Abstract: Ausgehend von differenztheoretischen Überlegungen im Kontext erziehungswissenschaftlicher und soziologischer Theorien wird dis/ability als Differenzkategorie der ethnographischen Unterrichtsforschung dargelegt. Neben der Frage, was es für (inklusive) Unterrichtsforschung bedeutet, differenztheoretisch zu forschen und dabei auf dis/ability als eine spezifische Unterscheidung zu rekurrieren, wird anhand ausgewählter empirisch-rekonstruktiver Studien die Funktion der Differenzkategorie dis/ability für den inklusiven Unterricht diskutiert. In diesen zeigt sich, dass Behinderung im inklusiven Unterricht performativ dadurch hergestellt wird, dass bestimmte Schüler*innen im Sinne der unterrichtlichen Leistungsanforderungen als dauerhaft ungenügend fähig gelten. Im inklusiven Unterricht entsteht so eine Differenz von dauerhaft genügend bzw. ungenügend fähigen Schüler*innen. Damit wird deutlich, dass schulische Leistungsanforderungen auch im inklusiven Unterricht die Unterrichtsordnung bestimmen.
Stichworte: Differenz, Dis/ability, Unterrichtsforschung, Ethnographie
Inhaltsverzeichnis
Der vorliegende Artikel betrachtet aus der Perspektive einer differenztheoretischen Unterrichtsforschung die Kategorie dis/ability. Als Unterrichtsforscher*innen interessieren wir uns dabei insbesondere für die Funktion, die Differenzierungen entlang der Unterscheidung von fähig/behindert in einem gegenwärtig von schulischen Akteur*innen und Bildungspolitik als inklusiv bezeichneten Unterricht zukommt: Wann wird die Differenz dis/ability hervorgebracht? In welchem Zusammenhang steht sie mit anderen praktisch wirksam werdenden Unterscheidungen? Und welche Funktion hat dis/ability für die soziale Ordnungsbildung von Unterricht?
Unsere Überlegungen schließen zunächst an differenztheoretische Perspektiven im Kontext soziologischer und erziehungswissenschaftlicher Theorien an (vgl. u.a. Hirschauer und Boll 2017; Rabenstein et al. i.E.; Ricken und Reh 2014; Tervooren und Pfaff 2018), um einerseits auf die Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen differenztheoretischer Unterrichtsforschung hinzuweisen. Andererseits zeigen wir auf, was es für Unterrichtsforschung heißen kann, wenn sich die Bedeutung einzelner Elemente einer (Unterrichts-)Ordnung erst aus ihren Differenzverhältnissen begründet. Neben allgemeinen differenztheoretischen Überlegungen orientieren wir unsere Ausführungen an einer Heuristik ethnographischer Unterrichtsforschung zu Differenz – genauer zur „Rekonstruktion von diskursiven Praktiken des Differenzierens und Normalisierens“[1] (Rabenstein et al. i.E.; Rabenstein und Steinwand 2018) – und an einem kulturellen Modell von Behinderung (Waldschmidt 2017). Diese Modellierungen nutzen wir, um die Befunde rekonstruktiver Unterrichtsforschung, vorrangig zu inklusivem Unterricht (vgl. u.a. Budde 2018; Budde et al. 2016; Fritzsche 2015; Herzmann et al. 2017; Herzmann und Merl 2017), hinsichtlich sichtbar werdender Praktiken und deren Legitimierung sowie eingangs formulierter erkenntnistheoretischer Fragen zu diskutieren.
Der Beitrag gliedert sich entsprechend wie folgt: Zunächst werden wir methodologische Überlegungen dazu anstellen, was es bedeutet, differenztheoretisch zu forschen (Kap. 1)bevor wir dann auf die spezifische Differenz dis/ability bzw. behindert/fähig als eine sozial etablierte Unterscheidung im Kontext von Schule und Unterricht eingehen (Kap. 2). In einem dritten Schritt werden wir Befunde rekonstruktiver Untersuchungen zu Differenz und dis/ability im inklusiven Unterricht vor dem Hintergrund differenztheoretischer Perspektiven im Hinblick auf drei ausgewählte Foki (1.) der Relationalität von dis/ability im Verhältnis zu anderen Differenzierungskategorien, (2.) der Aggregatzustände von Differenzen und (3.) der Omnipräsenz von dis/ability systematisieren (Kap. 3). Abschließend erörtern wir, welche Erkenntnisse sich aus den Untersuchungen bezogen auf die Funktion der Unterscheidung dis/ability für die Aufrechterhaltung und Legitimierung einer unterrichtlichen Leistungsordnung ergeben (Kap. 4).
