Abstract: Dieser Beitrag appelliert für den Erhalt wissenschaftlicher und juristischer Termini (z.B. psychische Krankheit, Verhaltensstörung, Verhaltensauffälligkeit) undvon Diagnosen, ausgehend von einem Verständnis der Menschenwürde als Wertfundament der Psychiatrie. Damit verbunden geht die These einher, dass auch in einem realen - sich als inklusiv verstehenden- Gesellschaftssystem Psychiatrien als Übergangsorte zwischen Institutionen erhalten bleiben sollten. Eine Psychiatrie, beschreibt man sie auch als Ort der Exklusion, ist nicht per se ein sogenannter „schlechter“ Ort. Systematisch ist einer Inklusion Exklusion nicht vorzuziehen. Beide stellen Macht- und Regierungspraktiken mit einem jeweils spezifischen Zugriff auf das vulnerable Subjekt dar. Bevor die Frage der Psychiatrie als Ort der Exklusion und Inklusion erörtert werden kann, sollten - mit einem Fokus auf die Würde des Menschen - philosophische und ethische Fragestellungen in Hinblick auf die Psychiatrie in ihrer Funktion der Rehabilitation sozialer und gesellschaftlicher Teilhabefähigkeiten grundlegend geklärt werden.
Stichworte: Diagnose, Psychiatrie, Verhaltensstörung, psychische Krankheit, Verhaltensauffälligkeit, Antipsychiatrie, Menschenwürde, Verwundbarkeit, Normalität, Dekategorisierung, Vulnerabilität, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Inklusion, Exklusion, Schutzauftrag
Inhaltsverzeichnis
Das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1949) an vorderster Stelle aufgeführte Gesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“ (Art. 1, Abs. 1) stellt das Fundament der staatlichen Aufgabe dar (Geddert-Steinacher, 1990). Der ursprünglich rechtstheoretisch und -philosophisch geprägte Begriff der Menschenwürde wird in verschiedensten Kontexten verwendet und findet in diesen verschiedenste inhaltliche, normative Bedeutungen, die dem Begriff zugeschrieben werden (Fischer & Link, 2017b). Worin jedoch in den unterschiedlichen Kontexten Einigkeit besteht ist, dass, unabhängig ob Individual- oder Gattungswürde, dem Menschen um seiner selbst willen der Schutz zusteht. So sind unter Handlungen, die die Würde des Menschen verletzen solche zu verstehen, die es dem Subjekt schwer bis unmöglich machen, die „Subjektqualität“ zu wahren und die Persönlichkeit in Frage zu stellen bzw. zu zerstören (bpb, 2015; Fischer & Link, 2017b). Während juristisch vorrangig der Schutzauftrag des Staates gegenüber dem Menschen festgelegt ist, so besteht auch für den Menschen im Einzelnen die moralische Verpflichtung gegenüber Anderen (vgl. Kant, 1870) und der eigenen Person, die Würde zu wahren. Damit geht das Recht auf Existenz und die Gleichwertigkeit der Menschen einher. Die Verpflichtung gegenüber unserer eigenen Person respektive gegenüber sich selbst gründet sich darin, die Wahrnehmung der eigenen Würde zu bewahren und sich selbst als Person zu schätzen, somit das eigene Selbstverhältnis unter dem Aspekt der „Selbstachtung“ zu bilden. Für die Pflicht gegen die eigene Person ist also ausschlaggebend, „dass der Mensch in seinem Innern eine gewisse Würde habe, die ihn vor allen anderen Geschöpfen adelt, und seine Pflicht ist es, diese Würde der Menschheit in seiner eignen Person nicht zu verleugnen“, also, „dass der Mensch die Würde der Menschheit in seiner eignen Person bewahre“ (Kant, 1839, S. 439)[1]. Aus den Pflichten gegen sich selbst entsteht der persönliche Aspekt der Menschenwürde, welcher seitens Antipsychiatriekritiker*innen nicht selten vergessen wird, aber von immenser Bedeutung ist. In der Tat geht mit dem kategorischen Imperativ aber immer auch ein gewisser Zwang einher, da er ein kategorischer und kein hypothetischer Imperativ ist (die Vernunft befiehlt).Das Tun im psychiatrischen Alltag im Umgang mit psychisch kranken Menschen ist immer ein An-tun und muss deswegen stets fragwürdig bleiben und ethisch legitimiert werden. Beispielsweise unterliegt die Kinder- und Jugendpsychiatrie einem Spannungsfeld zwischen pädagogischer Verantwortung und psychopathologischen Begreifens. Hier hat sich die seelische Struktur des jungen Menschen noch nicht ausreichend konstituiert. Aus diesem Grund muss das Menschenbild der psychiatrisch Tätigen durch die kostbare Einzigartigkeit (Singularität) eines jeden Subjekts geprägt sein. Oft wird die Würde des Menschen in der Psychiatrie durch Zwangsmaßnahmen und Stigmata in Gefahr gebracht: Es zeigt sich der Mensch in einer besonderen Verwundbarkeit. Die Psychiatrie ist potentiell ein Ort, an denen sich Menschen ihrer konstitutiven Vulnerabilität aussetzen respektive ausgesetzt sind. Umso wichtiger ist es, dass das Handeln in der Psychiatrie unter dem Aspekt sozialer Würde stattfindet. Im Umgang mit psychisch Kranken haben psychiatrisch Tätige die Verpflichtung, sie aktiv in der Bewahrung ihrer Identität zu unterstützen. Diese Verpflichtung hat in der Psychiatrie eine unverzichtbare, existenzielle Bedeutung (vgl. hierzu und für die Folgende Diskussion um die Würde des Menschen Fischer & Link, 2017a).
Wohlwissend, dass die Begriffe Krankheit und Störung zu unterscheiden sind, gleichwohl sie in der Fachliteratur häufig synonym verwendet werden, ist die Problematik in diesem Kontext kaum aufzulösen.
Das Prinzip der Menschenwürde wird im Hinblick auf die Psychiatrie oft im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen thematisiert. Häufig sind es jedoch nicht Zwangsmaßnahmen, die die Würde des psychisch kranken Menschen bedrohen. Meist finden sich solche Bedrohungen schon in alltäglichen Situationen wieder, auf die im Folgenden aufmerksam gemacht werden soll, da sie wiederholt vergessen werden. Zum einen werden die gebräuchlichen Förmlichkeiten des gegenseitigen Umgangs miteinander öfter missachtet. Es kommt vor, dass sich das Personal in psychiatrischen Institutionen sowohl bei psychisch eingeschränkten, als auch bei älteren Menschen nicht an die Sitten des gepflegten und kultivierten Umgangs miteinander verpflichtet fühlt. Somit wird den Betroffenen auf die Art und Weise begegnet, wie manche denken, Kinder behandeln zu müssen, oder sie werden in kommunikativen Situationen nicht beachtet (vgl. Franklin, Ternestedt & Nordenfelt, 2006). Zum anderen wird auch die Intimsphäre des Betroffenen häufig missachtet. Vielmals stehen Patient*innen nur wenige Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung. Somit benötigen sie Hilfe beim An- und Auskleiden, beim Verrichten ihrer Notdurft, wie auch bei der Körperpflege. Dadurch werden sie besonders empfindlich für entwürdigende Behandlungen, etwa dann, wenn das Pflegepersonal vergisst, dass es mit Scham verbunden sein kann (vgl. Webster & Bryan, 2009). Durch das enge Zusammenleben auf der Station kommt es nicht selten vor, dass das Pflegepersonal indiskret handelt, was als beschämend von den Betroffenen empfunden wird (vgl. Baillie, 2009).
Des Weiteren wird sowohl die Selbstkontrolle als auch die Selbstbestimmung potentiell erheblich beeinträchtigt. Denn durch psychische Krankheiten werden die Betroffenen geschwächt beziehungsweise besonders verletzlich und möglicherweise in ihrem Handlungsspielraum eingegrenzt. Umso beschämender und entwürdigender ist es im psychiatrischen Alltag, nicht in der Selbst-bestimmung Hilfe und Unterstützung zu erhalten, sondern in den verbleibenden Bereichen auch noch Bevormundung zu erfahren (vgl. Wadensten & Ahlström, 2009). Diese Aufzählungen zeigen wie viele alltägliche, auch simple, Situationen es in psychiatrischen Institutionen gibt, in denen sich Menschen erniedrigt, beschämt und entwürdigt fühlen können. Hierin zeigt sich die besondere Vulnerabilität des klinischen Ortes und des Subjekts gleichermaßen.
Inwiefern die Würde des psychisch kranken Menschen in der Psychiatrie (einem gemeinhin als exklusiv geltenden Ort) eingeschränkt werden kann, wurde in Ansätzen bereits erörtert. Noch dazu kann der Ort, an dem psychisch kranke Menschen in Institutionen leben, eine Gefahr für deren Würde darstellen. Denn beim Ausbau von Einrichtungen für psychisch kranke Menschen stehen gute Kontrollmöglichkeiten, leichter medizinischer Zugang und ökonomische Sparsamkeit im Vordergrund des Interesses. Jedoch ist es nur möglich die eigene Würde über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten, wenn Freiräume für Aktivitäten und Orte der Intimität existieren. In einer 2008 erschienen Studie wurde nachgewiesen, wie bedeutend es für die Würde des psychisch Kranken in Institutionen sein kann, Zugang zu einem separaten, möglichst autarken und unbeobachteten Raucherraum zu haben (Skorpen et al., 2008).
Die Begegnung mit dem Gegenüber, und das ist nicht selbstverständlich, muss gewollt sein, wobei das Ausmaß des eigenen Wollens wesentlich von der inneren Bereitwilligkeit abhängt. Als Ansprechpartner*innen im psychiatrischen Alltag muss ständig zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit unterschieden werden. Vielmehr noch das Gleichgewicht zwischen den beiden gehalten werden, denn nur so wird seinem Gegenüber, dem psychisch kranken Menschen, offen begegnet. Devereux (1985) hat betont, dass zwei unterschiedliche Ideen und Wahrnehmungen benötigt werden, wenn von einem Menschen etwas Wahres erfahren werden soll. Denn nur aus der Differenz von mehreren Wahrnehmungen entsteht das Wahre. Daher sollte auch kein psychiatrisches Gutachten verfasst werden, in dem nicht die Berichterstattung mehrerer beteiligter Professionen und unterschiedlicher im psychiatrischen Alltag tätigen Berufsgruppen berücksichtigt wird. Darüber hinaus sollte die innere Haltung von einem Menschenbild dadurch gekennzeichnet sein, dass es die Einzigartigkeit respektive Singularität eines jeden Subjekts betont. Denn nur durch die eigene Neugier auf das Einmalige und Unterschiedliche eines jeden mir begegnenden Menschen kann der fachlichen Wahrnehmung, die einen das Gleichartige bei verschiedenen Menschen erkennen lässt, entgegengewirkt werden.
