenüberblick in Form eines systematischen Reviews liegt nach Wissensstand des Autors noch nicht vor.
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit sozialer Partizipation erscheint es ratsam, Primar- und Sekundarstufe differenziert zu betrachten. Jüngere Schülerinnen und Schüler neigen zu eher unrealistischer Selbsteinschätzung und nehmen die eigene soziale Akzeptanz positiver wahr als sie tatsächlich ist (Schwab, Gebhardt, Krammer & Gasteiger-Klicpera, 2015). Ältere Schülerinnen und Schüler dagegen beurteilen soziale Ausgrenzung präziser und schätzen in diesen Fällen die eigene Akzeptanz auch geringer ein (Schwab, 2015). Auf weiterführenden Schulen verändern sich außerdem Leistungswahrnehmung und -beurteilung, v.a. schwache Schulleistungen fallen negativer ins Gewicht (Zurbriggen, 2015). Der vorliegende Artikel berücksichtigt diese Unterschiede: Fokussiert wird auf Grundschulen in Deutschland.

2.Begriffsklärungen

2.1 Soziale Partizipation

Eine Einschätzung gemeinsamen Unterrichts auf sozialer Ebene dreht sich v.a. darum, ob jeder Schüler und jede Schülerin in das soziale Miteinander einer Klasse eingebunden ist und daran teilhat (Marten, Voß & Blumenthal, 2016). Mit sozialer Partizipation wird auch die Hoffnung auf positive Effekte bezüglich der sozial-emotionalen Entwicklung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne SFB (Koster et al., 2009) oder ein Bewusstseinswandel im Umgang mit Behinderungen (Koster, Pijl, van Houten & Nakken, 2007) verknüpft. Insgesamt wird dem Thema eine hohe Bedeutung zugeschrieben.
Dies hat allerdings nicht dazu beigetragen, dass zentrale Begriffe klar benannt und definiert werden. Auffallend ist eine uneinheitliche Begriffsverwendung (Koster et al., 2009), vor allem häufig genutzte Oberbegriffe („umbrella terms“; Bossaert et al., 2013, S.61) bleiben ohne explizite Definition. Koster et al. (2009) analysieren über 60 englischsprachige Studien und identifizieren drei synonym verwendete Oberkategorien: social integration, social inclusion und social participation. Inhaltlich werden schnell Überschneidungen deutlich: social inclusion bezieht sich auf friendship, acceptance, interaction, relationships und social status (Koster et al., 2009, S.128). Unter social integration werden interactions, peer acceptance, friendships und relationships/affiliations subsumiert (Koster et al. 2009, S.122), während social participation über interactions, friendships, friendship networks, relationships und social contacts definiert wird (Koster et al., 2009, S.134). Sämtliche Begriffe beziehen sich auf die soziale Dimension schulischer Inklusion. Da explizite Definitionen meist fehlen, werden unterschiedliche Bezeichnungen synonym verwendet. Ein ähnliches Bild findet sich in neueren Studien (Edwards, Cameron, King & McPherson, 2019; Hammer & Dessemontet, 2015; Lohbeck, 2020). Für die deutschsprachige Studienlage ist ein systematischer Review in Vorbereitung (Böttinger, 2020a), erste Ergebnisse verweisen auf ein ähnliches Bild bei häufiger Nutzung der Begriffe soziale Partizipation und soziale Integration und einem stärkeren Einbezug der Netzwerkbeteiligungen in Form von Cliquen.  

Zusätzlich ist die Betonung der Multidimensionalität sozialer Partizipation bedeutsam (Kulawiak & Wilbert, 2020). Diese stellt ein komplexes Konstrukt sozialer Interaktionen innerhalb einer Klasse dar und ist mit eher eindimensionalen Fragen nach der Wahl des Sitznachbars kaum adäquat erfassbar. Auch Gerullis & Huber (2018) halten das Erheben angenommener bzw. theoretischer Handlungen von Schülerinnen und Schülern für unzureichend, stattdessen müssen reale bzw. konkrete Interaktionen und Verhaltensbeschreibungen stärker beachtet werden. Dazu erarbeiten die Autoren ein Modell sozialer Distanz, das neben der Selbstwahrnehmung, der Einstellung zur Gruppe und der Emotionen wirklich stattfindende Handlungen auf einer interaktiven Ebene einbezieht.

Wirft man einen Blick auf den Forschungsstand zur sozialen Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB in inklusiven Grundschulklassen in Deutschland, ist festzuhalten, dass die Mehrheit der Studien ein erhöhtes Risiko zur sozialen Ausgrenzung formuliert (u.a. Huber & Wilbert, 2012; Krawinkel, Südkamp & Tröster, 2017; Krull et al., 2014a; Krull, Wilbert & Hennemann, 2018). Allerdings kann kein direkter Zusammenhang angenommen werden (Kulawiak & Wilbert, 2015), nicht jedes Kind mit SFB wird in der Klasse sozial ausgegrenzt. Einige Studien finden abgeschwächte (Elting, Kopp & Martschinke, 2019; Heyder, Südkamp & Steinmayr, 2020) oder widersprüchliche Ergebnisse (Henke et al., 2017). Außerdem variieren die Ergebnisse zum Teil deutlich zwischen einzelnen Schulen bzw. Klassen, es treten starke Klasseneffekte auf (Krull et al., 2014b; Schuck et al., 2018; Schwinger, Trautner, Otterpohl, Lütje-Klose & Wild, 2020; Vock, Westphal, Gronostaj & Kretschmann, 2018). Dementsprechend kann von einer uneinheitlichen Studien- und Forschungslage ausgegangen werden (u.a. Crede et al., 2019; Kulawiak, Urton, Krull, Hennemann & Wilbert, 2020; Scharenberg & Röhl, 2019; Schwinger et al., 2020).

