Henrike Kopmann:Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen – Perspektiven von Beratenden mit und ohne Behinderung

Abstract: Die Studie eruiert biographische und professionelle Perspektiven auf das Thema „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung“. Interviewt wurden sechs Peer-Berater_innen mit einer sogenannten geistigen Behinderung und drei Berater_innen ohne eine entsprechende Beeinträchtigung. Eine qualitative Inhaltsanalyse der Interviews verweist auf zentrale Spannungsfelder von Bevormundung und Selbstbestimmung, Privatsphäre und Gemeinschaft in Bezug auf wohnbezogene Entscheidungsprozesse und Wohnarrangements für Menschen mit Behinderungen. Zudem rekonstruiert die Studie subjektive Vorstellungen zur Berater_innen-Rolle. Die Potenziale und Herausforderungen der Peer- und Tandem-Beratung durch Beratende mit und ohne Behinderung werden abschließend diskutiert.

Stichworte: Selbstbestimmung, Independent Living, kognitive Beeinträchtigung, Peer-Beratung

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Methode
  3. Ergebnisse
  4. Diskussion
  5. Literatur

1. Einleitung

Gemäß Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) haben Personen mit Behinderungen „das gleiche Recht […], mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben“ und zu „entscheiden, wo und mit wem sie leben“ (Bundesgesetzblatt, 2008, S. 1433). Das von der Aktion Mensch geförderte Modellprojekt „WOHN-Meisterei – Wohnberatung für und mit Menschen mit Behinderung“ der Lebenshilfe Dresden strebt an, Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und ihre Angehörigen bei der Realisierung individueller Wohnwünsche zu unterstützen. Das zuständige Berater_innen-Tandem konstituiert sich aus einem_r Peer-Berater_in mit einer sogenannten geistigen Behinderung und einem_r Tandem-Partner_in ohne eine entsprechende Beeinträchtigung. Die Peer-Berater_innen leben in unterschiedlichen, ambulant oder stationär betreuten Wohnformen. Durch ihr Erfahrungswissen sollen sie den Ratsuchenden authentische Einblicke in die jeweiligen Wohnarrangements vermitteln. Die Tandem-Partner_innen arbeiten als hauptamtliche Berater_innen und steuern vor allem fachliches Wissen bei, z.B. über Beantragungs- und Finanzierungsmöglichkeiten.
Das beschriebene Modellprojekt aus dem Bereich der Erwachsenenbildung für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen fokussiert in vielfacher Weise Kernaspekte der UN-BRK und lässt sich im gesellschaftspolitischen Diskurs um die soziale und bildungsbezogene Inklusion von Personen mit Beeinträchtigungen verorten. Nach wie vor sind Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung von wichtigen Bereichen der Mehrheitsgesellschaft exkludiert. Dies gilt für den hier fokussierten Wohnbereich, aber auch für den Arbeits- und Bildungssektor (BAGüS, 2019; Klemm, 2015, 2018). So besuchen Schüler_innen, denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung zugeschrieben wird, in der überwiegenden Mehrheit Förderschulen, lediglich 7,9 Prozent werden inklusiv beschult (Klemm, 2015, S. 14f.). Auch auf dem Arbeitsmarkt treffen Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen häufig auf segregierende Beschäftigungsverhältnisse, z.B. in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. In diesen Werkstätten konstituieren sie – neben Menschen mit seelischen und körperlichen Behinderungen – circa 73 Prozent der Belegschaft (BAGüS, 2019, S. 42). Diese exemplarischen Zahlen verdeutlichen, dass die Realisierung zentraler inklusionsbezogener Forderungen auch über zehn Jahre nach der Ratifizierung der UN-BRK weiterhin aussteht. Dies gilt sowohl für gemeindeintegrierte Wohnformen (vgl. Artikel 19 der UN-BRK), als auch für berufs- und bildungsbezogene Entwicklungsmöglichkeiten, (vgl. Artikel 24 und 27 der UN-BRK; Bundesgesetzblatt, 2008).
Empowerment, Independent Living und Peer-Beratung
Angebote der Peer-Unterstützung – wie sie u.a. durch die UN-BRK gefordert und im hier fokussierten Modellprojekt umgesetzt werden – etablierten sich ab den 1950er Jahren (Hermes, 2016). Getragen von der Idee des Empowerments gründeten Menschen mit Behinderungen erste Selbsthilfe- und Selbstvertretungsgruppen in den USA (ebd.). Vor diesem Hintergrund entstand die Independent-Living-Bewegung (Spörke, 2002; Theunissen, 2001). Ihre grundlegende Philosophie besteht in der Überzeugung, dass Menschen mit Behinderungen – auch solche mit schweren Behinderungen – das Potenzial und Recht haben, selbstbestimmt zu leben. Gemeindeintegrierte Wohnmöglichkeiten mit persönlicher Assistenz und der Widerstand gegen eine Unterbringung in Großinstitutionen stellen seit jeher zentrale Zielsetzungen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung dar (Hermes, 2016; Spörke, 2002). Kritisch hinterfragt wurde auch die Rolle professioneller Helfer_innen, u.a. aus medizinischen oder therapeutischen Berufsgruppen. Um eine Bevormundung durch sogenannte Expert_innen ohne Behinderung zu vermeiden, wurde das Konzept der Peer-Beratung propagiert, bei dem die Beratenden selbst von einer Behinderung betroffen sind (White et al, 2010). Konzeptuell lehnt sich die Peer-Beratung an die personzentrierte Gesprächsführung nach Rogers an (Hermes, 2016). Hierbei wird eine akzeptierend-empathische Haltung gegenüber dem Ratsuchenden betont. Zudem spielt die Kongruenz eine wesentliche Rolle, worunter ein authentisches Verhalten der Beratenden in Übereinstimmung mit persönlichen Werten zu verstehen ist (Rogers, 2009). Darüber hinaus liege der Peer-Beratung ein humanistisches Menschenbild zugrunde, nach dem das Individuum viele Potenziale in sich trage, die es zu entfalten gelte (Hermes, 2016). Dementsprechend verfolge die Peer-Beratung keine therapeutischen Ziele und Ratsuchende würden nicht als gestört oder behandlungsbedürftig betrachtet (ebd.).
Forschung zur Peer-Beratung bzw. Peer-Unterstützung
Die empirische Erforschung der Peer-Beratung bzw. der Peer-Unterstützung (im Englischen als Peer Counselling bzw. Peer Support bezeichnet) erfolgte in diversen Kontexten, wie z.B. der Gesundheitsförderung, dem Umgang mit Behinderung und Krankheit sowie im schulischen Bereich. Die Unterschiedlichkeit der Interventionen und die oft geringen Stichprobengrößen erschweren eine Beurteilung der allgemeinen Wirksamkeit der Peer-Unterstützung (Webel, Okonsky, Trompeta & Holzemer, 2010). In Bezug auf präventive Interventionen zum Aufbau gesundheitsförderlichen Verhaltens (z.B. regelmäßige körperliche Aktivität, Reduktion des Tabakkonsums) sprechen Webel et al. (2010) von kleinen bis moderaten Effekten. In Hinblick auf Studien zur Peer-Beratung bei Menschen mit Behinderungen konstatiert Hermes (2016) eine in der Regel hohe Zufriedenheit auf Seite der Ratsuchenden sowie positive, persönlichkeitsbezogene Entwicklungen der Peer-Berater_innen, z.B. in Hinblick auf das persönliche Selbstkonzept oder die selbst eingeschätzten kommunikativen Kompetenzen. Peer-Unterstützung helfe Ratsuchenden, Strategien der Alltagsbewältigung aufzubauen und fördere über Gruppenaktivitäten Gefühle von Solidarität und Empowerment (Lasanen, Määttä & Uusiautti, 2019). In Bezug auf Forschungsarbeiten zur Peer-Beratung bei Menschen mit Behinderungen wird insgesamt ein Mangel an repräsentativen Untersuchungsstichproben und vergleichbaren Daten konstatiert (Braukmann, Heimer, Jordan, Maetzel, Schreiner & Wansing, 2017). Für den deutschsprachigen Raum führten Braukmann et al. (2017) eine umfangreichere Untersuchung zur Peer-Beratung durch. Die in dieser Studie befragten 153 Ratsuchenden äußerten eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit, z.B. in Bezug auf die Kompetenz der Beratenden und die Ergebnisse des Beratungsprozesses (ebd.). Die einbezogenen 53 Peer-Berater_innen berichteten u.a. von folgenden subjektiv wahrgenommenen Effekten: eine bessere Bewältigung der eigenen Behinderung, eine Bereicherung durch die Beratungstätigkeit, einen Zuwachs an Selbstvertrauen und Klarheit in Bezug auf persönliche Ziele (Braukmann et al., 2017).