Ricken und Reh konstatieren, dass sich der Differenzbegriff „von einem bloß untergeordneten Theorem zu einem theoretischen Grundbegriff“ (2014: 26f) in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften gewandelt habe (vgl. auch Tervooren und Pfaff 2018). Als ein solcher Grundbegriff ist er auch für die Unterrichtsforschung zentral geworden. Zentral meint dabei nicht nur, dass sich gegenwärtig eine Vielzahl an Studien findet, die soziale Differenzkategorien zum Gegenstand der Forschung machen. Dies ist beispielsweise im Sinne des ethnomethodologischen Konzepts des doing difference der Fall, wenn rekonstruiert wird, wie in praktisch vollzogenen Unterscheidungen beispielsweise Geschlechterdifferenz hergestellt („accomplished“) wird (West und Fenstermaker 1995: 19). Hier geraten sozial etablierte Humandifferenzierungen (vgl. Hirschauer und Boll 2017) etwa als Gegenstand der mikroanalytischen Unterrichtsforschung in den Blick. Diese Facette des Differenzbegriffs werden wir im zweiten Kapitel in Bezug auf die Differenzkategorie Behinderung genauer darlegen.
Zentral ist der Differenzbegriff neben dieser gegenstandstheoretischen Bestimmung für eine differenztheoretische Unterrichtsforschung in erkenntnistheoretischer Hinsicht. In diesem Sinne lässt sich Differenz als ein theoretisches Prinzip verstehen (vgl. Ricken und Reh 2014: 26)[2], das die Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntnisgrenzen dieses Forschungsansatzes wie folgt darzulegen erlaubt: Differenz markiert zunächst einen Unterschied, der im Hinblick auf einen Vergleichshorizont besteht. Etwas ist also nicht schlechthin different, sondern nur hinsichtlich einer als gemeinsam unterstellten Eigenschaft, weshalb dieser Vergleich als relative Differenz bezeichnet wird (vgl. Dederich 2013: 42 ff; Ricken und Reh 2014). Genau diese Logik impliziert allerdings ein Primat des Allgemeinen vor dem Besonderen, weil das Allgemeine hier als ein Vergleichsmaßstab der Operation des Vergleichens vorausgeht und Differenz darüber vermeintlich begründet. Allerdings lässt sich dieses Allgemeine selbst wiederum nicht als fundierend begründen (vgl. insb. Lyotard 1989; Ricken und Balzer 2007: 58). Wenn demnach ein die Differenzen fundierendes oder vermittelndes Allgemeines nicht als existierend angenommen werden kann, dann erscheinen Differenzen zwar als relationierende Unterschiede, verweisen aber in ihrer Nicht‑Fundierbarkeit zugleich auf radikale Differenzen, die auch als nicht weiter positivierbare Singularitäten verstanden werden können (vgl. Ricken und Reh 2014: 28).
Aufgrund dieses Verständnisses einer nicht bestimmenden, nicht relationierend‑einordnenden Differenz verweist eine differenztheoretische Perspektive auf die Erkenntnisgrenzen von Forschung, die darin besteht, nur relative Differenzen erforschen zu können. Entsprechend verweist radikale Differenz auf die einordnende, gleichsetzende Praxis jeder Differenzforschung, die immer etwas als etwas Bestimmtes begrifflich ‚identifiziert‘: Denn jedes Wort wird erst
„dadurch Begriff, daß es eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, (…) dienen soll, sondern zugleich (…) auf lauter ungleiche Fälle passen muß. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nichtgleichen.“ (Nietzsche 1922: 80)
Neben der Frage der Begrenzung der Erkenntnismöglichkeiten lässt sich differenztheoretisch auch die Entstehung von Bedeutung erklären. Anstelle eines fundierenden Allgemeinen werden Differenzverhältnisse selbst als bedeutungsbegründendverstanden. Im Anschluss an die linguistischen Überlegungen von de Saussure, wonach Verschiedenheiten die Träger von Bedeutung sind (vgl. de Saussure 2001: 140), wird in poststrukturalistischen Ansätzen davon ausgehend konstatiert, dass kein Element gesellschaftlicher Wirklichkeit aus einer diesem Element inhärenten Identität bestimmt werden kann, sondern die Bedeutung jedes Elements aus seiner Verschiedenheit zu allen anderen Elementen entsteht (vgl. van Dyk 2012). Aus dieser Position folgt für eine differenztheoretisch informierte Forschung, dass sich über die Analyse von Unterscheidungen die spezifischen Bedeutungen der einzelnen Elemente bestimmen lassen. Eine solche Grundannahme findet sich auch in Praxistheorien wieder: „As elements of the arrangement, these entities also possess identities (who someone is) or meanings (what something is)“ (Schatzki 2001: 51). Einzelne Elemente einer sozialen Ordnung besitzen dadurch eine spezifische Identität oder Bedeutung, dass sie als Elemente einer Ordnung (ebd.) eine bestimmte Position einnehmen. Eine differenztheoretisch orientierte Forschung begreift diese differentiellen An‑Ordnungen und damit die Bedeutung der einzelnen Elemente nicht als stabiles Differenzsystem, sondern als sich ständig verschiebend und – so Derrida (1972) – als zu keinem Zeitpunkt jemals vollständig präsent. Es wird gerade nicht angenommen, dass eine differentielle Struktur und mit ihr die Bedeutung ihrer Elemente zeitlich überdauernd besteht. Bedeutung hängt hingegen notwendigerweise von der Unterbrechung „der ständigen Neupositionierung ihrer differentiellen Ausdrücke“ (Hall 1994: 76) ab. Insofern wird die eigene Forschungstätigkeit auch als Herstellung einer vorübergehenden Bedeutungsfixierung verstanden.
