Abstract: Jugendliche mit Behinderung in Jugendforschung einzubeziehen, bleibt weiterhin Aufgabe und Herausforderung. Einen möglichen Ansatz dazu stellt die Methode der egozentrierten Netzwerkanalyse dar. Am Beispiel von Freundschaften als lebensweltlich relevanten und zugleich innerhalb der Forschung zu Jugendlichen mit Behinderung nur eingeschränkt betrachteten Sozialbeziehungen perspektivieren wir mögliche Chancen derartiger Erhebungen. Basierend auf Erfahrungen von empirischen Erhebungen mit Jugendlichen mit Behinderung diskutieren wir die Problemstellungen gegenwärtig verbreiteter aggregierter Erhebungsinstrumente und konzeptualisieren mögliche Erträge egozentrierter Netzwerkanalyse.
Stichworte: quantitative Methoden, Egozentrierte Netzwerkanalysen, Jugendliche mit Behinderung, Freundschaften
Inhaltsverzeichnis
Manuel trifft viele Freunde online. Mit ihnen kann er sich ohne eine Dolmetschung in Lautsprache austauschen. Alexandra und ihre beste Freundin navigieren gemeinsam über das Gelände der Blindenschule und planen dabei das abendliche Essen für ihre Wohngruppe. Nicos beste Freundin ist sein Kuscheltier Anna. Manchmal ist es ihm lieber, durch Anna über sich zu sprechen, als selbst zu reden. Für Hannes sind alle sieben Menschen in seiner Tagesgruppe Freunde – inklusive seiner persönlichen Assistenz. Manchmal, sagt er, ärgern sie ihn, meist macht es ihm aber Spaß, in den Pausen gemeinsam Karten zu spielen.
Jugendliche mit Behinderung stellen eine bisher nur in  Ansätzen diskutierte Zielgruppe der Jugendforschung dar. Sind unter der Frage  der Inklusion in der Bildungsforschung zunehmend Arbeiten zu Jugendlichen mit  Behinderung zu verzeichnen (exempl. Autorengruppen Bildungsberichterstattung  2014, 2018) und bestehen schon länger Ansätze aus  rehabilitationswissenschaftlicher Perspektive (exempl. Heiden 2010,  Reims/Tisch/Tophoven 2016), steht die Betrachtung ihrer Lebenswelten derzeit  noch weitgehend aus. Insbesondere die Fragen, wie Freundschaften von Jugendlichen  mit Behinderung geführt werden, was sie für die Jugendlichen bedeuten und ob  sie etwa eher durch Gelegenheitsstrukturen und gemeinsame Aktivitäten oder  durch instrumentelle Angewiesenheit geprägt sind, wurden bisher noch nicht  ausführlich bearbeitet. Freundschaften als alltäglich relevanter Beziehungsform  und Sozialisationsinstanz kommt so in der Forschung zu Jugendlichen mit  Behinderung bisher kein gewichtiger Stellenwert zu. 
  Diese Leerstelle ist auf multiple, miteinander verschränkte  Problemlagen zurück zu führen. Teil dessen sind der Jugendforschung immanente  Herausforderungen, die wir im Folgenden ins Zentrum des Beitrags rücken  möchten. Insbesondere innerhalb quantitativer Ansätze bestehen Bedenken und  Barrieren, die zu einem Ausschluss von Jugendlichen mit Behinderung aus  empirischen Erhebungen führen. So werden Zweifel an der (standardisierten)  Befragbarkeit dieser Gruppe geäußert, Fragestellungen sind inhaltlich  kompliziert und Erhebungsmodi laufen quer zu den Fähigkeiten und Bedürfnissen der  Befragten (weiterführend Schütz u.a. 2017). Die wissenschaftliche Aufgabe,  Erhebungen inklusiv zu gestalten und dadurch möglichst alle Jugendlichen  repräsentieren zu können, bedarf so unter anderem methodischer und  methodologischer Weiterentwicklungen. Als konstruktive Lösungsstrategie für  Teile dieser Problematiken insbesondere in Hinblick auf die Erhebung von  Freundschaften möchten wir im Folgenden die Methodik egozentrierter  Netzwerkanalysen vorstellen und diskutieren. 
  Egozentrierte Netzwerkanalysen versprechen nicht nur eine  strukturierte Bearbeitbarkeit durch die Befragten, sondern auch die Möglichkeit  zur verschränkten Betrachtung subjektiver wie objektiver Einflussfaktoren auf  Freundschaften und deren Gestaltung. Zugleich wird mit diesen Ansätzen die  Hoffnung auf eine Erhöhung der Erhebungsgenauigkeit durch Reduktion von  Komplexität und Abstraktion verbunden. 
  Wir stützen unsere Überlegungen zur Befragung von  Jugendlichen mit Behinderungen auf die Erfahrungen der Fachgruppe ‚Lebenslagen  und Lebensführung Jugendlicher‘ des Deutschen Jugendinstituts. In dieser wurden  Konzepte für die Erhebung von Freundschaftsbeziehungen über egozentrierte  Netzwerke diskutiert und erprobt, mit welchen methodischen Vorgehensweisen  Jugendliche mit Behinderung gut befragt werden können (Brodersen/Ebner/Schütz  2019). 