In Hinblick auf den Umgang mit chronischen körperlichen Erkrankungen stellen sich die Forschungsbefunde heterogen dar. Dale, Williams und Bowyer (2012) identifizierten in ihrer Metaanalyse jeweils einzelne Studien, die positive Effekte der Peer-Unterstützung auf körperliche Parameter (u.a. Blutzucker, Blutdruck, Gewicht) sowie die körperliche Aktivität und Selbstwirksamkeit von Patient_innen mit Diabetes konstatieren. Hu et al. (2019) untersuchten unterschiedliche Formen der Peer-Unterstützung für Patientinnen mit Brustkrebs und konnten tendenziell positive Effekte feststellen. Insbesondere die Aufklärung durch ebenfalls Betroffene wirkte sich positiv auf die Stressbewältigung, Lebensqualität und ein gesundheitsförderliches Verhalten aus. Unstrukturierte sowie internetbasierte Modelle ohne ein vorhergehendes Training der Peer-Berater_innen zeigten hingegen keine und teilweise sogar negative Effekte (ebd.; Høybye et al. 2010).
Metaanalysen zur Peer-Unterstützung bei psychischen Erkrankungen sprechen z.B. von einer Reduktion von Depressionssymptomen (Pfeiffer, Heisler, Piette, Rogers & Valenstein, 2011) und einem vermehrten Gefühl von Hoffnung und Empowerment während und nach einer Behandlung (Lloyd-Evans et al., 2014). Insbesondere bei schweren psychischen Erkrankungen fänden sich jedoch keine oder nur kleine Effekte der Peer-Unterstützung auf die Symptom-Ausprägung oder die Häufigkeit der Hospitalisierung (ebd.; Chien, Clifton, Zhao & Lui, 2019).
Im schulischen Kontext verweist die empirische Lehr-Lern-Forschung auf positive Effekte der Peer-Unterstützung in Form von peer-mediierten Untterichtsformen (Büttner, Warwas & Adl-Amini, 2012; Brock & Huber, 2017; Hattie, 2013; Mitchell, 2014). Hierbei werden Mitschüler_innen gezielt als Lernpartner_innen eingesetzt. Weiterhin wird die Effektivität der Peer-Unterstützung, z.B. bei der Förderung kommunikativer Kompetenzen bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, empirisch gestützt (Chapin, McNaughton, Boyle & Babb, 2018; Odom, 2019).
Schritte der De-Institutionalisierung
Inhaltlich fokussiert das hier realisierte Peer-Beratungsprojekt auf unterschiedliche Wohnarrangements für Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Schmuhl und Winkler (2018, S. 1) konstatieren diesbezüglich einen sich langsam vollziehenden „Wandel der Wohnformen“. Internationale Entwicklungen in Richtung De-Institutionalisierung und Normalisierung, die sich ab den 1950er Jahren z.B. in den USA und Skandinavien vollzogen, nahmen jedoch erst spät Einfluss auf den deutschen Diskurs (Falk, 2016): In Nordamerika regten v.a. die Forschungen von Goffman zur „totalen Institution“ Debatten um isolierende und fremdbestimmte Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen an (ebd., S. 15). In Skandinavien setzte sich etwa zeitgleich die Leitidee der Normalisierung durch (Stöppler, 2014). In Westdeutschland stieß v.a. die 1975 veröffentlichte Psychiatrie-Enquete, die wesentliche Missstände in Bezug auf die Unterbringung von Menschen mit psychischen und geistigen Behinderungen offenlegte, eine Debatte um die De-Institutionalisierung an (Falk, 2016). Jedoch sei Deutschland auch zu Beginn der 1980er-Jahre „noch weit entfernt“ gewesen von einer „Normalisierung der Wohnverhältnisse“ von Menschen mit geistiger Behinderung (Schmuhl & Winkler, 2018, S. 13). Mitte der 1990er Jahre habe circa ein Viertel der Betroffenen in Einrichtungen mit über 300 Bewohner_innen gelebt. In den Folgejahren etablierten sich zunehmend diversere Wohnformen (ebd.).
Aktuelle Statistiken zu den Wohnverhältnissen von Menschen mit Behinderungen liefert die Bundesarbeitsgemeinschaft überörtlicher Sozialhilfeträger (BAGüS, 2019). Im Jahr 2017 nahmen circa 51 Prozent der leistungsberechtigten Personen Angebote im Rahmen des stationär betreuten Wohnens wahr, circa 49 Prozent nutzten Angebote des ambulant betreuten Wohnens (ebd.). Mit Blick auf unterschiedliche Formen der Behinderung zeigt sich, dass v.a. Menschen mit geistiger Behinderung in stationär betreuten Wohneinrichtungen untergebracht sind (Polsfuß, 2019). Im Jahr 2017 wiesen zwei Drittel aller Leistungsberechtigten im stationär betreuten Wohnen eine geistige Behinderung auf (BAGüS, 2019). Menschen mit ambulanter Unterstützung im eigenen Wohnraum hatten hingegen nur zu circa 25 Prozent eine geistige Behinderung (ebd.).
Studien zu Lebensqualität und Wohlbefinden in unterschiedlichen Wohnformen
Mehrere Studien untersuchten die Lebensbedingungen von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in stationären Wohneinrichtungen einerseits und kleineren gemeindeintegrierten oder ambulant betreuten Wohnarrangements andererseits (Walsh et al., 2010; zusammenfassend: Kozma, Mansell & Beadle-Brown, 2009). Hierbei erwiesen sich gemeindeintegrierte und ambulant betreute Wohnformen in Hinblick auf unterschiedliche Indikatoren als überlegen gegenüber stationären Wohnarrangements: So gaben die Nutzer_innen ambulanter Wohnformen eine höhere Lebensqualität als die Bewohner_innen stationärer Einrichtungen an, z.B. in Hinblick auf ihre persönliche Entscheidungsfreiheit und Zufriedenheit, soziale Kontakte, die Partizipation am Gemeindeleben sowie der Weiterentwicklung individueller Fähigkeiten (ebd.). Kritisch anzumerken ist jedoch, dass sich die günstigen Effekte gemeindeintegrierter Wohnformen und ambulanter Unterstützungsleistungen insbesondere bei Personen mit einem vergleichsweise hohen Niveau adaptiver Fähigkeiten zeigen. Die Prognose für Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf oder deutlichen Verhaltensauffälligkeiten außerhalb des nicht-stationären Settings fällt hingegen negativer aus (Kozma et al., 2009; Weber, Jahncke-Latteck & Röh, 2011). Diesbezüglich seien limitierte personelle Ressourcen und Betreuungszeiten sowie ein Mangel an professioneller Assistenz in ambulanten Wohnarrangements kritische Faktoren (ebd.). Die Schließung größerer Einrichtungen zugunsten des gemeindeintegrierten Wohnens führe dementsprechend nicht zwangsläufig zu Verbesserungen in punkto Wahlfreiheit, Inklusion oder Zugang zur Gesundheitsfürsorge (Beadle-Brown, Mansell & Kozma, 2007; Chowdhury & Benson, 2011).