In differenztheoretischer Hinsicht lässt sich Forschung demzufolge als eine Forschungsstrategie bestimmen, in der etwas als etwas Bestimmtes in Differenz zu Anderem hervorgebracht wird und nur aufgrund dieser Differenz als dieses Bestimmte verstanden werden kann. Zugleich ist hiermit unweigerlich die partielle Fixierung einer sich potenziell verschiebenden Bedeutung verbunden. Ebenso macht eine differenztheoretische Perspektive die Grenzen von Forschung auch insofern deutlich, als dass Forschung radikale Differenz unbeachtet lässt und nur jene skizzierten relativen Differenzen zu untersuchen erlaubt.
Eine differenztheoretische Unterrichtsforschung interessiert sich in diesem Sinne für die hervorgebrachten relationalen Positionen einer unterrichtlichen Differenzordnung – beispielsweise die „Positionierungen des hilfebedürftigen, aber eifrig-willigen Schülers und der erfolgreich kreativen selbständigen Schülerin“ (Reh et al. 2011: 218). Solche relationalen und damit in Differenz zueinanderstehenden Positionen sind abhängig von in der jeweiligen unterrichtlichen Ordnung gültigen „Normen von Anerkennbarkeit“ (Reh et al. 2011: 219), die sich u.a. je nach didaktischem Arrangement unterscheiden (vgl. beispielsweise Breidenstein et al. 2013; Rabenstein und Steinwand 2016). Dabei gilt als Spezifikum der schulischen Anerkennungsordnung, dass sie im Kern eine Leistungsordnung darstellt, „in die nahezu alles andere innerhalb der Schule ‚konvertiert‘ werden kann“ (Rabenstein et al. 2013: 675) und auch muss, um als schulisch legitime Unterscheidung gelten zu können. Entsprechend lässt sich davon ausgehen, dass auch die Unterscheidung dis/ability in eine Leistungsdifferenz übersetzt wird, die Schüler*innen auf dem hierarchischen Kontinuum von leistungsstärker/leistungsschwächer positioniert und sie hierfür selbst verantwortlich macht (Rabenstein und Steinwand 2018: 115). Die zentralen Fragen einer differenztheoretischen Unterrichtsforschung sind entsprechend, als wer jemand in Relation zu jemand in bestimmten unterrichtlichen Kontexten (bspw. Unterricht im Anspruch von Inklusion) hervorgebracht wird, welche sozial etablierten Differenzkategorien dabei zum Tragen kommen und welche unterrichtliche (Differenz-)Ordnung daraus hervorgeht.
Wie lässt sich nun mit einer differenztheoretischen Analyseperspektive die Frage der Funktion der Differenz dis/ability im Kontext von Unterricht empirisch bearbeiten? Im Sinne der obigen Grundlagen muss Behinderung zunächst als „empty signifier“ (Waldschmidt 2017: 24), also als leerer Signifikant, verstanden werden, dessen Bedeutung nur aufgrund der Differenz zu anderen Signifikanten besteht. So impliziert die Kategorie Behinderung zunächst eine binäre Differenz zwischen fähig und behindert, wie es in der Schreibweise dis/ability deutlich wird (vgl. Goodley 2014).[3] Wenn die Bedeutung von disability also nur in Relation zu dem besteht, was disability nichtist, zugleich aber disability als binäres Gegenstück von ability verstanden wird, dann lässt sich disability in theoretischer Hinsicht letztlich nur tautologisch darin bestimmen, nicht ability zu sein (vgl. für Geschlechterdifferenz Villa 2012: 72).
Obschon in differenztheoretischer Hinsicht dis/ability nun zunächst ein leerer Signifikant ist, dessen Bedeutung kontingent ist, also eben auch ganz anders sein könnte, und grundsätzlich ständig veränderbar ist – in dem Sinne, dass sich mit der Verschiebung der Bedeutung von Fähigkeit auch die Bedeutung von Behinderung wandelt und vice versa –, handelt es sich bei dis/ability um eine etablierte Unterscheidung. Dies zeigt sich im für uns relevanten Kontext der Schule vor allem daran, dass hier Strukturen bestehen, die Bedeutungen von und Umgangsweisen mit Nicht‑/ Behinderung regeln. „Der für das Schulwesen maßgebliche institutionalisierte Behinderungsbegriff ist der des ›Sonderpädagogischen Förderbedarfs‹“ bzw. Unterstützungsbedarfs (Cloerkes 2007: 70; vgl. auch Buchner et al. 2015). Entsprechend konstatieren Tervooren und Pfaff, „dass die Kategorie ‚Behinderung‘ ein explizites Unterscheidungsmerkmal für die Zuweisung von Bildungschancen darstellt, während andere Differenzen, wie soziales Milieu (…), als versteckte Merkmale“ fungieren (2018: 32). Anders als situativ vollzogene Praktiken sind schulrechtliche Regelungen zum sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf dabei als ein fixierter Aggregatzustand (vgl. Reckwitz 2016) zu verstehen: Zeitlich überdauernd und für eine potenziell unendliche Anzahl konkreter Fälle wird festgelegt, was als Behinderung gilt und welche (pädagogischen) Konsequenzen daraus folgen.
