Kris-Stephen Besa; Ernst Daniel Röhrig; Caroline Schmitt; Marc Tull:Auf dem Weg zu einem inklusiven professionellen Habitus? Einstellungen angehender Lehrkräfte und Sozialpädagog*innen zu Inklusion

Abstract: Spätestens seit Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) dient Inklusion als Richtlinie einer angestrebten Neuorientierung pädagogischer und gesellschaftlicher Felder. Dieser Beitrag erachtet die (Aus-)Bildung eines inklusiven professionellen Habitus im Studium als grundlegend, wenn die Umsetzung von Inklusion gelingen soll. Hierbei gilt es, die Einstellungen zu Inklusion von Studienanfänger*innen in der Universitäts- und Hochschulausbildung aufzugreifen und sie in einen inklusiven professionellen Habitus zu transformieren. Um diesem Anliegen gerecht werden zu können, ist ein Wissen dazu nötig, welche Einstellungen bei Studierenden zu Inklusion überhaupt vorliegen. Dieser Beitrag gibt auf Basis ausgewählter quantitativer Ergebnisse des Projekts „Studierenden-Perspektiven auf Inklusion (SPiN)“, das in Zusammenarbeit der Fächer Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft an der Universität Trier von März 2019 bis August 2019 durchgeführt wurde, Einblick in die Einstellungen zu Inklusion in der Schule von 460 Studienanfänger*innen der Bachelorstudiengänge „Bildungswissenschaften“ und „Erziehungswissenschaft: Sozial- und Organisationspädagogik“. Dem liegt das Ziel zu Grunde, auf Basis dieser Ergebnisse Bedarfe für die professionstheoretische Vermittlung eines inklusiven professionellen Habitus in der universitären Lehre der beiden Studiengänge zu identifizieren. Zentrales Ergebnis ist, dass beide Studierendengruppen Inklusion als relevante Perspektive im Handlungsfeld der Schule erachten. Angehende Sozialpädagog*innen zeigen sich im Vergleich zu Studierenden des Lehramts optimistischer, was die fachliche Förderung in einer inklusiven Schule anbelangt. Für Studierende des Lehramts verdeutlichen die Ergebnisse eine stärkere Fokussierung auf die Lehrer*innenrolle im Sinne des Vermittelns von Fachkenntnissen.

Stichworte: Inklusion, Einstellung, Professionalität, professioneller Habitus, Schule, Soziale Arbeit

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Einstellungsforschung und Inklusion. Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand
  3. Methodisches Vorgehen
  4. Ergebnisse. Einstellungen zu Inklusion von Studierenden der Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft
  5. Diskussion und Ausblick
  6. Literatur

