Abstract: Die Gestaltung eines Gemeinwesens, in dem inklusive Lebensverhältnisse die gleichberechtigte Teilhabe aller ermöglichen ist Aufgabe und Herausforderung für verschiedene Akteur/innen. Der Beitrag zeigt die Bedeutsamkeit der Gemeinde und des Ortsbezirks hinsichtlich der Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auf und verdeutlicht die Rolle der Gemeinde und der Ortsbeiräte bei der Planung von Teilhabe. Anhand von Studienergebnissen, die bei Erhebungen auf kommunaler Ebene gewonnen werden konnten, werden exemplarisch Teilhabe(planungs)bedingungen in kreisangehörigen Städten und Gemeinden sowie ihren Ortsbezirken vorgestellt. Aufscheinende Diskrepanzen zwischen den im Beitrag hergeleiteten Ansprüchen an die kommunalen Akteure und den vorherrschenden Teilhabe(planungs)bedingungen werden diskutiert. Schließlich werden Ansatzpunkte für Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene aufgezeigt.
Stichworte: kommunale Teilhabeplanung, inklusives Gemeinwesen, Teilhabe, Gemeinde, Ortsbezirk
Inhaltsverzeichnis
Die Chance zur Verwirklichung von Teilhabe für alle und jede/n wird dort am konkretesten, wo der/die Einzelne jeweils lebt: in der Gemeinde.
Die Ebene der Gemeinde bietet vielfältige (soziale und politische) Anlässe zur Teilhabe – optionale wie auch obligatorische. Bestimmten strukturellen Gegebenheiten können sich die Einwohner/innen nicht ohne Weiteres entziehen; gleichzeitig besteht grundsätzlich die Möglichkeit, z. B. auf kommunalpolitischer Ebene, bei der Ausgestaltung örtlicher Strukturen mitzuwirken. Dies ist schon auf der Ebene der Ortsbezirke möglich, die in Gemeinden auf Grundlage der jeweiligen Gemeindeordnung gebildet werden können (vgl. z. B. § 81 HGO).
Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sind die Möglichkeiten der Teilhabe für Menschen mit und ohne Behinderung ungleich verteilt. Die Förderung inklusiver Lebensverhältnisse – und damit die Gestaltung eines Gemeinwesens, in dem die gleichberechtigte Teilhabe aller möglich ist – wird eher dem Zuständigkeitsbereich der Sondersysteme zugesprochen als in der Allzuständigkeit der Kommunen wahrgenommen. Diese, die Daseinsvorsorge für die Bürger/innen umfassende Allzuständigkeit (vgl. Böhmer 2015, S. 138) der Kommunen lässt sich auf die grundgesetzlichen Regelungen zur Selbstverwaltung der Gemeinden zurückführen (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG).
Der vorliegende Beitrag zeichnet zunächst die Begründung von Teilhabe auf Ebene der Gemeinde nach. Dabei argumentiert er für die mehrfache Bedeutsamkeit der Gemeinde und der Ortsbezirke im Zusammenhang mit den Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung und verdeutlicht die Rolle der Gemeinde und der Ortsbeiräte bei der Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung und der Gestaltung und Planung inklusiver Gemeinwesen.
Im Beitrag werden verschiedene Argumente vorgebracht, die die Erwartung an die Gemeinden nach Zuständigkeit für die Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung stützen und sich für die Wahrnehmung der Gestaltungsmöglichkeiten durch die Gemeinden bei der Entwicklung inklusiver Gemeinwesen aussprechen. Die Ebene der Ortsbezirke findet dabei ebenso Berücksichtigung.
Exemplarisch werden Ergebnisse zweier Erhebungen auf kommunaler Ebene angeführt, die im Rahmen eines vom Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen begleiteten Teilhabeplanungsprozess im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg gewonnen werden konnten (vgl. Bertelmann/Rohrmann 2018). Die Befragungen richteten sich zum einen an die Kommunalverwaltungen der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, zum anderen wurden die Vorsteher/innen der gewählten Ortsbeiräte adressiert. Damit ist es gelungen, nicht nur die Perspektive der Gemeinde, sondern auch die kleinräumigere Perspektive der Ortsbezirke zu berücksichtigen.
Mit den vorgestellten Ergebnissen sollen Diskrepanzen zwischen den zuvor im Beitrag hergeleiteten Ansprüchen an Gemeinde(n) als Ort und Gestalterin(nen) von Teilhabe und den vorherrschenden Teilhabe(planungs)bedingungen auf den beiden kommunalen Ebenen aufgezeigt und Hinweisen auf Gründe dieser Diskrepanzen nachgegangen werden.
Zuletzt werden im Beitrag Ansatzpunkte und Perspektiven zur Entwicklung der Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung und Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene aufgeworfen.
„Teilhabe – oder Partizipation – bedeutet dazugehören, dabei sein, mitgestalten: dazugehören zu, dabei sein in und mitgestalten von politisch verfassten Gemeinwesen und gesellschaftlich begründeten Gemeinschaften von Menschen“ (Rudolf 2017, S. 13). Rudolf sieht in Teilhabe einen „untrennbare[n] Bestandteil von Selbstbestimmung“ (a. a. O., S. 15), welche wiederum den Kern der Menschenwürde bilde (vgl. a. a. O., S. 14). Zudem sei Teilhabe nur dann möglich, wenn keine Diskriminierung stattfinde (vgl. a. a. O., S. 15); denn Diskriminierung einhergehend mit Ausschluss bedeutet mithin Nicht-Teilhabe.
In der UN-Behindertenrechtskonvention ist Partizipation im Sinne „volle[r] und wirksame[r] Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Art. 3 c UN-BRK) als allgemeiner Grundsatz formuliert und findet sich in mehreren Artikeln (insbesondere Art. 19, 26, 29 und 30) bezogen auf Menschen mit Behinderung konkretisiert wieder (vgl. Hirschberg 2010, S. 2).