Folglich ist es als im psychiatrischen Alltag Tätiger von größter Bedeutung, das eigene Menschenbild zu reflektieren um eine philosophisch „weiche“ Umgebung der Erstbegegnung entstehen zu lassen, anders entsteht die Gefahr der Verobjektivierung und Versachlichung des Menschen – Würde steht dann aber außen vor. Hier ist es hilfreich von dem verzweifelten und eingeschränktesten (vulnerabelsten) Menschen auszugehen, um eine würdige Erstbegegnung überhaupt zu ermöglichen. Denn ist das eigene Menschenbild hier von einem „durchschnittlichen“ respektive „normalen“ da „gesunden“ Menschen geprägt, dann befinden sich alle andersartigen Menschen, und somit auch die Einzigartigkeit eines jeden, außerhalb des Menschenbildes. Dadurch wird der Mensch zur Sache erklärt. Dies sehen wir auch daran, dass häufig von Menschen mit Behinderung die Rede ist, als müsse das Menschseins „Behinderter“ betont werden, damit es Geltung besitze. Es steht außer Frage, dass „Behinderte“ auch Menschen sind und scheint nicht begründungswürdig. Wohlwissend, dass der Terminus „Behinderte“ von Betroffenenverbänden kritisch gesehen wird, wird in Anbetracht der Argumentation dieses Artikels für wissenschaftliche Begriffe zur Diskussion und Systematisierung appelliert, ohne dabei die Absicht zu verfolgen jemanden zu diskriminieren.
Es ist auch wichtig zu verstehen, dass Sonderpädagog*innen im psychiatrischen Alltag nur eine Art „Austauschfunktion“ für einen bestimmten Zeitrahmen innehaben. Es war einfach zu einem gewissen Zeitpunkt eine dritte Person, die mit sympathischer Distanz die Arbeit am Konflikt ermöglicht, nicht vorhanden. Somit stehen psychiatrisch Tätige versinnbildlicht lediglich als „Ersatzspieler“ zur Verfügung und das auch nur temporär, so lange nämlich, bis ein solcher Dritter überflüssig wird. Psychiatrien und Sonderschulen sind Orte auf Zeit.
Noch dazu muss einem in der pädagogischen Erstbegegnung bewusst werden, dass es gar kein Individuum für sich als solches gibt. Denn der Mensch, der einem gegenübertritt, ist immer auch ein Teil einer Familie, einer Peer-Group, eines Kollektivs. Indem sich auf die Begegnung mit dem psychisch kranken Menschen eingelassen wird, wird in gewisser Weise gleichzeitig auch Verantwortung für die Mitglieder der Familie, die alle auf eine bestimmte Art und Weise unter der jeweiligen Situation leiden und einen Ausweg finden wollen, übernommen. Das zeigt bereits, dass eine Begegnung im psychiatrischen Alltag nie eine lineare Beziehung zwischen zwei Menschen darstellt, sondern immer ein trianguläres System aus dem psychisch beeinträchtigten Menschen, den Angehörigen und dem psychiatrisch Tätigen ist. Hierdurch ergibt sich ein System mit unterschiedlichen Wechselbeziehungen.
Als ein weiteres Leitmotiv für die pädagogische Erstbegegnung lässt sich folgendes Sprachbild heranziehen: „In der Be-Gegnung be-gegnen sich Gegner“ (Dörner, 2013). Dadurch wird in der Erstbegegnung die Achtung der generellen Fremdheit des anderen Menschen formuliert. Sowohl seine Würde als auch seine eventuelle Gefährlichkeit wird damit anerkannt (vgl. zur Fremdheitserfahrung Link, 2017). Es wird der Respekt sowohl vor der Andersartigkeit als auch der Einzigartigkeit verdeutlicht, wie auch akzeptiert, dass der andere etwas anderes will. Dies resultiert schon bereits daraus, dass der Andere zum einen ein Anderer ist und zum anderen Erstbegegnungen im psychiatrischen Alltag häufig auch eine Zwangsbegegnung darstellen, somit unfreiwillig stattfinden. Der zwanghafte Charakter der Begegnung ist stetig vorhanden. Das bedeutet auch dann, wenn der psychiatrisch Tätige betont, dass er helfen will und der psychisch kranke Mensch zusichert, dass er diese Hilfe haben möchte (vgl. Dörner, 2013). Soll die Erstbegegnung professionell abgewickelt werden, sollten psychiatrisch Tätige auch das noch so kleine Helfersyndrom, das sich in ihnen bemerkbar macht, ausblenden. Viele in psychiatrischen Institutionen Tätige haben in ihrem Alltag bereits Beziehungen erlebt, in denen sie sich von Anfang an mit dem Betroffenen gut verstanden haben, wobei dies oft passiert ist, indem wichtige Aspekte der Gesamtsituation in den Hintergrund gerückt worden sind. Der psychisch kranke Mensch erklärt womöglich noch, dass er sich bisher noch nie so gut verstanden gefühlt hat. Doch Achtung: Eine professionelle Beziehung im psychiatrischen Alltag kann durch keine Freundschaft oder zu viel Nähe getragen und aus-gehalten werden. Denn aus einer professionellen Distanz, die die Würde des anderen achtet, kann Nähe werden. Doch aus zu viel Nähe bildet sich nie wieder eine konstruktive Distanz heraus.
Zum Schluss dieser Empfehlungen soll noch an das seit langer Zeit bestehende Konzept der tätigen Gemeinschaft von Bleuler (1983) erinnert werden. Nach diesem fällt es allen Menschen leichter zu sprechen, wenn sie währenddessen gemeinsam etwas tun, denn dann wirkt das Sprechen nicht so „nackt“. Dies ist vor allem für die Verletzlichsten in unserer Gesellschaft, also auch für die psychisch kranken Menschen, von besonderer Bedeutung. Ist es denn nötig, dass das Gespräch der Erstbegegnung immer in einem Raum, in dem sich gegenüber gesessen wird, stattfinden muss? Kann das erste Gespräch einer neuen Begegnung im psychiatrischen Alltag nicht im Rahmen beispielweise eines gemeinsamen Spaziergangs stattfinden? Denn hier muss sich nicht gegenübergesessen und in die Augen gesehen werden, sondern es ergibt sich die Möglichkeit zum Austausch, indem ein Teil des (Lebens-)Weges miteinander gegangen wird. Ist eine solche Art der Begegnung nicht vertrauensstiftender, schonender und somit auch fruchtbarer? Wird auf diese Art und Weise von Sonderpädagogen bei der gemeinsamen Tätigkeit die Qualität einer Erstbegegnung in Würde nicht eher sicher-gestellt, als durch eine aktive Konfrontation? Wenn die Würde gewahrt bleiben soll, darf das „Arbeiten mit Menschen“ oft nur beiläufig vonstattengehen (vgl. Dörner, 2003).
Dieses Kapitel ist vor allem in der heutigen Zeit besonders relevant, in der sich vieles im psychologischen und sonderpädagogischen Diskurs um Inklusionsbemühungen und Exklusionsbedrohungen, und die Gleichstellung von „Behinderten“ mit der restlichen Gesellschaft dreht. Denn in diesen Diskussionen wird oft zu frühzeitig ein Entschluss gefasst mit dem Fokus, Inklusion „um jeden Preis“ voranzutreiben. Doch, dass sich der gutgemeinte Wille des sogenannten Fortschritts von Inklusion schnell zu schwerwiegenden Folgen für bestimmte Gruppen von Behinderungsformen ausweiten kann, soll hier gezeigt werden. Explizit werden hier die Konsequenzen und Lücken dargelegt, die sich aus der Behindertenrechtskonvention für psychisch kranke Menschen, die in besonderem Maße von seelischer Behinderung bedroht sind, ergeben. Ein Verständnis von Inklusion sollte seinen Fragestellungen als „lebensspannenumgreifendem Thema“ gerecht werden (Stein & Link, 2017, 13f), einer sogenannten „life span developmental inclusion“ (ebd., S. 15). Dabei sollte Inklusion nicht statisch gegenüber einer Exklusion betrachtet werden (vgl. ebd., S. 14). Stein und Link (2017, S. 15) empfehlen weiterhin, dass normative, empirische und konzeptionelle Fragen von und Perspektiven auf Inklusion stets zu trennen seien. Dagegen sei ein nüchterner Blick auf die Ebenen anzustreben, welche entscheidend für das Vorankommen auf dem Weg einer stärker inklusiven Gesellschaft sein dürften (ebd.). Dabei stehe es an, den relationalen Charakter von Inklusion wirklich ernst zu nehmen, jenseits einer einseitigen Verortung der Probleme, beispielsweise bei den Umständen, Barrieren und Zuschreibungen (ebd.).
Die absolute Gleichstellung von behinderten Menschen mit sonstigen Mitgliedern der Gesellschaft wird durch die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen gefordert. Das hat zum Ziel, dass eine Behinderung keinen Grund für Einschränkung darstellen darf, weder von Bürgerrechten, noch von Teilhabechancen. Die Gesellschaft ist sogar dazu verpflichtet alle nötigen Hilfsmittel, die von behinderten Menschen für die Umsetzung ihrer Chancen und Rechte benötigt werden, zur Verfügung zu stellen. Doch was folgt aus dieser Forderung für den Umgang mit psychisch kranken Menschen?
Die Differenzen im Umgang mit psychisch kranken Menschen werden im Folgenden sowohl am Beispiel der Fremdgefährdung, als auch an der Eigengefährdung näher thematisiert. Falls eine Person eine andere Person bewusst gefährdet, angreift oder sogar verletzt, greift die Polizei ein und hält den Angreifer, wenn es die Situation erforderlich macht, auch gewaltsam von seinen Handlungen ab und bringt ihn anschließend vorerst unter polizeilichen Gewahr-sam. Oft stehen dem Täter dann Geldstrafen, Schadensersatzleistungen bis hin zu Haftstrafen bevor (Henking & Vollmann, 2015). Kommt jedoch bei gleichem Szenario der Verdacht auf eine psychische Erkrankung des Handelnden auf, wird komplett anders vorgegangen: um die Bedrohung abwehren zu können, werden häufig Einweisungen in eine psychiatrische Klinikstation vorgenommen. Somit führt dies zur möglichen Frage einer zwangsweisen Behandlung. Forderungen bezüglich Schadensersatzes führen zu keinem Ergebnis und Strafverfahren führen abhängig von der Schuldfähigkeit oft zu einer milderen Strafe (vgl. ebd.).
Falls in einer ärztlichen Behandlung keine psychische Erkrankung im Mittelpunkt steht, darf jeder selbst entscheiden, ob er eine vom Arzt empfohlene Behandlung vollzieht oder nicht, beispielsweise ob man sich bei der Diagnose Krebs einer Chemotherapie aussetzt und im Extremfall steht es jedem Bürger frei auch sein Leben beenden zu können. Werden jedoch im Zusammenhang einer psychischen Beeinträchtigung Suizidvorhaben geäußert, wird diese notwendigerweise sogar gewaltsam abgewehrt. Auch Zwangsbehandlungen werden in solchen Situationen als plausibel erklärt (vgl. ebd.).