In differenztheoretischer Hinsicht beschreibt dies aber nur eine Seite: Regelungen darüber, was Behinderung ist, sind immer auch Regelungen darüber, was Behinderung nicht ist, und damit Festlegungen davon, was als Fähigkeit gilt. In den sogenannten Studies in Ableism wird entsprechend dieser Kehrseite „der Fokus von der Abweichung (Behinderung) auf die Problematisierung der Basisannahme (Fähigkeit) verschoben“ (Buchner et al. 2015, o.S.) Vorstellungen von und Erwartungen an Fähigkeiten können so als ursächliche Bedingung für die Entstehung von Behinderung analysiert und problematisiert werden (vgl. Pfahl und Köbsell 2014).
Trotz dieser gesellschaftlichen Etabliertheit von Behinderung, beispielsweise mittels schulstruktureller Regelungen, bleibt die soziale Struktur „irrelevant, wenn sie nicht situiert wird“ (Hirschauer 2001: 226), also nicht immer wieder situativ hervorgebracht wird. Mit dem Verweis auf die Situierungklingt nun erneut die skizzierte praxistheoretische Perspektive an, die den Vollzug von Praxis zur zentralen Analyseeinheit macht. Relevant wird und bleibt eine etablierte Differenzierung also nur, wenn sie wiederholt zur Aufführung gebracht wird. Dabei mahnt Hirschauer an, dass Differenzforschungen den je untersuchten Unterscheidungen tendenziell eine Omnirelevanz zuschreiben. Da jedoch nicht alle etablierten Humandifferenzierungen zeitgleich aufgeführt werden und so relevant werden können, muss ebenso in Betracht gezogen werden, dass sozial etablierte Unterscheidungen – und so eben auch dis/ability – zumindest zeitweise nicht vorkommen bzw. ruhen (vgl. Hirschauer 2014: 183).
Als eine heuristische Möglichkeit, umfassend die Hervorbringung von dis/ability zu erforschen, eignet sich das kulturelle Modell von Behinderung (vgl. insbesondere Waldschmidt 2017):[4] Es erlaubt dis/ability nicht lediglich als soziale Praxis der Herstellung von Behinderung und Fähigkeit zu analysieren, sondern auch in einen Zusammenhang zu symbolischen Ordnungen – wie sie beispielsweise in schulstrukturellen Regelungen expliziert werden – zu stellen. Waldschmidt definiert Kultur dabei als
„the totality of ‘things’ created and employed by a particular people or a society, be they material or immaterial: objects and instruments, institutions and organisations, ideas and knowledge, symbols and values, meanings and interpretations, narratives and histories, traditions, rituals and customs, social behaviour, attitudes and identities” (Waldschmidt 2017: 24)
Mit einem derart breit angelegten Kulturbegriff lassen sich die „relations between symbolic (knowledge) systems, categorization and institutionalisation processes, material artefacts, practices and ‘ways of doing things,’” ebenso wie die damit einhergehenden „consequences for persons with and without disabilities, their social positions, relations and ways of subjectivation” in den Blick nehmen (ebd.).
Für eine auf dis/ability fokussierte differenztheoretische Unterrichtsforschung ermöglicht das kulturelle Modell von Behinderung, Unterricht sowohl als soziale Praxis zu betrachten, für die empirisch zu bestimmen wäre, wie hier dis/ability hergestellt wird, als auch die Verhältnisse („the relations“) dieser Praxis zu anderen, etablierten Aggregatzuständen (Schulstrukturen, soziale Normen etc.) von dis/ability zu analysieren.[5] Ein solches Vorgehen der Differenzforschung zu dis/ability stünde dann gerade nicht mehr in der Kritik lediglich situationszentriert unterrichtliche Praxis zu analysieren und übersituativ bestehende Machtbeziehungen auszublenden (vgl. Fritzsche 2015; Fritzsche und Tervooren 2012; Kuhn 2013).