2.2 Sonderpädagogischer Förderbedarf

Die Beschäftigung mit sozialer Partizipation mit Fokus auf Schülerinnen und Schüler mit SFB macht es erforderlich, sich mit dem Begriff des SFB auseinanderzusetzen.
SFB wird von der Kultusministerkonferenz (KMK) über eingeschränkte Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten definiert, entscheidend ist, dass die Schülerinnen und Schüler „im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können“ (KMK, 1994, S.5). In den Empfehlungen zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen wird der Begriff „Kinder und Jugendliche mit Bedarf an sonderpädagogischer Bildung, Beratung und Unterstützung“ (KMK, 2011, S.6) eingeführt, wohl auch, um nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention einem breiteren Inklusionsverständnis gerecht zu werden und das Aufgabenspektrum zu erweitern. Dennoch ist der Begriff des SFB nach wie vor sehr stark verbreitet, unter anderem haben sämtliche Bundesländer die Bezeichnung in ihre Schulgesetze integriert und entsprechende Abläufe zur Feststellung etabliert (Heimlich & Kiel, 2020). In einzelnen Bundesländern finden sich durch die föderalistische Struktur zusätzlich noch weitere Begriffe: Beispielsweise spricht das Saarland von AVVSU – Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung (Einhellinger, 2017, S.151).
Interessant für die Frage nach dem Beschulungsort bzw. für den Gemeinsamen Unterricht ist die „De-Institutionalisierung“ (Heimlich & Kiel, 2020, S.17) im Rahmen des SFB. Die Diagnose des SFB ist nicht mehr an die Auswahl eines bestimmten Förderorts gekoppelt, vielmehr ist die allgemeine Schule unter Einbezug verschiedener pädagogischer Möglichkeiten bevorzugter Förderort. Die Feststellung selbst wird ebenfalls je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt, Differenzen zeigen sich im Vorgehen (z.B. offizielles Gutachten oder informeller Antrag) oder im Zeitpunkt (z.B. erst ab Klasse 3) (Einhellinger, 2017). Logische Folge sind Auswirkungen auf die Feststellungszahlen des SFB und damit auf die Zusammensetzung von Lerngruppen im Gemeinsamen Unterricht.

Aufgrund ihrer sehr hohen Heterogenität ist es komplex, die Schülerschaft mit SFB zu beschreiben, zentrale Unterschiede beziehen sich zum Beispiel auf Impairments im körperlichen oder kognitiven Bereich oder auf Schwierigkeiten im Lernen und Verhalten. Eine zumindest deskriptive Zusammenfassung nimmt die KMK (2020; S.XV) vor, die verschiedene Förderschwerpunkte mit unterschiedlichen Prävalenzzahlen unterscheidet (Tabelle 1).

Tabelle 1: Förderschwerpunkte bei sonderpädagogischem Förderbedarf


Bezeichnung

Kurzbeschreibung

Prävalenz

Lernen (FS L)

Schulisches Lern- und Leistungsverhalten

36,4%

Emotional-soziale Entwicklung (FS ESE)

Emotional-soziale Entwicklung, Erleben und Selbststeuerung

17,2%

Geistige Entwicklung (FS GE)

Kognitive, sprachliche, senso- und psychomotorische, emotionale Entwicklung

16,9%

Sprache (FS Sprache)

Sprache, Sprechen, kommunikatives Handeln

10,1%

Körperlich-motorische Entwicklung (FS KME)

Körperlich-motorische Entwicklung, Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegung

6,8%

Hören (FS Hören)

Hören, auditive Wahrnehmung, Hörschädigung

3,9%

LSE

Zusammenfassung der Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung

3,6%

Übergreifend

Förderschwerpunktübergreifend oder nicht klar zuordbar

3,0%

Kranke

Lang andauernde, chronische Erkrankungen

2,1%

Sehen (FS Sehen)

Sehen, visuelle Wahrnehmung, Sehschädigung

1,7%

Neben den genannten Förderschwerpunkten sind noch Schülerinnen und Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zu nennen. Allerdings gibt es hier keinen eigenständigen Förderschwerpunkt, da es keine speziell zugeschnittenen Schulen für ASS gibt (KMK, 2020, S.128).
Die Sammelkategorie LSE, die aus den Förderschwerpunkten Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache gebildet wird, verdeutlicht die bestehende Schwierigkeit, dass zwischen den Förderschwerpunkten immer deutlichere Überschneidungen auftreten, durch die sich eine klare Abgrenzung bei Feststellung und weiterer Diagnostik schwierig gestalten kann.

3.Forschungsfrage

Aus den bisherigen Ausführungen zur sozialen Partizipation sowie zum SFB wird folgende Forschungsfrage abgeleitet: Welche Faktoren beeinflussen die soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB im Grundschulbereich?

Die Multidimensionalität der sozialen Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB sowie die sehr hohe Heterogenität der Schülerschaft mit SFB führen dazu, dass keine eindeutigen Ursachen für misslingende soziale Partizipation bzw. für soziale Ausgrenzung von Schülerinnen und Schülern mit SFB formuliert werden kann. Vielmehr ist zu erwarten, dass unterschiedliche Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Ziel ist es, eine Übersicht verschiedener Ursachenbereiche zu erarbeiten.

4. Methode des Literaturreviews

Als Methode zur Beantwortung der Forschungsfrage wird ein systematischer Literaturreview (Creswell, 2011; Koster et al., 2009) gewählt. Der Zeitraum der Literaturrecherche erstreckt sich vom Jahr 2009 bis heute, was vor allem im Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im selben Jahr als wichtigem Einschnitt für die inklusiven Umsetzungsbemühungen begründet liegt. Die Ergebnisse basieren auf einer Datenbankrecherche mit Hilfe von PSYNDEX, PsycINFO, ERIC, FIS Bildung, peDOCS sowie google scholar. Als Suchbegriffe fungieren die Hauptbegriffe soziale Inklusion, soziale Integration und soziale Partizipation in Kombination (Boolsche Operatoren UND sowie ODER) mit Schülerinnen, Schüler, Mitschülerinnen, Mitschüler, Kinder, Klassenkameraden, Gleichaltrige, Behinderung, Schule, Grundschule, sonderpädagogischer Förderbedarf, SFB, gemeinsamer Unterricht und soziale Ausgrenzung sowie die englischen Entsprechungen (social inclusion, social integration, social participation, children, pupil(s), classmate(s), peer-group, disability, impairment, special educational needs, SEN, school, primary school, inclusive classes, inclusive classrooms, social exclusion). Die Selektion relevanter Ergebnisse erfolgt anhand unterschiedlicher Ausschlusskriterien: Zentral sind empirische Arbeiten, andere Veröffentlichungen wie Essays, Vorworte oder Kommentare werden aussortiert. Ebenso werden Studien vernachlässigt, die sich ausschließlich auf Unterricht an Förderschulen oder nicht auf soziale Dimension von Inklusion, den Unterricht an Grundschulen in Deutschland oder nicht auf Schülerinnen und Schüler mit SFB beziehen.
Ein erster Suchdurchgang erbringt 88 Veröffentlichungen, die in die nähere Begutachtung übernommen werden. Insgesamt werden nach der Selektion 35 Studien (28 in deutscher, 8 in englischer Sprache) zur Beantwortung der Forschungsfrage analysiert (Tabelle 2).
Tabelle 2: Übersicht der Studien zur sozialen Partizipation