  Dargestellt werden sollen zur Kontextualisierung unserer  Überlegungen zunächst die Debatte um die Schwierigkeiten eines Begriffes der  Freundschaft sowie die Relevanz von Freundschaftsbeziehungen im Jugendalter  (2.). Anschließend systematisieren wir den Stand der Freundschaftsforschung zu  Jugendlichen mit Behinderung und zeigen Entwicklungsmöglichkeiten auf (3.).  Nach einer grundlegenden Darstellung des Anliegens, der Möglichkeiten und  Grenzen der Verfahren egozentrierter Netzwerkanalysen (4.1) diskutieren wir  mögliche Ableitungen für die Befragung von Jugendlichen mit Behinderung (4.2).  Wir schließen mit Verweisen auf Möglichkeiten der Weiterentwicklung von  Freundschaftsforschung und egozentrierten Netzwerkanalysen vor dem Hintergrund  von Jugendlichen mit Behinderung (5.). 
Die Komplexität des  Freundschaftsbegriffs
  In der Forschung zu Freundschaften hat sich eine  Beschreibung der Freundschaftskategorie durchgesetzt, welche typischerweise in  westlichen Gesellschaften Verwendung findet (Hermand 2006). Eine Freundschaft  in diesem Sinne stellt eine auf Dauer, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit  basierende, dyadische, persönliche Sozialbeziehung zwischen Personen dar,  welche kein verwandtschaftliches oder romantisches Verhältnis zueinander haben.  Derartige Beziehungen sind darüber hinaus zumeist geprägt durch Intimität und  emotionale Nähe (vgl. Auhagen 1993; Nötzoldt-Linden 1994).
  Die vorangegangene Beschreibung kann jedoch nur einen  schematischen Versuch darstellen, verschiedene Definitionsansätze und  empirische Beobachtungen miteinander zu verbinden. Denn Freundschaft wird  alltagsweltlich von jedem Einzelnen äußerst variabel und vielfältig aufgefasst.  Eine im Vergleich zu anderen Sozialbeziehungen fehlende institutionelle Form  begünstigt diese Mehrdeutigkeit des Begriffs. In Bezug auf Altersphase,  Geschlecht oder kulturellen Hintergrund werden unter Freundschaften subjektiv  oftmals stark unterschiedliche Beziehungsformen verstanden (vgl. Schobin u.a.  2016). Infolgedessen stellt sich eine umfassende und konsensuelle Definition  von Freundschaft als kaum gegeben heraus. Auch eine einheitliche  Auseinandersetzung im Wissenschaftskontext steht angesichts dieser  Heterogenität vor forschungstechnischen Herausforderungen:
  "The  protean quality of friendships presents a definitional problem for  investigators that has impeded the development of a coherent body of knowledge  on friendship." (Hays 1988, S. 391).
  Dies führt dazu, dass in Surveys direkte Fragen zur  Freundschaft nur eine eher unsystematische Anwendung finden. So werden etwa  Jugendliche in AID: A (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten) gebeten, die  Anzahl ihrer guten Freund*innen zu benennen, die Erhebung ‚Jugend.leben‘  (Maschke u.a. 2013) fragt nach der ‚Clique‘, die SHELL-Jugendstudie  (Albert/Hurrelmann/Quenzel 2015) stützt sich auf den Freundeskreis und im SOEP  (2016) wird zwischen engen und besten Freund*innen differenziert. Es wird  ersichtlich, dass die Bearbeitung der Freundschaftsthematik zusätzlich durch  eine nicht eindeutige Abgrenzung zu anderen Begrifflichkeiten wie  beispielsweise Peer- und Gleichaltrigenbeziehungen erschwert wird. 
  Die besondere  Relevanz von Freundschaften im Jugendalter
  Der begrifflichen Unschärfe gegenüber steht die Relevanz von  Freundschaften im Jugendalter. So durchlaufen Individuen mit der Jugendphase  nicht nur körperliche und kognitive, sondern auch emotionale und soziale  Veränderungen. Auf Basis der neuen Bedürfnisse, der sich verändernden Lebenswelten  und Kontexte, verschieben sowie erweitern sich im Jugendalter ebenso die  Erwartungen und Anforderungen an Freundinnen und Freunde. In dieser Zeit bilden  Freundschaften für Heranwachsende einen grundlegenden Aspekt von  Gleichaltrigenbeziehungen (Lohaus 2018). Wo zuvor Freundschaftsbeziehungen sich  insbesondere aktivitätsbasiert äußerten, kommt im Jugendalter ein persönliches  Element hinzu, welches für die Jugendlichen zunehmend Intimität, Vertrauen und  gegenseitige emotionale Unterstützung in den Vordergrund rückt (vgl. exempl.  Fend 2005).
  Hinsichtlich der alltäglichen Herausforderungen im  Jugendalter, etwa der Gestaltung von Freizeitaktivitäten oder der Bewältigung  schulischer Anforderungen leisten Freund*innen eine wesentliche Hilfestellung.  Neben der Familie verkörpern sie in der Jugend ein wichtiges Bezugssystem und  können die in dieser Zeit teils schwierige und konfliktbehaftete Beziehung zu  den Eltern kompensieren (ebd.). Mit diesem alltäglichen Kontakt und Austausch  tragen sie unter anderem auch zur Verselbständigung und Ablösung vom Elternhaus  bei, sei es im Rahmen intimer dyadischer Zweierbeziehungen oder eingebettet in  einem vertrauten Freundesnetzwerk unter Gleichaltrigen, den Peers.