Natürlich wird auf diese Differenzen zwischen Psychiatrie und der restlichen Gesellschaft nicht aufmerksam gemacht, um eine Auflösung des psychiatrischen Sonderfalls zu proklamieren. Denn Menschen mit Suizidabsichten auf sich alleine gestellt zu lassen, ist gleichermaßen menschenunwürdig und verwerflich, wie ein Strafverfahren bei dem die Schuldfähigkeit nicht berücksichtigt wird. Auch die antipsychiatrische Haltung, die Gewalt und Zwang in der Psychiatrie komplett unterbinden will, muss sich bestimmten Fragen stellen: Soll in akuten Krisen verängstigten Personen, die sich mit Gewalt gegen scheinbare Feinde verteidigen, einfach weitere Hilfe vorenthalten werden und sollen sie nur unter polizeilichen Gewahrsam gebracht werden? Oder sollen beispielsweise Maniker in schweren Krisen auf sich gestellt sein, bis die manische Krise ausufert und möglicherweise bis ins Strafverfahren führt? An dieser Stelle wird das Dilemma, in dem sich die Psychiatrie mit ihren Zwangsmaßnahmen befindet, deutlich (Simon, 2014). Außerdem zeigt es auf, dass es Situationen gibt, in denen die psychiatrischen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr für die Betroffenen die menschenwürdigere Lösung sein können angezeigt sein können. Denn es ist nicht außer Acht zu lassen, dass sich zwischen der Theorie und der Praxis eine große Lücke befindet. Daher ist es umso wichtiger, Gesetzesnormen und den gelebten Alltag in regelmäßigen Abständen miteinander abzugleichen und zu überprüfen. Wenn die Behindertenrechtskonvention verlangt, die Rechte von Menschen aufgrund ihrer vorherrschenden Behinderung nicht zu begrenzen, so bedeutet das auch, dass die im Gesetz festgehaltenen Bestimmungen zu Zwangsmaßnahmen und -Unterbringungen neu aufgesetzt oder zumindest überarbeitet werden müssen, so dass deren Anwendung stark limitiert werden muss. Außerdem befinden sich Justiz, Polizei und psychiatrische Institutionen in der Pflicht, die Voraussetzungen und Notwendigkeiten für Zwangsmaßnahmen bei psychischen Behinderungen in jedem Einzelfall behutsam zu prüfen und deren Ausführung gründlich zu bewachen, gewissenhafter und kritischer als es bisher im Alltag stattfindet. Somit ist es nachvollziehbar, dass im Hinblick auf Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie von der Mehrheit der Gesellschaft oft der Standpunkt besteht, dass diese würdeverletzend und oft verachtenswert sind, da dort die Rechte von Menschen über das gesetzlich sanktionierte Maß hinweg begrenzt werden. Selbst wenn das unter bestem Vorhaben der Helfenden geschieht, so ist es für Betroffene trotzdem häufig extrem traumatisierend. Die Gründe, weshalb ein wohlmeinender Zwang mit den besten Absichten von Betroffenen als lebenseinschneidend im negativen Sinne wahrgenommen wird, obwohl er doch im besten Sinne für deren Rehabilitation unterstützend sein soll, sind im Folgenden angemerkt.
In der Vergangenheit der Psychiatrie wurden oft Maßnahmen mit schwerwiegenden Auswirkungen durchgeführt. Hier sei beispielsweise an die Insulinkur, die psychiatrische Hirnchirurgie (insbesondere die sogenannte Lobotomie), oder aber auch die Elektrokrampfbehandlung, welche auch heute noch angewendet wird (wenn auch mit weniger Folgen), erinnert (vgl. Felder, 2011). Auch ein Teil der antipsychotischen Medikamente kann unerwünschte Nebenwirkungen hervorbringen. Die Anwendung solcher Maßnahmen wurde bereits jeher mit der „Logik des kleineren Übels“ verantwortet. Das meint die Annahme, dass der ausgeführten Maßnahme gegenwärtig nichts besseres, also Wirksameres und Risikoärmeres, gegenüberstehe. Daher war die Maßnahme, selbst wenn sie fragwürdig war, noch immer die bessere Variante als das Nichtstun. Das eigentliche Übel der Psychiatrie liegt aber nicht in der Vergangenheit, sondern in der auch heutzutage gegenwärtigen Eigenheit, die negativen Seiten ihrer helfenden Maßnahmen vor sich, den Betroffenen und der Gesellschaft zu banalisieren.
Die Würde bedrohende Faktoren liegen oftmals nicht in der Zwangsbehandlung, sondern in alltäglichen Situationen, welche die Patienten ohne Unterstützung im Alltag bewältigen müssen. Nichts desto trotz sollte nicht verschwiegen werden, dass in diesem Kontext oftmals eine Einschränkung der Selbstkontrolle und –Bestimmung vorliegt. Die Betroffenen sind durch die Krankheit geschwächt und im Handlungsspielraum eingegrenzt, das Gefühl von Scham und Entwürdigung ist kein seltenes Gefühl, welches im Behandlungssetting mit einhergeht. Dies schwächt allerdings nicht die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung sondern betont die Dringlichkeit, mit der behandelt wird und die hohen Anforderungen, die damit an Ärzte, Psychologen, Pfleger und Sozialarbeiter einhergehen. Die Asymmetrie des Arzt-Patienten Kontaktes birgt zweifelsohne Gefahren, wie beispielsweise ein Ausnutzen der Macht oder Bevormundung. Das bedeutet, wenn es erforderlich ist, Betroffene auch in fachspezifische Institutionen einzuweisen und ihnen eine Behandlung zu verordnen, die die Fähigkeit der Selbstbestimmung erneut auslösen kann. Selbst wenn es mittlerweile der Fall ist, Zwangsunterbringungen höchstrichterlichen Grenzen auszusetzen, so muss man sich im psychiatrischen Alltag darüber bewusst sein, dass schwer psychisch kranke Menschen in akuten Situationen, die durch Neuroleptika erreichte Rückbildung von psychotischen Symptomen nicht zwingend als eine Erweiterung der freien Willensbildung wahrnehmen, sondern oft als „chemische Zwangsjacke“ (Tölle & Windgassen, 1995).
Für die aufgezeigten Konfliktsituationen gibt es sicher keine einfachen Lösungswege, wie ein allgemeines Verbot von Neuroleptika oder Zwangsmaßnahmen. Ebenso stellt eine von antipsychiatrischer Kritik geäußerte Forderung, die Psychiatrien abzuschaffen, eine gar simplifizierende, unbefriedigende Antwort auf hochkomplexe menschliche Lebenswelten und psycho-soziale Belastungen, denen ein Subjekt ausgesetzt sein kann, dar. Vielmehr ist in jeder Situation eine gewissenhafte ethische Abwägung nötig, bei der alle Beteiligten (das heißt Betroffene, Ärzteschaft, Therapeut*innen, Angehörige) mit involviert sein sollten und eine gründliche ethische Überwachung mit einhergehender andauernder Reflexion der vollzogenen Maßnahme stattfinden muss. Ebenso ist es wichtig, dass einfach zugängliche Möglichkeiten zur Beschwerde vorhanden sind. Um realistisch zu bleiben, muss eingesehen werden, dass Zwangsmaßnahmen wahrscheinlich auch zukünftig zum psychiatrischen Alltag gehören wer-den, obwohl sie für Betroffene extrem würdeverletzend und (re-)traumatisierend sein können. Deswegen ist es dringend notwendig und unumgänglich Maßnahmen zu erfassen, die Zwangsbehandlungen als letzten Schritt gar nicht erst, aber auf jeden Fall so selten wie möglich aufkommen lassen. Das erschließt sich auch für die Gesellschaft aus der Forderung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Bedenkt man gerade diese Fallsituationen, kommt der Funktion sonderpädagogischer Disziplinen, im Hinblick auf die Zielsetzung von Inklusion, in ihrem Entwickeln und Bereitstellen von Präventionsmaßnahmen ein besonderer gesellschafts- und subjektrelevanter teilhabeorientierter Stellenwert zu.
Des Weiteren soll der Fokus auf den Schutzauftrag bei psychischen Störungen gelegt werden. Dabei wird die Notwendigkeit von Behandlung und Zuordnung von Diagnosen aufgezeigt und kritisch diskutiert.
Auf die Behandlung psychischer Störungen und Erkrankungen sind psychiatrische Krankenhäuser spezialisiert. Schaut man sich insbesondere den juristisch festgelegten Auftrag von Psychiatrien an, so haben diese in zweierlei Hinsicht einen Schutzauftrag, zusätzlich zu den Aufträgen des Krankenhauses, zu erfüllen: an vorderster Stelle steht der Schutz des Menschen selbst[2] und ihn auf Grund seiner psychischen Störung bzw. Erkrankung zu behandeln, um die soziale Teilhabe an der Gesellschaft eigenverantwortlich wieder herzustellen bzw. zu sichern. Außerdem steht es in ihrer Aufgabe, die öffentliche Sicherheit beizubehalten und eine –vom Menschen ausgehende- Gefährdung zu unterbinden[3][4] (Unterbringungsgesetz Art. 2). In Bezug auf den Schutzauftrag des Menschen ergeben sich in psychiatrischen Krankenhäusern Zwangsunterbringungen und Zwangsmaßnahmen. Die juristischen Grundlagen für eine sogenannte Zwangsunterbringung divergieren in Deutschland. Abhängig ist die jeweilige, rechtlich mögliche Sachlage von der Aktualität und Dringlichkeit abzuwendender Fremd- oder Selbstgefährdung (vgl. Heinz, 2015, S. 8). In diesem Falle kommen die psychiatrischen Krankengesetze der Bundesländer zum Tragen. Handelt es sich hingegen um eine chronische Gefährdung des Lebens und der Gesundheit des betroffenen Subjekts, ist das Betreuungsrecht geltend (vgl. ebd.).
Aktivistische Parolen wie „Betreuung = erzwungene Stellvertretung = Entmündigung“ (https://www.zwangspsychiatrie.de/) sind in diesem Kontext keine Seltenheit. Jedoch sollten Zwangsmaßnahmen vielmehr als die Maßnahmen verstanden werden, welche die Würde des Menschen bewahren und wieder herstellen. Ziel der Psychiatrien ist bei weitem nicht mehr das Wegsperren der Menschen, sondern vielmehr eine „Weichenstellung“ zur Wiedereingliederung in die soziale Gesellschaft, einhergehend mit der bereits genannten Verpflichtung eines Jeden, die Würde des Menschen wieder herzustellen. Sei es die eigene oder die eines anderen (Vgl. Kant, 1870).
Obiols und Basaglia (1978, S. 11) sprechen sich grundsätzlich dagegen aus, Psychiatrien als Krankenhäuser zu bezeichnen. Diese Ablehnung ist nur teilweise mitzugehen: der Auftrag von Krankenhäusern und Psychiatrien ähnelt sich wie bereits erwähnt, jedoch ist die Kritik berechtigt, dass die Versorgungsstruktur meist für die Versorgung körperlich Kranker ausgelegt ist und sich nur in seltensten Fällen nach den Bedürfnissen psychisch Kranker richtet. Diese scheinbar fehlende Ausrichtung kann sich möglicherweise auch in der Ausbildung und Haltung des Personals widerspiegeln und betont die hohen Anforderungen an alle in diesem Bereich Tätigen.
Abschließend sei zum Auftrag der Psychiatrie aufzuweisen, dass diese sich, wie ein Großteil der Krankenhäuser, eher als akut-Einrichtung versteht und nicht zur langfristigen Behandlung und Therapie dient. Der Schutzauftrag steht im Vordergrund und ein schnellstmöglicher Übergang in das eigenständige Leben soll hergestellt und eingeleitet werden.