Autoren/Jahr

Zielgruppe

Alter/Klasse

Items sozialer Partizipation

Heyder et al. (2020)

SEN for learning, ESD, PMD, LD, hearing, vision, CD

Grade 2 & 3

Social integration, acceptance, self-perception

Lohbeck (2020)

SEN

Grades 2 – 4

Contact and interactions, acceptance, relationships and friendships, self-perception

Schwinger et al. (2020)

FS L

Klasse 3

Kontakt mit Peers, Freundschaften, gegenseitiges Interesse, Akzeptanz

Crede et al. (2019)

FS ESE

Klasse 2 & 3

Beziehungen zu SuS ohne SFB, Interaktionen, Peer-Akzeptanz, positive Selbstwahrnehmung

Elting et al. (2019)

SFB

Klasse 3

Partizipatives Miteinander, emotionales und soziales Integriertsein

Lang & Sarimski (2019)

FS Sehen

Grundschule

Kontakte und Interaktionen, Akzeptanz, Beziehungen und Freundschaften

Sarimski (2019)

FS GE

Grundschule

Interaktionen mit Klassenkameraden, Akzeptanz, Beziehungen und Freundschaften, Selbstwahrnehmung

Scharenberg et al. (2019)

SEN

Grade 4

Friendships and relationships, contacts and interactions, selfperception, acceptance by other classmates

Schmitt
(2019)

SFB

Klassen 1 – 4

Gruppenakzeptanz, soziale Position, soziale Interaktionen, Netzwerkbeziehungen/Cliquen

Spilles et al. (2019)

FS ESE

Klasse 2

Soziale Interaktion und Klassenklima (FEESS 1-2)

Bosse et al. (2018)

SFB

Klasse 2 & 3

Schulisches Wohlbefinden über soziale Integration, Klassenklima, Gefühl des Angenommenseins

Hellmich & Loeper (2018)

SEN for learning, ESD

Grade 3 & 4

Social referencing, self-efficacy beliefs, attitudes toward peers

Huber et al. (2018)

SEN

Grades 3 – 6

Social acceptance using sociometric questions

Krull et al. (2018)

SRBP, SRLD

Grade 1 & 2

Social acceptance and social rejection using sociometric questions

Lütje-Klose et al. (2018)

FS L

Klasse 3 & 4

Psychosoziale Entwicklung: Wohlbefinden, Selbstkonzept

Schuck et al. (2018)

SFB

Klasse 2

Gefühl des Angenommenseins, soziale Integration, Klassenklima, Selbstkonzept

Vock et al. (2018)

FS L, ESE, Sprache

Klasse 2 & 3

Soziales Selbstkonzept, Klassenklima, Gefühl des Angenommenseins

Henke, Bogda et al. (2017)

SLL

Grade 2 & 3

Peer related classroom climate, friendship networks, student-teacher-relationships

Henke, Bosse et al. (2017)

FS LSE

Klasse 2 & 3

Freundschaften, positive Interaktionen, positive Selbstwahrnehmung, Akzeptanz

Krawinkel et al. (2017)

FS L, ESE, Sprache, KME, GE, Sehen, Hören

Klasse 3 & 4

Beziehungen zu Mitschülern, positive Interaktionen, soziale Akzeptanz, Selbstwahrnehmung

Voß et al. (2016)

Leistungsschwache SuS

Klasse 3

Soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung durch die Peers als Indikator sozialer Partizipation

Chilver-Stainer et al. (2015)

FS Hören

Klasse 3

Gefühl der Unsicherheit, Teilnahme an Aktivitäten, Akzeptanz, Kontakte

Grütter et al. (2015)

SFB

Klassen 1 – 6

Soziale Integration: Beliebtheit, Freundschaften, Cliquen

Kulawiak & Wilbert (2015)

FS L, ESE, LSE, Sprache, GE, Hören, KME, Sehen

Klasse 3

Gruppenakzeptanz, soziale Position, soziale Interaktionen, Netzwerkbeteiligungen

Mahlau & Salzberg-Ludwig (2015)

FS Sprache

Klasse 1

Soziale Integration, sozial-emotionale Schulerfahrungen

Spörer et al. (2015)

FS L, ESE, KME, Sprache, Hören, Sehen, GE

Klasse 2 & 3

Soziales Selbstkonzept als Selbsteinschätzung

Krull et al. (2014 a)

SFB

Klasse 1

Soziale Integration und Klassenklima (FEESS 1-2), soziometrische Erhebung

Krull et al. (2014 b)

SEN, especially CLD, CBD

Primary school

Academic self-concept, feeling of being accepted, class climate, sociometric status

Huber & Wilbert (2012)

SFB

Klasse 3 & 4

Soziale Integration und Klassenklima (FEESS 3-4), soziometrische Erhebung

Martschinke et al. (2012)

FS GE

Klasse 1 & 2

Sozialer Status durch Peers, soziales Selbstkonzept

Grüning
(2011)

FS GE

Grundschule

Schulisches Wohlbefinden, aktuelles und habituelles Wohlbefinden

Huber
(2011)

SFB

Klasse 2 – 4

Soziale Akzeptanz über soziometrische Erhebung

Hintermair & Lepold (2010)