  Der soziale Raum, den Peers für die Heranwachsenden bietet,  ermöglicht es unter Freund*innen gemeinsame Wertvorstellungen und  Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln und schafft auf diese Weise Identifikation  und Orientierung. Jedoch besteht in diesem Rahmen auch das Risiko, negative  sowie unerwünschte Einstellungen und Verhaltensweisen zu verinnerlichen (Noack  2014). Freund*innen übernehmen somit nicht nur eine Sozialisationsfunktion,  sondern tragen ebenso dazu bei, ob es in der Biografie zur gesellschaftlichen  Integration oder zur Desintegration kommt (Griese 2016). 
  Freundschaften können ebenfalls als ein Ort der  Persönlichkeitsentwicklung betrachtet werden. Ausschlaggebend hierfür sind  Symmetrie und Reziprozität innerhalb von Freundschaftsbeziehungen.  Freundschaften bergen zugleich eine gewisse Fragilität, da sie anders als  Familienbeziehungen aufkündbar sind. Aus diesem Grund wird bei der  Aufrechterhaltung von Freundschaften von den Heranwachsenden ein hohes Maß an  Kooperations- und Kritikfähigkeit verlangt (Harring u.a. 2010). Bei diesen  alltäglichen Aushandlungsprozessen auf „Augenhöhe“ sammeln die Jugendlichen  nicht nur Erfahrungen über sich selbst und ihre Selbstpositionierung, sondern  lernen ebenfalls ein tiefgehendes Verständnis für Andere. Dies führt nach  Youniss (1982) einerseits zur Ausbildung reifer Persönlichkeiten, andererseits  auch zu der Herausbildung eines realistischen Selbstkonzeptes. 
  Schließlich bilden Freundschaftsbeziehungen einen  bedeutenden Rahmen für den Erwerb und die Internalisierung von Sach- und  Fachkompetenzen. Darunter zählen etwa Medienkompetenz, Sprachkompetenz und  sportliche Fähigkeiten (Harring 2010). 
  Diese verschiedenen Perspektiven zeigen, dass Freundschaften  im Jugendalter für die Heranwachsenden in vielerlei Hinsicht eine förderliche  Funktion einnehmen. Damit verbunden besteht Konsens darüber, dass Freund*innen  neben der Familie und Schule eine bedeutende Unterstützung bei der Bewältigung  von Entwicklungsaufgaben leisten. Dies sollte in gleicher Weise Jugendliche  ohne als auch mit Behinderung einschließen.
Die deutschsprachige Forschung zu Freundschaftsbeziehungen  von Jugendlichen mit Behinderung ist begrenzt. Dies gilt sowohl in Bezug auf  die sehr überschaubare Menge der Arbeiten als auch für deren inhaltliche Foki:  Zum einen sind die entsprechenden Ausarbeitungen disziplinär vor allem  innerhalb unterschiedlicher sonderpädagogischer Fachrichtungen zu verorten,  weshalb zumeist ausschließlich spezifische Teilgruppen, selten aber eine  Gesamtheit der Jugendlichen mit Behinderung betrachtet werden (expl.  Huber/Wilbert 2012). Zum anderen konvergieren die Fragestellungen der  jeweiligen Arbeiten in sehr spezifischen Perspektiven. In einer Recherche von  qualitativen wie quantitativen Arbeiten der deutschsprachigen  Forschungslandschaft der letzten zehn Jahre (2008/2018) zu  Freundschaftsbeziehungen von Jugendlichen mit Behinderung zeigen sich vor allem  drei thematische Ansätze:
  Abwesenheit von  Freundschaften infolge negativer Einstellungen oder Ausgrenzungsdynamiken
  Eine Abwesenheit von Freundschaftsbeziehungen wird mit  Werthaltungen und Gruppendynamiken wie Neigungen zur Homophilie von  Jugendlichen ohne Behinderung begründet. Unter anderem fragen Chilver/Stainer  u.a. (2015) hörende Jugendliche nach moralischen Bewertungen fiktiver  Geschichten, in denen hörgeschädigte Figuren in Gruppen integriert werden. Die  Begründungen der Ein- bzw. Ausgrenzung stünden im Zusammenhang mit der  Entstehung von Freundschaftsbeziehungen, so die Autor*innen. Auf ähnliche Weise  stellen auch Krull/Wilbert/Hennemann (2014) und Huber/Wilbert (2012) einen  negativen Zusammenhang zwischen der geringen Kontakthäufigkeit, der sozialen  Ausgrenzung etwa bei der Wahl von Arbeitspartner*innen und den  Freundschaftsbeziehungen von Grundschüler*innen mit und ohne (vermutetem)  Sonderpädagogischen Förderbedarf her. Jeweils werden Freundschaften von  Jugendlichen mit Behinderung somit unter der Perspektive eines Mangels  betrachtet, der auf das Verhalten und Einstellungen von Peers ohne Behinderung  zurückgeführt wird.
  Bestehende  Freundschaften als Indikator sozialer Integration
  Komplementär dazu werden bestehende Freundschaftsbeziehungen  zwischen Jugendlichen mit und ohne Behinderung vor dem Hintergrund sozialer  Integration diskutiert. So wägen Kulawiak/Wilbert (2015) unterschiedliche  Messgrößen zur Erfassung sozialer Integration in inklusiven  (Bildungs-)Kontexten ab: Neben Einstellungen zueinander,  Interaktionshäufigkeiten untereinander und der Involviertheit von Jugendlichen  mit und ohne Behinderung in gemeinsamen Cliquen werden dabei auch  Freundschaften im engeren Sinne als Indikator aufgeführt. Als notwendige  Bedingung für eine solche Integration werden schulische, emotionale und soziale  Fähigkeiten etwa von Jugendlichen mit sog. geistiger Behinderung (Sarimski  2015; älter auch 2006) sowie die Unterstützung durch Lehrkräfte in Form von  Kontaktanbahnung, Aufbau von Empathie und Arbeit an der Re- und  Dekategorisierung (Walter-Klose 2016) identifiziert. Freundschaftsbeziehungen  unter Jugendlichen mit und ohne Behinderung werden so jeweils als Maßgabe für  eine soziale Einbindung konzeptualisiert, für die eine basale Differenz durch  soziale Kompetenzen auf Seiten der Jugendlichen mit wie ohne Behinderung  überwunden werden müssen[1]. 