Dadurch, dass den Menschen der Status der Person zugeschrieben wird, entstehen Pflichten, die gegenüber jedem Menschen einzuhalten sind, weil er Person ist und somit Würde besitzt. Folglich handelt es sich bei den ethischen Rechtspflichten um das, wozu wir Dritten wegen ihrer Rechte verpflichtet sind. Jedoch ist zu beachten, dass Rechtspflichten einzig unser Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen bestimmen, es aber völlig außen vorgelassen wird, wodurch wir dazu motiviert werden. Die Gültigkeit der Rechtspflichten ist klar bestimmt und begrenzt, durch sie erhält man eine exakte Anweisung, worauf im Umgang mit anderen zu verzichten ist: Es ist verboten seinen Mitmenschen zu verletzen, zu schaden, zu beleidigen, zu ermorden sie in ihrer Würde als Person zu beeinträchtigen. Zentral ist, dass die Rechtspflichten vor den Tugendpflichten eine bevorzugte Stellung innehaben, denn hier trifft der Leitsatz zu, erst das zu tun, wozu wir gegenseitig verpflichtet sind, ehe wir darüber hinaus Gutes tun (vgl. Kant, 1793). Doch wozu verpflichten uns die Rechtspflichten und welche entstehen für uns aus dem Würdegedanken im Umgang miteinander? Hier ist es besonders wichtig, dass der Einsatzbereich, der sich aus der Würde für jeden erschließt, eng gefasst wird. Denn das Prinzip der Menschenwürde zeichnet sich dadurch aus, dass es den Geltungsgrund jenseits inhaltlicher Interpretationsmöglichkeiten darstellt. Daher sind auch die obersten Moralprinzipien nicht die Quelle aller anderen Normen, sondern deren Gültigkeitsgrund. Sie stellen eine für die Normen festgeschriebene Grenze dar. Somit geben diese Moralprinzipien allgemein und bedingungslos keine Gebote an, sondern vielmehr Verbote, die ihrer Art nach prinzipieller und kategorischer Natur sind. Die Verbote beziehen sich sowohl auf den Schutz der Ansprüche, als auch auf den Schutz der naturalen Bedingungen des Menschen als Person, durch die sich das moralische Subjekt erst begründen kann. Die inhärente Würde des Menschen eng zu fassen, bedeutet, ihren Schutz auf den kleinstmöglichen Wert einzuschränken, welcher als Bedingung für das Sein des moralischen Subjekts stehen kann und woraus sich noch immer das Recht erschließt, überhaupt Rechte zu besitzen. Eine Verletzung der Menschenwürde ist dann vorhanden, wenn der Mensch etwas ausgesetzt wird, was seine moralische Subjektstellung in Frage stellt. Dadurch lässt sich aus der inhärenten Würde des Menschen auch das Verbot den Menschen „niemals bloß als Mittel“ (Kant, 1785) für fremde Zwecke zu benutzen, ziehen. So ein Missbrauch ist aber immer dann gegenwärtig, wenn sowohl die innere und äußere Freiheit, als auch der Anspruch auf freie Willensverwirklichung durch andere Personen so verletzt und eingeschränkt wird, dass man deren Zwang und Willkür unterworfen ist und das bewirkt, dass sich das Individuum in seinem Handeln und Wollen nicht mehr selbstverwirklichen kann. Daher gibt es für Kant auch nur ein angeborenes Recht, auf das alle Menschen in gleichem Maße einen Anspruch haben:
„Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender [sic!] Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht“ (Kant, 1785).
Die Schutzwürdigkeit des Menschen bezieht sich also auf dessen Würde und seine Integrität von Körper und Leben. Denn der größte Respekt gilt der Identität, wie auch der Integrität der Person und nicht dem Körper. Demzufolge kommt dem moralischen Subjekt unbedingte Schutzwürdigkeit zu, damit es sich als Person entfalten kann. Basierend also auf dem naturrechtlichen Gesetz von Kant ergibt sich für das sittliche Subjekt als höchste Schlussfolgerung ein Verbot der Verletzung der körperlichen Integrität durch unsere Mitmenschen. Erkennbar wird, wie Höffe (1991) feststellt, dass die Hauptaufgabe der Rechtspflichten darin besteht, vor allem die „Anfangsbedingungen“ und weniger die „Vollendungsgestalten“ des Menschseins zu bewahren. Denn die Rechtspflichten sind notwendige Bedingungen, damit jede Person eine Vollendungsgestalt des Menschseins erreichen kann.
Die WHO definiert Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen“ (World Health Organization, 2014). Des Weiteren versteht die WHO Gesundheit keinesfalls als einmalig erreichten, unveränderlichen Zustand, sondern vielmehr als ständig neu herzustellende Homöostase, die bereits auf die Variabilität des Zustandes von Krankheit und Gesundheit verweist.
Gleichwohl möchten wir den Fokus darauf legen, dass auch das geistige Wohlergehen als Teil der Gesundheit eingeschlossen ist. Folglich ist der Zustand, in dem das geistige Wohlergehen dauerhaft beeinträchtigt oder eingeschränkt ist, dieser Definition nach legitim als Krankheitszustand anzusehen (vgl. hierzu Boger, 2015). Die Definition der WHO lässt zweifelsohne Kritik zu, denn diese Triade vollständig zu erfüllen erscheint beinahe utopisch. In diesem Sinne ist der Einwand berechtigt, dass es sich hierbei um eine sogenannte Idealnorm handelt. Nach dieser Norm ist so gut wie jeder Mensch „krank“, weshalb sie eigentlich sinnlos ist.
Demnach kann der Zustand vollständiger Gesundheit nicht als normal angesehen werden und der Zustand von beeinträchtigter Gesundheit als anormal gegenüber gestellt werden (Vgl. Boger, 2015; Heinz, 2014). Szasz als Psychiatriekritiker und Vertreter der Antipsychiatrie vertritt gegenüber dem Versuch psychische Krankheit zu definieren, die These, dass der medizinische Krankheitsbegriff bereits in der allgemeinen Medizin unscharf definiert sei und dass sich Krankheitsbezeichnungen aus so unterschiedlichen Momenten ergeben wie der Verursachung oder dem Schadensmechanismus (Szasz, 1975; vgl. hierzu Heinz, 2015, S. 12). Angemessener wäre hierbei die sogenannte funktionale Norm zur Einteilung und Systematisierung von gesund und krank, da diese Norm auch Behinderten oder psychisch Kranken, insofern wesentliche Bereiche des beruflichen und privaten Lebens „erfüllt“ sind, es ermöglicht als „gesund“ klassifiziert zu werden. Dies wird im folgenden Beitrag weiter ausgeführt, gleichzeitig appelliert er an die Verwendung eines (wissenschaftlichen) abstrakten Begriffs psychischer Krankheit in den Wissenschaftsdisziplinen (vgl. Jaspers, 2013). Zu diskutieren wird also sein, „auf welcher Ebene der Beobachtung beziehungsweise empirischer Untersuchung Befunde nachweisbar sind, die dazu führen, dass eine Krankheit diagnostiziert werden kann“ (Heinz, 2015, S. 8). Der Krankheitsbegriff kann für die als „krank“ verstandene (Verstehen ist immer ein offener Prozess) Person auch ein Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung sein (vgl. hierzu am Beispiel von Epilepsie Heinz, 2015, 7f.). Ein entsprechend zugeschriebener Krankheitsbegriff kann eine Person aber gleichzeitig vor strafrechtlicher Verfolgung schützen respektive entlasten, „andererseits aber gegen seinen Willen zum Schutz anderer Menschen oder seiner selbst in einer psychiatrischen Klinik untergebracht und behandelt [werden]“ (Heinz, 2015, S. 8), woran die Ambivalenz des Krankheitsbegriffs in sich sichtbar wird.
„Geistige Gesundheit“ (World Health Organization, 2014) als Menschrecht impliziert, dass eine Unterlassung von Hilfeleistungen, um dieses Wohlergehen wieder herzustellen, nicht zuletzt um auch soziale Teilhabe zu gewährleisten, einen deutlichen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt. Psychische Störungen und Erkrankungen werden daher bewusst nicht hinter Begriffen wie „Verhaltenskreativität“ (vgl. Stein, 2017) oder „Krisen-Zustände“ (vgl. U., 2015) versteckt, da der Begriff „Zustände“ eine zeitliche Begrenzung impliziert und die genannten Begriffe eine Herabwürdigung der Ernsthaftigkeit der Erkrankungen einschließen. Des Weiteren sei vor allem der Begriff der „Zustände“ abzulehnen, wenn man sich die langfristigen Folgen von psychischen Erkrankungen anschaut, die eben nicht nur Zustände innerhalb eines zeitlich abgegrenzten Raumes sind, dies verdeutlicht beispielsweise im Falle von Anorexia Nervosa die hohe Mortalität[5], teils irreversible Schädigung der Knochendichte (Osteoporose), Amenorrhöe und auch Abnahme der grauen Substanz im Hirn (vgl. Mainz et al., 2012).
Dieser formaljuristischen Debatte steht eine (medizin)ethische zur Seite, die die Fragen nach den Rechten des Betroffenen, beispielsweise bei psychotischen Patient*innen, die keine Krankheitseinsicht haben, eröffnet und begleitet. Dabei ist die folgende Aussage Heinz´ nicht als paternalistische zu verstehen, sondern als eine aus einer besonderen Ethik der Fürsorge und Zuwendung erwachsene Verpflichtung zu werten: „[…] er erschiene geradezu unmenschlich, wenn er [der/die Betroffene/Anm. d. Verf.] keine medizinische Hilfe erfahren würde, ganz unabhängig davon, ob er oder sie dies im Moment einsehen kann“ (Heinz, 2015, S. 9). Gilt ähnliches nicht auch für Adressat*innen (sonder)pädagogischer Förderung im Sinne einer zielgerichteten Erziehung wie einer zweckfreien (aber nicht zwecklosen) Bildung als Resonanz und Weltbeziehung?
Seit die Ratifizierung der UN-BRK 2009 in der BRD geltendes Recht ist, gewinne die Diskussion um den Begriff psychischer Krankheit mitsamt seinen ethischen Implikationen an Bedeutung (vgl. Heinz, 2014). „Eine mögliche Lesart der UN-Konvention besagt also, dass weder der Mensch, der im Rahmen einer Psychose Teufel in andere Personen sieht, noch der Alkoholabhängige im Delir oder der im Rahmen einer Tumorerkrankung verwirrte Patient gegen seinen aktuell geäußerten […] Willen behandelt werden dürfte, auch wenn ihn dies das Leben kosten kann und ihm diese Gefahr nicht einsichtig ist“ (vgl. ebd. S. ). Durch einen derart „weit gefassten“ Behinderungsbegriff in der UN-BRK erscheint eine solche Auslegung juristisch möglich (vgl. ebd. S. 10). In dieser Lesart wären die Gesetze, die eine Zwangsbehandlung derjenigen, die im Rahmen ihrer jeweiligen Situation / Erkrankung andere angreifen oder sich unwissend das Leben nehmen möchten Sondergesetze gegen Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, die entsprechend der Ratifizierung der Konvention sofort abzuschaffen seien (Heinz, 2015, 10f.). Schizophrene Patient*innen in der Situation „einer akuten Verwirrtheit alleinzulassen erscheint […] inhuman“ (ebd., S. 11). Aus medizinischer Sicht stellt es, mit Hinblick auf die UN-BRK, nicht minder eine Selbstverständlichkeit dar, dass sich daraus die Notwendigkeit ergebe, Krankheit und Behinderung entweder klar voneinander abzugrenzen oder den Überlappungsbereich beider Definitionen zu benennen (ebd., S. 12).