1. Einleitung

Die Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) durch Deutschland hat vor mehr als zehn Jahren eine Debatte dazu ausgelöst, wie das Bildungs- und Sozialsystem so ausgerichtet werden kann, dass niemand ausgegrenzt wird (z.B. Katzenbach 2015; Lindmeier & Lütje-Klose 2015; Amirpur 2019). In dieser Debatte festigt sich eine Differenz zwischen einem engen, auf die Kategorisierung ‚Behinderung‘ bezogenen und einem weiten, heterogenitätsorientierten Verständnis von Inklusion. Dieser Beitrag versteht Inklusion als „gesellschaftliche Zielperspektive der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer sozialen und kulturellen Herkunft, ihrer sexuellen Präferenzen, ihrer Begabungen oder ihrer Behinderung“ (Katzenbach/Schröder 2007, o.S.). Dieser Zielperspektive müssen Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft durch die Entwicklung einer „reflexiven und wissenschaftlich basierten Wissensgrundlage“ (Helsper 2016, 54) im Studium begegnen und die Ausbildung eines inklusiven professionellen Habitus an den Universitäten und Hochschulen gemeinsam mit den Studierenden als pädagogische Querschnittsaufgabe in der (Aus-)Bildung vorantreiben (Schmitt 2016; Schomacker & Oldenburg 2017).
Studierende bringen zu Beginn ihres Studiums spezifische Einstellungen zu dem angestrebten Berufsfeld und den zukünftigen Adressat*innen mit, die sie im Rahmen ihrer Familie, peer-group sowie durch Vorbilder oder ehrenamtliche und nebenberufliche Tätigkeiten im interessierenden Arbeitsfeld erworben haben (Harmsen 2013, 266). Diese Einstellungen sind über den Habitus der Studierenden vermittelt (Nairz-Wirth 2016, 152). Unter Habitus verstehen wir in Bezugnahme auf Bourdieu „inkorporierte soziale Strukturen“ (Bourdieu [1987] 2018, 729) von Welt, welche unsere „Wahrnehmung organisieren und bewerten, als Dispositionen für zukünftige Handlungen, als innere Einstellungen und Vorlieben“ (Gebauer 2017, 28). Diese Strukturen sind körperlich eingeschrieben und werden von den Akteur*innen in ihrer Alltagspraxis konstituiert (Bourdieu [1987] 2018, 729). Über den Habitus vermittelte Einstellungen – etwa zum zukünftigen pädagogischen Handlungs- und Arbeitsfeld – bedürfen im Studium einer reflektierten Durchdringung (Berendes 2014, 234). Die Bildungsaufgabe im Studium besteht darin, den Habitus der Studierenden aufzugreifen und seine „Transformation“ (Ebert 2010, 202) hin zu „Professionalität und Fachlichkeit“ (ebd.) zu unterstützen. Es gilt, die Studierenden in die Lage zu versetzen, zwischen Alltagshandeln und professionellem Agieren zu unterscheiden und sie zu einem ethisch- wie wissenschaftsbegründeten pädagogischen Handeln in sich stets wieder anders ausgestaltenden Situationen zu befähigen (ebd., 199). Hierbei sind professionstheoretische Grundlagen der Pädagogik von hoher Relevanz und die „Ausbildung einer Grundhaltung […], die eine systematische Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit Handlungsroutinen in den Vordergrund stellt“ (ebd.). Nach Becker-Lenz und Müller-Hermann (2013, 218) sind „a) ein spezifisches Berufsethos, b) die Fähigkeit zur Gestaltung eines Arbeitsbündnisses und c) die Fähigkeit des Fallverstehens unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse“ zentral. In Bezug auf die Zieldimensionen von Inklusion ist spezifisch die Aneignung und Entwicklung eines inklusiven professionellen Habitus zu unterstützen, der sich durch ein Nicht-Aussondern sowohl im Bildungssystem als auch in allen außerschulischen pädagogischen Handlungsfeldern wie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe oder Altenarbeit auszeichnet. Er tangiert dabei die Regeln und Prozeduren von Organisationen genauso wie die pädagogische Beziehung zwischen Fachkräften und Adressat*innen (Häcker & Walm 2015, 84). Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass pädagogisches Arbeiten gelingende und von Anerkennung getragene Arbeitsbeziehungen braucht (Gahleitner 2017), damit Inklusion überhaupt möglich ist (te Poel 2020). Auf einer Makroebene zeichnet sich ein solcher Habitus ganz grundlegend durch eine Auseinandersetzung mit der Entstehung und den gesellschaftlichen Auswirkungen von Differenzlinien und mit einem Abbau sozialer Ungleichheiten aus (Schomaker & Oldenburg 2017; Bommes & Scherr 1996). Inklusion vollzieht sich dabei – so die Paradoxie – unter Bedingungen von Exklusion. Diese Exklusionsmechanismen müssen im Studium thematisch werden. Damit geht eine Reflexion darüber einher, „entlang welcher Normen […] die Inklusions- und Exklusionsregeln“ (Panagiotopoulou 2019, o.S.) in pädagogischen Organisationen überhaupt definiert sind.
Der vorliegende Beitrag stellt das Anliegen, einen inklusiven professionellen Habitus im Studium zu vermitteln, in das Zentrum seines Interesses. Die (Aus-)Bildung eines professionellen und auf Inklusion zielenden Habitus wird dabei – so die These – von der Einstellung der Fachkräfte zu ihren Adressat*innen und ihrem Verständnis des pädagogischen Auftrags (Bitzan & Bolay 2017) beeinflusst. Die universitäre (Aus-)Bildung muss an den Einstellungen der Studierenden ansetzen, damit ein inklusiver professioneller Habitus ausgebildet und Inklusion tatsächlich im Bildungs- und Erziehungssystem umgesetzt werden kann. Unter dieser Prämisse kann davon ausgegangen werden, dass sich inklusive Einstellungen auf der Ebene pädagogischen Praxishandelns widerspiegeln können (Schüle et al. 2016).
Einstellungen zu Inklusion rücken gegenwärtig zunehmend mehr in den Blick der Forschung. Hierbei dominieren Perspektiven, welche Einstellungen von Lehrkräften mit bereits abgeschlossenem Studium rekonstruieren. Dieser Beitrag setzt an der Schaltstelle der Universitäts- und Hochschulausbildung an, welche den Auftrag hat, einen inklusiven professionellen Habitus gemeinsam mit den angehenden Fachkräften zu reflektieren und seine Entwicklung zu fördern. Bislang sind Studien noch ein Desiderat, die sich gemäß des Anspruchs, Inklusion als Querschnittsaufgabe für Bildungs- und Erziehungswissenschaft zu verstehen, den Studierenden der Bildungs- und Erziehungswissenschaft dezidiert zuwenden. Dieser Beitrag basiert auf einer quantitative Fragebogenerhebung von Studierenden der Fächer „Bildungswissenschaften“ und „Erziehungswissenschaft“ zu Beginn ihres Studiums an der Universität Trier. Ziel der Untersuchung ist die Erforschung von Einstellungen zu Inklusion in der Schule und ein Vergleich der unterschiedlichen Studierendengruppen der Bildungswissenschaften im Lehramtsstudium einerseits und Studierenden der Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt in Sozial- und Organisationspädagogik andererseits. Auf Basis der Analyseergebnisse sollen Überlegungen für die Vermittlung und reflexive Durchdringung des Inklusionsgedankens an Universitäten und Hochschulen entfaltet werden, sodass die angehenden Fachkräfte zu einem inklusiven professionellen Handeln in ihrer zukünftigen Praxis befähigt werden. Dem liegt ein breiter Blick auf das Handlungsfeld ‚Schule‘ zu Grunde, in dem neben Lehrer*innen genauso Sozialpädagog*innen[1] den Unterricht mitgestalten sowie als Schulsozialarbeitende mit einer vielfältigen Schüler*innenschaft, mit Eltern und Lehrer*innen zusammenarbeiten. Schule ist Lebensort, so unsere Perspektive.
Der Beitrag gibt zunächst einen Einblick in Theorie und Forschungsstand zu Inklusion als Einstellung im Bildungs- und Erziehungswesen (Kapitel 2). Dem folgt die Offenlegung des methodischen Vorgehens (Kapitel 3), die Ergebnisdarstellung (Kapitel 4) und Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 5).