  Gruppen- und  individuenbezogene Korrelate von Freundschaftsbeziehungen
  Schließlich werden Freundschaftsbeziehungen von Jugendlichen  mit Behinderung hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf die Lebensführung  betrachtet. So untersuchen Hennies u.a. (2015) etwa den Zusammenhang von  Freundschaften unter sehbehinderten/blinden Jugendlichen mit ihrer  Lebensqualität und ihrer eigenen Bewertung von Freundschaften und Kontakten mit  ‚Gleichbetroffenen‘. Kirschnoik (2010) betont darüber hinaus die unterstützende  Rolle und Funktion von Freundschaften. 
  Die dargestellten Thematisierungsweisen von Freundschaften  von Jugendlichen mit Behinderung weisen zwei übergreifende Gemeinsamkeiten auf.  Erstens fokussieren die vorhandenen Studien zum überwiegenden Teil den Kontext  der Schule. Mag dieser im Jugendalter auch im Besonderen für die Entstehung von  Freundschaften relevant sein, so zeichnet sich diese Sozialform doch gerade  dadurch aus, dass sie – mehr noch als ‚Peers‘ oder ‚Klassenkamerad*innen‘ –  über diesen sozialen Ort hinausgehen. Eine derartige Verschränkung erarbeiten  etwa Lindmeier/Bickes (2015) für die Freundschaften und die Freizeitsituation  von Jugendlichen mit einer Sehbehinderung (ebenso wird dies im dargestellten  Ansatz von Walter-Klose (2016) und den unveröffentlichten  Qualifikationsarbeiten von Krug 2012 und Meyer 2014 aufgegriffen). Die  Vielgestaltigkeit möglicher Interaktionspartner*innen, die Freund*innen sein  können, gerät so oftmals aus der Betrachtung.
  Zweitens werden Freundschaften von Jugendlichen mit  Behinderung in der aktuellen deutschsprachigen Forschung vor allem vor dem  Hintergrund sozialer Integration diskutiert. Zumeist in Bezug auf Menschen ohne  Behinderung wird dabei die Frage des ‚ob‘, also das Vorhandensein  entsprechender Beziehungen diskutiert, woraufhin negative wie positive  Einflussfaktoren differenziert werden. Deckert-Peaceman (2009) kritisiert diese  Praxis, da sie lediglich einen kleinen Teil sozialer Relationen in den Blick  nehme. Ihr Vorschlag, darüber hinaus Peerkulturen aufzugreifen, weitet  allerdings nur die Relevanz des Themas der sozialen Integration aus, sofern sie  damit innerhalb des Kontextes der Schule verbleibt. Nimmt jene Integration vor  dem Hintergrund der inklusiven Öffnung von Schule, Jugendhilfe und  Freizeitangeboten sowie dem (gesetzlichen) Anspruch auf Teilhabe eine  übergeordnete Rolle ein, deckt sie doch nicht alle Aspekte von  Freundschaftsbeziehungen ab. Alltagsrelevanz, Eigenlogik und Eigendynamik von  Freundschaften bleiben in den bestehenden Ansätzen zumeist unthematisiert.
  In der derzeitigen Forschung zu Freundschaften von  Jugendlichen mit Behinderung steht somit eine umfassende Klärung der Fragen des  ‚wo?‘, ‚wie?‘, ‚was passiert?‘ und ‚wozu?‘ größtenteils aus. Die nähere  Betrachtung von Orten und Formen des Kennenlernens, gemeinsamen und getrennten Aktivitäten,  der subjektiven Bedeutungszumessung und Formen der Intimität, der  Zusammensetzung hinsichtlich geschlechtlicher, sozioökonomischer und  ethnisch-migrationsgeschichtlicher Faktoren sowie der darin ablaufenden  sozialen Prozesse fehlen bisher überwiegend. Diese Teilaspekte können nun, so  wollen wir zeigen, in egozentrierten Netzwerkanalysen aufgearbeitet werden –  wie diese auch eine methodische Inklusion von Jugendlichen mit Behinderung in  empirische Erhebungen erlauben. 
Im Folgenden diskutieren wir die Potentiale und Herausforderungen egozentrierte Netzwerkanalysen entlang zweier grundsätzlicher Perspektiven. Erstens ist fraglich, inwiefern dieser Erhebungsprozess eine Teilhabechance oder -barriere für die Zielgruppe der Jugendlichen mit Behinderung darstellt. Zweitens soll geklärt werden, wie und welche der dargestellten Inhalte der Freundschaftsforschung mit dem Vorgehen der egozentrierten Netzwerkanalysen gefüllt werden können. Für diese Diskussion führen wir zunächst in Netzwerkerhebungen und egozentrierte Netzwerkanalysen als Forschungsmethode ein und fokussieren anschließend drei Perspektiven an der Schnittstelle zu Jugendlichen mit Behinderung.