Partizipation steht nicht nur in engem Zusammenhang mit Inklusion; beide sind „untrennbar […] verbunden“ (Wansing 2015, S. 47). Die Verwirklichung von Teilhabe steht in Abhängigkeit von den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen. „Die gleichberechtigte Partizipation aller Menschen an der Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn die Lebenssituationen aller Menschen von Anfang an beachtet und alle einbezogen werden“ (Hirschberg 2010, S. 2).
Die Achtung der Menschenrechte gehört zu den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. Art. 1 Abs. 2 GG). Geht man davon aus, dass die Gemeinde ihrem Wesen nach die „Grundlage des demokratischen Staates“ (§ 1 Abs. 1 HGO) bildet, die „das Wohl ihrer Einwohner [fördert]“ (ebd.), so müsste die Verwirklichung der menschenrechtlichen Primate – und darunter das der Teilhabe – auf Ebene der Gemeinde und des Ortsbezirks in besonders konkreter Weise Berücksichtigung erfahren und so müsste zuvorderst die Gemeinde als Garant freiheitlich demokratischer Lebensverhältnisse der sozialen und politische Teilhabe zur Verwirklichung verhelfen. Gleiches kann für die Ebene der Ortsbezirke beansprucht werden, da sich das demokratische Prinzip bis dorthin erstreckt (vgl. Fischer 2010, S. 93). Unter Beachtung des Gleichheitsgebots und des Benachteiligungsverbots (vgl. Art. 3 GG) gilt die Verwirklichung von Teilhabe als Menschenrecht selbstverständlich auch für die Personengruppe der Menschen mit Behinderung.
Mit Blick auf Teilhabe und die Planung von Teilhabe kann von einer mehrfachen Bedeutsamkeit der Gemeinde und des Ortsbezirks ausgegangen werden.
So zeichnet Beck (2016, S. 11 ff.) im Zusammenhang mit ‚Inklusion im Gemeinwesen‘ verschiedene Aspekte von ‚Gemeinde‘ nach. Im sozialen Raum ‚Gemeinde‘ finde die alltägliche Lebensführung von Individuen statt; bestenfalls könnten sie sich hier bewegen, einander begegnen, aktiv sein, die vorhandene Infrastruktur nutzen, bei Bedarf Unterstützung erhalten (zum Begriff der Lebensführung im Zusammenhang mit Teilhabe und Exklusionsrisiken siehe Wansing 2016, S. 244 f.). Die Gemeinde als Ort der alltäglichen Lebensführung – ‚Ort‘ ist hier nicht bloß geographisch gemeint sondern hat als ‚Lokalisierung von Räumen an Orten‘ auch räumlichen Gehalt (vgl. Löw 2015, S. 198 ff.) – stehe in engem Zusammenhang mit der Gemeinde als Kommune im Sinne einer Verwaltungseinheit. Kommunen unterlägen regionalen bis globalen Einflüssen, die kommunal und lokal unterschiedliche wechselwirksame Effekte auf die Bedingungen der alltäglichen Lebensführung haben können (vgl. ebd.).
Weitere, wesentliche Bedeutsamkeit kommt der Gemeinde insbesondere dadurch zu, dass die Ausgestaltung ihrer örtlichen Strukturen unter demokratisch legitimierter Mitwirkung der Bürger/innen stattfindet. Die hessischen Vertretungen auf Bezirksebene gewinnen ihre repräsentative Funktion durch ihre unmittelbare Wahl durch die Bürger/innen des Ortsbezirks (vgl. § 82 Abs. 1 S. 1 HGO). Ihnen können bestimmte Angelegenheiten übertragen werden (vgl. § 82 Abs. 4 HGO). Sie haben gegenüber der Gemeindevertretung oder dem Gemeindevorstand die Pflicht zur Stellungnahme (vgl. § 82 Abs. 3 S. 3 HGO) und sind mit Anhörungs-, Vorschlags- und Initiativrecht in Angelegenheiten, die den Ortsbezirk betreffen ausgestattet (vgl. § 82 Abs. 3 S. 1 und 2 HGO; Fischer 2010, S. 248 f). Damit bildet der Ortsbeirat die direkte Vermittlungsstelle für die Interessen der Bürger/innen des Ortsbezirkes zur Gemeinde als Verwaltungseinheit.
Die Gemeinde bzw. der Ortsbezirk sind somit der naheste Raum, in dem Menschen potenziell soziale und politische Teilhabe verwirklichen können. Gleichzeitig sind sie der naheste Raum, in dem Menschen mit Beeinträchtigungen auf umwelt- und einstellungsbedingte Barrieren treffen können. Durch Wechselwirkung von Beeinträchtigung und Barriere kann es dann – entsprechend dem Verständnis von Behinderung auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention (vgl. Präambel lit. e UN-BRK) – zu Behinderungen der Teilhabe kommen.
Zwar werden seit Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention die Entwicklung inklusiver Gemeinwesen und damit die Teilhabeplanung für und mit Menschen mit Behinderung vermehrt thematisiert (zu einem „neue[n] kommunale[n]Planungsoptimismus“ vgl. Steinfurth 2011). Jedoch scheint die Frage, inwiefern sich die Gemeinden um die Verbesserung – und schließlich die Gleichberechtigung – der Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf kommunaler Ebene bemühen, ‚vor Ort‘ unterschiedlich beantwortet zu werden. Mancherorts, so verdeutlicht das im Titel dieses Beitrags verwendete Zitat aus einem Antwortbogen der bereits erwähnten Befragung von kreisangehörigen Städten und Gemeinden, stellt sich die Frage derzeit wohl erst gar nicht (Die Frage im Fragebogen lautete: „Welche Aufgaben sollten die Städte und Gemeinden des Landkreises bei der Weiterentwicklung von Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen künftig stärker übernehmen?“. Die vollständige Antwort lautete: „Im Moment stellt sich die Frage nicht, eventuell wenn sich ein akuter Fall ergibt.“). Anscheinend fällt es Verantwortlichen schwer, aus den abstrakten Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und den gesetzlichen Vorgaben – beispielsweise zur Barrierefreiheit – eine konkrete Handlungsorientierung zu entwickeln.