FS Hören

Grundschule

Lehrer Verstehen, Schüler Verstehen, positiver Affekt, negativer Affekt (CPQ-D)

Elanjimattom & Hintermair (2009)

FS Hören

Klassen 1 – 11

Lehrer Verstehen, Schüler Verstehen, positiver Affekt, negativer Affekt (CPQ-D)

Huber (2009)

FS LSE

Klasse 4

Soziale Beliebtheit, soziale Ablehnung

Abkürzungen: SEN: special educational needs; ESD: emotional and social development; PMD: physical and motoric development; LD: language development; CD: cognitive development; FS L: Förderschwerpunkt Lernen; FS ESE: Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung; SFB: Sonderpädagogischer Förderbedarf; FS GE: Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung; SRBP: school-related behavior problems; SRLD: school-related learning difficulties; SLL: Social emotional development, Learning and Language; FS LSE: Förderschwerpunkt Lernen, Sprache, emotional-soziale Entwicklung; FS KME: Förderschwerpunkt Körperlich-motorische Entwicklung; CLD: classroom learning disabilities; CBP: classroom behavior problems

5. Beantwortung der Forschungsfrage

Die verschiedenen Einflussfaktoren sozialer Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB im Primarbereich können vier Oberkategorien zugeteilt werden: gesamtschulische Faktoren, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie die Ebene des Unterrichts.

5.1 Schulische Faktoren
Nicht distale Faktoren, wie z.B. der Förderort, sondern proximale Faktoren auf Schulebene sind entscheidend für gelingende soziale Partizipation. Positiv wirken sich ein inklusionsorientiertes Selbstverständnis einer Schuleund eine entsprechende gemeinsam vertretene Haltung im Kollegium aus, die sich unter anderem in einem hohen Maß an gleichberechtigter Kooperation zwischen den Lehrkräften und in konstruktiver Zusammenarbeit mit der Schulleitung ausdrückt (Lütje-Klose et al., 2018).

Auch die Ressourcen einer Schule (z.B. Anzahl der Lehrerstunden für Doppelbesetzungen im Unterricht) spielen eine Rolle, v.a., da eine mangelhafte Ausstattung negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Haltung der Lehrkräfte zum Gemeinsamen Unterricht hat (Schuck et al., 2018). Es besteht das Risiko, dass die Kooperationsbereitschaft sinkt. Ebenso beeinflussen die pädagogischen Haltungen der Lehrkräfte die Überzeugung, Gemeinsamen Unterricht und damit auch soziale Partizipation erfolgreich gestalten zu können (Hellmich, Löper & Görel, 2019). Ellinger & Stein (2012) berichten von einem positiven Effekt von Doppelbesetzungen auf das Sozialverhalten von Schülerinnen und Schülern mit SFB (und damit indirekt auf die soziale Partizipation), da so ein Mehr an aufgabenbezogenem Arbeiten und eine Reduzierung störenden Verhaltens möglich ist.

Bei Betrachtung der Untersuchung von Schmitt (2019) fällt auf, dass die Resultate je nach Klassenzusammensetzung variieren. Jahrgangsübergreifende Lerngruppen erzielen die besten Werte bezüglich der sozialen Partizipation, gefolgt von jahrgangsgemischten Klassen. Jahrgangsbezogene Klassen weisen eine starke Polarisierung auf (Schmitt, 2019, S.294f.). Das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern verschiedener Jahrgänge bzw. Klassenstufen kann der sozialen Partizipation anscheinend zuträglich sein. Der tägliche Umgang mit jüngeren bzw. älteren Kindern und damit mit einer größeren Diversität scheint sich positiv auszuwirken. Allerdings finden sich auch widersprüchliche Ergebnisse: Scharenberg, Rollett & Bos (2019) können in ihrer Untersuchung keinen Effekt der Klassenzusammensetzung für die Vorhersage sozialer Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB finden.

5.2 Individuelle Merkmale der Schülerinnen und Schüler
Auf Ebene der individuellen Merkmale ist vor allem das Verhalten der Schülerinnen und Schüler mit SFB bedeutsam, da Schwierigkeiten in diesem Bereich als signifikante Prädiktoren sozialer Ausgrenzung gelten (u.a. Krull, et al., 2014b; Krull et al., 2018). Verhaltensauffälligkeiten (v.a. externalisierendes Verhalten wie Aggression oder Wutausbrüche) sind Risikofaktoren, durch deren Auftreten soziale Partizipation signifikant schlechter ausfällt (Hellmich & Loeper, 2018). Für Henke, Bogda et al. (2017) ist das Sozialverhalten das wichtigste individuelle Merkmal zur Erklärung der signifikant geringeren Anzahl an Freundschaften von Schülerinnen und Schülern mit SFB. Einige Autoren (Ellinger & Stein, 2012; Voß, Blumenthal, Marten & Hartke, 2016) schreiben dem Verhalten sogar eine größere Bedeutung als der Schulleistung zu. Insgesamt gilt: Je besser die soziale Entwicklung der Kinder mit SFB, desto angemessener fällt das Verhalten in der Lerngruppe aus und desto besser kann soziale Partizipation gelingen. Prosoziale Kompetenzen und Fähigkeiten zur Emotionsregulation gelten dabei als Schutzfaktoren (Henke, Bosse et al., 2017; Sarimski, 2019). Ebenso gilt: Je externalisierender das Verhalten, desto negativer gestaltet sich die soziale Partizipation, da diesen Schülerinnen und Schülern weniger soziale Skills zur Verfügung stehen und durch sie Ruhe und Ordnung im Klassenzimmer gefährdet werden. In einer Untersuchung von Spilles, Hagen & Hennemann (2019) nehmen Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensschwierigkeiten an einer tutoriellen Leseflüssigkeitsförderung mit Mitschülerinnen und Mitschülern ohne SFB teil, um Auswirkungen auf die soziale Partizipation zu eruieren. Dabei beeinflusst negatives Verhalten die eigentlich positiven Effekte des kooperativen Arbeitens von Kindern mit und ohne SFB. Die Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensschwierigkeiten waren auch nach Abschluss der Förderung signifikant schlechter integriert. 