Folgt man der Argumentation Heinz (2015, S. 157) und einem in diesem Beitrag angebahnten differenzierten Verständnis von Störung und Krankheit, wird deutlich, dass „[o]bjektivierbare Krankheitssymptome“ notwendig, aber nicht hinreichend sind, um eine psychische Erkrankung zu diagnostizieren (ebd.; vgl. für objektive Krankheitssymptome im Lichte von Kants Anthropologie Heinz, 2015, S. 172-194). Das subjektive Leiden einer Person und eine Beeinträchtigung sozialer Teilhabemöglichkeiten an Gesellschaft müssen notwendigerweise hinzukommen.
Unter die Begrifflichkeit des disease subsummieren sich aber nicht nur objektivierbare Krankheitssymptome, sondern auch das subjektive Leiden der Person und ihre Teilhabemöglichkeiten respektive ihre Innen- und Mitwelt (vgl. Heinz, 2015, S. 157). Eine Pathologisierung alternativer Lebensentwürfe wird seitens der Medizin und klinischen Psychologie dadurch zu vermeiden versucht, dass als objektivierbare „Krankheitszeichen nur solche Funktionsstörungen zugelassen [werden], die die Überlebensfähigkeit des Individuums beeinträchtigen“ (ebd.), was freilich nicht ohne die entsprechende Umweltbedingungen und Umstände zu denken ist.
Für Heinz sind die Unterstützungs- und Versorgungsangebote für die vulnerablen leidenden Subjekte „immer auch ein Spiegel der sozialen Verhältnisse“ (Heinz, 2015, 157). Er verweist darauf, dass auch ein allein lebender Mensch, trotz einer Einschränkung im Bereich der Selbstversorgung in einer komplexen Gesellschaft der zweiten Moderne, überleben könne (vgl. Heinz, 2015, 157f.). Dies könne er dann, wenn er innerhalb einer Familie oder durch professionelle Hilfen Unterstützung erfahre (vgl. ebd., S. 158). Nach Heinz (2015, 159) erscheine es zunächst unproblematisch, wenn eine von einer Funktionseinschränkung betroffenen Person selbst so stark darunter leide, dass sie sich in ihrem Leben wesentlich beeinträchtigt fühle und deswegen den Schutz durch den Krankheitsbegriff und die solidarische Leistung aller Versicherten zur Therapie ihrer Erkrankung einfordere. Wird dagegen die Frage virulent, ob das Vorliegen einer Funktionsstörung mit Einschränkung sozialer Teilhabe auch dann als Indikator gelten könne, wenn sie von den Betroffenen nicht als Krankheit verstanden werde (ebd.). Fokussiert man beispielsweise nur die Beeinträchtigung sozialer Teilhabe und möchte im Sinne einer Dekategorisierung von objektivierbaren Krankheitsbegriffen und Förderbedarfen absehen, besteht eine erhebliche Bedrohung, was sich am Beispiel des Missbrauchs der Psychiatrie in der Sowjetunion zeigen lässt (vgl. Heinz, 2015, 160). Eine Definition von Störung, die nur auf das gesellschaftliche Miteinander verschiedener Personen (Inklusion) verweist und eben jene Krankheitszeichen des subjektiven Leidens und der objektivierbaren funktionalen Störungen vernachlässige, könnte zu neuen subtileren Machtpolitiken der Subjektivierung führen. In diesem Sinne führt uns die bisherige Diskussion zu einem Klassifikationssystem, dass die Fähigkeit zu sozialer Teilhabe wesentlich berücksichtigt, wie beispielsweise die internationale Klassifikation der Funktionen (ICF) (vgl. DIMDI, 2005; s. für eine praxisdienliche Auswahl mit Blick auf psychische Beeinträchtigungen insbesondere Linden & Baron, 2005).
Grundsätzlich gilt als Aufgabe für angemessene soziale Organisationen, alle Menschen zu inkludieren, um ihnen eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen (vgl. Heinz, 2015, S. 166). Auch wenn dies in Deutschland geltendes Recht ist, welches von behinderten Menschen eingefordert werden kann, „fehlen entsprechende Regelungen derzeit weitgehend mit Bezug auf psychisch Kranke“ (Heinz, 2015, S. 167). Es steht doch außer Frage, dass „[d]ie Beeinträchtigung der sozialen Teilhabe […] damit ganz wesentlich vom Entgegenkommen beziehungsweise von der sozialen Unterstützung durch die Gesellschaft ab[hängt]“ (ebd.). Dass dieses Entgegenkommen der Gesellschaft zum Teil politisch erkämpft werden muss, steht dabei außer Frage. Zahlreiche Betroffenenverbände und -bewegungen sowie die sogenannten Disability Studies (vgl. Waldschmidt, 2005) und Mad Studies (vgl. für Kanada LeFrançois, Menzies & Reaume, 2013) leisten dazu einen nicht unwesentlichen Beitrag.
Die Menschenwürde bildet sowohl die Basis als auch das Leitmotiv für den Umgang mit den psychisch kranken Menschen. Ein psychisch kranker Mensch hat die gleichen Rechte und Ansprüche auf Achtung, Respekt und individuelle Entfaltung, wie andere auch im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten. Somit stellt die Menschenwürde die unverzichtbare und unersetzbare Basis des Umgangs mit dem psychisch Kranken in der Praxis dar. Folglich ist die Menschenwürde nicht nur für die Grundnorm der Gesellschaftsordnung zuständig, sondern bildet auch das Leitmotiv für den Umgang mit psychisch kranken Menschen. Im Mittelpunkt des psychiatrischen Alltags befindet sich stets der Umgang von Mensch mit Mensch. Dörner (2017) hat bereits darauf verwiesen, ob die Psychiatrie nicht die Subjektivität des Einzelnen als Anhaltspunkt annehmen sollte (vgl. Simma et al., 2002). Denn die Möglichkeit zur gegenseitigen Beziehungsaufnahme ergibt sich nur, wenn man sich im Gegenüber selbst erkennt. Solange die Objektivierung des Betroffenen im Vordergrund steht und Krankheit nicht als persönlich erfahrenes Leid gilt, bleibt die eigene Anteilnahme außen vor und es wird sich nicht auf würdige Weise mit seinem Gegenüber auseinandergesetzt. Die Tragweite der Auseinandersetzung miteinander lässt sich gut anhand der Worte von Martin Buber zeigen: „Wenn wir eines Wegs gehen und einem Menschen begegnen, der uns entgegenkam und auch eines Wegs ging, kennen wir nur unser Stück, nicht das Seine, das Seine nämlich erleben wir in der Begegnung“ (Buber, 2002).
Die Psychiatrie zeichnet sich durch den Umgang mit Menschen in ihrer besonderen Verletzlichkeit aus. Aber die Psychiatrie hat sich mit ihrem Unternehmen schon einmal in tiefe Abgründe begeben. Denn Diskussionen über die Würde des Menschen im psychiatrischen Alltag bewegen sich meistens im Schatten der Grausamkeiten von Hadamar und Auschwitz: In „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihre Maß und ihre Form“ (Binding & Hoche, 1920) wird davon ausgegangen, dass das vernunftbegabte Individuum sich selbst als ethisches Subjekt bestimmen kann. Darüber hinaus wird in diesem Band die Euthanasie, die aktive Tötung sogenannten lebensunwerten Lebens, gefordert. Denn hier hat das lebensunwerte Leben, was zur Vernunft und Selbstbestimmung unfähig ist, sowohl ein Recht auf Selbsttötung als auch auf den Erlösungstod. Das bedeutet, dass es würdeloses Menschenleben gibt, das die Eigenschaft eines Rechtsgutes verloren hat.
Szasz (1980) hat eine radikale Neubestimmung psychiatrischer Praxis gefordert, welche zum Ziel die Anerkennung und Zuerkennung voller Menschenwürde und aller Menschenrechte hat, gerade auch für den psychisch kranken Menschen. Dies ist und war historisch betrachtet nicht selbstverständlich. Nach Szasz ist das Individuum als uneingeschränkt autonom zu betrachten und somit auch voll verantwortlich für sein Tun. Somit darf kein Mensch als anstößig, gefährlich oder psychisch krank bezeichnet werden. Szasz versteht die psychische Krankheit als selbstgewählt, aber auch oft als verrückten Lebensstil. Jedoch ist bei Szasz Position ebenso bei anderen antipsychiatrischen Vertretern große Vorsicht geboten. Der Standpunkt scheint zwar im Hinblick auf die Geschichte der Psychiatrie modern, von hoher Moral getragen zu sein und trotzdem muss reflektiert werden, ob man unter dieser widerspruchsfreien Annahme absoluter Freiheit nicht in eine Utopie oder gar Dystopie verfällt. Es muss sich bewusst gemacht werden, ob auf diese Weise den psychisch kranken Menschen nicht erneut ihre Würde genommen wird, indem ihnen ein absolutes Maß an Selbstbestimmungsfähigkeit und Vernünftigkeit zugemutet wird. Denn zur Menschenwürde gehört u.a. der Anspruch auf die Hilfe des jeweils anderen. Wird Szasz Position konsequent durchgehalten, so darf gerade den schwerstkranken Menschen, den Verletzlichsten, den Hilfebedürftigsten nicht mehr geholfen werden. Aus der Geschichte der Psychiatrie lässt sich in Bezug auf die Menschenwürde festhalten, dass es im all-täglichen Umgang mit Menschen in deren menschlichsten Verletzlichkeit, der psychischen Krankheit, keine endgültigen Lösungen zwischen Menschen gibt. Das Tun und Handeln, besonders im Umgang mit psychisch kranken Menschen, ist immer An-tun und muss deswegen stets fragwürdig bleiben. Vielleicht ist es diese Fragwürdigkeit, die ein wesentlich würdiges Menschsein bestimmt. Um allerdings die Haltung verantwortlicher und bedachter Handlungsfähigkeit verwirklichen zu können, um für sie empfänglich zu sein, benötigt die Vernunft einen emotionalen Grund, welcher sich gleichermaßen in Worten wie Anstand und Takt (Aristoteles), Achtung (Kant)[7] oder im Begriff des Interesses (Kierkegaard) gegenüber den anderen zeigt.