Zunächst ist jedoch zu konstatieren, dass bisher nur wenige Studien vorliegen, die im Sinne der skizzierten differenztheoretischen Perspektiven auf dis/ability im Unterricht zugreifen.[7] Als einschlägige Forschungsarbeiten beziehen wir uns erstens auf die Studie von Fritzsche (2014) zu Inklusion und Exklusion in Praktiken der Fürsorge bei Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Fritzsche untersucht, wie „Versuche, ihren besonderen Status anzuerkennen, diesen gleichzeitig festschreiben und marginalisierende Effekte haben können“ (Fritzsche 2014: 340), prozessiert werden. Unsere zweite Referenz ist die Fallstudie von Budde und Rißler (2017), die den Prozess der Exklusion eines Schülers im und vom inklusiven Unterricht nachzeichnet, und damit darlegt, dass und wie „seine fehlende Passförmigkeit (…) im Laufe des ersten Schuljahres interaktiv hergestellt [wird]“ (Budde und Rißler 2017, S. 196). In der Untersuchung von Merl (2019), auf die wir drittens rekurrieren, wird rekonstruiert, dass und wie im inklusiven Unterricht Lehrkräfte vor dem Hintergrund universalistischer Fähigkeitserwartungen Schüler*innen entlang der Zuschreibung un/genügender Fähigkeiten differenzieren und sich dabei auf die Differenz dis/ability beziehen. Dabei geht es uns im Folgenden weniger um die Darstellung einzelner Befunde der Studien als darum, – ausgehend von den Studien – eine Sortierung der differenztheoretischen Unterrichtsforschung bezogen auf die oben aufgeworfenen Fragen vorzunehmen.
Bevor wir dies tun, sei vorab darauf hingewiesen, dass – und auch hier rekurrieren wir auf die Heuristik von Rabenstein et al. (i.E.) – in allen drei Studien nicht nur auf die Differenz dis/ability Bezug genommen wird, sondern intersektionale Perspektiven analytisch angelegt sind. So werden in der Studie von Budde und Rißler die unterrichtlichen Rekonstruktionen auch mit der „realen Dimension“, also mit der sozialen Positionierung eines Schülers hinsichtlich der „Ausstattung mit kulturellem und ökonomischem Kapital“ (Budde und Rißler 2017: 183) in einen Zusammenhang gebracht.[8] Eine Verknüpfung sozialer Differenzkategorien findet sich auch bei Fritzsche in Bezug auf die familiale Zuwanderungsgeschichte (Fritzsche 2014, S. 340) sowie bei Merl in Bezug auf die sozioökonomische Zugehörigkeit (Merl 2019: 122ff.). Inwiefern ein zeitliches Zusammenspiel unterschiedlicher Differenzierungen hervorgebracht wird, wäre in weiteren Untersuchungen allerdings genauer zu bestimmen (vgl. Rabenstein et al. i.E.).
Unsere Analyse der differenztheoretisch informierten Unterrichtsforschung lässt sich anhand der folgenden Kategorien insgesamt wie folgt darstellen:
1.) Zur Berücksichtigung von Differenzverhältnissen im Kontext von dis/ability
Alle drei Studien verweisen vor dem Hintergrund intersektionaler Perspektiven in je unterschiedlicher Weise auf die Relationalitätder fokussierten Differenzverhältnisse: So sprechen Budde und Rißler von einer „mangelnden Passung“ (Budde und Rißler 2017: 195) hinsichtlich der unterrichtlichen Anforderung „selbständiger Funktionsfähigkeit“ und rekurrieren damit auf die Relationalität, die zwischen Fähigkeit und Behinderung besteht. Fritzsche macht deutlich, dass die Kategorie des sonderpädagogischen Förderbedarfs als ein Bedarf nur in Relation dazu bestehe, mit dem Konzept des Unterrichts und dessen Anforderungen kompatibel zu sein (Fritzsche 2014: 340). In der Studie von Merl wird gezeigt, dass im Unterricht die universelle Erwartung gegenüber Schüler*innen besteht, sich dauerhaft entsprechend der Verhaltensordnung selbst zu regulieren (also umfassend handlungsfähiges Subjekt zu sein; vgl. Merl 2019: 115ff.). Nur im Verhältnis zu diesem universellen Erfordernis entsteht jene Differenz zwischen genügend und ungenügend fähigen (bzw. dauerhaft: behinderten) Schüler*innen. Entsprechend betrachtet keine der drei Studien ausschließlich die performative Herstellung einer Abweichung, ohne auf den Zusammenhang zu Normalität/Fähigkeit hinzuweisen. Dennoch lässt sich feststellen, dass nicht in gleichwertiger Weise sowohl die als Norm bzw. die als Allgemeines geltende Seite, als auch die als Abweichung bzw. als Besonderes geltende Seite der Differenz dis/ability betrachtet wird (vgl. hierzu auch Rabenstein et al. i.E.). Für die differenztheoretische Unterrichtsforschung wäre im Sinne der Studies in Ableism stärker zu berücksichtigen, welche Differenzverhältnisse es sind, die der Konstruktion von Abweichung bzw. Behinderung zugrunde liegen: Welche Fähigkeitserwartungen und -anforderungen werden im (inklusiven) Unterricht performativ hergestellt und führen dazu, dass in Differenz zu diesen Erwartungen Behinderung entsteht (vgl. Buchner et al. 2015)?