Damit sind sozial-kommunikative Kompetenzen angesprochen: Sprache und (nonverbale) Kommunikation haben in der Interaktion mit Gleichaltrigen, dem Umgang mit Problemen und dem Erkennen von Emotionen eine grundlegend wichtige Bedeutung. Eingeschränkte Fähigkeiten in diesem Bereich erhöhen die Gefahr, ausgegrenzt zu werden (Lang & Sarimski, 2019). Auch Mahlau & Salzberg-Ludwig (2015) definieren eine eingeschränkte Sprachentwicklung als Ausschlussursache und begründen dies u.a. mit ungünstigen Strategien zum Eröffnen und Führen von Gesprächen, wodurch betroffene Kinder als Freunde und Spielpartner weniger attraktiv erscheinen.

Kognitive Merkmale der Kinder mit SFB werden meist über schulische Leistungen ausgedrückt. Dabei verschlechtert sich die soziometrische und soziale Situation der Schülerinnen und Schüler mit SFB mit sinkendem Schulleistungsniveau und führt zu einem signifikant schlechteren Integrationsstatus. Laut Huber & Wilbert (2012) werden Kinder im unteren Schulleistungsbereich am häufigsten abgelehnt (71% der sehr schwachen, 40% der schwachen Schülerinnen und Schüler), sehr gute Leistungen führen zu hoher Beliebtheit (55%) (Huber & Wilbert 2012, S. 156). Auch andere Autoren (Henke, Bosse et al., 2017; Lang & Sarimski, 2019; Voß et al., 2016) beziehen soziale Ausgrenzung auf mangelnde Schulleistungen, Krull et al. (2018) finden eine Korrelation von Lernproblemen und höherer sozialer Ablehnung. Dazu passend formulieren die von Chilver-Stainer et al. (2015) befragten Schülerinnen und Schüler vor allem leistungsbezogene Gründe für sozialen Ausschluss.

Das Vorhandensein eines SFB gilt u.a. bei Huber & Wilbert (2012) als Risikofaktor. Der Integrationsstatus nimmt mit zunehmendem Förderbedarf signifikant ab, die betroffenen Kinder werden häufiger abgelehnt, sind weniger beliebt und erleben sich als belasteter als Schülerinnen und Schüler ohne SFB (Elanjimattom & Hintermair, 2009; Hintermair & Lepold, 2010). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Krawinkel et al. (2017), die einen SFB als bedeutsamen Prädiktor für soziale Ausgrenzung bezeichnen, der in ihrer Studie knapp 10% der Varianz der geringeren Beliebtheit und der häufigeren Ausgrenzung aufklären kann (Krawinkel et al., 2017, S.290f.). Für Huber et al. (2018) spielt die Art der Behinderung eine Rolle, in ihrer Untersuchung sind Kinder aus dem Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung akzeptierter als Kinder aus dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung.
Eine andere Untersuchung allerdings findet keinen Etikettierungseffekt des SFB, da sich Kinder mit und ohne SFB weder in der Anzahl der Freundschaften, noch in der Einschätzung von Klassenklima, Gefühl des Angenommenseins oder der Selbsteinschätzung unterscheiden (Henke, Bosse et al., 2017). Die geringere soziale Partizipation führen die Autoren auf individuelle soziale und kognitive Merkmale zurück, der SFB „wäre damit lediglich ein Aggregat verschiedener allgemeiner Risikofaktoren“ (Henke, Bosse et al., 2017, S.121). Und auch Schwab & Gebhardt (2016) sehen eine schwache soziale Partizipation nicht durch einen SFB bzw. die damit verbundene Stigmatisierung verursacht, sondern beziehen sich auf spezifische Schwierigkeiten im Sozialverhalten.

Das soziale Selbstkonzept der Kinder mit SFB beeinflusst als Einschätzungsgrundlage die Eigenwahrnehmung der sozialen Partizipation und ist dabei abhängig vom Klassenklima und dem Gefühl des Angenommenseins. Je höher das Selbstkonzept ausfällt, desto positiver wird die eigene soziale Teilhabe beurteilt (Spörer, Maaz et al., 2015, S.31). Auch Lohbeck (2020) argumentiert in diese Richtung, da Schülerinnen und Schüler mit einem höheren Selbstwertgefühl ihre soziale Integration positiver beurteilen.

Die Rolle des Geschlechts wird unterschiedlich berücksichtigt, nicht alle Untersuchungen überprüfen es als Einflussfaktor für soziale Partizipation. Allerdings herrscht bei den Studien, die einen Zusammenhang zwischen Geschlecht und sozialer Partizipation untersuchen, Einigkeit, dass Jungen häufiger abgelehnt werden und deshalb als Risikogruppe gelten (Bosse, Henke & Spörer, 2018; Krawinkel et al., 2017; Krull et al., 2018).

5.3 Merkmale der Lehrkräfte
Nicht nur individuelle Merkmale der Kinder mit SFB beeinflussen deren soziale Partizipation, sondern auch die inklusionsbezogenen Einstellungen der Lehrkräfte. Mehrere Autoren (Hellmich et al., 2019; Huber, 2011) berichten von positiven Effekten, wenn Lehrkräfte von der Idee der Inklusion überzeugt sind und Heterogenität nicht als Belastung wahrnehmen. Für Heyder et al. (2020) haben explizite Überzeugungen über die Vorteile inklusiver Beschulung signifikante Aussagekraft bezüglich der Verbesserung der sozialen Partizipation, positive Einstellungen der Lehrkräfte werden als grundlegend bedeutsam für eine erfolgreiche Implementation inklusiver Erziehung erachtet.
Allerdings muss an dieser Stelle ergänzt werden, dass positive Einstellungen gegenüber heterogenen Lerngruppen allein nicht ausreichen, diese müssen sich auch in einem entsprechenden Handeln und Verhalten im Unterricht ausdrücken. Gemeint ist ein wertschätzender und vorurteilsfreier Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit SFB. Gelingt es der Lehrkraft, diesen Kindern Sympathie und Empathie entgegenzubringen und sie gleichwertig zu den Lernenden ohne SFB zu behandeln, steigt die Chance, dass sie besser in die Klasse integriert werden. Dazu gehört auch das Verständnis für die Schwierigkeiten und besonderen Lebenssituationen (Crede et al. 2019; Henke, Bosse et al. 2017; Lütje-Klose et al. 2018).