Forschungsfrage

Im Kontext der aufgezeigten Ansprüche und Realitäten selbstbestimmten Wohnens für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eruiert die vorliegende Studie inklusions- und teilhabekritische Aspekte aus der Perspektive von Berater_innen mit und ohne Behinderung. Fokussiert wird folgende übergreifende Fragestellung: Inwiefern können die biographischen und professionellen Erfahrungen der interviewten Berater_innen den Beratungsprozess – insbesondere vor dem Hintergrund der emanzipatorischen Ansprüche der Peer-Beratung – bereichern? Hierbei werden folgende Teilaspekte den Blick genommen:
(1) Beratungsrelevante biographische Erfahrungen in Bezug auf Veränderungen in der Wohnsituation sowie Wahrnehmung von Selbst- und Fremdbestimmung in diesbezüglichen Entscheidungsprozessen
(2) Zufriedenheit der Peer-Berater_innen mit ihrer Wohnsituation und diesbezügliche Kritikpunkte
(3) Rollen-Verständnis der Beratenden mit und ohne Behinderung, v.a. mit Blick auf die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen

2. Methode

Stichprobe

An der Untersuchung beteiligten sich sechs Peer-Berater_innen (drei Frauen und drei Männer). Ihr Alter lag zwischen 24 und 54 Jahren, mit einem mittleren Alter von 34,6 Jahren. Alle Peer-Berater_innen arbeiteten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Daneben waren zwei Teilnehmer_innen in der Selbstvertretung engagiert, z.B. im Heimbeirat oder als stellvertretende Frauenbeauftragte. Die drei teilnehmenden Tandem-Partner_innen ohne kognitive Beeinträchtigung (zwei Frauen und ein Mann) waren zwischen 34 und 42 Jahre alt, bei einem mittleren Alter von 38 Jahren. Sie arbeiteten hauptberuflich in der Wohnberatung für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen. Die Dauer der Berufserfahrung in der Behindertenhilfe variierte zwischen einem, fünf und 16 Jahren.

Studiendesign und methodische Umsetzung

Die Untersuchung ist qualitativ angelegt und eruiert die subjektiven Sichtweisen der Peer-Berater_innen mit kognitiver Beeinträchtigung sowie der Tandem-Partner_innen. Im Kontext wohnbezogener Veränderungs- und Entscheidungsprozesse im Leben von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sollen sowohl biographische als auch professionelle Erfahrungen rekonstruiert werden (Flick, von Kardorff & Steinke, 2017). Die Interview-Partner_innen können hierbei als „Kristallisationspunkte [themenrelevanter biographischer Erfahrungen und] praktischen Insiderwissens betrachtet“ werden (Bogner & Menz, 2002, S. 7). Die Transkription der circa einstündigen Leitfadeninterviews erfolgte gemäß Kuckartz (2019), wobei eine leichte Glättung von Sprache und Zeichensetzung vorgenommen wurde. Ausgewertet wurden die Interview-Transkripte entsprechend der „inhaltliche[n] Strukturierung“ nach Mayring (2010, S. 98). Auf Basis der in der Literatur beschriebenen Kritikpunkte in Hinblick auf die Wohnbedingungen von Menschen mit Behinderungen wurde ein anfängliches Kategoriensystem deduktiv hergeleitet. Ergänzt wurde das Analyseschema um induktive, aus dem Interviewmaterial extrahierte Subkategorien (Mayring, 2010, S. 59).

3. Ergebnisse

Einen Überblick über die Auswertungskategorien und die jeweiligen Nennungshäufigkeiten bietet Tabelle 1. Kategorisiert wurden die extrahierten Interviewaussagen durch zwei zuvor geschulte Personen. Diese erzielten eine gute Interrater-Übereinstimmung, entsprechend einem Cohens Kappa von .75 (Bortz & Döring, 2006, S. 277).
Tabelle 1: Analysekategorien und Personenzahl, die den entsprechenden Aspekt nennt.


Veränderungen in der Wohnsituation und Partizipation an Entscheidungsprozessen

Perspektiven der Peer-Berater_innen (N = 6)

  • Assoziierte Gefühle: Aufbruchsstimmung (2); Unsicherheit und Ambivalenz (2); Überforderung (3)
  • Gründe für die Veränderung der Wohnsituation: Überlastung von Bezugspersonen (1); Wunsch nach persönlicher Freiheit und Autonomie (4); Konflikte mit Eltern (3)
  • Persönliche Partizipation an Entscheidungsprozessen: Eigeninitiative und eigenständige Entscheidung (3); Fremdinitiative und von außen beeinflusste Entscheidungsfindung (2); Retrospektiv nicht eindeutig klassifizierbar (1)

Perspektiven der Tandem-Partner_innen (N = 3)

  • Gründe für die Veränderung der Wohnsituation: Auszug aus dem Elternhaus (3); Unzufriedenheit mit aktueller Wohnform (3)
  • Partizipation von Menschen mit Behinderungen an Entscheidungsprozessen: Dominante Rolle der Angehörigen (v.a. Eltern) im Entscheidungsprozess (3); Ideal größtmöglicher Selbstbestimmung und Partizipation (3); Gesellschaftlicher Trend zu mehr Selbstbestimmung (2)

Tabelle 1: Analysekategorien und Personenzahl, die den entsprechenden Aspekt nennt.