2.) Zu unterschiedlichen Aggregatzuständen von dis/ability
Werden Differenzverhältnisse als bedeutungsbegründend und nicht als auf einem Wesenskern beruhend verstanden, folgt für eine differenztheoretisch informierte Unterrichtsforschung, in Praktiken vollzogene Unterscheidungen – und damit hervorgebrachte Differenzen – zu analysieren. Entsprechend verweisen die Studien auf jeweils vollzogene Unterscheidungen, beispielsweise im schulischen Anerkennungsgeschehen (Fritzsche 2014) oder in der unterrichtlichen Interaktionsregulation (Budde und Rißler 2017; Merl 2019). Die rekonstruierten Differenzpraktiken werden in den Studien darüber hinaus aber in Beziehung zu anderen Datensorten gestellt, etwa zu schulrechtlichen Vorgaben, zu schulischen Artefakten oder zu Interviews mit Lehrkräften. Dadurch wird es möglich, dis/ability im Sinne des mit Waldschmidt (2007) dargelegten kulturellen Modells (vgl. Kap. 2) als eine Differenz zu erforschen, die sich in unterschiedlichen, „aneinander gekoppelte[n] Aggegratzustände[n] der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen“ (Reckwitz 2008: 202) zeigt. So werden die unterrichtlichen Differenzpraktiken und ihre Materialisierung zum Gegenstand differenztheoretischer Unterrichtsforschung, die als diskursive Repräsentationen der Differenz dis/ability Praktiken, z.B. mittels schulrechtlicher Regelungen, vorstrukturieren und sich in den Praktiken dieser Regelungen legitimatorisch bedienen. Die unterrichtliche Hervorbringung der Differenz dis/ability verweist also nicht nur auf eine situative Performanz – wie etwa der ethnographischen Forschung häufig vorgeworfenen wird –, sondern kann aufgrund ihres Zusammenhangs zu beständigeren Materialisierungen als übersituativ gedeutet werden.
3.) Zur Omnipräsenz und zum ‚Verschwinden‘ von dis/ability
Hinsichtlich der bereits benannten Notwendigkeit, auch das zeitweise Nicht-Vorkommen einer Unterscheidung zu berücksichtigen, lässt sich feststellen, dass keine der Studien Aussagen über die Intensität bzw. Häufigkeit der je betrachteten Unterscheidung trifft (vgl. Rabenstein et al. i.E.). Zwar wird deutlich, dass Differenzverhältnisse, die sich beispielsweise in einer Sitzordnung widerspiegeln oder über die schulstrukturelle Kategorie des sonderpädagogischen Förderbedarfs ausgewiesen ist, Dauerhaftigkeit implizieren. Bisherige Forschungen arbeiten allerdings nicht heraus, was diese zeitliche Stabilität für die alltägliche Intensität bzw. Relevanz der Unterscheidung bedeutet und wann genau die je beobachtete Differenz relevant wird (ebd.) bzw. wie sich die ständig verschiebenden Elemente eines Differenzsystems und die grundsätzlich bestehende Instabilität dieser (vgl. Derrida 1972) zu berücksichtigen sind. Zumindest in methodologischer Hinsicht wäre zu fragen, wie sich der Instabilität von Differenzverhältnissen angemessen Rechnung tragen lässt, wenn empirisch Differenzen festgestellt und damit auch festgeschrieben werden (vgl. als methodologische und empirische Bearbeitungsversuche Machold 2015: 84; Rabenstein et al. i.E.). In diesem Zusammenhang lässt sich auf die bekannte Diskrepanz hinweisen, die zwischen den theoretisch reflexiven Überlegungen und den Möglichkeiten, diese empirisch einzuholen, besteht: Radikale Differenz lässt sich zwar theoretisch konstatieren, empirisch aber gerade nicht erfassen. Ob und inwiefern sich aus diesen differenztheoretischen Überlegungen neue Forschungsvorhaben modellieren lassen, wird die weitere theoretische Auseinandersetzung mit Differenzkategorien und deren empirische Rekonstruktionsbemühungen zeigen.
Vor dem Hintergrund dieser differenztheoretischen Betrachtung stellen wir abschließend die für die Unterrichtsforschung weitergehende Frage, welche Funktiondie Differenz dis/ability für den Unterricht hat. Dazu zeigen wir zunächst auf, wie dis/ability von den Lehrpersonen thematisiert wird, um letztlich erneut darauf hinzuweisen, dass diese Nutzbarmachung im institutionellen Kontext Schule auf die Aufrechterhaltung der unterrichtlichen Leistungsordnung in einem bestimmten, nun zu erläuternden Sinne im inklusiven Unterricht verweist.