Netzwerke und soziale  Netzwerkanalyse
  Bei der Beschreibung der sozialen Welt ist es fast unmöglich  an dem Begriff der Netzwerke vorbeizukommen. Wo lange Zeit Gruppen, Klassen,  Schichten und Systeme als dominante soziale Struktur betrachtet wurden, sind es  gegenwärtig insbesondere im Kontext von Globalisierung und Digitalisierung die  Netzwerke, denen als soziale Struktur eine hohe Bedeutung zur Analyse des  Sozialen zugesprochen wird (Castells 2007). Netzwerke in diesem Sinne bestehen  formal aus Akteuren (Knoten) und den Verbindungen (Kanten) zwischen ihnen. Als  Akteure können Individuen ebenso wie auch Organisationen und Institutionen  fungieren. Im Falle von Personen ist es möglich Netzwerke als ein Geflecht  ihrer sozialen Relationen zu verstehen. Damit sind Handlungsmöglichkeiten aus  der Netzwerkperspektive, nicht einzig die Folge kategorialer Zugehörigkeiten,  individueller Attribute oder von Kultur und Normen, sondern vielmehr durch die  Positionierung in einem Netzwerk bestimmt. Anders als in der klassischen  Umfrageforschung werden Akteure in diesem Zusammenhang nicht dekontextualisiert  betrachtet (Stegbauer 2010). Diese Sichtweise erlaubt es, eine Zwischenebene  neben der individuellen und der übergeordneten gesellschaftlichen Ebene zu  berücksichtigen. Dadurch wird eine Verbindung von Mikro- und Makroansätzen bei  der Erklärung sozialer Phänomene möglich (Jansen 2006). 
  Dementsprechend steht bei der Sozialen Netzwerkanalyse  (SNA), einer Weiterentwicklung der Soziometrie als erstem netzwerkanalytischen  Verfahren (Moreno 1941), die Betrachtung sozialer Beziehungen im Vordergrund.  Daraus ergibt sich ferner der Fokus auf die systematische Erhebung und Analyse  eben dieser, sowie damit verbunden die graphische Darstellung der  erhobenen/erfassten Beziehungsstrukturen. Die SNA stellt dazu mathematische und  computergestützte formale Modelle zur Beschreibung und Erklärung von  Strukturmustern bereit (Freeman 2004), so dass die Wechselwirkungen zwischen  Netzwerk und Individuum berücksichtigt werden können. Demnach wirken sich nicht  nur benachbarte Beziehungen auf den Akteur aus, sondern alle Beziehungen  innerhalb des Netzwerkes. 
  Innerhalb der SNA sind zwei verschiedene Forschungszugänge  zu unterscheiden. Zum einen die Untersuchung von Gesamtnetzwerken (whole  networks); hier werden ausschließlich Beziehungen zwischen Akteuren in einem  abgegrenzten System betrachtet (Fuhse 2018). Zum anderen egozentrierte  Netzwerke, in denen aus der Perspektive einer fokalen Person (Ego) persönliche  Beziehungen des sozialen Umfeldes erfragt werden (Jansen 2006). Mit den  verschiedenen Perspektiven gehen eigene Schwerpunkte in Datenerhebung und  -auswertung einher. Die Erhebung von Gesamtnetzwerken eignet sich etwa  besonders im Schulkontext, wenn Freundschaftsbeziehungen von Schüler*innen  innerhalb einer Klasse untersucht werden sollen (Knecht 2008). Geht es darüber  hinaus um Freundschaften außerhalb des Klassenkontextes (hier das abgegrenzte  System), zum Beispiel um Freundschaften in der Freizeit oder aus der  Nachbarschaft, bieten sich die Verfahren der egozentrierten Netzwerkanalyse an.  Gerade für Jugendliche mit Behinderung sind Sozialbeziehungen außerhalb des  Schul- und Klassenkontextes weitestgehend unerforscht, weshalb sich unsere  Diskussion auf die Erhebung egozentrierter Netzwerke konzentriert.
  Erhebungsverfahren  egozentrierter Netzwerke
  Das Erhebungsverfahren egozentrierter Netzwerke besteht aus  drei Schritten. Zunächst werden Namensgeneratoren eingesetzt, die anhand  spezifischer Kriterien eine Liste konkreter Namen generieren, welche als  Referenzpersonen für weitere Fragen dienen. Eine Erhebung von Freundschaften  auf diese Weise lässt sich früh in der Studie von Laumann (1969) finden. Hierin  wurde nach den drei „besten“ Freunden gefragt. Problematisiert wurde  hinsichtlich dieses Vorgehens allerdings, dass Begriffe wie „Freund“ oder  „Freunde“ unter anderem je nach Schichtzugehörigkeit oder kulturellem  Hintergrund stark variieren, was wiederum die Aussagekraft solcher Messungen in  Frage stellt (Burt 1983; Wolf 2004). Interaktions- und Austauschstimuli sollen  demgegenüber einen geringeren Interpretationsspielraum bieten. In einer  Jugendstudie (Rössler/Scharfenberg 2004) wurden deshalb unter anderem folgende  Instrumente verwendet:
  „Mit wem triffst du dich am häufigsten in deiner Freizeit?“
  „Mit wem aus deiner Jugendgruppe oder deinem Verein  verstehst du dich besonders gut?“
  „Mit wem sprichst du, wenn du ein Problem hast, wenn du  traurig bist oder dir Sorgen machst?“
  Die Wahl des Namensgenerators entscheidet somit, welche  Aussagen über das Netzwerk getroffen werden können und auf welche Art und Weise  der Forschungsgegenstand (z. B. Freundschaft) gefasst wird. 