Zufriedenheit mit der aktuellen Wohnsituation

Perspektiven der Peer-Berater_innen (N = 6)

  • Aktuelle Wohnform: Wohnheim (2), Außenwohngruppe (1), inklusive Wohngemeinschaft (1), ambulant betreutes Einzelwohnen (2)
  • Positive Faktoren der aktuellen Wohnsituation: Persönliche Freiheit (3); Gemeinschaft (1); Rückzugsmöglichkeiten (3); Verfügbarkeit von Betreuer_innen (1); Organisation von Freizeitaktivitäten (1); Haltung von Haustieren (1)
  • Negative Faktoren der aktuellen Wohnsituation: Mangel an Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre, u.a. Lärmbelästigung durch oder Konflikte mit Mitbewohner_innen (3); sozialer Rückzug (1); Konflikte mit Nachbar_innen (1)

Subjektive Vorstellungen zur Berater_innen-Rolle

Perspektiven der Peer-Berater_innen (N = 6)

  • Der Ratsuchende im Fokus: Erfragen individueller Wünsche (6) und persönlicher Unterstützungsbedarfe (3 ); Eingehen auf den Ratsuchenden (3); realistisches Feedback (1).
  • Gepflegtes äußeres Erscheinungsbild (2)
  • Informiertheit (2)
  • Umgang mit eigener Anspannung (1)

Perspektiven der Tandem-Partner_innen (N = 3)

  • Der Ratsuchende im Fokus: Erfragen individueller Wünsche (3) und persönlicher Unterstützungsbedarfe (3); Berater_in als „Pfadfinder“, der gemeinsam mit dem Klienten individuelle Lösungswege erkundet (1)
  • Vermittler_in zwischen Menschen mit Behinderungen und ihren Eltern (3) sowie zwischen persönlichen Wünschen und deren Umsetzbarkeit (1)
  • Anwalt/Anwältin bzw. Fürsprecher_in des Menschen mit Behinderung (1)
  • Zielorientierung (1)
  • Praktisches Vorgehen: Einfache Sprache (2), Materialien und Methoden zur Visualisierung und Konkretisierung (2)
  • Theoretische Konzeptionen zur Gesprächsführung (1): Personzentrierte Gesprächsführung, lösungsorientierte und systemische Beratung, Konzept der „So-und-so-Beratung“

Veränderungen in der Wohnsituation und Partizipation an Entscheidungsprozessen

Die Peer-Berater_innen unterscheiden sich in Hinblick auf ihre bisherige Wohnbiographie und ihr Alter zum Zeitpunkt des Auszuges aus dem Elternhaus. Die Initiative zum Auszug ging in vier Fällen von den Interviewpartner_innen selbst aus. In zwei Fällen wurde ein Auszug durch Betreuer_innen oder Familienangehörige angeregt.
Perspektiven der Peer-Berater_innen: Aufbruchsstimmung sowie der Wunsch nach persönlicher Freiheit und Autonomie treten in mehreren Interviews hervor. Eine Interviewpartnerin beschreibt beispielhaft, dass die Initiative zum Auszug von ihr ausging. Damals sei es oft zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und ihren Eltern gekommen und sie habe sich nach mehr persönlichen Freiräumen gesehnt. Nach dem Auszug aus dem Elternhaus habe sie ihre neuen „Freiheiten […] genossen“ und sich „anfänglich wohl gefühlt“ (PB2). Ein älterer Peer-Berater berichtet, erst mit 38 Jahren aus der Wohnung der Mutter ausgezogen zu sein. Motiviert habe ihn der Wunsch, selbstständig zu sein und „auf eigenen Füßen [zu] stehen“ (PB5). Die Entscheidung für einen Auszug habe er selbst getroffen und trotz einiger Zweifel seines sozialen Umfeldes durchgesetzt.
In den Erzählungen von zwei Peer-Beraterinnen dominieren v.a. Gefühle von Unsicherheit und Ambivalenz, die mit Veränderungen in der persönlichen Wohnsituation in Verbindung standen. Eine Befragte schildert, dass infolge einer Überlastungssituation ihrer Mutter ein Auszug sehr schnell in die Wege geleitet wurde. Hierbei hatte sie das Gefühl, unter Entscheidungsdruck zu stehen. Damals habe sie die Situation so verstanden, dass das Gericht sie zu einem Auszug zwinge (PB1):
„Eigentlich bin ich ja erst mit 21 ausgezogen, weil ich dachte: Ja natürlich musst du jetzt irgendwann ausziehen. […] Du hast eine Betreuerin vom Gericht. Das Gericht sitzt dir im Nacken. Du musst das hier erreichen und du willst aber nicht.“ (PB1)
Da sie sich durch die Entscheidungssituation überfordert gefühlt habe, habe sich die Peer-Beraterin dem Rat einer Betreuerin angeschlossen und sei in ein Wohnheim gezogen. Eine andere Peer-Beraterin beschreibt ambivalente Gefühle, die mit ihrem Umzug in die erste eigene Wohnung verbunden gewesen seien: Einerseits habe sie Angst verspürt. Andererseits habe sie die Tatsache, dass ihr die Eltern den Auszug nicht zugetraut hätten, motiviert:
„Ich wollte auch ausziehen und hatte schon auch Angst davor. […] Meine Eltern haben mir das auch nicht zugetraut und das hat mich aber motiviert.“ (PB2)
Drei Peer-Berater_innen berichten von Überforderungserleben in einstigen Wohnarrangements  und von einem assoziierten Wechsel der Wohnform. Eine Interview-Partnerin erzählt, mit 16 Jahren von ihren Großeltern in eine Außenwohngruppe gezogen zu sein. Sie sei damals durch eine Betreuerin beraten worden und sie hätten gemeinsam eine Entscheidung getroffen. In der neuen Wohnumgebung habe sich die Interviewpartnerin überfordert gefühlt, weshalb sie später von der Außenwohngruppe in ein Wohnheim umgezogen sei. Ein anderer Peer-Berater berichtet von einem konfliktbehafteten familiären Umfeld. Er erinnert sich, dass er seine Auszugsentscheidung allein gefällt habe. Beim Umzug in eine eigene Wohnung habe er sich im 18. Lebensjahr jedoch selbst überschätzt. Unter anderem sei es ihm schwer gefallen, Ordnung zu halten. Der Interviewte erzählt, dass er bereits mehrere Stationen in seiner persönlichen Wohnbiographie erlebt habe: Zunächst in der eigenen Wohnung, dann im Wohnheim und aktuell in der Außenwohngruppe. Eine weitere Peer-Beraterin bezog nach dem Auszug von den Eltern zunächst eine eigene Wohnung. Trotz einer zwischenzeitlich installierten stundenweisen ambulanten Wohnbetreuung habe sie hier zunehmend einen Mangel an alltagspraktischer Unterstützung und soziale Isolation erfahren.
Perspektiven der Tandem-Partner_innen: Die Tandem-Partner_innen beschreiben, dass der Auszug aus dem Elternhaus den primären Beratungsanlass darstellt. Folglich handle es sich bei vielen Ratsuchenden um Menschen mit einer Behinderung, die noch im Elternhaus leben, beziehungsweise um ihre Angehörigen. Das Alter der Personen, für die neue Wohnperspektiven gesucht werden, variiere. Ein kleinerer Teil der Beratungen betreffe Personen, die bereits aus dem Elternhaus ausgezogen und mit ihrer aktuellen Wohnform unzufrieden seien.
Die Tandem-Partner_innen nehmen zumeist die Eltern als federführend im Entscheidungsprozess für oder gegen eine bestimmte Wohnform wahr. Ihr persönliches Ideal bestehe jedoch darin, dass der Mensch mit Behinderung eine selbstbestimmte Entscheidung treffe. Diesem Ideal seien jedoch dort Grenzen gesetzt, wo Betroffene unrealistische Vorstellungen verfolgten oder ihren persönlichen Unterstützungsbedarf unterschätzten:
„Natürlich sollte immer der Mensch mit Behinderung selbst entscheiden. Es ist aber manchmal auch einfach so, dass Traum von umsetzbarer Realität nicht unterschieden werden kann […]. Also dass man sich selber vielleicht sehr viel mehr Dinge zutraut, als sie in der Realität gezeigt werden.“ (TP1)
Wenn eine eigenständige Entscheidung nicht möglich sei, so sei zumindest darauf zu achten, dass der Mensch mit Behinderung „auf jeden Fall sehr intensiv“ in den Prozess „mit eingebunden“ werde (TP3). Zudem müsse die Entscheidung vom Familiensystem getragen werden (TP2). In der Realität komme eine Entscheidungsfindung über den Kopf des Betroffenen hinweg aber ebenfalls vor:
„Im Bestfall entscheidet der Mensch mit Behinderung. Im meisten Fall ist es eine Mischung aus dem, was die Angehörigen wollen, dem was wir [als Berater_innen] als machbar sehen und der Meinung des Menschen mit Behinderung. Es ist aber schon auch durchaus nicht selten so, dass es einfach die Angehörigen entscheiden.“ (TP1)
Obgleich die Interviewten den Angehörigen und Betreuer_innen eine dominante Rolle in wohnbezogenen Entscheidungsprozessen zuschreiben, wird auch ein gesellschaftlicher Trend bzw. „Umbruch“ hin zu mehr Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung wahrgenommen (TP2). In diesem Kontext erklärt ein Tandem-Partner, dass eine von außen herangetragene Forderung nach Selbstbestimmung zumindest einzelne Menschen mit geistiger Behinderung überfordere. Er beschreibt, dass sich einige Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oft in einem Gefühl der „Ambivalenz“ befänden und bestrebt seien, es anderen Personen Recht zu machen, um „nicht in einen Konflikt zu kommen“ (TP3). Selbstkritisch konstatiert er, dass selbstverständlich auch er in seiner Rolle als Berater, diese Verhaltenstendenz der widerspruchslosen Einwilligung im Gegenüber auslösen könne. Einigen Personen mit kognitiver Beeinträchtigung sei gar nicht bewusst, dass sie selbst entscheiden dürften und sie seien teilweise erleichtert, wenn ihnen Entscheidungen abgenommen würden. In jedem Einzelfall sei kritisch abzuwägen, inwiefern eine autonome Entscheidungsfindung tatsächlich den Bedürfnissen des jeweiligen Individuums entspreche:
„Allerdings glaube ich auch oft, dass der Mensch mit Behinderung […] zur Entscheidung gedrängt wird. […] Was ja auch so ein bisschen […] typisch ist in unserer Gesellschaft […] aktuell […], dass wir sagen: Menschen müssen immer mehr entscheiden, immer wieder eine Entscheidung treffen. […]. Die Frage ist: Will das der Mensch immer […] oder kann er das auch?“ (TP3)