Lehrkräfte fungieren im Gemeinsamen Unterricht als Rollenvorbild für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit SFB. Durch die Etablierung positiver Interaktionen und Haltungen im Klassenzimmer haben Lehrkräfte einen hohen Einfluss auf die Ausgestaltung der Partizipation und Integration von Schülerinnen und Schülern mit SFB (Hellmich & Löper, 2018; Henke, Bogda et al., 2017). Begründen lässt sich dies mit der Theorie der sozialen Referenzierung: Menschen orientieren sich in vielen Situationen an bestimmten sozialen Referenzen. Bezogen auf Schule ahmen Kinder in unvertrauten Situationen (z.B., wenn ein Kind mit SFB Verhaltensauffälligkeiten zeigt) unbewusst die affektiven Reaktionen der Bezugsperson (also der Lehrkraft) nach. Damit wirkt das Verhalten der Lehrkraft als Modell zur Orientierung (Hellmich & Löper, 2018; Henke, Bogda et al., 2017; Vock et al., 2018).

Ein wertschätzender Umgang mit allen Schülerinnen und Schülern spiegelt sich auch in einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung, die ebenfalls Einfluss auf eine gelingende soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern nimmt (Elting et al., 2019; Krawinkel et al., 2017). Aus Perspektive der Lehrkräfte verlangt diese das geduldige und wiederholte Anbieten von Beziehungsmöglichkeiten. Für Schülerinnen und Schüler besteht ein Zusammenhang zwischen der Selbsteinschätzung der sozialen Integration und dem Gefühl, von der Lehrkraft angenommen zu werden (Huber & Wilbert, 2012). Gleichzeitig ist eine gelungene Lehrer-Schüler-Beziehung Voraussetzung für ein positives und lernförderliches Klassenklima, das sich durch einen gegenseitigen respektvollen Umgang und eine positive soziale Struktur der Lerngruppe auszeichnet. Gerade für Schülerinnen und Schüler mit SFB dient es als Schutzfaktor (Krawinkel et al., 2017; Kulawiak & Wilbert, 2015). „In Klassen, in denen sich die Kinder wohlfühlten und den Umgang untereinander als fair und kooperativ erlebten, war auch die Wahrnehmung der eigenen Einbindung in die sozialen Beziehungen der Klasse besser.“ (Krawinkel et al., 2017, S.290).

Huber (2011; 2013; 2018) hat sich in den letzten Jahren intensiv mit Feedback von Lehrkräften als Faktor für gelingende soziale Partizipation auseinandergesetzt. In einer ersten Untersuchung werden Korrelationen, u.a. zwischen der Sympathie einer Lehrkraft gegenüber einem Schüler oder einer Schülerin und der sozialen Integration gefunden. Als Interpretation wird ein Einfluss des Feedback auf die soziale Integration von Schülerinnen und Schülern durch eine Steigerung positiver und eine Reduktion negativer Rückmeldungen vermutet (Huber, 2011). Eine Folgestudie (Huber, 2013) erbringt differenziertere Ergebnisse: Sowohl schulleistungsbezogenes (z.B. Noten) als auch verhaltensbezogenes Feedback haben eine Auswirkung auf die soziale Integration von Schülerinnen und Schülern. Betont wird die Bedeutung eines sensiblen Rückmeldeverhaltens von Seiten der Lehrkraft als Faktor gelingender sozialer Partizipation. Huber et al. (2018) bestätigen die Befunde und bezeichnen positives Feedback der Lehrkräfte als wichtigen Ausgangspunkt, um die soziale Akzeptanz von Schülerinnen und Schülern zu unterstützen bzw. um Ablehnung und Ausgrenzung in Schulklassen zu vermeiden. Zu erwähnen ist weiterhin, dass auch das Feedback durch Mitschülerinnen und Mitschüler (als Teil der Peer-Group) eine hohe Bedeutung zu haben scheint, allerdings fehlen hier noch belastbare Studien (Huber et al., 2018, S.281).

5.4 Unterrichtsfaktoren
Soziale Partizipation scheint umso besser zu funktionieren, je mehr die Schülerinnen und Schüler mit und ohne SFB Gelegenheit zu haben, miteinander zu interagieren, zu lernen und zu arbeiten, um so für die Stärken und Schwächen des jeweils anderen sensibilisiert zu werden (wobei hier erneut auf den negativen Einfluss von Verhaltensschwierigkeiten hingewiesen werden muss). Im Unterricht kann zur Förderung sozialer Teilhabe das Prinzip des kooperativen Lernens hilfreich sein (Elting et al., 2019; Kulawiak & Wilbert, 2015). Dabei reicht es allerdings nicht aus, die Lernenden in einem Raum gleiche oder voneinander getrennte Aufgaben bearbeiten zu lassen. Echtes kooperatives Lernen funktioniert als (Klein)gruppe. Das Essentielle: Jedes Kind muss einen individuellen Beitrag auf seinem Niveau erbringen, sonst kann die Fragestellung nicht gelöst werden. Zielvorstellung ist es, dass sich Schülerinnen und Schüler mit SFB als kompetent und selbstwirksam erleben können und Mitschülerinnen und Mitschüler ohne SFB diese nicht nur aus defizitärer Perspektive wahrnehmen. Es ist Aufgabe der Lehrkraft, kooperativen Unterricht entsprechend vorzubereiten.

Damit ist zugleich eine adaptive Unterrichtsgestaltung angesprochen, die es allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihrem Lernstand gemäß am Unterricht teilzunehmen und sich einzubringen. Grüning (2011) sieht strukturelle Schwierigkeiten, v.a. einen nicht an die Lernbedürfnisse und -voraussetzungen der Kinder angepassten Unterricht als Faktoren, die soziale Partizipation negativ beeinflussen können, da so die Kompetenzunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne SFB besonders deutlich werden. Auch Martschinke, Kopp und Ratz (2012) betonen die Notwendigkeit zusätzlicher unterrichtlicher Maßnahmen zur Unterstützung von Kindern mit SFB.
Der darin enthaltenen individuellen Bezugsnormorientierung wird ein Puffereffekt zugeschrieben: Gerade Kinder mit SFB nehmen ihre soziale Partizipation in einer Klasse positiver wahr, je stärker die individuelle Bezugsnormorientierung ausgeprägt ist. Zudem ist der Ablehnungsstatus von Schülerinnen und Schülern mit SFB in Klassen mit hoher individueller Bezugsnormorientierung geringer (Krawinkel et al., 2017; Schwinger et al., 2020).