2. Einstellungsforschung und Inklusion. Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

Die Analyse von Einstellungen ist ein interdisziplinäres Querschnittsthema etwa der Sozialpsychologie, aber auch der Soziologie, Erziehungswissenschaft und Bildungswissenschaften. Je nach Diskursstrang finden sich zu diesem vielfältigen Begriff differente Zugänge, die Einstellungen eher statisch oder relational und prozesshaft verstehen. Die Diskussion um die Definition von Einstellung und um geeignete Verfahren zu ihrer empirischen Erfassung überdauern mittlerweile ein ganzes Jahrhundert (z.B. Greve & Hauenschild 2017, 315; Cloerkes 2007; Meinefeld 1977). Dieser Beitrag versteht Einstellungen als soziale Einstellungen und fokussiert auf Einstellungen gegenüber einzelnen Menschen und Gruppen (siehe Zick & Küpper 2016, 83). Einstellungen werden als prinzipiell wandelbar und gestaltbar und als verschränkt mit sozialen Umwelten verstanden. Sie sind eingebunden „in ein umfassenderes (nicht nur) kognitives Netzwerk. Es geht nicht nur um Meinungen bezüglich eines Sachverhalts, sondern auch um das Wissen darüber und um die Verbindung zu allgemeineren sozialen Werten und Ideologien. Dabei ist die Frage der Herkunft des Wissens und der Wissensproduzenten von Bedeutung“ (Nienhüser et al. 2018, 44).
Seit den 1960er Jahren geht die Einstellungsforschung nicht mehr grundsätzlich von einer Kausalbeziehung zwischen Einstellung und Handlung aus. So weisen etwa Greve und Hauenschild (2017, 323) auf einen „konzeptuellen Nexus“ und das komplexe Verhältnis von Einstellungen und tatsächlichen Handlungen hin. Einstellungen können, müssen aber nicht handlungsleitend wirken. In der Analyse von Einstellungen gilt stets zu reflektieren, dass weitere Zusammenhänge in das praktische Handeln mit hineinspielen, wie etwa theoretisches Wissen und Emotionen (Cloerkes 2007, 104).
Mit Blick auf den Forschungsstand zum Thema Einstellungen zu Inklusion zeigt sich eine Schwerpunktsetzung auf die Analyse von Einstellungen zu Inklusion von Lehrkräften und auf Fragen inklusiver Schulentwicklung (z.B. Lütje-Klose et al. 2017; Seifried 2015; Winkler 2016). Andere Professionsgruppen finden in der Forschung zu Einstellungen zu Inklusion bisher nur wenig Berücksichtigung (Hopmann et al. 2019). Die Einstellungsforschung stellt im außerschulischen pädagogischen Bereich ein Desiderat dar. Für den schulischen Bereich verdeutlicht die vorliegende Literatur eine befürwortende Einstellung zu Inklusion als zentralen Faktor für die strukturelle und praktische Realisierung inklusiver Schulentwicklung (Ruberg & Porsch 2017; Gebhardt et al. 2015; Boban & Hinz 2003; Dlugosch 2014; European Agency 2011; Hellmich & Görel 2014). Während De Boer et al. (2011) in ihrer Erhebung neutrale bis verhaltene Einstellungen zu Inklusion herausstellen, rekonstruieren Dlugosch (2014) sowie Ruberg und Porsch (2017) in ihren Untersuchungen eine tendenzielle Zustimmung zum Inklusionsgedanken auf Seite der befragten Lehrkräfte. Die praktische Umsetzbarkeit von Inklusion wird von den befragten Lehrkräften jedoch mehrheitlich skeptisch gesehen (auch Solzbacher 2008; Seifried 2015; Heyl et al. 2014; Abegglen et al. 2017). Diese Skepsis mag in eigenen Erfahrungen der Befragten begründet liegen, Inklusion nicht ausreichend umsetzen zu können, da institutionelle Strukturen ein Gelingen von Inklusion behindern. Die Einflüsse beruflicher und persönlicher Erfahrungen für die Einstellung zum Inklusionsgedanken sind jedoch zumindest als ambivalent zu betrachten: Einige Studien bestätigen einen Zusammenhang zwischen Erfahrung und Einstellung (Bosse & Spörer 2014; Feyerer 2014; Heyl & Köb 2014; Seifried 2015; Kessels et al. 2014), während andere keinen solchen Zusammenhang konstatieren können (De Boer et al. 2011; Gebhardt et al. 2015). Diese Ambivalenz zeigt sich auch in der Analyse von Einstellungen und beruflichen Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen, welchen ein sogenannter „besonderer Förderbedarf“ attestiert wurde. Auch hier zeigen Studien einerseits einen positiven Zusammenhang zwischen der Arbeitserfahrung mit den Betreffenden und der Einstellung zu den Adressat*innen (Feyerer 2014; Hellmich et al. 2016; Ruberg & Porsch 2017); andererseits lässt sich dieser Zusammenhang nicht auf alle Felder pädagogischen Handelns übertragen. So liegen etwa keine signifikant-positiven Effekte für einen Zusammenhang von schulischen Erfahrungen mit Klassen, in denen Schüler*innen mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, und den Einstellungen von Lehrenden zu einem gemeinsamen Lernen vor (Schwab & Seifert 2015). Dies nährt die These, dass die Einstellung von Fachkräften auch von anderen Variablen als der eigenen Erfahrung im spezifischen beruflichen Kontext moderiert wird, die bisher noch nicht als vermittelnde Variablen untersucht wurden. Die Studien von Forlin und Chambers (2011) sowie Hecht (2014) zeigen, dass von den Befragten als ‚gut‘ eingeschätzte Erfahrungen im Handlungsfeld positive Effekte auf die Einschätzung der Umsetzbarkeit inklusiven Unterrichts haben und die Einstellungen zu Inklusion in eine bejahende Richtung beeinflussen (Abegglen et al. 2017). Auch eine grundlegende Befürwortung von Inklusion in der Schule (Feyerer 2014; Urton et al. 2014; Abegglen et al. 2017), Möglichkeiten der Aus-, Fort- und Weiterbildung (Forlin & Cambers 2011; Hellmich et al. 2016), eine reflektierte Auseinandersetzung mit Überzeugungen zur eigenen Berufsrolle und dem eigenen Arbeitsverständnis (Kuhl et al. 2013; Kuhl et al. 2014; Reiser et al. 1990; Lindmeier 2015; Lindmeier & Lütje-Klose 2015) sowie multiprofessionelle Kooperation sind – so der gegenwärtige Forschungsstand – bestärkende Faktoren für eine inklusive Schulentwicklung (Lütje-Klose & Miller 2017; Löser & Werning 2013; Dyson 2010; Friend & Cook 2010; Scruggs et al. 2007). Multiprofessionelles Arbeiten wird von der European Agency (2012) gar als eigener Kompetenzbereich und vornehmliche Aufgabe professioneller Lehrkräfte markiert. Die Erfahrung mit multiprofessionellen Partner*innen trage zu einer weiteren Erhöhung der Bereitschaft zu Kooperation bei (Moser 2012; 2013; 2014).
Hinzu kommen Studienergebnisse, die auf die Bedeutung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften für die Umsetzung von Innovation hinweisen (Schwarzer & Jerusalem 2002; Kunter & Pohlmann 2009; Hecht & Weber 2020). Lehrkräfte mit höherer Selbstwirksamkeitserwartung, die davon ausgehen, dass sie auch in unerwarteten Situationen erfolgreich problemlösend handeln und ihre Strategien und Vorgehensweisen als erfolgreich einschätzen, haben einen insgesamt höheren Anspruch an ihren Unterricht sowie an die individuelle Unterstützung der Schüler*innen (Schwarzer & Jerusalem 2002). Schon Ende der 1980er Jahre wiesen Meijer und Foster (1988) daraufhin, dass höhere Selbstwirksamkeitserwartungen bei Lehrkräften mit größerer Toleranz und Akzeptanz von vermeintlich problematischem Verhalten einhergehen. Hecht und Weber (2020) zeigten jüngst in einer kombinierten Längsschnittanalyse auf, dass eine unidirektionale Richtung der Wirkung von Selbstwirksamkeit auf Einstellungen zu Inklusion so nicht bestätigt werden kann, sondern auch ein umgekehrter Einfluss von (sich wandelnden) Einstellungen auf die Selbstwirksamkeit möglich und wahrscheinlich ist. Ein weiterer Hinweis darauf ist, dass Selbstwirksamkeitserwartungen stattdessen auch mit (wandelnden) Überzeugungen über die Rolle von Lehrkräften interagieren und den Effekt von diesen Überzeugungen auf Einstellungen zu Inklusion gegebenenfalls moderieren.
Bilanzierend lässt sich festhalten, dass die Qualität der Implementation von Inklusionsgedanken und -prozessen in das Bildungs- und Erziehungssystem sowie das pädagogische Handeln in der Praxis maßgeblich durch Einstellungen der Akteur*innen mitgeprägt werden (Schüle et al. 2016). Die Einstellungen zu Inklusion können mit eigenen beruflichen Erfahrungen, Überzeugungen zur eigenen Berufsrolle sowie multiprofessionellen Kooperationen in einem Zusammenhang stehen; gleichsam gilt es, vermittelnde Variablen, wie z.B. die Selbstwirksamkeit (Bosse und Spörer 2014), in ihren komplexen Zusammenhängen mit anderen Variablen weiter zu erforschen.