  Als zweiter Schritt werden im Rahmen sogenannter  Namensinterpretatoren Informationen zu den Beziehungen (z.B. Beziehungsdauer,  Kontakthäufigkeit) zwischen dem Akteur und den von ihm aufgelisteten Personen  sowie deren Eigenschaften (z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft) aufgenommen.
  Der dritte (optionale) Schritt sieht die Erfassung der  Beziehungen zwischen den Bezugspersonen und damit die Struktur und Dichte des  Netzwerks vor. Für alle Kombinationen der vom Befragten aufgeführten Namen wird  etwa folgende Frage gestellt:
  „Nun würden wir gerne von dir/Ihnen wissen, wie gut sich die  Personen in deinem/Ihrem Umfeld untereinander kennen. Kennen sich die Personen  sehr gut, gut, weniger gut, flüchtig oder gar nicht?“ (Herz 2014)
  Mit den vielen Vorzügen egozentrierter Netzwerke gehen  zugleich Einschränkungen einher. So ist bei Netzwerkfragen gegenüber herkömmlichen  Fragen ein deutlich höherer Zeit- und Kostenaufwand zu bedenken, gerade wenn  die Namensgeneratoren auf mehrere Bereiche abzielen und eine längere Liste an  Bezugspersonen erzeugen. Eine grundsätzliche Schwierigkeit besteht ebenfalls im  Hinblick auf die Verlässlichkeit der Angaben, die Befragte zu ihren  Referenzpersonen machen. Soziodemografische Merkmale bereiten für gewöhnlich  keine Schwierigkeiten; Informationen zu bestimmten Verhaltensweisen und  Einstellungen sind demgegenüber als eher unsicher einzuschätzen. Oftmals neigen  Befragte dabei dazu, von sich auf andere zu schließen, weshalb die Homophilie  im Netzwerk möglicherweise überschätzt wird (Fuhse 2018). 
  Limitiert sind egozentrierte Netzwerkanalysen darüber  hinaus, da sie lediglich einseitige Einschätzungen enthalten. Im Vergleich zu  Gesamtnetzwerken ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob etwa eine aufgeführte  Freundschaftsbeziehung von den genannten Personen erwidert wird oder nicht. Der  Einfluss fehlender Informationen überträgt sich sogar verstärkt auf  Einschätzungen zu Beziehungen von Dritten (ebd.)
  Neben diesen allgemeinen Chancen und Herausforderungen in  der Erhebung egozentrierter Netzwerkanalysen möchten wir diese weitergehend  hinsichtlich der Zielgruppe von Jugendlichen mit Behinderung diskutieren.
Ausgangspunkt für die folgenden methodischen Darstellungen  sind die Ergebnisse des Projekts ‚Inklusive Methoden‘ des Deutschen  Jugendinstituts. In diesem wurde erprobt, wie quantitative Befragung von  Jugendlichen mit Behinderung möglichst inklusiv gestaltet werden können. Ziel  war die Beteiligung der Jugendlichen u.a. durch ein möglichst umfassendes  inhaltliches Verständnis des Fragebogens zu erreichen, um eine valide  Beantwortung zu sichern. In diesem Zuge wurden unterschiedliche Inhalte und  Fragetypen mit 126 Jugendlichen mit verschiedenen Formen von Behinderung (Seh-,  Hör-, Sprach-, sog. Lernbehinderung, sog. geistige, körperliche, sozialemotionale  Behinderung) individuell erprobt sowie in Fokusgruppen diskutiert. Aus diesen  Ergebnissen (weiterführend Brodersen/Ebner/Schütz 2019) lassen sich Vor- und  Nachteile, Herausforderungen und Chancen in Bezug auf egozentrierten  Netzwerkanalysen ableiten, auch wenn diese selbst nicht empirisch erprobt  wurden. Dabei sind drei Aspekte zu unterscheiden:
  Operationalisierung  von Freundschaften
  Die Operationalisierung von Freundschaftsbeziehungen zur  Erfassung in wissenschaftlichen Erhebungen ist, wie dargestellt, äußerst  heterogen. Dies verweist auf die grundlegende Problematik der  Übersetzungsleistung zwischen wissenschaftlich-spezifischen Definitionen und  der alltagsweltlich-komplexen Lebenswelt mit ihren nicht immer vollständig  explizierbaren Sinnstrukturen. Die Form aggregierter Fragen löst dieses Dilemma  dabei einseitig zugunsten definitorischer Festlegungen auf, die Befragte  erfüllen (können) müssen. 
  Die Vielgestaltigkeit von ‚Freundschaften‘ insbesondere von  Jugendlichen mit Behinderung stellt dadurch quantitative Verfahren im  Allgemeinen, vor allem aber aggregierte Operationalisierungen vor eine  Herausforderung. So zeigen die Erfahrungen des Projektes ‚Inklusive Methoden‘  eine Vielzahl unterschiedlicher, als Freundschaft bezeichneter Beziehungen. Etwa  besteht für manche Jugendliche mit Behinderung kein Unterschied zwischen  Freund*innen und anderen benennbaren Gruppen an Sozialkontakten: Nicht nur  seien alle Mitschüler*innen Freunde, sondern, so erläutert Oli, sei dies auch  grundsätzlich nicht anders vorstellbar und nie anders gewesen. Ebenso benennt  Nico als beste Freundin sein Kuscheltier Anna – und auch Hannes und sein  persönlicher Assistent würden eine freundschaftliche Beziehung führen, treffen  sie sich doch in ihrer Freizeit und vertrauen sich Geheimnisse an. Vor diesem  Hintergrund stehen aggregierte Operationalisierungen vor der Wahl, entweder  relevante Ausschnitte der gelebten Praxis der Befragten zu unterschlagen, indem  sie sich auf externe Kriterien wie etwa ein gleiches Alter und eine intime Beziehung  berufen, oder an Trennschärfe zu verlieren, wenn nach der subjektiven Zuordnung  zur Gruppe der ‚Freunde‘ gefragt wird und dadurch weitere Unterschiede aber  nicht differenziert werden können. 