Nicht zuletzt können passgenaue Differenzierung, ausreichende Förderung im Unterricht und eine entsprechende didaktisch-methodische Unterrichtvorbereitung einen (indirekten) Beitrag zur sozialen Partizipation leisten: Wenn Schülerinnen und Schüler ohne SFB nicht nur häufig schwache Schulleistungen der Kinder mit SFB wahrnehmen, sondern diese Mitschülerinnen und Mitschüler als aktive Mitglieder der Lerngruppe (wenn auch auf unterschiedlichem Level) erleben, kann dies das Risiko der sozialen Ausgrenzung verringern.

6.Diskussion und Fazit

Zusammenfassung der Einflussfaktoren
Nach der Darstellung der Ergebnisse des Literaturreviews bezüglich der Frage nach den Einflussfaktoren für gelingende soziale Partizipation bzw. für ein höheres Ausgrenzungsrisiko für Schülerinnen und Schüler mit SFB kann die eingangs formulierte Forschungsfrage beantwortet und die Hypothese angenommen werden. Es kann keine eindeutige Ursache identifiziert werden, vielmehr spielen unterschiedliche Einflussfaktoren eine Rolle: schulische Organisationsfaktoren, individuelle Merkmale der Schülerinnen und Schüler, Merkmale der Lehrkräfte sowie Unterrichtsfaktoren (Abbildung 1).

Abbildung 1: Einflussfaktoren auf die soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB)


Zwischen den Einflussfaktoren ergeben sich Beziehungen untereinander und zwischen den einzelnen Bereichen, die nicht als trennscharfe Kategorien interpretiert werden können. Ein lernförderliches Klassenklima ist beispielsweise von mehreren Faktoren abhängig und wird von einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung und einer adaptiven Unterrichtsgestaltung beeinflusst, die wiederrum mit weiteren Einflussfaktoren zusammenhängen.
Vor allem den gesamtschulischen Faktoren kommt dabei eine moderierende Rolle zu, da sie sich wohl eher indirekt auf soziale Partizipation auswirken. Beispielsweise haben ein inklusionsorientiertes Selbstverständnis und ein gefestigtes Kooperationsverständnis innerhalb eines Kollegiums Auswirkungen auf die Art des Verständnisses von Unterricht und auf die Einstellungen der einzelnen Lehrkräfte. Haltung und Verhalten einer Lehrkraft haben wiederrum Einfluss auf die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung in einer Klasse, wodurch das Klassenklima beeinflusst wird. Eine hochwertige Ressourcenausstattung einer Schule ermöglicht durch z.B. viele Lehrerstunden eine weitgehende Doppelbesetzung im Gemeinsamen Unterricht und das Schaffen verbindlicher Kooperationsstrukturen. Dies wiederrum erleichtert eine Unterrichtsvorbereitung und -durchführung in gemeinsamer Verantwortung, bei der ein adaptiver Unterricht samt passgenauer Differenzierung und Förderung sowie einer individuellen Bezugsnormorientierung im Mittelpunkt steht, was sich positiv auf ein lernförderliches Klassenklima auswirken dürfte.

Eine kurze Zusammenfassung der Einflussfaktoren lässt sich aus Sicht des Autors wie folgt formulieren: Die soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB in inklusiven Grundschulklassen ist vor allem beeinflusst durch individuelle Merkmale der Schülerinnen und Schüler (v.a. Verhalten, Schulleistung und kommunikative Fähigkeiten), durch Merkmale und Verhalten der Lehrkräfte (v.a. Einstellungen/Haltungen, Rollenvorbild im Umgang mit Kindern mit SFB, positive Lehrer-Schüler-Beziehung) sowie durch Unterrichtsmerkmale (v.a. adaptive Unterrichtsgestaltung und individuelle Bezugsnormorientierung). Gesamtschulische Faktoren wie die Kooperationshaltung im Kollegium oder die Ressourcenausstattung haben eher indirekte Auswirkungen.

Aus der Analyse der Studien lassen sich Vermutungen ableiten, bei welchen Einflussfaktoren der sozialen Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB aus Sicht der Wissenschaft Konsens besteht und in welchen Bereichen widersprüchliche Ergebnisse vorliegen.
Häufig wird in der Studienlage davon berichtet, dass das Verhalten (Ellinger & Stein, 2012; Hellmich & Löper, 2018; Henke, Bogda et al., 2017; Henke, Bosse et al., 2017; Krull et al., 2018; Krull et al., 2014b; Sarimski, 2019; Spilles et al., 2019; Voß et al., 2016), die schulische Leistung (Chilver-Stainer et al., 2015; Henke, Bosse et al., 2017; Lang & Sarimski, 2019; Huber & Wilbert, 2012; Krull et al., 2018; Voß et al., 2016), die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten (Lang & Sarimski, 2019; Mahlau/Salzberg-Ludwig, 2015) und das Geschlecht (Jungen als Risikogruppe; Bosse et al., 2018; Krawinkel et al., 2017; Krull et al., 2018) der Schülerinnen und Schüler mit SFB dazu beitragen, in welchem Maße sie in inklusiven Grundschulklassen sozial partizipieren. Außerdem spielen die Einstellungen der Lehrkräfte (Bosse et al., 2018; Crede et al., 2019; Hellmich et al., 2019; Heyder et al., 2020; Huber, 2011; Lütje-Klose et al., 2018), die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung im Rahmen eines von Wertschätzung geprägten Klassenklimas (Elting et al., 2019; Krawinkel et al., 2017; Kulawiak & Wilbert, 2015), die Vorbildfunktion der Lehrkraft als role model (Hellmich & Löper, 2018; Henke, Bogda et al., 2017; Vock et al., 2018), ein sensibles Rückmeldeverhalten durch die Lehrkräfte (Huber, 2011; Huber, 2013; Huber et al., 2018) sowie eine adaptive Unterrichtsgestaltung mit Elementen der Differenzierung und Förderung sowie des kooperativen Lernens (Elting et al., 2019; Grüning, 2011; Kulawiak & Wilbert, 2015; Krawinkel et al., 2017; Martschinke et al., 2012; Schwinger et al., 2020) eine Rolle.
Nicht gesichert dagegen scheint der Einfluss des SFB (pro: Huber & Wilbert, 2012; Huber et al., 2018; Krawinkel et al., 2017; contra: Henke, Bosse et al., 2017; Schwab & Gebhardt, 2016) und der Klassenzusammensetzung (pro: Schmitt, 2019; contra: Scharenberg et al., 2019).