Nach wie vor wird die Zuständigkeit für die Belange von Menschen mit Behinderung und die Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Anschluss an die Tradition der Behindertenhilfe (vgl. Rohrmann 2016, S. 151 f.) vorrangig bzw. ausschließlich der Behindertenhilfe und überörtlich agierenden Leistungsträgern – also separiert und somit exkludiert – zugesprochen. Dies ist angesichts der Zielrichtung der Inklusion – und damit verbunden der Abschaffung von Sonderwelten – weder sinnvoll noch angemessen.
Will man also Menschen mit Behinderung nicht nur und nicht in erster Linie als Empfänger von Leistungen der Eingliederungshilfe ansehen, dann können Planungen im Zusammenhang mit der Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht ausschließlich und auch nicht vorrangig durch Träger und Anbieter von Eingliederungshilfeleistungen erfolgen.
Zur Entwicklung inklusiver Gemeinwesen mit dem Ziel der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft braucht es folglich mehr als Unterstützungsdienste. Als relevante Bereiche bestimmen Rohrmann, Schädler u. a. (2014, S. 14 f.) neben der ‚Planung und Entwicklung flexibler und inklusionsorientierter Unterstützungsdienste‘ auch ‚Partizipation und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen‘, ‚Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für die Idee der Inklusion‘, ‚Gestaltung einer barrierefreien Infrastruktur‘, sowie ‚inklusive Gestaltung von Bildungseinrichtungen und anderer Einrichtungen für die Allgemeinheit‘. Diese fünf Dimensionen beziehen sich auf die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und bieten Anknüpfungspunkte für kommunales Handeln. Die Beförderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung aus dem Gemeinwesen heraus – unter Federführung der Gemeinde und in Abstimmung und Zusammenarbeit mit anderen relevanten Akteuren und Planenden, darunter selbstverständlich auch die Behindertenhilfe – erscheint folgerichtig und ist daher vorzuziehen (zu Planungsherausforderungen im inklusiven Gemeinwesen, insbesondere durch Sektoralisierung siehe bspw. Schädler/Reichstein 2018).
Im Zusammenhang mit der Planung und Gestaltung eines inklusiven Gemeinwesens – also der „Schaffung von Bedingungen im örtlichen Gemeinwesen, die es Menschen (mit Behinderungen) ermöglichen, ihr Leben selbstbestimmt in den üblichen gesellschaftlichen Institutionen des Lebenslaufs zu gestalten“ (Rohrmann/Schädler 2015, S. 22) – ist die Kommune einerseits „Ort der Vermittlung zwischen verschiedenen Interessen“ (Rohrmann 2016, S. 154), andererseits einer der planenden und gestaltenden Akteure (vgl. ebd.). Vor allem dort würden „das Gemeinwesen und der Sozialraum […] gestaltet“ (DV 2012, S. 16). Dort sei „der wesentliche Ansatzpunkt, um inklusive Sozialräume zu entwickeln“ (ebd.). Folglich wird der Kommune die Federführung sowie eine Vorbildfunktion bei der Planung eines inklusiven Gemeinwesens zugesprochen (vgl. Rohrmann/Schädler u.a. 2014, S. 9; 11; 41-44). Hier wird die Gemeinde also mit grundlegender und weitgreifender Bedeutsamkeit sowohl als Ort als auch als Akteurin im Zusammenhang mit der Teilhabe von Menschen mit Behinderung gesehen.
Die Zuständigkeit der Gemeinden für Planung lässt sich aus ihrem Recht auf Selbstverwaltung (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG) ableiten. So ergibt sich aus diesem Recht die Zuständigkeit der Gemeinde für die Daseinsvorsorge der Bürger/innen (vgl. Böhmer 2015, S. 138), woraus sich wiederum die Pflicht zur „Gestaltung der Lebensverhältnisse im Sinne einer kommunalen Entwicklungsplanung in den Kommunen“ ergibt (vgl. Rohden/Villard 2010, S. 51).
Auch in der UN-Behindertenrechtskonvention finden sich Bezüge zur Gemeinde. Die Gemeinde als Ort der Lebensführung wird in Artikel 19 zur „Unabhängigen Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ aufgegriffen. Hier ist neben dem Begriff der ‚Gemeinschaft‘ die Rede von „gemeindenahen Unterstützungsdiensten“ (lit. b; Herv. durch Verf.) und „gemeindenahen Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit“ (lit. c; Herv. durch Verf.). Betrachtet man die verbindliche englische Fassung, handelt es sich auch um einen Bezug auf die Gemeinde als Verwaltungseinheit. In der englischen Fassung der UN-BRK ist die Rede von „community support services“ und „community services and facilities“ (UN o.J., o.S.). Welti (2013, S. 91 f) sieht mit der deutschen Übersetzung „gemeindenah“ den Bedeutungsgehalt der englischen Fassung nicht angemessen wiedergegeben. Er befürchtet, dass „gemeindenah“ auf den geografischen Sinn verkürzt verstanden und der Bezug zur kommunalen Selbstverwaltung unzureichend erfasst wird. In den ‚Allgemeinen Verpflichtungen‘ der UN-Behindertenrechtskonvention ist festgelegt, dass die Bestimmungen der Konvention „ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaates“ gelten (Art. 4 Abs. 5 UN-BRK) – also auch für die Verwaltungseinheit Gemeinde. Nach Welti (2013, S. 91) „ergibt sich [hieraus] noch keine eindeutige Pflicht zu bestimmten Planungsprozessen auf einer bestimmten Ebene“– jedenfalls so lange nicht, wie das Bundesland dazu keine entsprechenden Regelungen getroffen hat (vgl. a. a. O., S. 92). Die Gemeinde ist jedoch zumindest mit der Umsetzung der Bestimmungen, und damit auch mit der Hinwirkung auf die Entwicklung eines inklusiven Gemeinwesens, adressiert. Wie oben dargelegt kommt ihr aber die Pflicht zu, die Lebensverhältnisse der Bürger/innen mit zu gestalten. Zudem wäre eine Verpflichtung der Gemeinde zur Teilhabeplanung durch Landesgesetzgebung aufgrund „der sich aus Verfassungsrecht und der BRK ergebenden Wertigkeit des Themas und des Erfordernisses, auch behinderten Menschen gleichwertige Lebensverhältnisse […] zu ermöglichen […] kaum als unverhältnismäßiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung anzusehen“ (ebd.).