  Egozentrierte Netzwerkanalysen können diesem Dilemma, so  glauben wir, mindestens in Teilen entgehen. Zwar setzen auch Generatorfragen  jeweils ein Kriterium fest, was eine Vergleichbarkeit über die einzelnen  Befragten hinweg ermöglicht. Durch Nachfragen etwa zu Alter, Geschlecht,  weiteren Formen von Beziehungen wie etwa dem Ort des Kennenlernens und  gemeinsamen Aktivitäten zu den generierten ‚Freunden‘, scheint uns allerdings  eine genauere Bestimmung der Freundschaften möglich. Diese in ihrer  eigenlogischen Existenz darzustellen, kann dabei gelingen, weil gleichzeitig  die jeweils subjektiv in dieser Weise er- und gelebten Freundschaftsbeziehungen  identifiziert als auch die objektiv bestehenden Sozialbeziehungen differenziert  werden können. Mit egozentrierten Netzwerkanalysen deutet sich so für uns die  Chance an, die in Teilen vielgestaltigere Lebenswelt von Jugendlichen mit  Behinderung sowohl zu berücksichtigen und unterscheiden zu können. 
  Verständlichkeit und  Beantwortbarkeit von Fragen
  Inwiefern die jeweils formulierten Fragen von Teilnehmenden  einer Erhebung bearbeitet werden können, hängt neben den genannten Inhalten  zentral auch von deren Form ab. Dabei operieren aggregierte  Operationalisierungen zu Freundschaften zumeist über Zustimmungs- oder  Häufigkeitsskalen. So fragt das NEPS (Welle 2015) nach dem Anteil der Personen  im Freundeskreis, die ein Abitur anstreben/haben und die Studie Jugend.leben  enthält u.a. die Aussagen ‚Alkohol trinken‘ und ‚viel lernen‘, für die eine  erwartete Bewertung durch den eigenen Freundeskreis angegeben werden soll  (Maschke u.a. 2013). Jeweils ist diese Form der Erhebung in der Bearbeitung  kompliziert. Leitet letztere aufgrund der schon in sich ungenauen  Antwortkategorien eher eine grobe Abwägung anhand von ‚besonders‘ auffälligen  Situationen ein, geht mit ersterem die Anforderung einher, die Gruppe der  Freunde genau zu benennen, die Merkmale der Einzelnen zu erfassen, die Mengen  zusammen zu zählen und ins Verhältnis zu setzen.
  Diese entweder stark abstrahierenden oder numerisch  konkretisierenden Formen der Qualifikation von Beziehungen stellen, so zeigen  die Erfahrungen des Projektes ‚Inklusive Methoden‘, insbesondere für  Jugendliche mit einer sogenannten geistigen Behinderung ein Teilnahmehindernis  dar. Vergleichbare Häufigkeitsfragen wurden bei der Bearbeitung durch diese zu  rund 14% als missings kategorisiert wohingegen allgemeine Zustimmungsfragen zu  95% inhaltlich beantwortet wurden und zu weiteren 3,5% eine zumeist erklärende  Antwort außerhalb der Antwortkategorien erfolgte[2].  Ebenso zeigen die dokumentierten  Erhebungsinteraktionen, dass auch bei erfolgreich bearbeiteten  Häufigkeitsfragen vielfach Unsicherheiten geäußert wurden und Erklärungen durch  die Interviewer*innen nötig waren.
  Egozentrierte Netzwerkanalysen stellten für uns vor diesem  Hintergrund potentiell eine Entlastung von Befragten dar und versprechen höhere  Antwortquoten durch ein besseres Verständnis. Durch die Umstellung von  Einschätzungen der Häufigkeit auf Angaben zu Alter, Geschlecht oder Behinderung  einzelner, konkret benannter Personen bleibt der Informationsgehalt – je nach  Größe der erfragten Netzwerke – potentiell bestehen. Die Wiedergabe von  Informationen in dieser Form, etwa des Geschlechts singulärer Freund*innen,  erwies sich in den Erhebungen des Projekts ‚Inklusive Methoden‘ als zumeist  unkompliziert. Das Problem, Altersangaben wie auch Informationen über eine  Behinderung grundsätzlich einschätzen zu können, bleibt zugleich bestehen.  Sofern aber den Befragten mit Behinderung die Informationen verfügbar sind,  gehen wir bei einer Befragung in Form egozentrierter Netzwerke von einer  besseren Beantwortbarkeit aus. 
  Abbildung von  Lebenspraxis
  Schließlich ist für die Gestaltung von Erhebungen auf die  Struktur der Lebenswelten Jugendlicher einzugehen. Jugendliche mit Behinderung  besuchen trotz der zunehmenden schulischen Inklusion weiterhin vielfach  spezialisierte und damit auch segregierte Bildungseinrichtungen (Autorengruppe  Bildungsberichterstattung 2014, 2018). Diese zeichnen sich oftmals durch  zeitliche Einschränkungen aus: Die häufige Kombination aus nachmittäglichen  Betreuungs-/Freizeitangeboten, Therapien und langen Fahrtwegen schränkt die  Möglichkeiten weitergehender Aktivitäten am Wohnort etwa in Vereinen,  Jugendgruppen oder im Musikunterricht oftmals ein. Kritisch wird in der  gegenwärtigen Debatte um schulische Inklusion deshalb auch diskutiert, ob nicht  gerade eine wohnortnahe, inklusive Beschulung auch für die sozialen  Nahbeziehungen förderlich sein kann.
