Hauke Behrendt:Berufliche Inklusion von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen durch technische Assistenz am Arbeitsplatz

Abstract: Der vorliegende Beitrag zielt auf eine Untersuchung der ethischen Implikationen von Assistenzsystemen am Arbeitsplatz – einer technischen Lösung für die Förderung der beruflichen Qualifikation von Menschen mit geistigen Behinderungen. Mein Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass es durch den technologischen Fortschritt im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion heute möglich ist, solche technischen Assistenzsysteme am Arbeitsplatz einzusetzen. In diesem Beitrag entwickle ich eine These hinsichtlich des moralischen Werts solcher Systeme. Das Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass Assistenzsysteme am Arbeitsplatz einzusetzen nicht nur moralisch erlaubt ist, sondern dass sich ihr Einsatz darüber hinaus sogar ethisch befürworten lässt. Meine Kernthese lautet, dass ihr ethisch ausschlaggebender Wert in dem Beitrag liegt, den sie zur beruflichen Inklusion von Menschen mit geistigen Behinderungen leisten können. Ich argumentiere dafür, dass Assistenzsysteme am Arbeitsplatz dabei helfen können, dass Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ihren Platz im Arbeitsleben finden. Das heißt, sie eröffnen ihnen einen Zugang zur Arbeitswelt, die ihnen ohne sie verschlossen bliebe oder von der sie zumindest eklatant von Ausschluss bedroht wären. Folgt man meiner Argumentation, so sind Assistenzsysteme am Arbeitsplatz also deshalb ethisch gut, weil sie dazu beitragen, das Ideal einer inklusiven Arbeitswelt zu verwirklichen.

Stichworte: Berufliche Inklusion; Assistenzsysteme; berufliche Qualifikation; Mensch-Maschine-Interaktion

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Assistenzsysteme für wen eigentlich?
  3. Was leisten Assistenzsysteme?
  4. Was ist gut an Assistenztechnologie?
  5. Fazit
  6. Literatur