Im Rahmen der Eingliederungshilfe sieht das Bundesteilhabegesetz (BTHG) die Zusammenarbeit der Träger der Eingliederungshilfe mit den Leistungsanbietern „und anderen Stellen, deren Aufgabe die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen betrifft“ (§ 96 Abs. 1 BTHG) vor. Im Hessischen Ausführungsgesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetz finden sich als kommunale Akteure die Landkreise und kreisfreien Städte, nicht jedoch kreisangehörige Gemeinden als Partnerinnen der Zusammenarbeit wieder (vgl. § 5 Abs. 1 HAG/SGB IX). Gegenstand der Zusammenarbeit sollen insbesondere die Abstimmung, Koordinierung und Vernetzung der jeweils eigenen Aufgaben sein (vgl. ebd.). Als „Ziel der Zusammenarbeit [wird] die Entwicklung inklusiver Sozialräume, um inklusive Lebensverhältnisse […] zu fördern und zu stärken“ (§ 5 Abs. 2 HAG/SGB IX) benannt. Hier greift das Hessische Ausführungsgesetz zur Umsetzung des BTHG den Begriff des Sozialraums auf, der mit dem BTHG Einzug ins SGB IX gefunden hat. Dort wird er im Zusammenhang mit „Leistungen zur Sozialen Teilhabe“ (§ 76 SGB IX) zur Bezeichnung des Ortes der Lebensführung außerhalb des eigenen Wohnraums verwendet (vgl. § 76 Abs. 1 SGB IX). Zwar bleibt offen, mit welcher Bedeutung die Verwendung des Begriffs ‚Sozialraum‘ im Gesetzestext genau erfolgt – ob bezogen auf administrativ definierte Räume oder eher als Überschneidung mehrerer Lebensräume oder als Kompromiss, so wie er dem Konzept der Sozialraumorientierung zu Grunde gelegt ist (vgl. Noack 2015, S. 77). Seine Verwendung im gleichen Atemzug mit ‚Lebensführung‘ und ‚Lebensverhältnisse‘ deutet auf ein Verständnis von Sozialraum hin, welches von der Nähe des Individuums zur Gemeinde als Ort der Lebensführung ausgeht und betrifft somit auch die Verwaltungseinheit. Wenn es also um die Gestaltung inklusiver Sozialräume und inklusiver Lebensverhältnisse gehen soll, liegt ein einbezogen Sein der Gemeinde angesichts der bisherigen Darlegungen grundsätzlich nahe. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sind kreisangehörige Gemeinden jedoch erst Partnerinnen der Zusammenarbeit, wenn sie im Rahmen der Eingliederungshilfe durch die Träger der Eingliederungshilfe zur Durchführung von Aufgaben herangezogen werden (vgl. § 10 HAG/SGB IX). Ungeachtet dessen können die Kreise die ihnen angehörenden Gemeinden bei der Entwicklung inklusiver Lebensverhältnisse einbeziehen.
Die Erwartung, dass die Gemeinden (dennoch und auch unabhängig von den Angeboten der Eingliederungshilfe) Maßnahmen und Planungen unternehmen, die das Wohl aller in ihrem Gebiet lebenden Menschen – also auch das von Menschen mit Behinderung – in den Blick nehmen, scheint auf Grundlage der vorangegangenen Darlegungen durchaus angemessen. Hinsichtlich des innerkommunalen Verhältnisses zwischen Gemeinde und Ortsbezirk haben die Ortsbeiräte das Potential, die Gemeinde bei deren Aufgabenbewältigung zu unterstützen und zu ergänzen (vgl. Fischer 2010, S. 99).
Folgende Leitsätze lassen sich als Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen formulieren:
Ob, beziehungsweise inwiefern die in den Leitsätzen formulierten Ansprüche derzeit Verwirklichung finden, kann anhand der Ergebnisse der durchgeführten Befragungen exemplarisch nachgezeichnet werden.
Wie bereits eingangs erwähnt, waren die Befragungen Teil der wissenschaftlichen Begleitung des Teilhabeplanungsprozesses im genannten hessischen Landkreis durch das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen. Neben mehreren weiteren Erhebungen (Sozialraumerkundungen, schriftliche Befragungen der Kindertageseinrichtungen und Regelschulen im Landkreis sowie der jeweiligen Elternvertretungen, landkreisweite Onlinebefragung von Eltern von Kindern im Vorschul- und Schulalter, schriftliche Befragung der Träger von Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe im Landkreis) diente die Befragungen auf kommunaler Ebene im Prozessschritt der Ist-Stand-Analyse dazu, einen Einblick in die Teilhabemöglichkeiten und -barrieren für Menschen mit Beeinträchtigungen im Landkreis zu erhalten. Die Kommunalverwaltungen und Ortsvorsteher/innen wurden zudem nach Planungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten gefragt (vgl. Bertelmann/Rohrmann 2018, S. 22 ff.).