3. Methodisches Vorgehen

Die Studie „Studierenden-Perspektiven auf Inklusion (SPiN)“ setzt an den aufgezeigten Forschungsperspektiven an. Ziel ist eine Untersuchung der Einstellungen zu Inklusion bei Studienanfänger*innen der Bildungswissenschaften einerseits und Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt auf Sozial- und Organisationspädagogik andererseits. Im Fokus sind neben Lehrkräften auch die bisher noch nicht im Zentrum der Forschung stehenden Einstellungen von angehenden Sozial- und Organisationspädagog*innen – hier mit Fokus auf eine zukünftige Berufsrolle etwa in der Schulsozialarbeit, den Fachschulen oder Berufsbildenden Schulen mit sozialpädagogischer Ausrichtung. Die Befragung wurde in zwei Vorlesungen zu Beginn des Sommersemesters 2019 mit 460 Studienanfänger*innen im zweiten Studiensemester der Bachelorstudiengänge Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft an der Universität Trier durchgeführt. 325 der Befragten ordneten sich der Kategorie „weibliches Geschlecht“, 135 der Kategorie „männliches Geschlecht“ und 0 der Kategorie „divers“ zu. 136 der Teilnehmer*innen studieren Erziehungswissenschaft. 326 der Befragten studieren Bildungswissenschaften im Lehramt, davon 275 für Gymnasien, 68 für Haupt- und Realschulen sowie 6 für Grundschule, 6 für die sogenannte Sonder- oder Förderschule und 6 für die Berufsschule. Zwei Studierende studieren Lehramt und Sozial- und Organisationspädagogik. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei ~22 Jahren.
Dem Fragebogen liegen folgende Forschungsfragen zu Grunde:

Der Fragebogen umfasste insgesamt über 200 Items zu den Konstrukten „Einstellungen zu Inklusion“, „Überzeugungen zu Bildung und Lernen“, „Professions- und Rollenverständnisse“, „Individuelle Förderung, Diagnostik und Partizipation“, „Persönlichkeit und Selbstwirksamkeit“, „Kooperativitätsvertrauen“, „Bürgerschaftliches Engagement“ und „Persönliche Angaben“.
Für die vorliegende Studie wurden folgende Skalen eingesetzt:

A)         „Einstellungsfragebogen zu Inklusion für Lehrkräfte“ (EFI-L nach Seifried 2015 – 15 Items, 3 Subskalen:
a) Fachliche Förderung (6 Items - Cronbachs Alpha = .87): „In einer inklusiven Klasse können sowohl die Kinder mit Beeinträchtigungen als auch die Kinder ohne Beeinträchtigungen ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden.“
b) Persönliche Bereitschaft (5 Items - Cronbachs Alpha = .81): „Aufgrund meiner bisherigen Ausbildung (einschließlich Fortbildung) fühle ich mich qualifiziert, eine inklusive Klasse zu übernehmen.“
c) Soziale Inklusion (4 Items, Cronbachs Alpha = .79): „Wenn Kinder mit besonderen Bedürfnissen in einer inklusiven Schulklasse sind, dann finden sie dort auch Freundinnen und Freunde.“ Skalierung von 1: stimme gar nicht zu – 6: stimme voll zu)

B)          „Überzeugungen über die Lehrer*innenrolle“ (Kunter et al. 2017, 86ff) – 27 Items, 4 Subskalen:
a) Zur Aufgabe der Lehrkraft als „Wissensvermittler“ (9 Items - Cronbach Alpha = 0,83) gehört es, „vielseitiges Wissen an die Schüler*innen weiterzugeben.“
b) Zur Aufgabe als „Mediator für selbstständige Lernprozesse“ (6 Items- Cronbach Alpha = 0,78) zählt, „die Schüler*innen zum Lernen zu motivieren.“
c) Als „Erzieher*in (humanistische Sicht)“ (7 Items - Cronbach Alpha = 0,84) tragen Lehrkräfte dazu bei, „die Schüler*innen zu sozial kompetenten Menschen zu erziehen.“
d) Die Lehrkraft als „Helfer*in (therapeutische Sicht)“ (5 Items - Cronbach Alpha = 0,85) steht „als Ansprechpartner für persönliche Probleme zur Verfügung.“ (Skalierung je von 1: stimme gar nicht zu – 6: stimme voll zu)

C)          Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung (Jerusalem & Schwarzer 1999 - 10 Items: Die Skala zur Selbstwirksamkeitserwartung (10 Items: α=0.82) beinhaltet Items mit Aussagen wie „Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen.“ (Skalierung von 1: trifft nicht zu – 4: trifft genau zu)
Die mit paper-and-pencil-Verfahren erhobenen Daten wurden mit der Software SPSS Statistics 25 ausgewertet. Zunächst wurden zur Beantwortung der Fragestellungen F1, F2 und F3 die Mittelwerte der verschiedenen Skalen für die Gesamtstichprobe sowie die verschiedenen Studierendengruppen berechnet und mit einseitigem t-Test die Signifikanz der Mittelwertabweichung vom Skalenmittelwert bestimmt. Unterschiede zwischen den jeweiligen Gruppen wurden mit Mann-Whitney-U-Tests (Mann & Whitney 1947) auf Signifikanz getestet. Bei signifikanten Unterschieden wurde anschließend die Effektstärke in den Konventionen Cohens (Cohen 1988) ermittelt. Zur Prüfung, welche Überzeugungen als Prädiktoren für Einstellungen zu Inklusion (F4) gelten können, wurden schrittweise multiple Regressionsanalysen durchgeführt (Einschluss bei F-Wert <0.05, Ausschluss bei F-Wert >0.10).

4. Ergebnisse. Einstellungen zu Inklusion von Studierenden der Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft

Kapitel 4 stellt die Ergebnisse der durchgeführten Analysen entlang der aufgeworfenen Fragestellungen vor.

F1: Welche Einstellung haben Studierende der Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft zu Beginn ihres Studiums zu Inklusion in der Schule?
Die Studierenden sind tendenziell bereit, sich mit Inklusion auseinanderzusetzen und schätzen die Umsetzbarkeit von Inklusion eher optimistisch ein (MW: 4,08). Zwischen Studierenden der Bildungs- und Erziehungswissenschaft zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in der Bereitschaft, Inklusion umzusetzen. Beide Studierendengruppen erkennen Inklusion als relevante Perspektive im Handlungsfeld Schule an (MW: 4,15). Die Einschätzungen zur Fachlichen Förderung – d.h. dazu, ob die Fachliche Förderung aller Kinder mit und ohne Förderbedarf in einem inklusiven Setting gleichermaßen gelingt – fallen jedoch knapp unterhalb des Skalenmittelpunkts (MW: 3,37). Hier zeigt sich ein signifikanter Unterschied: Studierende der Erziehungswissenschaft sind optimistischer, dass in einem inklusiven Schulsetting Fachliche Förderung gestaltet werden kann (MW: 3,63), wohingegen Studierende im Lehramt hiervon weniger überzeugt sind (MW: 3,26).

Tabelle 1: Einstellungen zu Inklusion von Studienanfängern der Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft

 

Persönliche Bereitschaft

Fachliche Förderung

Soziale Inklusion

Gesamt

4,08

3,37

4,15

Lehramt

4,03

3,26

4,2

Erziehungsw.

4,19

3,63

4,05

d (*p<.05; **p<.01)

 -

0.34

 -

 

 

 

 

Gymnasium

4,00

3,25

4,19

Realschule Plus

4,18

3,27

4,22

Sign.