1. Einleitung

Der vorliegende Beitrag zielt auf eine begründungstheoretische Klärung einer bestimmten Argumentationsfigur mit Blick auf den speziellen Wert von Assistenzsystemen am Arbeitsplatz – einer technischen Lösung für die Förderung der beruflichen Qualifikation von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Mein Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass es durch den technologischen Fortschritt im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion heute möglich ist, technische Assistenzsysteme am Arbeitsplatz zum Zweck der beruflichen Inklusion einzusetzen. In diesem Beitrag analysiere ich eine These hinsichtlich des moralischen Werts solcher Systeme. Das Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass Assistenzsysteme am Arbeitsplatz einzusetzen nicht nur moralisch erlaubt ist, sondern dass sich ihr Einsatz darüber hinaus sogar ethisch befürworten lässt. Meine Kernthese lautet, dass ihr ethisch ausschlaggebender Wert in dem Beitrag liegt, den sie zur beruflichen Inklusion von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen leisten können. Ich argumentiere dafür, dass Assistenzsysteme am Arbeitsplatz dabei helfen können, dass Menschen, die sonst von beruflicher Exklusion betroffen wären, ihren Platz im Arbeitsleben finden. Das heißt, sie eröffnen ihnen einen Zugang zur Arbeitswelt, die ihnen ohne sie verschlossen bliebe oder von der sie zumindest eklatant von Ausschluss bedroht wären. Folgt man meiner Argumentation, so sind Assistenzsysteme am Arbeitsplatz also deshalb ethisch gut, weil sie dazu beitragen, das Ideal einer inklusiven Arbeitswelt zu verwirklichen. Diese Inklusionsthese möchte ich unter werttheoretischen Vorzeichen analysieren und ihr Verhältnis zu anderen möglichen Legitimationsfiguren klären.
Dieser Aufsatz ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Abschnitt wende ich mich dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Behinderung zu, um die Zielgruppe für technische Assistenz am Arbeitsplatz genauer zu bestimmen. Ausschlaggebend ist für mich dabei eine funktionalistische Auffassung von Behinderung wie sie auch von der WHO und führenden Behindertenrechtsverbänden befürwortet wird: Danach resultiert eine Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen körperlichen Beeinträchtigungen und Umweltfaktoren. So gilt jemand unter anderem dann als behindert, wenn er einer bestimmten Situation aufgrund beeinträchtigter Körperfunktionen bestimmte Tätigkeiten nicht erfolgreich auszuführen vermag. Assistenzsysteme stellen somit für denjenigen Personenkreis relevante Hilfsmittel dar, der durch ihre Unterstützung in die Lage versetzt wird, vorgesehene Montagetätigkeiten auszuüben, was ohne eine entsprechende Unterstützung nicht möglich wäre.
Der zweite Abschnitt geht näher darauf ein, was ein Assistenzsystem am Arbeitsplatz überhaupt ist. Für meine Charakterisierung greife ich auf einen Prototyp zurück, der in einem Forschungsprojekt mit dem Titel «motionEAP» für den Einsatz in Industrieunternehmen entwickelt wurde. Dieses System ist dafür vorgesehen, die Effizienz der manuellen Montage zu erhöhen sowie Mitarbeiter während der Arbeit so zu unterstützen, dass sie vollumfänglich am Arbeitsleben teilhaben können. Erste Ergebnisse empirischer Studien in Bezug auf Menschen mit Behinderungen besagen, dass sich die Arbeit mit einem Assistenzsystem positiv auf Arbeitsgeschwindigkeit, Stückzahl, Fehlerreduktion, die Motivation und Arbeitszufriedenheit auswirkt sowie selbst Mitarbeiter mit schwersten geistigen Behinderungen erstmals zur Montage von komplexeren Werkstücken befähigt hat. Für die Testgruppe der Mitarbeiter ohne besonderen Unterstützungsbedarf konnten jedoch keine positiven Auswirkungen festgestellt werden. Diese Studienlage stützt daher meine Annahme, dass die betrachteten Assistenzsysteme im Kern als effiziente Inkludierer zu betrachten sind.
Im dritten Abschnitt erkläre ich, wie das vorgeschlagene Werturteil hinsichtlich Assistenzsystemen am Arbeitsplatz präzise zu verstehen ist. Meine These lautet, dass ihre Eigenschaft beruflicher Inklusion einen ethisch hinreichenden Grund darstellt, diese Systeme am Arbeitspatz einzusetzen beziehungsweise ihren Einsatz zu befürworten. Ihr Gebrauchswert, so meine These, beruht auf der gründegebenden bzw. gutmachenden Eigenschaft beruflicher Inklusion. Am Ende dieses Abschnitts gehe ich außerdem auf zwei alternative Zwecke ein, die ebenfalls für einen Einsatz am Arbeitsplatz sprechen könnten – Effizienzsteigerung und die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten. Mit Blick auf die Studienlage zu den untersuchten Assistenzsystemen verdeutliche ich, dass diese alternativen Zwecke allerdings nur in Bezug auf die Inklusionsfunktion von Assistenzsystemen relevante Gesichtspunkte zur Gesamtevaluation beisteuern. Das heißt: Wenn der Zweck beruflicher Inklusion für sich genommen schon hinreichend wäre, um einen Einsatz von Assistenztechnologie aus ethischer Sicht gutzuheißen, so wird dieser Grund durch die Tatsache verstärkt, dies effizient zu tun. Denn eine wirtschaftliche Form der Inklusion ist unwirtschaftlichen Formen vorzuziehen. Auch die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten lässt sich im Rahmen der untersuchten Geräte nur so verstehen, dass es sich um die Herstellung einer bestimmten Funktionsfähigkeit im Kontext der Arbeitswelt, sprich: um Inklusion in eben diese handelt.