Die Befragung der Kommunalverwaltungen war als schriftlicher Fragebogen mit überwiegend offenen Fragen konzipiert. Er gliederte sich mit Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention in die Themenbereiche ‚Vertretung von Menschen mit Behinderung‘, ‚Gestaltung einer barrierefreien Infrastruktur‘, ‚inklusive Gestaltung von Diensten und Einrichtungen für die Allgemeinheit‘, ‚Entwicklung flexibler und inklusionsorientierter Unterstützungsdienste für Menschen mit Behinderung‘, ‚Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung‘ sowie ‚Arbeit und Ausbildung‘. Die weiteren Themenbereiche ‚Kooperation mit dem Landkreis‘ und ‚Erwartungen an die Teilhabeplanung‘ stellten den Bezug zur Teilhabeplanung des Landkreises her. Zur Teilnahme an der schriftlichen Befragung wurden alle 22 kreisangehörigen Städte und Gemeinden des Landkreises über die Kreisverwaltung adressiert. Es beteiligten sich 18 Kommunen.
Für die Befragung der Ortsvorsteher/innen wurde ein Online-Fragebogen mit einer Kombination aus Auswahlfragen und offenen Fragen bereitgestellt. Er gliederte sich – mit Ausnahme des Themenbereichs ‚Kooperation mit dem Landkreis‘ – ähnlich wie der Fragebogen für die Kommunalverwaltungen. Zum Zeitpunkt der Befragung (Juni/Juli 2017) waren für 193 Ortsbezirke im Landkreis Ortsbeiräte eingerichtet. Zur Teilnahme an der Online-Befragung konnten 168 Ortsvorsteher gesichert adressiert werden. Dies geschah entweder direkt durch die Kreisverwaltung oder durch Vermittlung über die Stadt oder Gemeinde, zu deren Gebiet der Ortsbeirat gehört. Der Auswertung dienten die Rückmeldungen von 110 Ortsvorstehern als Grundlage.
Die Auswertungen erfolgten in Handarbeit und unter Zuhilfenahme einer Statistik- und Analysesoftware. Im Folgenden werden diejenigen Ergebnisse der beiden Befragungen, die im Zusammenhang mit diesem Beitrag von Belang sind, vorgestellt.
Die Belange von Menschen mit Behinderung werden in den Kommunen selten und nicht systematisch vertreten. In nur knapp einem Drittel der befragten Städte und Gemeinden sind Beiräte eingerichtet, die die Belange von Menschen mit Behinderung vertreten. Teilweise erfolgt die Interessenvertretung über Seniorenbeiräte. Der behinderungsbezogene Themenkatalog – sofern überhaupt existent – der politischen Gremien der Städte und Gemeinden wird von Fragen der (physischen) Barrierefreiheit bestimmt. Die Auseinandersetzung mit gesetzlichen Zielvorgaben (hier z. B. das Hessische Behindertengleichstellungsgesetz) findet zum Befragungszeitpunkt lediglich in Einzelfällen statt.
Über eine inklusive Gestaltung von Diensten und Einrichtungen für die Allgemeinheit haben die befragten Vertreter/innen der Städte und Gemeinden wenig Kenntnis. Über die Hälfte der Befragten gaben an, nicht zu wissen, ob es in ihrer Kommune Bemühungen gibt, Angebote des alltäglichen Lebens, der Freizeit, der Kultur oder des Sports inklusiv zu gestalten. Durch Befragte, die die Frage bejahten, erfolgt die Nennung von Einzelbeispielen wie beispielsweise ‚barrierefreie Ferienspiele‘, oder ‚inklusives Training zum Erwerb des Sportabzeichens‘. In einer Reihe von Rückmeldungen wird nicht ersichtlich, welcher Art die erwähnten Bemühungen sind. Verbesserungen der Barrierefreiheit von Gebäuden mit allgemeinem Besuchsverkehr (z. B. Geschäfte, Freizeiteinrichtungen) wurden in den vergangenen fünf Jahren nach Angabe der Befragten lediglich in vier Kommunen erreicht.
Probleme beim barrierefreien Zugang zur allgemeinen Infrastruktur der Kommune werden von den Städten und Gemeinden am häufigsten im Sinne physischer Barrierefreiheit gesehen. Die genannten bestehenden Barrieren beziehen sich auf Verwaltungsgebäude, den ÖPNV, öffentliche Veranstaltungsräume sowie Straßen und Wege. Von drei Kommunen wird das eigene Internetangebot als nicht barrierefrei eingeschätzt.
Ansätze zur Identifizierung und Beseitigung von Barrieren sind erkennbar. Allerdings spielen bei Planungen zur Herstellung von Barrierefreiheit Barrieren, die im Zusammenspiel mit anderen als körperlichen Beeinträchtigungen relevant sind, bei den Bemühungen der Städte und Gemeinden bisher eine untergeordnete Rolle. Übersichten über die behindertengerechte Infrastruktur/ barrierefreie Angebote werden von der Hälfte der Städte und Gemeinden auf die eine oder andere Weise (eigene oder fremde Materialien, Print- oder Onlineangebote) zur Verfügung gestellt. Über Ansätze zur Identifizierung und Überwindung von Barrieren durch andere Akteure haben die Städte und Gemeinden wenige Kenntnisse.