Zufriedenheit mit der aktuellen Wohnsituation

Bei der Beurteilung ihrer aktuellen Wohnsituation thematisierten die Peer-Berater_innen v.a. das Spannungsverhältnis von persönlicher Freiheit und benötigter Unterstützung sowie die Balance zwischen Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeiten. In Bezug auf das Wohnheim werden u.a. die 24-Stunden-Betreuung und die prinzipielle Möglichkeit, sich an die dortigen Betreuer_innen zu wenden, positiv gesehen. Allerdings bedürfe dies einer persönlichen Vertrauensbasis, die nicht in jedem Fall gegeben sei. Eine im Wohnheim lebende Teilnehmerin formuliert:
„Wenn man Probleme hat, dass dann die Betreuer zur Seite stehen und sagen: ‚Komm wir reden dann mal.‘ Das finde ich dann gut. Also, dass man dann wirklich zu den Betreuern gehen könnte. Was ich aber nicht tue, weil ich nicht so ein Vertrauen habe.“ (PB1)
Eine andere Befragte hebt die Möglichkeit zur Teilnahme an Freizeitangeboten im Wohnheim als positiven Aspekt hervor. Das Zusammenleben in einer größeren Gruppe (17 bzw. 36 Personen im Fall von zwei Peer-Beraterinnen) bedingt jedoch, dass es zu Konflikten komme. Als weitere Beeinträchtigungen der Wohnqualität im Wohnheim wird die teilweise vorhandene Doppelzimmer-Situation kritisch gesehen, da hiermit ein Mangel an Rückzugsmöglichkeiten sowie Lärmbelästigungen einhergehen. Das Zusammenleben mit neun Mitbewohnern stellt auch für einen in einer Außenwohngruppe lebenden Peer-Berater einen Punkt der Unzufriedenheit dar. Insbesondere nach der Arbeit reagiere er genervt auf seine Mitbewohner.
Eine Studienteilnehmerin, die in einer inklusiven Wohngemeinschaft lebt, spricht von einer sehr hohen Wohnzufriedenheit. In der Wohngemeinschaft leben sechs Personen mit einer Behinderung und vier Studierende ohne Behinderung zusammen. Für die Befragte tragen insbesondere die gemeinsamen Haustiere maßgeblich zur Wohnqualität bei. Als weitere positive Faktoren hebt sie ihre persönliche Freiheit sowie eine gute Balance von Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeiten hervor:
„Vor allem finde ich gut, dass man die Gemeinschaft hat. […] Und wenn man aber seinen Rückzug braucht, den trotzdem hat. Und ich eben meine Freiheiten nicht aufgeben musste […]. Und wenn ich mich […] allein fühle und Gemeinschaft haben möchte, gehe ich halt herunter.“ (PB2)
Die entsprechende Gemeinschaft betrachtet sie als wichtig, um ihre depressiven Phasen und sozialen Rückzugstendenzen abzumildern:
„Was ich eben gut finde an der Wohngemeinschaft, dass wenn ich eben doch mal in so ein Tief rutsche, also wenn ich mich zu sehr zurückziehe, dann kommen sie auch klopfen und fragen immer, ob alles gut ist. Oder dann reden wir eben auch mal zusammen.“ (PB2)
Die beiden ältesten Studienteilnehmer wohnen in einer eigenen Wohnung mit stundenweiser ambulanter Betreuung und zeigen sich zufrieden mit diesem Arrangement. Die persönliche Freiheit und Ruhe werden als besonders positiv hervorgehoben. In Bezug auf seine Wohnsituation problematisiert ein Teilnehmer seine Tendenz zu sozialem Rückzug. Er wohne „ein bisschen zurückgezogen“ und „habe wenig Kontakt zu den Nachbarn“ (PB6). Zudem komme es zu Konflikten mit einer anderen Mieterin, die sich daran störe, dass er Leergut im Hausflur sammle.