Fördermöglichkeiten sozialer Partizipation
Nachdem aus den bisherigen Ausführungen hervorgegangen ist, dass Schülerinnen und Schüler mit SFB einem erhöhten Ausgrenzungsrisiko in inklusiven Grundschulklassen unterliegen, stellt sich die Frage nach Möglichkeiten der Förderung sozialer Partizipation. Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten kann an dieser Stelle nicht erfolgen, es wird lediglich das SULKI-Modell von Huber (2019) kurz dargestellt, da sich hier viele der bereits beschriebenen Elemente wiederfinden.  
Interventionen, die sich auf den Bereich der Sozialkompetenzen beziehen (z.B. Einzel- oder Gruppentrainings, Classroom-Management) können die Qualität der sozialen Interaktionen in einer Klasse erhöhen und für ein besseres Klassen- und Lernklima sorgen. Gleichzeitig können Aspekte des Feedbacks durch die Lehrkraft (z.B. individuelle Bezugsnormorientierung, Art des Feedbacks, Einstellungen der Lehrkraft) die Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass ein Schüler oder eine Schülerin für soziale Kontakte und Interaktionen ausgewählt wird. Im Rahmen des Unterrichts kann durch die Auseinandersetzung mit der Situation von sozial ausgeschlossenen Schülerinnen und Schülern sowie mit den Themen Heterogenität und Behinderung Wissen generiert werden, das ebenfalls die Chance erhöht, Sozialkontakte positiv zu gestalten. Schließlich fungiert die inhaltliche und organisatorische Gestaltung des Unterrichts als Kontext, in dem Kontakte und Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern entstehen können. Insgesamt geht das SULKI-Modell davon aus, dass durch eine möglichst gute Ausprägung von Sozialkompetenz, Feedback und Unterricht eine Schul- und Unterrichtsatmosphäre geschaffen werden kann, in der sich eine gelingende soziale Integration und Partizipation leichter einstellen kann (Huber, 2019, S.36ff.).

Präventiv ist es sicherlich sinnvoll, angehende Lehrkräfte bereits in der ersten und zweiten Ausbildungsphase für die Problematik zu sensibilisieren. Ein bewusster Umgang mit Heterogenität, die Notwendigkeit von Differenzierung im inklusiven Unterricht oder Grundlagen eines lernförderlichen und wertschätzenden Klassenklimas durch gegenseitige Unterstützung und gemeinsame Erfolgserlebnisse sind zudem Faktoren, die sich nicht nur im Rahmen der sozialen Partizipation positiv auswirken. Auf der bereits angesprochenen Ebene konkreter Interventionen sind v.a. direkte Förderansätze für soziale und kommunikative Kompetenzen vielversprechend. Trainiert werden können z.B. das Erkennen von Emotionen, der Umgang mit nonverbaler Kommunikation, aber auch das Hinführen zu einem angemessenen Sozialverhalten durch Hilfestellungen u.a. zur gewaltfreien Konfliktlösung oder dem Finden von Kompromissen (Böttinger, 2020b). Derartige Inhalte sind für Schülerinnen und Schüler mit SFB besonders wichtig, aber auch für Mitschülerinnen und Mitschüler ohne SFB durchaus geeignet.

Einschränkungen des Literaturreviews
Der Forschungsreview unterliegt einigen Einschränkungen, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollen.
Die Ergebnisse beziehen sich nur auf den Grundschulbereich. Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass für die soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit SFB im Sekundarbereich andere Einflussfaktoren gelten. Im Verlauf der weiterführenden Schulen kommen neue Fächer zum Bildungskanon hinzu, verbunden mit dem Fachlehrerprinzip und stärkerem inhaltlichen Fokus. Zudem nehmen ältere Schülerinnen und Schüler SFB wohl differenzierter wahr und nutzen ihn stärker als Distinktionsmerkmal, wobei auch die Pubertät eine Rolle spielen kann.
Die Beschränkung auf das deutsche Schulsystem sorgt dafür, dass internationale Studien nicht berücksichtigt werden. Um diese Ergebnisse nicht zu vernachlässigen, wäre es notwendig, sie auf ihre Übertragbarkeit hin zu überprüfen und in die Forschungsanalyse einfließen zu lassen.
Zudem kann trotz einer gewissenhaften Literaturrecherche in verschiedenen Datenbanken nicht ausgeschlossen werden, dass thematisch passende Studien übersehen wurden.
Wie bereits dargestellt, erfolgt die Feststellung des SFB in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Diese uneinheitlichen Erfassungswege (z.T. gar keine Feststellung bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe, z.T. über das Urteil der Lehrkräfte, z.T. über formelle Gutachtenverfahren) können die Ergebnisse beeinträchtigen, da sie Einfluss auf die Klassenzusammensetzungen und nachwirkend auch auf die Stichprobenzusammenstellung haben.
Zusätzlich können keine Aussagen getroffen werden, welcher der genannten Einflussfaktoren sich am stärksten auf die soziale Partizipation auswirkt oder welcher Faktor eher schwache Folgen hat, da es sich hier nicht um eine Analyse der Effektstärken handelt. Auch über das Ausmaß, wie stark sich die einzelnen Faktoren bzw. Bereiche untereinander beeinflussen, kann keine Aussage getroffen werden.

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