Über eine Zusammenarbeit von Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe mit denen für die Allgemeinheit, die auf die Förderung einer inklusiven Ausgestaltung von Angeboten im Gemeinwesen gerichtet ist, gibt es in der Hälfte der Städte und Gemeinden keine Kenntnis, bei der anderen Hälfte ist eine solche Zusammenarbeit nicht erkennbar.
Die Entwicklung von Unterstützungsdiensten für Menschen mit Behinderung findet offensichtlich nicht in Abstimmung zwischen den Trägern und den befragten Städten und Gemeinden statt. Zwar gibt es bei gut einem Drittel der Städte und Gemeinden Hinweise auf Kooperationen mit Trägern von Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Worin diese bestehen bleibt jedoch weitestgehend unklar. In Einzelfällen wird die Zusammenarbeit auf die Durchführung von Festen und Veranstaltungen bezogen.
Die Beteiligung von Menschen mit Behinderung an Planungsprozessen findet nicht systematisch statt. In sechs der Kommunen sind entsprechende Beauftragte oder Beiräte beteiligt. Einige Kommunen sehen die Beteiligung der Personengruppe durch jeweils beauftragte Planungsbüros oder aufgrund Verbindungen zu Trägern der Behindertenhilfe realisiert. Die Einbeziehung findet z. B. bei Bauvorhaben statt oder „bei Bedarf“. In fünf Kommunen findet „bis jetzt“, „zurzeit noch“ oder schlicht „keine“ Beteiligung statt. In einer dieser fünf „gibt es Überlegungen, wie das umsetzbar wäre“.
Eine umfassende Vertretung der Belange von Menschen mit unterschiedlichen Arten der Beeinträchtigung in den Ortsbezirken ist noch nicht flächendeckend gegeben. In knapp der Hälfte der Ortsbeiräte (46,4 %) wurden seit 2009 Themen beraten, die sich auf Menschen mit Behinderung beziehen. Im Vordergrund stand dabei die bauliche Barrierefreiheit von öffentlichen Plätzen, Straßen, Wegen und Gebäuden im Ortsbezirk. Auch bei Initiativen im Ortsbezirk, die auf die Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zielen, ging es vorrangig um physische Aspekte (Bestandsaufnahmen und bauliche Maßnahmen zum Abbau physischer Barrieren). Insgesamt gab es in knapp einem Drittel der Ortsbezirke (27,2 %) Initiativen, die die Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten beabsichtigen.
In den Ortsbezirken stehen inklusive Angebote in den Bereichen des alltäglichen Lebens, der Freizeit und des Sports überwiegend nicht zur Verfügung. In jeweils über 80 % der Fälle wurde die Frage nach Bemühungen um eine inklusive Gestaltung von Angeboten in den Bereichen des alltäglichen Lebens, der Freizeit und des Sports mit ‚Nein‘ beantwortet. Dort, wo Bemühungen im Bereich des alltäglichen Lebens stattfinden, beziehen sich diese den Angaben zufolge auf die Teilnahme von Menschen mit Behinderung an Veranstaltungen bzw. auf den Einbezug bei Aktivitäten. Auf welche Weise sich um eine inklusive Ausrichtung bemüht wird, bleibt in den Antworten offen. Im Zusammenhang mit der inklusiven Gestaltung von Vereins-Angeboten gaben 40 % der Befragten an, nicht zu wissen, ob diese thematisiert wird.
Die barrierefreie Nutzbarkeit der allgemeinen Infrastruktur der Ortsbezirke wird von den Befragten als ‚überwiegend nutzbar‘ eingeschätzt. Gefragt wurde nach der Nutzbarkeit des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), öffentlicher Veranstaltungsräume und Bereichen des öffentlichen Raumes für die Personengruppen der Menschen mit körperlichen, psychischen und Sinnesbeeinträchtigungen sowie der Menschen mit Lernschwierigkeiten. Von der besten Nutzbarkeit wird im Bereich öffentlicher Veranstaltungsräume für die Gruppe der Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ausgegangen. Als am schlechtesten nutzbar schätzen die Ortsvorsteher den ÖPNV für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ein, gleichauf mit dem Bereich des öffentlichen Raums für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.
Maßnahmen durch die Ortsbeiräte zur Identifizierung und Beseitigung von Barrieren in der Infrastruktur der Ortsbezirke sind in Ansätzen erkennbar. Sie beziehen sich den Angaben zufolge ausschließlich auf physische Barrieren und bauliche Gegebenheiten von öffentlichen Gebäuden, Straßen, Plätzen und Wegen.
Ein Einbezug von Menschen mit Behinderung findet dabei in ca. einem Fünftel der Ortsbezirke statt. Auf welche Weise diese geschieht wird von den Befragten selten ausgeführt. Die Rede ist vereinzelt von Rückmeldungen, die Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen geben und von Begehungen.
Ansätze zur Überwindung von Barrieren durch die Ortsbeiräte gibt es in der Hälfte der Ortsbezirke. Auch hier stehen physische Barrieren im Fokus. Wie die Beteiligung von Menschen mit Behinderung aussieht wird nicht ausgeführt. Knapp 20 % der Ortsvorsteher geben an, dass die Personengruppe einbezogen wird.
Kooperationen zwischen Akteuren zur Verbesserung von Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung existieren selten. 43 % der Ortsvorsteher gehen davon aus, dass es keine Kooperationen gibt, ca. 46 % geben an, dies nicht zu wissen.
Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung stehen in den Ortsbezirken nur in Ausnahmen zur Verfügung. Unterstützungsmöglichkeiten durch professionelle Dienste stehen nach Einschätzung von ca. 39 % der Ortsvorsteher in deren Ortsbezirk zur Verfügung. Unterstützungsmöglichkeiten durch kommunale Stellen werden in ca. 29 % der Fälle angegeben. Am häufigsten wird Unterstützung durch Organisationen von Menschen mit Behinderung bereitgestellt (ca. 56 %).