Subjektive Vorstellungen zur Berater_innen-Rolle

Sowohl die Peer-Berater_innen als auch die Tandem-Partner_innen betonen, in ihrer Beratungstätigkeit die betroffene Person mit Behinderung und ihre Anliegen in den Fokus zu stellen.
Perspektiven der Peer-Berater_innen: In Bezug auf ihre persönlichen Vorstellungen von Beratung erklären die Peer-Berater_innen, dass der ratsuchende Mensch mit Behinderung, seine Wohnwünsche und sein Unterstützungsbedarf im Zentrum stehen. Eine Peer-Beraterin formuliert beispielhaft:
„Dann frage ich denjenigen vorher, was / was er kann. […] Wie er wohnen möchte, was er sich gut vorstellen und was er sich nicht so gut vorstellen [kann].“ (PB4)
Es gelte, auf den Ratsuchenden einzugehen und hierbei eine freundliche Grundhaltung an den Tag zu lagen. Zudem seien Ratsuchenden realistische Rückmeldung zu geben, wenn diese sich z.B. hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zur Selbstversorgung überschätzten. Dabei sei es nötig, alternative Wohnformen freundlich anzubieten und zu fragen: „Naja, könntest du dir das nicht vielleicht auch vorstellen?“ (PB2)
In Bezug auf ihr Auftreten in der Berater_innen-Rolle verweisen zwei Peer-Berater_innen auf ein angemessenes äußeres Erscheinungsbild, u.a. auf ordentliche Kleidung, einen guten Geruch und eine aufrechte Körperhaltung. Eine Teilnehmerin beschreibt:
„Auf die Hygiene [sollte man achten] und […] darauf, was man anhat, ordentliche Sachen, die nicht dreckig sind oder kaputt sind und die Sitzhaltung.“ (PB4)
Zwei weitere Peer-Berater_innen betonen, dass sie im Vorfeld einer Beratung Informationen zu den Anliegen des Ratsuchenden einholen würden. Als persönliche Herausforderung in der Berater_innen-Rolle beschreibt ein Projektteilnehmer v.a. die Regulation der eigenen Anspannung.
Perspektiven der Tandem-Partner_innen: Die Tandem-Partner_innen unterstreichen ebenfalls, dass die individuellen Wünsche und Unterstützungsbedarfe der ratsuchenden Person mit Behinderung genau zu eruieren seien. Eine Grundvoraussetzung hierfür sei die Anwesenheit der entsprechenden Person. Eine ausschließliche Angehörigenberatung erachten die Interviewten als ungünstig. Schwierig gestalte sich die Erfassung individueller Wünsche bei einer eingeschränkten verbalen Ausdrucksfähigkeit der ratsuchenden Person. Beratende hätten sich ein realistisches Bild über bestehende Kompetenzen zur eigenständigen Lebensführung und die diesbezügliche Lernfähigkeit zu verschaffen. Ferner sei die Verfügbarkeit finanzieller und personeller Ressourcen zu prüfen, um bestimmte Wohn- und Unterstützungsarrangements umzusetzen. Auf dieser Basis sei ein Abgleich zwischen Wunsch und Realität anzuregen. Weiterhin heben die Tandem-Partner_innen hervor, dass es wichtig sei, nicht mit einer „vorgefertigten Meinung“ oder Standardlösungen in den Beratungsprozess zu gehen (TP2), sondern sich an der Individualität und den individuellen Bedürfnissen der zu beratenden Person zu orientieren. Ein Projektteilnehmer formuliert, dass er sich in seiner Berater-Rolle als „Pfadfinder“ verstehe, dessen Aufgabe es sei, „die Wünsche des Ratsuchenden zu erforschen, gemeinsam zu erforschen“ (TP3) und dann mögliche Wege der Realisierung aufzuzeigen.
Weiterhin verstehen sich die Tandem-Partner_innen als Vermittler_innen, wenn es in der Beratung zu Interessenskonflikten komme. Entsprechende Meinungsverschiedenheiten bezögen sich zumeist auf das Autonomiestreben des Menschen mit Behinderung auf der einen Seite und dem elterlichen Wunsch nach einer engmaschigen Versorgung ihres Sohnes bzw. ihrer Tochter auf der anderen Seite. Eine Beraterin beschreibt:
„Das ist der Hauptkonflikt mit dem Unterstützungsbedarf, dass einfach Menschen mit Behinderung sich ein sehr viel freieres Leben vorstellen, als vielleicht die Eltern es ihnen zutrauen.“ (TP1)
Es sei darauf zu achten, dass alle Sichtweisen, insbesondere die des betroffenen Menschen mit Behinderung, Gehör finden. Die Tandem-Partner_innen bemühten sich hierbei darum, allen beteiligten Personen Wertschätzung entgegenzubringen und eine konsens- und lösungsorientierte Atmosphäre zu schaffen:
„[Es ist wichtig,] dass niemand das Gefühl hat, dass irgendetwas gegeneinander funktioniert. […] Wir müssen […] versuchen, […] alle irgendwie in ein Boot zu kriegen. […] [Es ist wichtig] […], dass wir die Meinung des Anderen auch hören und dass wir das auch wahrnehmen.“(TP1)
Ein Tandempartner formuliert, dass er als „Anwalt“ und „Fürsprecher für den Menschen mit Behinderung“ fungieren wolle (TP3). Ihm sei es ein Anliegen, im Rahmen einer „menschenrechtsbasierte[n], soziale[n] Arbeit“ für das Recht von Menschen mit Behinderung auf eine selbstbestimmte Lebensführung einzutreten (TP3). Eine Interviewpartnerin führt jedoch einschränkend aus, dass eine alleinige und unreflektierte Parteilichkeit für den Menschen mit Behinderung oft kontraproduktiv sei, da die Gefahr bestehe, dass die Angehörigen den Beratungsprozess abbrechen, falls sie sich nicht ausreichend ernst genommen fühlen.
Des Weiteren betont eine Interviewte, dass eine Beratung relevante Informationen vermitteln und konkrete Vereinbarungen und Handlungspläne nach sich ziehen solle. Diese Zielorientierung beschreibt die Tandem-Partnerin wie folgt:
„Dass man nicht rausgeht, ohne irgendwelche Vereinbarungen getroffen zu haben oder den Anfang eines Weges gefunden zu haben. […] Also dass die Menschen, die kommen, dann auch wieder gehen (a) mit mehr Wissen und (b) auch mit einer Art Plan, wie es jetzt weitergehen könnte.“ (TP1)
In Bezug auf das praktische Vorgehen im Beratungsprozess sehen die Tandem-Partner_innen die Benutzung von leichter Sprache als wesentlich an. Dies setze eine bewusste Verwendung von Sprache und oftmals eine konkrete Klärung von verwendeten Begriffen voraus. Hierbei seien auch speziell adaptierte Methoden und Materialien zur Visualisierung und Konkretisierung beratungsrelevanter Themen wichtig.
Ein Tandem-Partner verweist in Bezug auf die Beratung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung explizit auf theoretische Konzeptionen zur Gesprächsführung, wie z.B. die personzentrierte Gesprächsführung sowie lösungsorientierte und systemische Beratungsansätze (TP3). Bei diesen sei jedoch eine Adaption an die Zielgruppe von Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen unerlässlich, beispielsweise über Elemente der „So-und-so-Beratung“ (Stahl, 2015). Ein zu starker Fokus auf der kognitiven Ebene sei ungeeignet.