0,16

0,86

0,97

Cohens d

 -

 -

 -

Es zeigt sich dabei ein kleiner Effekt von Cohens d=0.34. Der Vergleich zwischen Lehramtsstudierenden für Gymnasium und Realschule Plus zeigt keine signifikanten Unterschiede (Tab.1).

F2: Welche Überzeugungen liegen bei den Studierendengruppen zur Berufsrolle von Lehrer*innen vor?
Die befragten Studierenden zeigen bei allen vier Rollenverständnissen („Wissensvermittler*in sein“, „Erzieher*in sein“, „Helfer*in sein“ und „Lernmediator*in sein“) deutlich überdurchschnittliche Werte und erachten diese als relevant für die Berufsrolle von Lehrenden in der Schule. Die Zustimmungen von Lehrkräften sind zu allen Überzeugungen signifikant stärker ausgeprägt als bei Studierenden der Erziehungswissenschaft.

Tabelle 2: Überzeugungen von Studienanfängern der Bildungswissenschaften und Erziehungs-wissenschaft zur Rolle der Lehrkraft

 

Wissensvermittler*in

Erzieher*in

Helfer*in

Lernmediator*in

Gesamt

5,04

5,21

5,05

5,34

Lehramt

5,10

5,29

5,16

5,37

Erziehungsw.

4,89

5,00

4,80

5,25

Sign.:

0,001

0,001

<0,001

0,003

Cohes d

0.36

0.44

0.47

0.22

 

 

 

 

 

RS+

5,06

5,28

5,16

5,41

Gymn.

5,11

5,30

5,16

5,36

Sign.:

0,296

0,555

0,973

0,791

Cohes d

 -

 -

 -

 -

Die Effekte liegen auf kleinem bis mittlerem Niveau (d=0.22 – 0.47). Im Vergleich zwischen den verschiedenen Lehrämtern (Gymnasium vs. Realschule Plus) finden sich keine signifikanten Unterschiede (Tab. 2).

F3: Welche Ausprägungen allgemeiner Selbstwirksamkeitserwartung lassen sich bei den Studierenden beobachten?
Auch hinsichtlich der Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartungen, d.h. der Erwartung, im Sinne der eigenen Ansprüche erfolgreich in inklusiven Schulsettings zu handeln, findet sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen der Lehramtsstudierenden und der Studierenden der Erziehungswissenschaft. Hier zeigt sich ein mittlerer Effekt (d=0.57). Zwischen den Studierenden verschiedener Lehrämter finden sich im Gegensatz dazu keine signifikanten Unterschiede (Tab. 3). Es scheint, dass die befragten Studierenden aus dem Lehramtsbereich höheres Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, mit vermeintlichen Hürden und neuen Herausforderungen, wie etwa der Gestaltung von Inklusion in der Schule, zurechtzukommen.

Tabelle 3: Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartungen bei Studienanfängern

 

Gesamt

Lehramt

Erziehungsw.

Sign.:

Cohens d

 

Gymn.

RS+

Sign.:

Cohens d

Selbstwirksamkeit

2,85

3,01

2,78

<0,001

0,57

 

3,00

3,05

0,413

-         

F4: Welchen Einfluss haben Überzeugungen zur zukünftigen Berufsrolle auf die Einstellungen zu Inklusion?
Für die Einschätzung zur Persönlichen Bereitschaft für Inklusion liefert die Analyse ein Regressionsmodell mit einem signifikanten Prädiktor: die Rolle der Lehrkraft als Erzieher*in (β = 0,21; Sign. < 0.001). Es erklärt lediglich 4,3% der Varianz der Einschätzung persönlicher Bereitschaft. Zur Bewertung der Fachlichen Förderung in inklusiven Settings liefert die Analyse ebenfalls ein Regressionsmodell mit nur einem signifikanten Prädiktor: Die Rolle der Lehrkraft als Lernmediator (β = 0,15; Sign. = 0.001). Es erklärt lediglich 2,3% der Varianz der Einschätzung zur Fachlichen Förderung. Zum Kontext Sozialer Inklusion in inklusiven Lerngruppen kann ebenfalls die Rolle der Lehrkraft als Erzieher*in (β = 0,19; Sign. < 0.001) als einziger signifikanter Prädiktor bestimmt werden. Dieses Modell erklärt lediglich 3,5% der Varianz der Einschätzung zu Sozialer Inklusion.
F5: Werden die Einflüsse der Rollenverständnisse auf Einstellungen zu Inklusion durch Selbstwirksamkeitserwartungen moderiert?
Um die Bestimmung etwaiger Interaktionseffekte der Selbstwirksamkeitserwartung mit dem Einfluss von Überzeugungen zur Rolle auf die Bereitschaft und Befürwortung von Inklusion zu identifizieren, wurden zunächst die 4 Interaktionen als neue Variablen berechnet (Rollenüberzeugung (a-d) mal Selbstwirksamkeitserwartung). Diese Interaktionen sowie die Selbstwirksamkeitserwartungen selbst wurden anschließend in die Regressionsanalysen mitaufgenommen.
Bezüglich der Einschätzung der Persönlichen Bereitschaft zu Inklusion kann ein Modell mit einem signifikanten Prädiktor identifiziert werden: Die Interaktion von Selbstwirksamkeitserwartung und dem Rollenverständnis der Lehrkraft als Erzieher*in. Entsprechend zeigen vor allem jene Befragten eine höhere persönliche Bereitschaft zur Inklusion, die sich tendenziell eher in einer Erzieher*innenrolle sehen und bei denen erhöhte Selbstwirksamkeitserwartungen vorliegen.

Tabelle 4: Moderationseffekte auf die Auswirkungen der Überzeugungen über die Lehrerrolle auf Einstellungen zu Inklusion

 

Nicht standardisierte

Standardisierte Koeffizienten

Sig.