Der altgriechische Begriff „Diagnose“ (διά-, diá-, ‚durch-‘ und γνώσις, gnósis, ‚Erkenntnis, Urteil) bedeutet erst einmal so viel wie „durch Erkenntnis“ beziehungsweise „durch Urteil“. Vereinfacht gesprochen lassen sich diese klinischen Erkenntnisse im Folgenden zusammenfassen, um eine weitere medizinische, therapeutische und (sonder)pädagogische Vorgehensweise daraus abzuleiten (Amelang & Schmidt-Atzert, 2006). Äquivalent dazu wird in psychiatrischen Institutionen der Begriff der „psychischen Störungen“ verwendet. Dies ist auch in internationalen Klassifikationssystemen wie der ICD-10, der OPD oder dem DSM-5 abgebildet. Störungen werden in diesen Wissenschaftsdisziplinen (Psychiatrie, Sonderpädagogik, Psychologie) aber durchaus als komplexe und nicht exakte Termini verstanden. Folgt man der Definition Dilling et al. (1991, S. 23) dann ist „Störung […] kein exakter Begriff. Seine Verwendung in dieser Klassifikation soll einen klinisch erkennbaren Komplex von Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten anzeigen, die immer auf der individuellen und oft auch der Gruppen- oder sozialen Ebene mit Belastung und Beeinträchtigung von Funktionen verbunden sind. Soziale Abweichungen oder soziale Konflikte allein, ohne persönliche Beeinträchtigungen, sollten nicht als psychische Störung im hier definierten Sinne angesehen werden.“ Auch hier muss kritisch angemerkt werden, dass sowohl im ICD, als auch im DSM die Termini Krankheit und Störung häufig synonym Verwendung erfahren und dort begrifflich kontextuell selten voneinander unterschieden werden. Betrachtet man die Kategoriensysteme der ICD-10 oder des DSM-5 aus philosophischer und (sonder)pädagogischer Perspektive, sei darauf hingewiesen, dass diese (Krankheits)Kategorien zunächst artifiziellen Systematisierungen von Realität(en) entsprechen, die für eben jene klinischen Handlungsfelder respektive für bestimmte Zwecke hilfreich erscheinen. Gleichsam verschleiert eine solche artifizielle Systematisierung das Faktum, dass sogenannte „psychische Krankheiten“ gegenüber „psychischer Gesundheit“ keinen dichotomen Pol darstellen, sondern es zwischen beiden Zuständen mehr um ein Kontinuum des Sowohl-als-auch handelt, anstelle eines entweder (psychisch) „krank“ oder (psychisch) „gesund“.
Grundsätzlich ist die Kritik -im Sinne von Gefahr- angebracht, dass eine Diagnose Stigmatisierung, Pauschalisierung und Exklusion von der Gesellschaft hervorrufen kann (vgl. labelling approach und Goffman, 1969). Dennoch hat eine abgesicherte Diagnose mehrere Gründe, die gleichzeitig die Daseinsberechtigung darstellen. Denn bei aller Kritik wird häufig die Funktionalität einer Diagnose vergessen: Diagnosen liefern an erster Stelle Informationen zu möglichen Phänomenen im Zuge eines Krankheitsbildes. Dabei ist den Fachleuten durchaus bewusst, dass es sich hierbei nicht zwangsläufig um eine pauschalisierbare und alleingültige Zusammenstellung handelt, sondern vielmehr um eine vereinfachte Darstellung möglicher Erscheinungsformen. Somit ist eine Diagnose primär als medizinische Verständigung zu verstehen, wobei der Mensch in seiner Individualität nicht pauschalisiert wird und eben deshalb die Diagnose auch nur als Teilbeschreibung eines leidbehafteten Verhaltens und Erlebens (vgl. Butcher, Mineka & Hooley, 2009) verstanden werden sollte.
Erst durch die Diagnose kann im deutschen Gesundheitssystem eine Übernahme der Behandlungskosten gewährleistet werden und die Behandlung somit auch eingeleitet werden. Der Status einer diagnostizierten Krankheit bringt neben der Einleitung zur therapeutischen Behandlung und Unterstützung auch Schutzrechte für die jeweils Betroffenen mit sich (Heinz, 2015). Kritisch lässt sich hierbei festhalten, dass Diagnosen erst erfüllt sein müssen, damit eine Behandlung seitens der Krankenkassen ermöglicht wird. So führen erste Anzeichen nicht individualtherapeutisch zur Prävention, erst „wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“ und Leid in ausgeprägter Weise entstanden ist, werden Maßnahmen eingeleitet (Stichwort „Subklinische Störungsbilder“; zu bedenken wäre auch der Unterschied von Struktur und Symptom. In der Psychoanalyse geht beides sozusagen ineinander über, zum Beispiel eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur in einen Waschzwang). Daher ist die häufig kritisierte Entwicklung des DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013), beispielsweise durch Nina U. (2015), dass viele Kriterien herabgesetzt wurden und Diagnosen einfacher gegeben werden können, in diesem Kontext als positive Entwicklung zu sehen. Im Vergleich zu medizinischen Diagnosen ist die Zusammenstellung möglicher Symptome mittels Klassifizierungssystem bei psychischen Erkrankungen deutlich vielfältiger und feingliedriger aufgelistet[7]. Auch dies kann eine voreilige Vergabe von Diagnosen und Krankheitsbildern verhindern. Der Vorwurf Nina U. (2015) im Rahmen der antipsychiatrischen/ psychiatriekritischen Bewegung, Diagnostik beziehe sich lediglich auf medizinische, physiologische Bedingungen und nicht auf die gesellschaftlichen, ist an dieser Stelle als schlichtweg falsch anzusehen (Beispiele aus dem ICD-10: Schizophrenie „Der Kranke neigt dazu, sich sozial zu isolieren.“; soziale Phobie F40.1: „Vermeidung sozialer Situationen“). In diesem Zuge sei auch zu widerlegen, dass biographische Bezüge völlig außen vor bleiben, beispielsweise bei der Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43: „außergewöhnlich belastendes Lebensereignis“) und auch Essattacken bei anderen psychischen Störungen greifen diese auf (F50.4: „Reaktion auf belastende Ereignisse, wie etwa Trauerfälle, Unfälle“ World Health Organization, 2004).
Nichts destotrotz ist bei der Vergabe von Diagnosen höchste Vorsicht und Behutsamkeit geboten. So schlägt Heinz (2015) vor, Diagnosen ständig kritisch auf folgende Punkte zu prüfen: die klinische Brauchbarkeit, die Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden, die Gefahr der Stigmatisierung und Ausgrenzung, ob unzureichende Versorgung vorliegt und ob Auswirkungen auf die soziale Teilhabe vorliegen. Die Verwendung des Krankheitsbegriffes impliziert eine Anerkennung des Leids und vorherrschende Erkenntnis über diese Zustände, die dazu genutzt werden können, therapeutisch Hilfe zu leisten.
Bei Behinderungen, Beeinträchtigungen sowie bei Störungen handelt es sich, in Abgrenzung zur Krankheit, allerdings häufig um chronische Zustände, deren Auflösung allenfalls mittel- bis langfristig zu erreichen sein wird. Aus der noch recht jungen Disziplin der Pädagogik bei Verhaltensstörung kommend, ist von „Verhaltensstörungen“ die Rede, die anders als in der ICD-10, doch als sogenannte Störungen eines funktionalen Gleichgewichts des Person-Umwelt-Bezugs verstanden werden (vgl. Stein, 2017). Nur Verhaltensauffälligkeiten können hingegen als qualitativ negative normbezogene Abweichung des Erlebens und Verhaltens eines Subjekts verstanden werden, sozusagen als Signale für eine eben dahinterliegende Störung. Ein solches interaktionistisches Verständnis von Verhaltensstörungen (vgl. hierzu Seitz & Stein, 2010) kann im Sinne Kobis (2000, S. 18) als „Verhältnisstörung“ beschrieben werden.
Aus sonderpädagogischer Perspektive kann also an ein breiteres Verständnis als an jenes der psychischen Störung im Sinne klinischer Kategoriensysteme appelliert werden, denn durch eine interaktionistische Perspektive werden auch Ausprägungsformen von Beeinträchtigungen Berücksichtigung finden, die qualitativ wie quantitativ milder erscheinen und zum anderen auch solche, die nicht ursächlich im engeren Sinne an der Person der Betroffenen verhaftet sind, die etwa auch durch aktuelle Umweltbedingungen zustande kommen. Insofern erscheint er mehr als gerechtfertigt, dass im Sinne der Kultusministerkonferenzen von 1994 und 2000 vom Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung die Rede ist. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten respektive Erinnerung erfahren, dass Institutionen der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit mit jenen im derzeit geltenden und sich in Überarbeitung befindlichen SGB verankerten juristischen Terminus der „seelischen Behinderung“ operieren, unter den inhaltlich tendenziell ein gewisses Spektrum erheblicher Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten des Subjekts fallen. Die Konstruktionen dieser zum Teil artifiziellen Termini zur Beschreibung und zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit solchen gesellschaftlichen und psychischen Phänomenen kommen, wie am Beispiel der Entstehung der „Krankheitsbilder“ in internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10 oder DSM-5) oder anhand der Beschlüsse der KMK (1994; 2000) ersichtlich, durch sozial-kulturelle kommunikative Akte zu Stande. Die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens erscheint umso ersichtlicher, rückt man mit Link, Müller und Stein (2017) den adressierten Gegenstand (sonder)pädagogischer Forschung in den Mittelpunkt der Betrachtung – das Subjekt selbst. Dies gilt freilich auch für die Zuschreibung respektive Diagnose gewisser (psychischer) Phänomene, die im Sinne der ICD-10 nicht ätiologisch, also von ihrer potentiellen Entstehung her, sondern phänomenologisch zu verstehen sind, weshalb ihrem Aussagewert eine eigene (temporäre und damit beschränkte) Tragweite beigemessen werden sollte, wobei diese eher dem Paradigma der Verhaltenstherapie entspricht. So kann der von der KMK propagierte terminologische Wechsel einen Wechsel der Sichtweisen auf den Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und des sozialen Handelns nach sich ziehen, der neben Defiziten eben auch die Ressourcen entsprechend berücksichtigt und das pädagogisch Aufzubauende als Zielvorgabe und Wagnis bekennt. Damit ist freilich nicht die Kompetenzorientierung allein gemeint. Historisch hatte die Gegenüberstellung von Problem- und Ressourcenorientierung ihren Sinn, erscheint im Diskurs der zweiten Moderne aber tendenziell überholt zu sein. Die Betonung von Kompetenzen und Ressourcen hatte ihre Funktion wohl darin, einen hoffnungsvollen wagenden Blick auf die Entwicklung des Subjekts offen zu halten und diesen nicht als „bösen“ Blick auf Herausforderungen und Defizite zu beschränken. Diese Ausgangslage impliziert, dasjenige Menschenbild, dass die Person eben nicht durch Störungen definiert werden können, sondern ein Potenzial immer auch vorhanden ist.
Durch die zunehmende Forderung nach Dekonstruktion und Dekategorisierungsbemühungen von Terminologien psychischer Erkrankung und Diagnosen aber bekommt ein gewisses Risiko, Defizite und Probleme nicht mehr wahrnehmen und adäquat benennen zu können oder gar zu dürfen, ein besonderes Gewicht. In diesem Sinne plädieren wir Autoren an die Renaissance einer demütigen Defizitorientierung, welche, bei gleichzeitiger Aufnahme der Kritik, Herausforderungen, Probleme und Grenzen ehrlich benennt. Der Raum für empirisch-qualitative respektive rekonstruktive sinnverstehende Forschung wird an dieser Stelle geöffnet und macht eine Beteiligung von Betroffenen an Studien – gerade im Sinne von Inklusion – ethisch zwingend erforderlich.