Zusammengefasst scheint es, dass auf beiden befragten kommunalen Ebenen die Belange von Menschen mit Behinderung noch wenig präsent sind. Die Untersuchung deutet darauf hin, dass die Vertretung der Belange nicht flächendeckend in allgemeinen Gremien, und nur vereinzelt durch zielgruppenspezifische Beiräte stattfindet. Inwiefern die besonderen Belange aller Altersgruppen von Menschen mit Behinderung durch Seniorenbeiräte Berücksichtigung finden, ist fraglich. Die Beteiligung von Menschen mit Behinderung an Planungen der Gemeinde zeigt sich selten und unsystematisch.
‚Barrieren‘ werden, so legen die Forschungsergebnisse nahe, vornehmlich als physische Hindernisse gesehen und behandelt. Somit ist nur ein Ausschnitt der Belange der heterogenen Gruppe der Menschen mit Behinderung berücksichtigt.
Wiederholt zeichnet sich ab, dass sich behinderungs- beziehungsweise teilhabebezogene Themen in einigen Bereichen der Kenntnis der Befragten entziehen, so zum Beispiel im eigenen Gebiet existierende Planungen, Kooperationen, Maßnahmen und Angebote. Den Angaben zufolge unternehmen die Gemeinden selbst nur begrenzt Anstrengungen zur Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung. Das Potenzial von Kooperationen wird bisher nur ansatzweise ausgeschöpft.
Die Ergebnisse lassen vermuten, dass inklusive Angebote, egal ob von Diensten und Einrichtungen für die Allgemeinheit oder von Unterstützungsdiensten in den Ortsbezirken Menschen mit Behinderung selten zur Verfügung stehen. Teilhabe ‚vor Ort‘ ist somit erschwert.
Im Zusammenhang dieses Beitrags lässt sich bei den befragten Städten und Gemeinden eine gewisse Planungs- und Gestaltungspassivität feststellen. Damit Gemeinden ihrer eingangs hergeleiteten Rolle bei der Wahrnehmung und Entwicklung von Gestaltungsmöglichkeiten der Teilhabe von Menschen mit Behinderung gerecht werden können, muss die Frage geklärt werden, worin diese Planungs- und Gestaltungspassivität gründet.
Auf Basis der vorgestellten Forschungsergebnisse kann hier ein Zusammenhang zum Wissen über behinderungs- und teilhabebezogene Sachverhalte hergestellt werden. Es ist davon auszugehen, dass Sachverhalte, die unbekannt bleiben oder als irrelevant eingeschätzt werden, nicht zu diesbezüglichen Aktivitäten veranlassen. Der Einbezug von Menschen mit Behinderung stellt eine Möglichkeit dar, individuelle und kollektive Kenntnisse zu erweitern und Wissenslücken, wie sie bei der Befragung augenscheinlich geworden sind, auszugleichen beziehungsweise zu schließen.
Im weiteren Datenmaterial bringt ein Drittel der Städte und Gemeinden begrenzte Handlungsmöglichkeiten zum Ausdruck. Dabei wird finanziellen Ressourcen eine wesentliche Rolle zugesprochen. In den Kommentaren wird beispielsweise „finanzielle Unterstützung“, „finanzielle Beteiligung an Baumaßnahmen“ oder „die Gewährung von Zuschüssen“ vom Landkreis gefordert. Auch heißt es beispielsweise: „Die Städte und Gemeinden nicht nur dieses Landkreises haben mit der Übernahme von Pflichtaufgaben und der […] weiter zunehmenden Bürokratie bereits genug zu tun, die ihnen von EU, Bund, Land aufgebürdet sind, um mit weiteren Aufgaben zusätzlich belastet zu werden“. Auch wird sich bezogen auf die „geringe Leistungsfähigkeit [der] sehr kleinen Gemeinde, [die] eigenständiges Handeln auf dem Gebiet eher nicht [zulässt]“. Die hier zum Ausdruck gebrachten Begrenzungen von Handlungsmöglichkeiten weisen auf eine ungelöste Herausforderung hin, lösen den rechtlich verankerten Anspruch auf Teilhabe aber nicht auf.
Zudem kann angenommen werden, dass sich die Städte und Gemeinden nur begrenzt zuständig sehen. Wie oben beschrieben verstehen sich die meisten Städte und Gemeinden nicht umfänglich als Adressaten von gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit den Belangen von Menschen mit Behinderung. Neben der Bereitstellung von Finanzmitteln beziehen die Städte und Gemeinden ihre Erwartungen an den Landkreis beispielsweise auf „fachliche Unterstützung“ oder – konkreter – die Organisation einer „Zusammenstellung von Daten über Beratungsstellen/Ansprechpartner“, die der Kommune zur Verfügung gestellt werden soll.
Die Ortsbeiräte sind der Befragung zufolge kaum mit den Belangen von Menschen mit Behinderung befasst; zudem zeichnet sich ein begrenztes Wissen über die Personengruppe ab. Auch die Kenntnis über inklusionsorientierte Maßnahmen, Angebote, Kooperationen und Planungen im eigenen Ortsbezirk scheint begrenzt.
Dieser Wissens- und Kenntnisstand mag in Wechselwirkung damit stehen, dass die befragten Ortsbeiräte die Belange und den Einbezug der Personengruppe der Menschen mit Behinderung bisher wenig berücksichtigen.