2. Assistenzsysteme für wen eigentlich?

Alles, was bisher über die Personengruppe der Menschen mit Behinderungen gesagt wurde, knüpft an unser alltägliches, vortheoretisches Verständnis an. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass für den Erfolg der weiteren Argumentation eine präzise Definition der verwandten Begriffe «Behinderung», «Krankheit» und «Gesundheit» nicht dringend erforderlich ist.[1]
Zu differenzieren sind zum besseren Verständnis der folgenden Überlegungen jedoch die Termini «Beeinträchtigung», was den Verlust einer normalen Körperfunktion anzeigt, «Behinderung», womit etwas bezeichnet wird, das man in der Folge einer Beeinträchtigung in seiner Umgebung nicht tun kann sowie «Handicap», das für die aus einer Behinderung resultierende Benachteiligung gegenüber anderen Menschen steht.[2] Diese Differenzierung ist nicht deshalb sinnvoll, weil sie begrifflich zwingend wäre, sondern weil sich mit ihr viel erklären lässt. Sie ist für eine Sichtweise erforderlich, die man das «funktionalistische Verständnis von Behinderung» nennen kann, weil die korrekte Zuschreibung einer Behinderung von dem formalen Kriterium der Funktionsfähigkeit abhängig gemacht wird.[3]
Legt man diese gewinnbringenden Unterscheidungen der WHO zugrunde, besteht die Möglichkeit, sowohl intrinsische als auch relationale Aspekte ins Auge zu fassen, die für meine Fragestellung nach der prototypischen Nutzergruppe von Assistenztechnologie informativ sind: So ist das dauerhafte Fehlen einer Körperfunktion ein stabiles Merkmal einer Person. Jedoch muss aus dieser biologischen Tatsache keinesfalls notwendig eine Behinderung werden. Da das Vorliegen einer Behinderung anders als in einem biologistischen Modell vom funktionalistischen Standpunkt aus davon abhängt, was in konkreten Umständen mit einer Beeinträchtigung getan oder nicht getan werden kann – das heißt, aus der Wechselwirkung des Akteurs mit einer (mehr oder weniger entgegenkommenden) sozialen wie materiellen Umwelt – können Personen mit den gleichen körperlichen Beeinträchtigungen je nachdem, in welchem spezifischen Kontext sie sich bewegen, einmal als behindert gelten und ein anderes Mal als nicht behindert. Entscheidend ist also, ob die fehlende Funktionsfähigkeit zum Tragen kommt, oder ob im Ergebnis trotz einer Beeinträchtigung eine entsprechende Teilhabe gegeben ist. Daher ist die korrekte Zuschreibung einer Behinderung als relationale Eigenschaft aufzufassen, die je nach Kontextbedingungen besessen oder nicht besessen werden kann. Und aus demselben Grund ist eine Behinderung einer Person ebenfalls ein graduelles Phänomen, das stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann. Typischerweise sind Menschen demnach nicht entweder behindert oder nicht behindert, sondern nur mehr oder weniger stark.
Für die Untersuchung von Assistenzsystemen am Arbeitsplatz ist die richtige Einordnung in den betrieblichen Kontext aufschlussreicher als eine trennscharfe Begriffsbestimmung des Phänomens. Einen ersten Anknüpfungspunkt bietet die Regelung im deutschen Sozialrecht, das «Behinderung» folgendermaßen definiert:
«Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.»[4]
Eine Schwerbehinderung liegt danach dann vor, wenn die Funktionsbeeinträchtigung mindestens 50 Grad umfasst. Mathilde Niehaus hat allerdings mit großer Überzeugungskraft dafür argumentiert, dass diese Einteilung in Leistungsgrade im Rahmen beruflicher Teilhabe mitunter problematische Ausprägungen annehmen kann, da Menschen mit einem entsprechenden Behinderungsstatus nicht zwangsläufig in ihrer speziellen Leistungsfähigkeit der von ihnen ausgeübte Tätigkeit eingeschränkt sein müssen. Auf der anderen Seite gibt es Fälle, in denen «eine für die Arbeitstätigkeit bedeutsame gesundheitliche Einschränkung oder Beeinträchtigung vorliegt», ohne dass die betroffenen Mitarbeiter vor dem Gesetz gleichzeitig auch anerkannt schwerbehindert wären.[5] Man hat es im Kontext der Arbeitswelt daher mit einer sehr heterogenen Gruppe von Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen zu tun, die sich kaum adäquat quantifizieren lässt.
Daher ist die tatsächliche Größenordnung derjenigen Personen, für die ein Einsatz assistenzbasierter Arbeitsplätze potentiell in Frage kommt, schwer fassbar. Wer im Hinblick auf Assistenzsysteme am Arbeitsplatz in die relevante Personengruppe fällt, lässt sich extensional kaum präzise beantworten. Daher lässt sich die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe nicht genau quantifizieren. Wird das funktionalistische Verständnis von Behinderung zugrunde gelegt, lässt sich intensional jedoch recht genau angeben, wer angesprochen ist: Jeder, der durch die Unterstützung eines Assistenzsystems in die Lage versetzt wird, bestimmte Montagetätigkeiten (besser) auszuüben als ohne. Assistenzsysteme sind also genaugenommen für Menschen mit besonderen Beeinträchtigungen (im oben erläuterten Sinn) relevant, nämlich solche, die sie an der selbstständigen Ausübung bestimmter Montagetätigkeiten hindern. Dass Assistenzsysteme zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen da sind, bedeutet also, dass die Betroffenen unter anderen Umständen ohne eine entsprechende Assistenz durch diese technischen Geräte hinsichtlich der vorgenommenen Montagetätigkeiten behindert wären.