4. Diskussion

Die durchgeführte Interviewstudie verweist auf vielfältige biographische und professionelle Erfahrungen der Berater_innen, die das Spannungsfeld von Bevormundung und selbstbestimmter Lebensführung betreffen. Es ist davon auszugehen, dass die in den Interviews exemplarisch zu Tage tretenden Erfahrungen von Selbst- und Fremdbestimmung sowie Gefühle der Ambivalenz in Bezug auf Veränderungen der individuellen Wohnsituation keine Einzelfälle darstellen. Die Peer-Berater_innen und Ratsuchenden teilen behinderungsassoziierte Erfahrungshintergründe. Diese geteilten Erfahrungen haben das Potenzial, den Beratungsprozess zu bereichern – insbesondere in Hinblick auf die emanzipatorischen Ansprüche der Peer-Unterstützung.

Zwischen Autonomie und Angewiesenheit auf Unterstützung

Mehrere Peer-Berater_innen betonen ihren Wunsch nach Autonomie und Freiheit, der zu Veränderungen in ihrem Wohnumfeld geführt habe. Die Partizipation an diesbezüglichen Entscheidungsprozessen fiel jedoch unterschiedlich aus: Vier Peer-Berater_innen gaben an, die entsprechende Entscheidung selbst gefällt zu haben, wobei das soziale Umfeld ihnen das eigenständige Wohnen teilweise nicht zugetraut habe. Eine Interview-Partnerin spricht von einem gemeinsamen Entscheidungsprozess mit ihrer gesetzlichen Betreuerin. Die jüngste Teilnehmerin hingegen fühlte sich zum Auszug aus der elterlichen Wohnung gedrängt. Vor dem Hintergrund der geschilderten Erfahrungen eröffnet die Peer-Beratung eine Chance, Autonomie-Bestrebungen von Personen mit Behinderungen zu unterstützen und für Hilflosigkeits- und Bevormundungserfahrungen zu sensibilisieren. Ferner können die Peer-Berater_innen als Rollenvorbilder und Modelle zur Bewältigung wichtiger Entwicklungsherausforderungen fungieren, z.B. in Hinblick auf die Emanzipation von einem bevormundenden sozialen Umfeld (Hermes, 2016). Weiterhin ist zu beachten, dass in traditionellen Beratungskontexten – durch die Anwesenheit von Eltern und hauptberuflichen Berater_innen – Menschen ohne Behinderung häufig in der Überzahl sind. Dieses Verhältnis gestaltet sich in der hier praktizierten Tandem-Beratung ausgeglichener. Die Mitarbeit von Peer-Berater_innen stellt somit einen wichtigen Schritt hin zu einer Beratung auf Augenhöhe und einer selbstbestimmten Entscheidungsfindung in Wohnfragen dar.
Als kritische Zufriedenheitsfaktoren im Kontext „Wohnen“ reflektierten die interviewten Peer-Berater_innen vor allem die Bewahrung der persönlichen Freiheit sowie eine individuell passende Balance zwischen Gemeinschaftsaktivitäten und Rückzugsmöglichkeiten. In Übereinstimmung mit früheren Forschungsbefunden (Kozma et al., 2009) zeichnete sich eine leicht positivere Bewertung ambulanter Wohnformen ab. Einzelne Peer-Berater_innen verweisen jedoch auch auf die Risiken der sozialen Vereinsamung und Überforderung im Alltag beim individuellen Einzelwohnen. Die tendenziell stärkere Favorisierung ambulanter Wohnformen und die etwas ausgeprägtere Kritik am Wohnheim stehen vermutlich mit dem vergleichsweise hohen Funktionsniveau und adaptiven Fähigkeiten der am Projekt teilnehmenden Peer-Berater_innen in Bezug. Wie u.a. Beadle-Brown et al. (2007) und Kozma et al. (2009) ausführen, können ambulante Wohnarrangements für Menschen mit intensiverem Unterstützungsbedarf jedoch auch nachteilig sein. Im Idealfall kann der erfahrungsbasierte Austausch über unterschiedliche Wohnoptionen dazu beitragen, dass Ratsuchende leichter eine individuell passende Wohnform finden, ohne sich selbst zu über- oder unterschätzen.

Der ratsuchende Mensch mit Behinderung im Fokus

In Bezug auf ihr individuelles Rollenverständnis in der Beratung betonten die Peer-Berater_innen – in Übereinstimmung mit den hauptberuflich tätigen Tandem-Partner_innen –, dass der Mensch mit Behinderung, seine individuellen Unterstützungsbedarfe und Wohnwünsche im Mittelpunkt der Beratung stehen. Hierbei deutete sich bei allen angehenden Peer-Berater_innen ein dialogisches Grundverständnis von Beratung an, bei welchem die Perspektiven der Ratsuchenden und ihre individuellen Voraussetzungen genau zu eruieren seien. Die Tandempartner_innen betonten ebenfalls die elementare Bedeutung einer an den Klient_innen orientierten Grundhaltung. Ferner verstanden sie sich als Vermittler_innen zwischen persönlichen Wünschen und einer realistisch umsetzbaren Wohn-Perspektive. Obgleich die Eltern oft als federführend im Entscheidungsprozess für oder gegen eine bestimmte Wohnform angesehen wurden, nahmen die hauptamtlich tätigen Berater_innen einen gesellschaftlichen Trend hin zu mehr Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung wahr.
Ein Tandem-Partner verwies explizit auf theoretische Konzeptionen der Gesprächsführung, wie z.B. die personzentrierte Gesprächsführung nach Rogers (2009) sowie lösungsorientierte und systemische Beratungsansätze (de Shazer, 2012). Die personzentrierte Gesprächsführung mit ihren Grundvariablen der Empathie, Wertschätzung und Kongruenz harmoniert mit dem Konzept der Peer-Beratung (Hermes, 2016). Gleiches gilt für die erwähnten lösungsorientierten und systemischen Beratungsansätze, die – anstelle einer defizitorientierten Problemanalyse – eher auf Ressourcen und Ziele von Klient_innen fokussieren. Hiermit korrespondierend lehnt auch die Peer-Beratung eine Pathologisierung von Ratsuchenden ab und möchte zu Empowerment und Selbsthilfe befähigen (ebd.). Zur Adaption der Beratung an die Zielgruppe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung empfohlen die Tandem-Partner_innen u.a. die Verwendung einer einfachen Sprache sowie visualisierende Materialien. Als spezifischer Beratungsansatz in diesem Kontext wird die „So-und-so-Beratung“ von Stahl (2015) angeführt. In diesem Beratungskonzept werden u.a. Bildkarten eingesetzt, die z.B. „innere Helfer“ oder Persönlichkeitsanteile und Entwicklungspotenziale visualisieren.