Einerseits kann im Zusammenhang mit der Fokussierung auf physische Barrieren und bauliche Gegebenheiten vermutet werden, dass sich das Verständnis von Behinderung und Fragen der Teilhabe nicht auf alle Beeinträchtigungsarten erstrecken. Eine solch verkürzte Betrachtung lässt die Belange von Personen, deren Behinderung durch die Wechselwirkung anderer als körperlichen Beeinträchtigungen mit anderen umweltbedingten oder einstellungsbedingten Barrieren entstehen, unsichtbar. Es gibt im weiteren Material Hinweise darauf, dass einige Ortsvorsteher davon ausgehen, dass in ihrem Bezirk keine oder nur eine kleine Zahl an Menschen mit Behinderung leben. So heißt es beispielsweise: „Wegen der geringen Zahl Betroffener waren diese Fragestellungen in unserem kleinen Dorf bisher kaum ein Diskussionsthema“. So wird das Vorhandensein eines Handlungsbedarfs hinsichtlich der Verbesserung der Teilhabe für Menschen mit Behinderungrelativiert. Dazu trägt möglicherweise auch die oft vorgefundene Annahme von einer guten Nutzbarkeit der Angebote im Ortsbezirk bei.
Im Hinblick auf die Entwicklung von Teilhabemöglichkeiten bleiben die Ortsbeiräte hinter ihren Möglichkeiten als legitimierte und lebenswelt-naheste Vermittlungsstelle zwischen dem Ortsbezirk und der Gemeinde zurück.
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass es gute Gründe für Gemeinden gibt, sich die Frage zu stellen, welche Aufgaben sie zur Verbesserung der Teilhabebedingungen von Menschen mit Behinderung übernehmen sollten. Der ‚akute Fall‘ liegt bereits auf der Hand: Soziale und politische Teilhabe ist in (den befragten) Städten und Gemeinden und auch auf Ebene der Ortsbezirke bislang nicht gleichberechtigt möglich. Ausgehend von dem im Beitrag entwickelten Verständnis, nach dem sich im Vorhandensein und im Ausmaß lokaler und sozialräumlicher Teilhabemöglichkeiten das Bewusstsein und die Verantwortung für bürger- und menschenrechtliche Aspekte konkretisieren lassen, sollten sich die Gemeinden dem Thema verbindlicher zuwenden.
Dazu bedarf es grundlegend der Anerkennung und der Annahme der Verantwortung für die Gewährleistung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung sowie des Bewusstseins für die Belange der verschiedenen Personengruppen der Menschen mit Behinderung. Angezeigt ist daher die Etablierung von Teilhabe bzw. von Inklusion als Querschnittsthema innerhalb der Verwaltungen. Zielgruppen für Maßnahmen der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung sind nicht nur die Gemeinde- und Bezirksvertretungen und die Gemeindeverwaltung. Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gilt es, „in der gesamten Gesellschaft […] das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen“ (Art. 8 Abs. 1 a UN-BRK).
Zudem ist es mit Blick auf die Entwicklung eines für Alle Teilhabe-ermöglichenden Gemeinwesens notwendig, dass die Planer/innen und Gestalter/innen Kenntnisse über die Lebensverhältnisse im Sozialraum für die verschiedenen Personengruppen haben. Konkret kann dazu als erster Schritt beispielsweise die Sammlung und Bereitstellung von Informationen sowohl über barrierefreie Angebote für die Allgemeinheit als auch über inklusionsorientierte Unterstützungsdienste in der Gemeinde nützlich sein.
Die Bezirksvertretungen können dadurch beitragen, dass sie an der Schnittstelle zwischen Einwohner/innen und Gemeindevertretung in ihrem Bezirk auch die Belange der Menschen mit Behinderung – ungeachtet deren (vermeintlich geringer) Zahl – auf die Agenda setzen.
Je nach regionaler bzw. lokaler Infrastruktur und Angebotslandschaft bietet es sich an, dass sich benachbarte Gemeinden hinsichtlich der inklusiven Weiterentwicklung von Angeboten für die Allgemeinheit zusammenschließen. Denkbar ist es auch, dies unter der Federführung des Landkreises zu tun, beispielsweise im Rahmen einer kommunalen Teilhabeplanung.
Bei der Einschätzung, inwiefern Angebote und Dienste zugänglich und nutzbar sind, sollen Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen einbezogen werden und mitwirken. Eine Möglichkeit stellen Sozialraumerkundungen dar, wie sie beispielsweise im begleiteten Landkreis durchgeführt wurden (vgl. Bertelmann/Rohrmann 2018, S. 14 ff; zur Diskussion der Methode siehe Bertelmann/Konieczny 2018).
Mit Blick auf die politische Partizipation von Menschen mit Behinderung ist zu prüfen, wie ihre Beteiligung gestärkt werden kann. Wo noch nicht vorhanden, können vor Ort geeignete Vertretungsstrukturen entwickelt werden. Auch kommt die stärkere Einbeziehung von Selbstvertreter/inne/n in die bestehenden Gremien in Betracht. Darüber hinaus können erweiterte Formen der Partizipation eine Möglichkeit der Beteiligung außerhalb formaler Gremien darstellen.
Aus den hohen Rücklaufquoten der beiden Befragungen lässt sich vermuten, dass sowohl die Städte und Gemeinden als auch die Ortsbeiräte im untersuchten Landkreis offen für Fragen der Teilhabe von Menschen mit Behinderung sind. (Zusätzliche) Anstrengungen zu unternehmen, die sich der Bearbeitung dieser Fragen widmen, scheint jedoch – für die Städte und Gemeinden im Rahmen ihrer Allzuständigkeit, für die Ortsbeiräte möglicherweise im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit – eine Herausforderung darzustellen. Sie bedürfen der Unterstützung. Vernetzung und Kooperation inklusive der Klärung von Zuständigkeiten und Ressourcen zwischen Landkreis, den kreisangehörigen Städten und Gemeinden sowie den Ortsbeiräten bergen das Potential, sich den bestehenden Herausforderungen bei der Beförderung von Teilhabe gemeinsam stellen zu können.
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