Psychische Erkrankung sowie der Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung sind nicht nur ein Problem der Zuschreibung (vgl. für den Bereich beruflicher Bildung Euler & Severing, 2014, S. 6). Dann wäre nämlich nur diese Zuschreibung zu verhindern und die damit verbundenen Problematiken wären gelöst (vgl. Stein & Link, 2017, S. 14). Sonderpädagogische Konzepte von Behinderung gehen seit Jahrzehnten davon aus, dass sich Behinderung aus einem komplexen Interaktionsprozess zwischen Person und Umfeld ergibt (Kobi, 2000; Speck, 2003). Auf der Basis internationaler wie nationaler Forschungsbefunde (z.B. Klemm & Preuss-Lausitz, 2008; Speck, 2010, S. 100; NLTS, 2006) lässt sich die Prognose stellen, dass neben schwerst- und mehrfachbehinderten Schülerinnen und Schülern insbesondere die Schülerschaft mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen eine besondere Herausforderung und damit auch eine potentielle Grenze inklusiver Beschulung in einer so genannten ›Schule für alle‹ markieren.
„Anhand von Zahlen der Kultusministerkonferenz ist nachzuvollziehen, dass 2005 über 46.000 Schülerinnen und Schüler, 2010 schon 62.500, attestierten Unterstützungsbedarf im Bereich der ›Emotionalen und sozialen Entwicklung‹ hatten, während es 2015 über 85.500 waren. Das entspricht einer Steigerung von ca. 86 Prozent in 10 Jahren“ (Verband Bildung und Erziehung, 2017).
Gerade mit Blick auf eine negative Prognose, wenn entsprechende pädagogische und therapeutische Präventions- und Interventionsstrategien ausbleiben, stimmt eine inklusive Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit massiven Verhaltensstörungen und psychischen Erkrankung bedenklich (vgl. Hennemann & Casale, 2016). Hennemann und Casale (2016, 2010) gehen auch davon aus, dass Schüler mit einem Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung in Deutschland unterversorgt sind. Darauf verweisen unter anderem höhere klinisch relevante Prävalenzraten (vgl. Ahrbeck, 2014).
„Damit können die Aspekte von Behinderung in der Person nicht einfach vom Tisch gewischt werden, etwa eine Körperbehinderung, Blindheit – oder auch eine massive psychische Störung. Insofern sind Inklusion und Exklusion auch relationale Konzepte – sie ergeben sich aus der Interaktion zwischen Individuen und Umständen“ (Stein & Link, 2017, S, 14).
Ahrbeck (2017, S. 11) konstatiert, dass die Schülerschaft mit dem Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung – und dies könnte man auch für andere Förderbedarfe beanspruchen – auf klare diagnostische Erkenntnisse angewiesen seien. Die im Inklusionsdiskurs aufkommende Forderung nach der Aufgabe von Fachterminologie und nach einer Auflösung sonderpädagogischer Förderbedarfe im Speziellen und damit Dekategorisierungsbemühungen im Allgemeinen sind mit Ahrbeck als überaus problematisch einzuschätzen. Mangelnde Differenzierung verunmöglicht ein Eingehen auf die individuelle Struktur der Lernenden. Denn, „[o]hne klare diagnostische Begrifflichkeit kann keine hochwertige Förderung dieser Schülergruppe erfolgen. Zudem besteht die Gefahr, dass sie als solche gar nicht mehr identifiziert werden und dadurch erheblichen Schaden nehmen“ (Ahrbeck, 2017f.; vgl. hierzu Forness et al., 2012). Für sonderpädagogische Lehrkräfte stellt die Möglichkeit zur Diagnostik ein kardinales Arbeitsmittel dar, würden diese durch Dekategorisierung der Diagnostik „beraubt“, seien Lehrkräfte in eine Position systematischer Überforderung gebracht, die ein Scheitern häufig vorprogrammiere (Ahrbeck, 2017, S. 12). So wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, die Aufgabe des Förderbedarfs emotionale und soziale Entwicklung in Hamburg, wieder zurückgenommen (ebd.).
Aufgrund der weiter oben aufgeführten Diskussion um die Funktionen von Diagnosen sprechen wir uns dementsprechend vehement dagegen aus, dass Diagnosen Menschen psychiatrisch kategorisieren (vgl. U., 2015). Die Kategorisierung bezieht sich lediglich auf einen sehr begrenzten Ausschnitt menschlichen Erlebens und Verhaltens. Natürlich sind in diesem Kontext auch Bezeichnungen von Personengruppen wie „die Depressiven“ (vgl. U., 2015) zweifelsohne als kritisch anzusehen. Diese Kritik wird aber durch ebendieses Verständnis der Greifweite einer Diagnose geschwächt. Die scheinbare Einheitlichkeit der Personengruppe bezieht sich dabei auf den gemeinsamen Nenner, nämlich depressive Symptome. Derartige Trugschlüsse, Diagnosen würden Menschen kategorisieren, weisen auf ein fehlendes beziehungsweise schlichtweg falsches Verständnis dieser Art von Diagnostik hin.
Hier setzt auch die Verantwortung und Aufgabe der pädagogischen, psychologischen und medizinischen Arbeit an: die Diagnose zielt darauf ab, die defizitären und leiderzeugenden Prozesse zu erfassen um Leid zu mindern und Integration (wieder) zu gewährleisten. Idealerweise können diese Prozesse als Ressource genutzt werden, um selbstverantwortlich Minderung der leiderzeugenden Prozesse zu erlangen. Es geht darum, Betroffene aktiv zu unterstützen um ihre (soziale) Identität zu wahren. Die bloße Reduzierung auf die Krankheit ist als massive Entwürdigung und Herabstufung zu verstehen. Dies stellt ein Spannungsfeld zwischen pädagogischer Verantwortung und psychopathologischen Begreifens dar. Auch diese Sichtweise auf Verhaltensstörungen spricht gegen die teils vorherrschende Praxis, Störungs- und Krankheitsbilder an dem individuell geprägten Schema der Norm respektive Normalität festzulegen.
Heinz (2015, S. 12) verweist auf die Notwendigkeit einer ethischen Dimension des krankheits- beziehungsweise Störungsbegriffs, zu versuchen ein Kriterium des guten Lebens aus den Definitionsversuchen des Kontinuums psychischer Krankheit und Gesundheit zu gewinnen. Dies kann nicht Aufgabe der Medizin, Psychotherapie oder Sonderpädagogik sein, sondern dies stellt doch die Aufgabe einer Philosophie der jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen dar.
Keineswegs kann es allerdings in einem sonderpädagogischen Inklusionsdiskurs um grundsätzliche rechtsphilosophische Fragestellungen gehen, die als prinzipiell anerkannt bereits vorausgesetzt sind, die gleichwohl völlig umstritten sind. Das zu klären ist und kann nicht Aufgabe der Sonderpädagogik oder sonstiger Teildisziplinen von Jura, Medizin oder Psychologie sein. Die „Würde des Menschen“ wird in politisch-normativ orientierten Veröffentlichungen mancher Inklusionsforscher*innen zumeist vorausgesetzt und die Frage behandelt, was denn daraus alles zu folgen habe. Folgt daraus wirklich, dass psychiatrische Einrichtungen, Förder- und Sondereinrichtungen nach der UN-Behindertenrechtskonvention per se „menschenrechtsfeindliche Institutionen“ seien? Aus philosophischer Perspektive kann festgehalten werden, dass aus diesen Gesetztestexten zunächst gar nichts folgt, vor allen Dingen nichts für die Frage der sogenannten „inklusiven Pädagogik“. Tatsache ist doch, dass alle Menschen in jeder Hinsicht unterschiedlich sind, also gerade nicht gleich sind. Offensichtlich zielt die Rede von der „Würde des Menschen“ im Kontext normativer Inklusionsforderungen auf etwas, worin Menschen aber „gleich“ sind und dies kann nichts Empirisches sein. An dieser Stelle entzünden sich zwei Fragen an Vertreter*innen im Inklusionsdiskurs: Ist es also der unterschiedliche Subjektbegriff? Oder sind es verschiedene Menschenbilder? (vgl. Link, 2018).
Sonderpädagogische Disziplinen haben ihre Handlungsfelder nicht von bestimmten Krankheitsbegriffen her, sondern von der Beziehung zwischen den am Erziehungsgeschehen beteiligten Akteur*innen zu entwickeln. Der Anfang besteht aber nicht in Aussagen über etwas, was ist (diagnostizierbare Befunde), sondern in einer Analyse von etwas, was möglich wäre im Sinne einer Erziehung, die wesentlich Wagnischarakter trägt. Der Beginn pädagogischer Anthropologie ist die Begegnung mit einem Menschen, mit seiner Verwundbarkeit. Sonderpädagogik zeichnet aus, dass das leidende vulnerable Subjekt, bevor es (diagnostisch) erkannt wird, in besonderer Weise Begrüßung und Zuwendung erfährt. Die sonderpädagogische Subjektivität ist ein Für-einen-Anderen. Die beklagte „verlorene Kunst der Erziehung“ ist eben dann wiederzugewinnen, wenn sich die Sonderpädagogik der von Lévinas (1986, S. 94) gedachten Ursprünglichkeit der ethischen Beziehung der Pädagog*innen zum Anderen, der Verantwortung, der Stellvertretung gegenüber offen zeigt und damit die nicht normative Ethik, das Ethische mit Handlungsnormen für jeweils bestimmte Situationen verbindet.
Die Position, dass die Würde des Menschen an dessen Autonomie angelehnt ist, ist besonders verhängnisvoll, da eben nicht jeder Mensch autonom ist (vgl. Königshausen, 2012). Kinder, komatöse, verwirrte, geistig behinderte und psychisch kranke Menschen wären unter dieser Sicht keine Würdeträger und müssten aus dem kantischen Standpunkt heraus Sachen sein. Ein derartiges Verständnis der Menschenwürde würde dem Begriff, wie er in den Verfassungen zu finden ist, absolut widersprechen. Jedoch versteht Kant unter der Autonomie kein individualistisches Vorgehen, den Menschen also nicht als Einzelwesen, sondern vielmehr den Menschen als Teilhaber des allgemeinen moralischen Gesetzes, der in die Gemeinschaft aller Menschen eingegliedert ist. Denn die Autonomieformel von Kant meint lediglich, dass Würde und Autonomie des Menschen das Grundgesetz der moralischen Welt sind.
Folglich sind Individuen nicht dazu verpflichtet gewisse Eigenschaften zu besitzen, damit ihnen der Anspruch auf Würde und Schutzwürdigkeit zukommt. So wie Personsein den Grund für die Menschenwürde darstellt, so ist Menschsein der einzige Anhaltspunkt der Würdezuschreibung. Daher kommt Würde auch ausnahmslos jeden Menschen zu.
Durch die Rekonstruktion wurde gezeigt, dass der Vorwurf gegen die Menschenwürde eine Leerformel zu sein, nicht zutrifft. Ein Vorwurf, der nebenbei erwähnt, ebenso inflationär gebraucht wird, wie das Kritiker von dem Begriff der Menschenwürde behaupten.