Koeffizienten

Regressions-
koeffizientB

Std.-Fehler

Beta

Modell für Persönliche Bereitschaft

Varianzaufklärung  5,6%

(Konstante)

2,843

0,241

 

<0,001

Selbstwirksamkeit x Erzieher*in

0,08

0,015

0,241

<0,001

Modell für Fachliche Förderung

Varianzaufklärung 3,1%

(Konstante)

1,465

0,537

 

0,007

Helfer*in

0,151

0,073

0,107

0,041

Lernmediator*in

0,213

0,108

0,102

0,049

Modell für Soziale Inklusion

Varianzaufklärung 3,7%

(Konstante)

2,697

0,352

 

<0,001

Erzieher*in

0,279

0,067

0,193

<0,001

Zur Fachlichen Förderung in inklusiven Settings liefert die Analyse ein Modell mit zwei Prädiktoren: Den Rollenverständnissen der Lehrkraft als Helfer*in und als Lernmediator*in. Es erklärt lediglich 3,1% der Varianz der Einschätzung zur Fachlichen Förderung. Die Analyse zur Moderation von Selbstwirksamkeitserwartungen im Kontext Soziale Inklusion bestimmt einen signifikanten Prädiktor: das Rollenverständnis der Lehrkraft als Erzieher*in. Dieses Modell erklärt 3,7% der Varianz der Einschätzung zur Sozialen Inklusion.