3. Was leisten Assistenzsysteme?

Damit man sich zum Einstieg ein klareres Bild des hier untersuchten Forschungsgegenstands machen kann, möchte ich in der gebotenen Kürze einen konkreten technischen Prototyp eines Assistenzsystems für die manuelle Montage beschreiben, wie er aktuell für den Einsatz in industriellen Betrieben entwickelt wird.[6] Damit verbinde ich die Absicht, die Untersuchung zum einen auf eine limitierte Anzahl von Fällen einzugrenzen, um die Komplexität möglicher Szenarien soweit zu reduzieren, dass eine Bearbeitung des Themas ohne Abstriche in der Genauigkeit sinnvoll möglich ist. Zum anderen scheint sich ein konkreter Forschungsgegenstand auch insofern anzubieten, als eine verallgemeinernde Übertragung von Forschungsergebnissen auf hinreichend ähnliche Fälle nur dann gelingen kann, wenn man die typbildenden Eigenschaften der untersuchten Materie so klar wie möglich vor Augen hat.
Ich beziehe mich im Folgenden auf das Forschungsprojekt «motionEAP – System zur Effizienzsteigerung und Assistenz bei Produktionsprozessen in Unternehmen auf Basis von Bewegungserkennung und Projektion». Ziel dieses Forschungsprojektes war es, anwender- und prozessorientierte Assistenzsysteme für Montage- und Kommissionierungsprozesse zu entwickeln, prototypisch umzusetzen und zu evaluieren.[7] Die unterstützte Funktionalität der zu entwickelnden Assistenzsysteme sollte dabei sowohl den Anforderungen eines durchschnittlichen Industrieunternehmens als auch den besonderen Bedürfnissen von Mitarbeitern mit besonderem Unterstützungsbedarf gerecht werden. Aus diesem Vorhaben leiten sich die beiden Kernaufgaben ab, die mit Hilfe des Assistenzsystems umgesetzt werden sollen. Sie spiegeln sich auch prominent im Namen des Projekts wider: Es geht um die beiden Aspekte betriebswirtschaftlicher Effizienzsteigerung und personaler Assistenz. Zum einen soll also aus Unternehmenssicht eine Verbesserung ökonomisch relevanter Gesichtspunkte erreicht werden, wie zum Beispiel eine Vereinfachung von Einarbeitungsvorgängen für neue Mitarbeiter, eine Verringerung der Fehlerquote bei der Montage von Werkstücken, eine Steigerung der Arbeitsmotivation und so weiter. Auf der anderen Seite liegt ein wesentlicher Fokus darauf, «Mitarbeiter mit unterschiedlichem Leistungsniveau und fachlichem Hintergrund»[8] durch den Einsatz dieser Technologie so am Arbeitsplatz zu unterstützen, dass eine sinnvolle und nachhaltige Beschäftigung erhalten oder (wieder-)aufgenommen werden kann.
Die technische Ausstattung des motionEAP-Montageassistenzsystems besteht aus zwei kompakten Hardwarekomponenten, die an so gut wie jedem herkömmlichen Montagearbeitsplatz eingesetzt werden können: Einer Apparatur zur Erkennung von Tiefendaten und einem Projektor zur Darstellung relevanter Informationen. Außerdem kommt drittens eine spezielle Software hinzu, mit der die Hardwarekomponenten gesteuert und die ausgelesenen Daten verarbeitet werden können. Die Arbeitsvorgänge am Montagetisch lassen sich so mittels Tiefendatenerkennung in situ erfassen. Wird beispielsweise ein bestimmtes Bauteil montiert, verändern sich die relevanten Tiefendaten auf der Arbeitsfläche derart, dass sie mit einem zuvor im System hinterlegten Arbeitsschritt abgeglichen und auf Korrektheit geprüft werden können. Nach diesem Prinzip lässt sich so der gesamte Montageprozess vollautomatisch begleiten und einzelne Schritte gegebenenfalls anleiten.[9]
Um dabei eine sachlich effiziente und fachlich adäquate Assistenz zu gewährleisten, werden während eines Montagevorgangs multiple Informationen und direktes Feedback auf den Arbeitsplatz projiziert. So können beispielsweise fehlerhafte Arbeitsschritte unmittelbar angezeigt, spezielle Anweisungen in Echtzeit zur Verfügung gestellt und nächste Montageschritte direkt am Platz angeleitet werden.[10]
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Fig. 1 Technische Konstruktionsskizze des motionEAP-Assistenzsystems.
Die fortgeschrittene Entwicklung von Prototypen des Assistenzsystems für die manuelle Montage ermöglichte die Durchführung verschiedener Studien an authentischen Produktionsstätten, um ein differenziertes Bild über die Auswirkungen dieser Technologie zu gewinnen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Beurteilung der Auswirkungen von Assistenzsystemen erheblich von der jeweiligen Personengruppe abhängig gemacht werden muss, die mit dieser Technologie konfrontiert ist.[11]
Untersucht worden sind drei unterschiedliche Personengruppen, die sich entsprechend ihrer Fertigkeiten und Qualifikationen in drei Kategorien einteilen lassen:

  1. Mitarbeiter mit besonderem Unterstützungsbedarf aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen
  2. Unerfahrene Mitarbeiter ohne besonderen Unterstützungsbedarf
  3. Erfahrende Mitarbeiter ohne besonderen Unterstützungsbedarf

Mit allen drei Personengruppen wurden Studien durchgeführt, die Auskunft darüber geben, welche Auswirklungen Assistenzsysteme in Bezug auf Arbeitsgeschwindigkeit, Fehlerquote sowie individuelle psychische Beanspruchung und Akzeptanz haben.[12]
Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass für die Einschätzung der Auswirkungen von Assistenzsystemen eine Differenzierung vor allem zwischen Gruppe a) und den Gruppen b) und c) vorgenommen werden muss.[13] Kurz gesagt, kann Assistenzsystemen für die erste Personengruppe der Menschen mit wesentlichen kognitiven Beeinträchtigungen ein großes Potential hinsichtlich einer Verbesserung ihrer persönlichen Arbeitssituation zugesprochen werden, wohingegen ihre Nützlichkeit gegenüber Mitarbeitern ohne besonderen Unterstützungsbedard eher als Gering zu bewerten ist. So zeigten die Mitarbeiter aus den Gruppen b) und c) gesteigerte Frustration im Umgang mit Assistenzsystemen, waren irritiert und fühlten sich in ihrer Selbstständigkeit erheblich eingeschränkt. Die Ergebnisse der bisher erhobenen Daten deuten darauf hin, dass insbesondere erfahrene Mitarbeiter die Arbeit mit dem Assistenzsystem als eher hinderlich und bevormundend empfinden. Die dadurch erzeugte körperliche und geistige Belastung war gegenüber einem Arbeitsplatz ohne Assistenzsystem erheblich gesteigert. Unerfahrene Mitarbeiter konnten aber zumindest in der frühen Einarbeitungsphase von einem Einsatz der Assistenztechnologie profitieren, zeigten mit zunehmender Routine jedoch ähnliche ablehnende Reaktionen wie die Gruppe c) der erfahrenen Mitarbeiter.[14] Diese Ergebnisse stützten die Ansicht, dass die untersuchten Assistenzsysteme für beide Personengruppen der Mitarbeiter ohne besonderen Unterstützungsbedarf von eher geringem Wert sind.
Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich, wenn Assistenzsysteme an Arbeitsplätzen zum Einsatz kommen, an denen Personen mit wesentlichen kognitiven Beeinträchtigungen beschäftigt sind. Die Ergebnisse der durchgeführten Studien belegen, dass das getestete Assistenzsystem für sie gleich in mehrfacher Hinsicht positive Effekte entfalten kann. Vor allem die Gruppe der schwerst geistig beeinträchtigter Mitarbeiter konnte von dem getesteten Montageassistenzsystem erheblich profitieren. Da diese Gruppe ohne besondere Assistenz nur eine sehr begrenzte Einsatz- und Leistungsfähigkeit besitzt, war es bisher kaum möglich, sie mit anderem als sehr einfachen, monoton-repetitiven Aufgaben zu betrauen. Aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen stellen komplexere Arbeitsinhalte eine zu hohe mentale Beanspruchung dar, was in der Regel eine erhöhte Fehlerquote und auffallend lange Montagezeiten zur Folge hat. Daher waren Menschen mit diesen Formen schwerster Einschränkungen bisher darauf angewiesen, die gesetzlich garantierte Betreuung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Anspruch zu nehmen, ohne dabei im Regelfall sinn- und wertstiftenden Arbeitstätigkeiten nachgehen zu können.[15]