Betrachtung des Modellprojektes in Hinblick auf inklusive Zielsetzungen

Unter inklusiven Gesichtspunkten betrachtet, bietet das realisierte Modellprojekt wertvolle Impulse. Es ergeben sich aber auch zu reflektierende Spannungsfelder, die im Folgenden exemplarisch aufgegriffen werden: Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, nimmt das Projekt Forderungen der UN-BRK nach Selbstbestimmungs- und Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auf. Bezüglich einer Normalisierung der Wohnverhältnisse von Erwachsenen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist jedoch kritisch anzumerken, dass – trotz des offiziellen Rechtsanspruches auf die freie Wahl von Wohnort und Wohnform – Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen praktisch begrenzt sind, da unterschiedliche Angebote nicht in ausreichender Menge vorhanden sind (Schmuhl & Winkler, 2018, S. 50).
Im Diskurs um eine möglichst selbstbestimmte Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderungen ist ferner das Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit bzw. Angewiesenheit auf Unterstützung differenziert auszuhandeln: Mit ihren Forderungen nach Chancengleichheit, Teilhabe, Autonomie und Selbstbestimmung steht die Inklusion in der Tradition der Bürgerrechtsbewegung (Hinz, 2002). Die konkrete Ausgestaltung entsprechender Zielvorstellung erweist sich jedoch als vielschichtig: So erfordert eine autonome Lebensführung spezifische Kompetenzen, z.B. in punkto Selbstversorgung, Alltagsorganisation oder Finanzen. Zur Bewältigung entsprechender Lebensbereiche sind Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen häufig auf Unterstützung angewiesen. Eine Verabsolutierung von Autonomie- und Normalitäts-Imperativen erscheint in diesem Kontext dysfunktional bzw. realitätsfern (Fornefeld, 2013). Zudem geht Autonomie, v.a. ohne eine angemessene Assistenz, nicht zwangsläufig mit einer Steigerung an Lebensqualität einher (Beadle-Brown et al., 2007; Kozma et al., 2009). Wilken (2017, S. 181) gibt ferner zu bedenken, dass die zunehmende Tendenz zu autonomeren ambulanten Wohnformen „nicht unter der Hand […] [zu einem] Sparmodell zur Entlastung der Sozialsysteme und der öffentlichen Haushalte“ werden dürfe. Eine Auflösung von Sonderinstitutionen kann – insbesondere für Personen mit schweren und Mehrfachbehinderungen – einen Verlust adäquater Unterstützungsstrukturen bedingen (ebd.).
Ebenso ist kritisch zu reflektieren, dass die Peer-Berater_innen innerhalb aktuell bestehender Rahmenbedingungen und Strukturen beraten. Obgleich sowohl die Peer-Berater_innen als auch die Tandem-Partner_innen explizit keine spezifischen Wohnformen bewerben, ist die Beratung unweigerlich an das real vorhandene Angebotsspektrum gebunden. In Hinblick auf behindernde System- und Interaktionsstrukturen sind ferner Dominanzverhältnisse zwischen Beratenden mit und ohne Behinderung zu vermeiden. Zur Etablierung eines gleichberechtigten Beratungs-Tandems ebenso wie in der Interaktion mit Ratsuchenden ist daher das Verhältnis zwischen notwendiger Unterstützung und paternalistischer Dominanz kontinuierlich zu reflektieren.
In Bezug auf die Erwachsenenbildung und Berufsoptionen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen stellt die Fortbildung im Rahmen der Peer-Beratung einen ersten bescheidenen Schritt dar. Um tatsächliche Wahlmöglichkeiten zu schaffen, sind noch wesentlich vielfältigere Angebote zur entwickeln. Im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsbildung „für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen“ sind zudem nicht nur Maßnahmen der Peer-Unterstützung anzudenken, sondern eine umfassende Umgestaltung des Arbeitsmarktes unter inklusiven Gesichtspunkten (Bundesgesetzblatt, 2008, S. 1427).

Ausblick und Limitationen

Vor dem Hintergrund der durchgeführten Studie ist die Kombination aus biographischem und professionellem Erfahrungswissen innerhalb des Modellprojekts „WOHN-Meisterei – Wohnberatung für und mit Menschen mit Behinderung“ als vielversprechend zu bewerten. Die durch die Tandem-Partner_innen beschriebenen Spannungsfelder und Ambivalenzen im Kontext der Wohnberatung für Menschen mit Behinderungen werden in den biographischen Erfahrungen der Peer-Berater_innen konkret fassbar. Im Sinne der Weiterentwicklung eines persönlichen Rollenverständnisses der Peer-Berater_innen wäre es gegebenenfalls sinnvoll, ihren reichhaltigen Erfahrungsschatz im Kontext „Wohnen“ noch expliziter zu thematisieren: Welche Entscheidungskonflikte und emotionalen Ambivalenzen haben die Peer-Berater_innen im Kontext „Wohnen“ erlebt? Welche Unterstützungsstrukturen, Institutionen oder Personen haben sie damals als Hilfe oder Barriere empfunden?
Der gewählte qualitative Forschungszugang konnte die subjektiven Erlebens- und Erfahrungswelten der Peer-Berater_innen und Tandem-Partner_innen angemessen rekonstruieren und wies dabei Parallelen zu allgemeinen Diskursen um eine selbstbestimmte Lebensführung von Menschen mit Behinderung auf (vgl. u.a. Schmuhl & Winkler, 2018; Theunissen, 2001). Aufgrund der geringen Stichprobengröße lässt die Studie jedoch keine repräsentativen Schlüsse zu. Eine weitere mögliche Limitation besteht in der Tendenz zu sozial erwünschten Antworten. Diese sollte durch Hinweise, dass allein die persönliche Meinung der Teilnehmenden von Interesse ist und dass auch negative Aspekte benannt werden können, abgemildert werden. Als weiterführende Forschungsdesiderate sind perspektivisch v.a. die Bewertungen des Beratungsangebotes durch Ratsuchende sowie repräsentative Befragungen zur Wohnzufriedenheit von Menschen mit Behinderungen zu erheben.

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