5. Diskussion und Ausblick

Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen vor allem Gruppenunterschiede im Verständnis von Fachlicher Förderung in inklusiven Schulsettings zwischen den Studierenden der Bildungswissenschaften und den Studierenden der Erziehungswissenschaft. Interessanterweise zeigen sich diese zwischen den Studierenden im Lehramt und den Studierenden der Erziehungswissenschaft, nicht jedoch in der Binnenbetrachtung des Lehramtes. Dass die Einstellungen bezüglich Fachlicher Förderung hier unterschiedlich wahrgenommen werden, erklärt sich möglicherweise durch die unterschiedlichen Ansprüche, die Studierende der Erziehungswissenschaft im Gegensatz zu angehenden Lehrkräften an Schule herantragen: Angehende Lehrkräfte studieren – unabhängig von der angestrebten Schulform ihres zukünftigen Wirkens – schwerpunktmäßig ihre Fächer und scheinen die größere Herausforderung in der Vermittlung von Inhalten und weniger in der Anforderungen des Nicht-Aussonderns und einem inklusiven Einbezug aller Schüler*innen zu sehen. Dieser Umstand könnte auch erklären, weshalb Lehramtsstudierende die Möglichkeiten Fachlicher Förderung in inklusiven Lerngruppen insgesamt signifikant skeptischer bewerten. Diese Perspektive bietet sich ebenfalls an, um die Unterschiede bezüglich der Überzeugungen zur Rolle der Lehrkraft zu verstehen: Die angehenden Lehrkräfte haben höhere Ansprüche bezüglich aller Rollenverständnisse, die stärksten Effekte zeigen die Helfer*in- und die Erzieher*innenrolle, beides Bereiche, in denen sich angehende Erziehungswissenschaftler*innen mit Schwerpunkt in Sozial- und Organisationspädagogik stärker verorten und den Lehrkräften hier weniger Zuständigkeit zuschreiben. Bei der Wissensvermittlung liegt der Grund möglicherweise wiederum in der stärkeren Fokussierung der Lehrkräfte auf die Inhalte ihrer Fächer begründet. Bei der Rolle des Lernmediators ist der Effekt so klein, dass eine Interpretation kaum sinnvoll erscheint.
Betrachten wir die Auswirkungen der Ausprägungen verschiedener Rollenverständnisse auf die Einschätzungen zu Inklusion in der Schule, so zeigen sich nur geringe Varianzaufklärungen für die drei Teilbereiche Persönliche Bereitschaft (4,3%), Fachliche Förderung (2,3%) und Soziale Inklusion (3,5%). Die Rolle der Lehrkraft als Erzieher*in ist bei zwei Bereichen für die Varianzaufklärung verantwortlich, was zumindest bedingt für eine stärkere Betrachtung der mit dieser Rolle in Verbindung stehenden Ansprüche im Rahmen des Studiums für das Lehramt spricht: Unter anderem die Aufgabe der Lehrkraft, Kinder und Jugendliche zu selbständigen, sozial kompetenten Persönlichkeiten zu befähigen, die erfolgreich an Politik und Gesellschaft teilhaben können. Die Untersuchung etwaiger moderierender Einflüsse der Selbstwirksamkeitserwartung auf die Auswirkungen der Rollenverständnisse bestätigen diese Vermutung speziell im Kontext der Persönlichen Bereitschaft: Die Interaktion von Selbstwirksamkeit mit der Erzieher*innenrolle als einziger Prädiktor erhöht die Varianzaufklärung merklich auf 5,6%. Für die anderen Bereiche, die nicht direkt die persönlichen Fähigkeiten ansprechen, spielt die Selbstwirksamkeit keine signifikante Rolle als Moderator, die Aufnahme der Interaktionen in die Regressionsanalyse führt jedoch dazu, dass sich im Bereich Fachliche Förderung nun auch die Rolle als Helfer*in neben der Rolle als Lernmediator*in als signifikanter Prädiktor etablieren kann: hier kann von leichten Effekten eines Rollenverständnisses ausgegangen werden, das die Bereitschaft beinhaltet, auch bei persönlichen Problemen außerhalb des Unterrichtskontextes zu unterstützen, sowie von der Überzeugung, dass die Lehrkraft den Schüler*innen zu selbstständigem Lernen verhelfen soll. Für den Kontext der Ausbildung von Lehrkräften würde diese Erkenntnis eine (noch) stärkere Betrachtung von Beratungskompetenzen sowie konstruktivistischer und kooperativer Lernformen begründen. Die Ergebnisse machen zudem deutlich, dass eine Vielfalt weiterer Prädiktoren sowie ggf. Mediatoren und Moderatoren eine Rolle dabei spielen, welche Einstellungen Studierende zu den Möglichkeiten inklusiven Arbeitens entwickeln. Weitere Studien, die zusätzliche Variablen mit in die Betrachtung einbeziehen, sind hier angebracht.
Grundsätzlich geben die Ergebnisse Hinweise auf die Notwendigkeit, im Studium dezidiert in allen disziplinären Kontexten – ob Erziehungswissenschaft oder Bildungswissenschaften – rollenreflexive Studienanteile ganz zentral zu berücksichtigen. Formate, die eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit Kategorisierungen und Othering-Prozessen ermöglichen, sind für alle Studiengruppen relevant, um Inklusion tatsächlich als Querschnittsaufgabe zu realisieren. Andernfalls droht der reflexive Anspruch des Nicht-Aussonderns verkürzt als sozialpädagogische Zuständigkeit verstanden zu werden, gleichsam es sich hierbei um einen grundlegend pädagogischen Anspruch und entscheidenden Ankerpunkt eines inklusiven professionellen Habitus handelt. Fallreflexive Zugänge, wie sie etwa von Müller (2012) oder Braun, Graßhoff und Schweppe (2011) entwickelt wurden, umfassen eine Vergegenwärtigung eigener Kategorisierungsprozesse im Umgang mit den Adressat*innen pädagogischen Handelns. Sie ermöglichen Studierenden, eigene Erfahrungen in pädagogischen Arbeits- und Handlungsfeldern vor dem Hintergrund grundlegender pädagogischer Spannungsfelder zu reflektieren (etwa den Umgang mit Labelling) und diese Reflexionen zur Ausgestaltung gelingender Arbeitsbeziehungen mit pädagogischen Adressat*innen zu nutzen. Veranstaltungsformate, die professionelles Handeln aus einer machtkritischen Perspektive hinsichtlich seiner rollenförmigen Asymmetrie selbstkritisch und offen thematisieren, erfahren vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse eine enorme Relevanz. Sie bieten zahlreiche Anschlusspunkte zu den Disability, Postcolonial und Critical Migration sowie Gender Studies, die sich der Analyse sozialer Herstellungsprozesse eines ‚Wir‘ und ‚die anderen‘ dezidiert widmen. In einer solchen Verzahnung von Erziehungswissenschaft und Bildungswissenschaften mit diesen Area Studies liegt beachtliches Potential, das es vor dem Hintergrund der aufgezeigten Analyseergebnisse in der Lehre unbedingt aufzugreifen gilt. Insofern die zukünftigen Arbeits- und Handlungsfelder der angehenden Fachkräfte durch Interprofessionalität gekennzeichnet sind, wie etwa die Schule, können hierbei Co-Teaching-Formate von Dozierenden (Johnson 2015) genutzt werden, zum Beispiel von Dozierenden aus den Bildungswissenschaften und der Erziehungswissenschaft. Im Rahmen solcher Formate können Studierende unterschiedlicher Fächer bereits während des Studiums auf interprofessionelle Kooperationen in der zukünftigen Berufsrolle vorbereitet werden, von Synergieeffekten profitieren und zu Rollen- und Professionalitätsverständnissen über Fächergrenzen hinweg in einen Austausch kommen.
Einschränkend muss für die vorliegende Studie festgehalten werden, dass sie auf eine Befragung von Studierenden an einem spezifischen Standort zurückgreift und die Studierenden der Erziehungswissenschaft im Gegensatz zu ihren Kommiliton*innen bereits ein Semester lang Lehrveranstaltungen mit pädagogischem Inhalt absolviert hatten, während es sich für die Lehramtsstudierenden um die erste Veranstaltung mit pädagogisch-bildungswissenschaftlichem Inhalt handelte. Hierdurch ist nicht auszuschließen, dass mögliche Einflüsse und im Studium erworbenes Wissen der Erziehungswissenschaftler*innen zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen. Des Weiteren muss die oben bereits erwähnte, geringe Varianzaufklärung der Regressionsanalysen mit beachtet werden, die darauf hinweist, dass zahlreiche in den Modellen nicht berücksichtige Einflüsse vorliegen, die in weiteren Studien erst noch aufzuklären sind. Zukünftige Studien können zudem noch dezidierter als im vorliegenden Fall studentische Einstellungen zu etwa Mehrsprachigkeit, differenten Geschlechterrollen, Mobilitätsbiografien und familiären Hintergründen ihrer zukünftigen Adressat*innen erfassen. Im Rahmen von qualitativen Studien können Einstellungen von Studierenden in ihrer biografischen Gewordenheit noch tiefergehend reflektiert werden und damit weitere vielfältige Ansatzpunkte für die didaktische Vermittlung eines inklusiven professionellen Habitus in der Lehre liefern.

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[1] Der Begriff „Sozialpädagog*innen“ ist der Bezeichnungspraxis im Rahmen des untersuchten Studiengangs an der Universität Trier entnommen. Gleichsam soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Bereich der „Sozialarbeit“ hier konsequent mitgedacht ist und die Autor*innen sich einem Verständnis „Sozialer Arbeit“ anschließen, das „die Einheit von Sozialpädagogik und Sozialarbeit“ (Thole 2012, 20) herausstellt.