  Derartige Informationen zu Freundschaftsbeziehungen etwa  innerhalb spezifischer Institutionen oder Räume können, wie dargestellt,  grundsätzlich in aggregierten Operationalisierungen wie auch in egozentrierten  Netzwerken erhoben werden. Für die aktuelle Debatte und die Gestaltung  politischer Maßnahmen zeigt sich aber nicht nur die Angabe des ‚ob‘ dieser  Beziehungen etwa zu Jugendlichen ohne Behinderung relevant, sondern auch die  konkreten Informationen etwa zu Orten des Kennenlernens, zu gemeinsamen  Aktivitäten und zur Intimität der Beziehung. Darüber hinaus sind die  vielfältigen Formen freizeitlicher Aktivitäten und darin entstehender  Freundschaftsbeziehungen relevant und ein bisher geringfügig betrachteter  Aspekt der wissenschaftlich-politischen Debatte (siehe dazu auch Brodersen et  al. 2018 – Artikel BBW). Die Vielfältigkeit möglicher institutioneller  Einbettungen und subjektiver Gestaltungsformen macht eine Erhebung innerhalb  aggregierter Operationalisierungen zugleich schwierig und aufwendiger.  Egozentrierte Netzwerke stellen hier die Möglichkeit dar, Erhebungen nicht  ausgehend von gegebenen Institutionen, sondern vom gelebten Leben der  Jugendlichen zu erfassen und damit deren Lebenswelt zu repräsentieren und ggf.  adäquate politische Reaktionen zu ermöglichen.
Im vorliegenden Beitrag haben wir uns der wissenschaftlichen  Erhebungspraxis von Freundschaftsbeziehungen von Jugendlichen mit Behinderung  in drei Schritten genähert. Erstens haben wir die Eigenlogik und Relevanz von  Freundschaften im Jugendalter herausgearbeitet und zweitens auf die ausstehenden  Arbeitsfelder in der wissenschaftlichen Betrachtung von Freundschaften von  Jugendlichen mit Behinderung hingewiesen. Drittens stellten wir die Chancen der  Erhebung in Form egozentrierter Netzwerken gegenüber aggregierten  Operationalisierungen auf Basis von Praxiserfahrungen mit Jugendlichen mit  Behinderung dar. Dabei haben wir zum einen die Bearbeitungspraxis von  Erhebungen betrachtet und eine Komplexitätsreduktion vor allem in Hinblick auf  Fragen zu Häufigkeiten in Aussicht gestellt. Zum anderen haben wir inhaltlich  die Möglichkeit betont, die Vielgestaltigkeit der Freundschaftsbeziehungen von  Jugendlichen mit Behinderung, ihre subjektive und objektive Lebenswelt erfassen  zu können. 
  Vor dem Hintergrund dieser Argumente sehen wir ein  Entwicklungs- und Anwendungspotential von egozentrierten Netzwerkanalysen. Mit  der Umsetzung innerhalb von Befragungen von Jugendlichen mit Behinderung  können, so glauben wir, im Sinne einer Diversitätsorientierung (Gaupp 2017) die  bestehenden Grenzen der Jugendforschung ausgeweitet wie auch methodische  Innovationen angestoßen werden.  Neben  dem wissenschaftsimmanenten Anspruch, keine Teilgruppe Jugendlicher aus  Forschung (indirekt) auszuschließen, und der innerhalb der UN-Behindertenrechtskonvention  (2017: §31) und dem zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung (BMAS 2016)  festgehaltenen Notwendigkeit insbesondere die Lebenswelten von Jugendlichen mit  Behinderung zu adressieren, gehen wir auch von Chancen für die pädagogische und  politische Praxis aus, die solchermaßen inklusive Erhebungen ermöglichen. Sie  bieten Grundlagen für die Ausgestaltung von Angeboten der Jugendhilfe,  passender Förderprogramme und Pilotprojekte sowie der informierten  Ausgestaltung sozialpädagogischer Praxis. Als methodische Herausforderung  bleiben dabei die Aufgaben bestehen, passende Generatorfragen zu entwickeln und  zu testen, sowie Lösungsoptionen oder Abwägungen für den Umgang mit der  eventuellen Länge und der Redundanz von Interpretatoren zu finden. 
  Für die Forschung zu Freundschaften von Jugendlichen mit  Behinderung haben wir auf Basis der Erfahrungen und des Austausches innerhalb  der Fachgruppe ‚Lebenslagen und Lebensführung Jugendlicher‘ des Deutschen  Jugendinstituts somit diesen Diskussionsanstoß formuliert. Herzlich laden wir  nun zur Debatte um diesen Entwurf ein – ebenso wie zu praktischen Experimenten  und Berichten über Versuche der Realisierung des Dargestellten. Wir freuen uns  in diesem Sinne auf die Weiterentwicklung einer lebensweltangemessenen,  diversitätsorientierten Jugendforschung. 
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[2] Bei der Bearbeitung von Zustimmungsfragen sind nur geringfügige Unterschiede zwischen Jugendlichen mit einer geistigen und einer anderen Behinderung festzustellen.