Bisherige empirische Befunde rekonstruktiver Unterrichtsforschung machen deutlich, dass Lehrkräfte an der Herstellung und der Prozessierung von Differenzen entlang der Kategorie des sonderpädagogischen Förderbedarfs beteiligt sind. Anderseits erklären die Lehrkräfte – wenn auch durchaus vage – abweichendes Verhalten mit dem Hinweis auf das ‚Vorliegen‘ eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bzw. mit der diesem Bedarf zugrundeliegenden Behinderung: Jemand kann nicht, was zu können erwartet wird, weiler*sie eine Lernbehinderung ‚hat‘.[9] Nicht etwa die Nicht-Passung zwischen Fähigkeitserwartung auf der einen und zugeschriebener individueller Fähigkeit auf der anderen Seite – im Sinne der oben skizzierten Relationalität – wird als Ursache der Abweichung bestimmt, sondern die individuelle Fähigkeit des Lernenden: Wenn einzig das individuelle Ungenügen des*der Schülers*in und nicht die unterrichtlichen Anforderungen als Ursache für Ausschlüsse gelten, bleibt als Option, jemanden vom unterrichtlichen Geschehen freizustellen (vgl. Budde und Rißler 2017; Merl 2019). Legitim wird also nicht nur die differenzierende Praxis der Lehrkräfte, sondern auch die dadurch entstehende (legitim negativ) abweichende Teilhabe bzw. Freistellung bestimmter Schüler*innen. Diese Abweichung lässt sich — vor dem Hintergrund von dis/ability als einer ‚natürlich bedingten‘ Differenz — weitergehend als eine dauerhafte Abweichung rechtfertigen, da Behinderung im Gegensatz zu Krankheit (vgl. Cloerkes 2007) konstitutiv als ein dauerhafter Zustand verstanden wird (vgl. Merl 2019: 154f.).
Darüber hinaus verweisen die Studien darauf, dass die Differenz dis/ability im Unterricht nicht nur der Erklärung und Legitimierung von Abweichung dient, sondern auch die Erwartungen seitens der Lehrkräfte hinsichtlich der Fähigkeiten der Schüler*innen moderiert (vgl. Merl 2019: 155ff). Damit wird nicht zuletzt der Zusammenhang von Praktiken zu Diskursen deutlich: Da die Kategorie Behinderung als eine spezifische gesellschaftliche und schulische Abweichungskategorie bereits etabliert ist, also über die Situation hinaus besteht, kann sie in den situativen Praktiken als erklärende oder legitimierende Abweichungskategorie herangezogen werden.
Im Sinne der Studies in Ableism wird weiterhin deutlich, dass die Abweichungskategorie der Behinderung im beobachteten Unterricht dazu dient, bestimmte universelle Fähigkeitserwartungen als grundsätzlich gültige Erwartungen aufrechtzuerhalten, und das, obwohl täglich deutlich wird, dass nicht alle Schüler*innen diesen Erwartungen entsprechen. Die Abweichungskategorie Behinderung ermöglicht damit unterrichtliche Fähigkeitsnormen (Merl 2019: 163ff) – also Erwartungen daran, was zu können für eine umfassende Teilhabe notwendig ist – als (vermeintlich) legitime Erwartung aufrecht zu erhalten. Diesem Verständnis folgend sind die Erwartungen auch dann noch legitim, wenn sie zu regelmäßigen Ausschlüssen führen, weil diese Ausschlüsse mit einer Abweichungskategorie erklärt werden: „Offensichtlich wird die Abgrenzungskategorie Behinderung ›gebraucht‹, um (…) Stabilität zu gewährleisten und bestimmte, kulturell vorgegebene Vorstellungen von Körperlichkeit und Subjektivität aufrechtzuerhalten“ (Waldschmidt und Schneider 2015: 10). Insbesondere an der Stabilisierung der ‚eigentlichen‘ unterrichtlichen Fähigkeitserwartungen zeigt sich, wie sich die einzelnen Elemente einer unterrichtlichen Ordnung („elements of the arrangement“; Schatzki 2001: 51) relational bedingen und wie hieraus spezifische Subjektpositionen der fähigen und der ungenügend fähigen bzw. dauerhaft vermeintlich behinderten Schüler*innen hervorgehen („these entities also possess identities (who someone is)“ ebd.).
In Anlehnung an rekonstruktive Unterrichtsforschungen, die Leistungsdifferenz als zentrale Differenzkategorie identifiziert haben (vgl. u.a. Rabenstein et al. 2013, 2015), lässt sich auch für die Unterscheidung dis/ability feststellen, dass diese letztlich in eine Leistungsdifferenz überführt wird. Dabei fungiert dis/ability als eine Unterscheidung, die in die Ordinalskala der schulischen Leistungsdifferenz (verschiedene Positionen entlang der Unterscheidung leistungsstärker/leistungsschwächer; vgl. Hirschauer 2014: 171) eine binäre Differenz des genügend vs. ungenügend fähig einzieht: Während unterrichtliche Leistungsdifferenz Schüler*innen auf einem Kontinuum verortet, positioniert dis/ability Schüler*innen binär als entweder dauerhaft genügend fähig oder dauerhaft ungenügend fähig. Im Unterricht wird die schulische Konstruktion von disability (dort benannt als sonderpädagogische Förderbedarfe) in die wiederholte Zuschreibung und Hervorbringung einer dauerhaft ungenügenden Fähigkeit (Nicht-Können) transformiert (vgl. Merl 2019: 157ff.). Damit geht einher, dass Schüler*innen von der unterrichtlichen Leistungsdifferenz freigestellt werden können. Mit der binären Strukturierung dis/ability wird also auch unterschieden, wer im Kontext des vermeintlich inklusiven Unterrichts dauerhaft abweichen darf (also aus der Leistungsordnung legitim herausgenommen wird) und wer grundsätzlich den unterrichtlichen Anforderungen – die ja gerade durch die Abweichungskonstruktion aufrechterhalten bleiben können – unterliegt (vgl. Merl 2019: 137ff.).