Bei der Zuteilung der Würde des Menschen sollte nicht „vom vollbewußten, ichhaften, kommunikationsfähigen, autonomen und moralischen Subjekt“ (Königshausen, 2012) ausgegangen werden. Denn in diesem Zustand sind viele Menschen lange noch nicht, nicht mehr oder werden ihn auch nie erlangen. Menschenwürdige Situationen lassen sich nicht allein durch den Aspekt der Autonomie identifizieren, erst recht nicht, wenn Autonomie nicht die Basis dieser Situationen bildet. Hingegen werden Prinzipien wie die Subjektstellung und Gleichheit, die sich auf die Menschenwürde stützen, solchen Situationen möglicherweise gerechter. Denn die Menschenwürde fokussiert schließlich mehr als nur den Respekt vor der Autonomie und der Abhängigkeit des Menschen, sie ist keineswegs nutzlos, sondern bildet den grundlegenden Anker im Wertfundament, vor allem bei Bedingungen der nicht vorhandenen Autonomie. Daher stellt Menschenwürde einen unentbehrlichen Gedanken dar.
Wie zu Beginn ausführlich beschrieben und diskutiert, ist die Freiheit des Menschen ein zentrales Element der Menschenwürde, daher sind für die Menschenwürde Freiheitseinschränkungen bedrohlich. Deswegen ist es kein Wunder, dass die Menschenwürde oft im Zusammenhang von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie thematisiert wird. Inwiefern aber Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt sind, hängt davon ab, wie sehr diese in die individuelle Würde der psychisch Kranken eingreifen. Das ist natürlich stark kontextabhängig, weshalb zum Abschluss noch Ideen für die Praxis formuliert werden. Erstens ist es für die Achtung der Menschenwürde wichtig, dass der Mensch als Ganzes und nicht nur als Betroffener in einer bestimmten Situation in den Blick genommen wird. Zweitens bedrohen Zwangsmaßnahmen die Würde eines Menschen unterschiedlich stark, abhängig von den Umständen. Deshalb ist es besonders wichtig, den Grad der Entwürdigung zu minimieren durch die Art und Weise wie die Zwangsmaßnahme durchgeführt wird. Beispielsweise sollte sich darum bemüht werden, dass man die Öffentlichkeit und somit auch eine Bloßstellung durch Unbeteiligte vermeidet. Zwangsbehandlungen spielen wichtige Rolle, wenn das Prinzip der Menschenwürde im psychiatrischen Alltag thematisiert wird, es gibt hier aber auch noch weitere Bedrohungen der Würde des Menschen. Denn das nächste Problem für psychisch kranke Menschen ist die Gefahr der Stigmatisierung. Das Stigma, psychisch krank zu sein, ist mit den meisten Identitäten nur schwer vereinbar und bedroht damit die menschliche Würde. Die Folge davon ist, dass es den betroffenen Menschen schwerfällt, eine lebenswerte Identität aufzubauen. Allerdings geht diese Tendenz viel weniger von der Psychiatrie aus, als vielmehr von dem Umgang mit dem Thema psychischer Krankheit in der Öffentlichkeit durch Medien, Arbeitgeber (Stichwort Verbeamtung), Versicherungsschutz (Stichwort Berufsunfähigkeitsversicherung) und Politiker. So zeigte beispielsweise auch der Tod des Fußballtorwarts Robert Enke, dass Menschen mit psychischer Krankheit noch immer befürchten müssen, ausgegrenzt zu werden, sobald ihre Krankheit öffentlich wird. Das Stigma wird so neben der eigentlichen Krankheit zur weiteren Krankheit. Aber auch ganz alltägliche Situationen im psychiatrischen Alltag können die Würde des Menschen bedrohen. Der Vollständigkeit halber sei zu erwähnen, dass auch das Ausbleiben einer Diagnostik und damit einhergehender Behandlung Stigmatisierung auf Grund einer psychischen Erkrankung erfolgen kann: Nicht selten sind auch psychische Störungen äußerlich zu erahnen, wie beispielsweise im Falle von Anorexia Nervosa.
Die Würde des Menschen ist an die soziale Würde angeknüpft. Das bedeutet, dass der Mensch in einem sozialen Umfeld lebt, in der er eine Identität hat, die er bewahren oder weiterentwickeln kann. Daher sind alle Verhaltensweisen, die einen Menschen nicht in seiner Ganzheit, sondern auf seine Krankheit reduziert sehen, generell würdeverletzend. Auch wenn der Leitspruch „einander auf Augenhöhe begegnen“ banal klingt, umso bedeutender ist dieser jedoch für das Handeln im psychiatrischen Alltag, insbesondere dann, wenn sich die Teilnehmer*innen in einer unterschiedlichen Position befinden. Bloch (1978) benutzt zur Veranschaulichung der menschlichen Würde das Bild des aufrechten Ganges, bei dem in einer Gesellschaft alle aufrecht gehen können, auch die Entwürdigten, die besonders vulnerablen Subjekte, die Kranken und die psychisch beeinträchtigten Menschen (vgl. Münster, 1983). Es ist die soziale Würde, die das Dilemma besiegt. Denn die Gemeinsamkeit aller ausgeführten Verletzungen der Menschenwürde besteht darin, dass sie die soziale Identität der Betroffenen bedrohen. Somit lässt sich festhalten, dass sich Menschenwürde auf den alltäglichen Umgang mit der sozialen Würde des Individuums bezieht, darauf, die Betroffenen auf keine Art und Weise zu erniedrigen, sondern sie bei der Aufrechterhaltung und Entwicklung ihrer Identität zu unterstützen. Die Würde des Menschen stellt also nicht nur einen Anspruch darauf, dass man in der Konstitution und Aufrechterhaltung der eigenen Identität nicht behindert wird, sondern auch jenen Anspruch, dass man darin aktiv unterstützt wird.
Wie zu Beginn ausführlich beschrieben und diskutiert, ist die Freiheit des Menschen ein zentrales Leitbild psychologischer, pädagogischer und medizinischer Arbeit. Zur wechselseitigen Implikation in die Tätigkeitsbereiche von Fachkräften fordern die Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen (Deutsches Institut für Menschenrechte, 2017), dass menschenrechtliche und demokratische Orientierung auch als pädagogische Ethik für Schulen explizit vereinbart wird. Dies bringt die Notwendigkeit ständiger Förderung „anerkennender pädagogischer“ Beziehungsarbeit aller Mitarbeiter mit sich, um Jugendlichen wertschätzend begegnen zu können. Dabei soll ihnen im pädagogischen Kontext Unterstützung zugesprochen werden und die Zugehörigkeit gestützt werden. Hier ist die Festlegung zu betonen, dass „Kinder und Jugendliche […] zu Selbstachtung und Anerkennung der Anderen angeleitet“ werden müssen. Auf der anderen Seite fordert dies aber auch ständige Reflexion und die Möglichkeit, sich beraten zu lassen seitens der Fachkräfte. Die Etablierung einer explizierten Ethik wird in diesem Kontext als Fundament zur Orientierung und Reflexion für „Leben, Lernen und demokratische Sozialisation“ angesehen. Gleichzeitig soll sie präventiv zur Einhaltung eines Gewaltverbotes und zur Verhinderung seelischer Verletzungen wirken.
Mit Speck (2013) ist darauf zu verweisen, dass sich die operative Struktur der Inklusion „etwa in der sozialpsychiatrischen Versorgungsstruktur - zunächst in der konsequenten Umsetzung der personenzentrierten und lebensfeldorientierten Hilfen“ zeige. Unter Verweis auf Steinhart (2012) postuliert Speck an selber Stelle, dass in diesem operativen Bereich die Reformbewegungen der Psychiatrie zentrale Aspekte der Inklusion vorweggenommen hätten. Abschließend kann die Funktion der Psychiatrie für eine gelingende Inklusion in und erweiterte Teilhabechancen an Gesellschaft zusammenfassend festgehalten werden:
„So konnten sich bundesweit bereits Strukturen herausbilden, die […] über Hilfeplankonferenzen, über die Ambulantisierung, über Budgetlösungen etc. wesentliche Aspekte einer inklusiv orientierten Arbeit gewährleisten. Bei einer Fortentwicklung muss aber - wenn man inklusiven Ansprüchen folgt - diese klientenorientierten Arbeit ergänzt werden, und zwar um ein Aufgabenprofil, das auch die Förderung der Anschlussfähigkeit sozialer Systeme einschließt. […] Indem sie konkrete externe Organisationen dabei begleiten, mit den psychisch beeinträchtigten Menschen und ihren jeweiligen Einschränkungen zurechtzukommen“ (Speck, 2013).[8]
Zusammenfassend ist zu betonen, dass wir es als falsch ansehen, sich grundsätzlich gegen die Institution Psychiatrie und die praktizierten Verfahren der Unterbringung auszusprechen. Wäre vielleicht die Psychiatrie sogar – ketzerisch und kantisch gesprochen – die Bedingung der Möglichkeit, um auf Betroffene eingehen zu können? Es handelt sich bei der Psychiatrie nicht um ein starres, unveränderbares System und es ist Aufgabe von uns als Fachkräften das Wissen einzusetzen um festzustellen, an welchen Stellen behutsam Veränderungen im Sinne von und für die Patienten notwendig ist (vgl. Obiols & Basaglia, 1978). Somit wäre ein allgemeiner Vorwurf a la Paul-Peter Zahl (1975), „Das System macht keine Fehler. Es ist der Fehler“, welchen er freilich als Kritik am Kapitalismus verstanden hatte, nicht zutreffend. Die enorme Herausforderung für die Fachkräfte stellt sich in der Einzigartigkeit, Unvorhersagbarkeit und Widersprüchlichkeit pädagogischer und psychologischer Situationen (Deutsches Institut für Menschenrechte, 2017). Somit sprechen wir uns deutlich gegen eine schwarz-weiß Malerei bezüglich Diagnostik aus: weder soll Leid romantisiert werden, noch wollen wir wild alles pathologisieren (vgl. Klika, 2000, S. 291). Vielmehr sollte die Kritik an psychiatrischen Einrichtungen dazu genutzt werden, diese konstruktiv zur Gestaltung erweiternder Möglichkeiten für Betroffene zu nutzen und nicht blind einen wilden „Hunger nach `neuen Ideologien`“ zu stillen (Obiols & Basaglia, 1978, S. 8).
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[2] Selbstgefährdung liegt vor, wenn die Handlungsherrschaft beim Opfer selbst liegt, Selbstverletzung und -Gefährdung stehen nicht unter Strafe, sofern die Willensentscheidung dem Opfer zurechenbar ist.
[3] Liegt die Handlungsherrschaft beim Täter und nicht beim Opfer wird von Fremdgefährdung gesprochen; zu differenzieren sind Täterschaft und Teilnahme.
[4] Vgl. der landesspezifischen Gesetze am Beispiel des Unterbringungsgesetzt UnterbrG in Bayern.
[5] 0.71 % - 12.8 % (Arcelus et al., 2011)
[6] Wobei Achtung bei Kant vor allem Achtung vor dem selbstauferlegten Gesetz der Vernunft ist.
[8] „Dabei ist die Kernthese, dass Inklusion keine einzelne Maßnahme ist, sondern – zwingend - Ausdruck einer spezifischen, und zwar inklusiven Organisationskultur. Anderenfalls wird Inklusion zum reinen Alibi, das keine nachhaltigen Wirkungen entfalten kann“ (Speck, 2013).