Aus der Perspektive einer differenztheoretischen Unterrichtsforschung lässt sich deshalb konstatieren, dass ein Unterricht im Anspruch von Inklusion keiner anderen unterrichtlichen Ordnungsbildung folgt als beispielsweise ein individualisierender Unterricht (vgl. Rabenstein et al. 2015; Herzmann und Merl 2017). Vielmehr wird mittels rekonstruktiver Studien deutlich, dass Leistung den Kern der pädagogischen Ordnung auch in einem als inklusiv bezeichneten Unterricht ausmacht. Die Differenz dis/ability — bzw. ihr schulisches Pendant ohne/mit sonderpädagogischem Förderbedarf —, die zuvor zur organisatorischen Regelung der Schulzugehörigkeit diente (und den Verweis an eine sogenannte Förderschule möglich machte), muss nun im Unterricht bearbeitet werden, indem sie performativ in die Unterscheidung dauerhaft un/genügend fähig übersetzt wird und gerade dadurch die Aufrechterhaltung der unterrichtlichen Leistungsordnung unterstützt und stabilisiert.
[2] Dem Differenzbegriff kommt auch in soziologischen Gesellschaftsdiagnosen eine zentrale Rolle zu, die wir hier nicht berücksichtigen können. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine zunehmende funktionale Ausdifferenzierung (Luhmann), eine Individualisierung (Beck) oder eine Singularisierung (Reckwitz) der Gesellschaft beschrieben wird.
[3] Aufgrund unserer Fokussierung auf Unterricht und die Disability Studies in Education erachten wir es als präziser Fähigkeit als Differenzkategorie zu Behinderung zu betrachten und nicht die etablierte Kategorie der Normalität zu verwenden. Diese Entscheidung wird anhand der Ausführungen in Kap. 3 plausibilisiert.
[4] Demgegenüber wäre die Perspektive eines sozialen Modells von Behinderung verkürzt, da ein soziales Modell körperliche Beeinträchtigungen (impairment) von der sozialen Folge der Behinderung (disability) trennt und damit voraussetzt, dass eine natürlich gegebene Beeinträchtigung als solche besteht: „Damit wird der Körper beziehungsweise die verkörperte Differenz ontologisiert, essentialisiert, dem technischen Zugriff geöffnet und als soziales, kulturelles Phänomen verschleiert. Tatsächlich ist auch »impairment« – ebenso wie »disability« – ein Diskursprodukt, auch wenn sie üblicherweise nicht als soziokulturelle Kategorie wahrgenommen wird.” (Schneider und Waldschmidt 2012: 142).
[5] Ob und inwiefern dabei eine Ausdifferenzierung bestimmter Behinderungen sinnvoll ist, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Grundsätzlich teilen wir zwar die von Weisser formulierte Skepsis, dass Behinderungskategorien eine Trennschärfe bieten (Weisser 2005, S. 35). Letztlich erachten wir es aber als eine empirische Frage, ob in der unterrichtlichen Praxis für verschiedene Behinderungskategorien unterschiedliche Bedeutungen hervorgebracht werden.
[6] Für eine übergeordnete Perspektive auf Studien zur Konstruktion von dis/ability, die nicht nur auf Unterricht fokussieren vgl. Tervooren und Pfaff (2018: 36ff).
[7] Allerdings sei darauf hingewiesen, dass Studien vorliegen, die im Kontext von Unterricht und Differenz, nicht aber explizit auf dis/ability fokussieren (Budde et al. 2016; Elseberg und Wagener 2017; Spiegler 2018; Wagner-Willi und Sturm 2016). Ebenso liegen Studien vor, die zu dis/ability und Schule, allerdings nicht im Unterricht forschen (vgl. beispielsweise Buchner 2018; Buchner et al. 2015; Pfahl 2011). Und es finden sich Studien, die zwar zur Differenz dis/ability im Unterricht forschen, deren Analyseperspektive diese Differenz aber als den Praktiken vorgängig und damit als personales Merkmal festgelegen (vgl. exemplarisch Schumann 2014). Vgl. dazu auch Überlegungen zur Reifizierung (Diehm et al. 2010; Rabenstein et al. 2013) sowie zur Problematik der „Merkmalsträgerlogik“ (Emmerich und Hormel 2017).
[8] Für die damit einhergehenden methodologischen Schwierigkeiten siehe die Beiträge im Sammelband von Diehm et al. (2017).
[9] Letztlich liegen dieser Erklärung – das zeigt insbesondere die Rekonstruktion des Lernbehinderungsdiskurses der Sonderpädagogik von Pfahl (2011) – ein Verständnis von Behinderung als natürlich gegebener, verminderter Lern- und Leistungsfähigkeit zugrunde.