Begleitende Beobachtungen und quantitative Studien während der Testphase mit Assistenzsystem konnten bestätigten, dass die Betroffenen durch den Einsatz von Assistenzsystemen dazu befähigt werden, anspruchsvolle Montageprozesse selbstständig erfolgreich durchzuführen.[16] Die subjektiv empfundene kognitive Last war geringer als in vergleichbaren Situationen ohne die Unterstützung durch ein Assistenzsystem. Wie sich des Weiteren feststellen ließ, waren die Probanden weit selbstständiger und deutlich seltener auf persönliche Rückmeldung und Bestätigung durch betreuende Dritte angewiesen. Außerdem ließ sich beobachten, dass die Arbeitstätigkeiten mit größerer Selbstsicherheit und sichtlicher Entspannung ausgeführt worden sind. Dazu lässt sich anmerken, dass sowohl gesteigerte Freude und Motivation als auch eine bessere Konzentrationsfähigkeit beobachtet werden konnte. Neben den bereits geschilderten Beobachtungen kann ergänzt werden, dass ein positiver Einfluss auf die Arbeitsgeschwindigkeit der Montage festgestellt werden konnte. Außerdem ließen sich die Fehler im Arbeitsprozess sogar signifikant reduzieren.[17] Positiv hervorzuheben ist schließlich, dass sich zeigen ließ, dass die subjektiv erlebte Arbeitsbeanspruchung signifikant verringert werden konnte.
Zusammenfassend lassen sich damit zwei relevante Studienergebnisse festhalten: Die auf ihre Auswirkungen getesteten Assistenzsysteme können in Bezug auf die Gruppe der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses positive Wirkung entfalten. Da bei gesteigerter Arbeitsgeschwindigkeit und Stückzahl im Vergleich zu einem Arbeitsplatz ohne Assistenzsystem auch eine erhebliche Steigerung der Motivation und Arbeitszufriedenheit sowie eine signifikante Fehlerreduktion erzielt werden konnte, lässt sich von einer qualitativen Verbesserung des Arbeitsplatzes und den durch ihn ermöglichten Leistungen sprechen. Da außerdem selbst Mitarbeiter mit dem größten Unterstützungsbedarf erstmals zur Montage von komplexeren Werkstücken befähigt wurden, hat das hier betrachtete Assistenzsystem darüber hinaus das Potential, auch die schwächste Personengruppe in die Lage zu versetzten, gleichermaßen sinnvolle wie wertschöpfende Tätigkeiten selbstständig erfolgreich durchzuführen.
Ähnliche positive Effekte ließen sich jedoch im Hinblick auf weitestgehend gesunde Mitarbeiter nicht zeigen. Nach dem bisherigen Kenntnisstand besitzen Assistenzsysteme in ihrem Fall vielmehr das Potential, Unzufriedenheit und Frustration bei den Mitarbeitern zu erregen. Allerdings dürfen diese Ergebnisse nicht als endgültig betrachtet werden. Weitere Studien mit größeren Stichproben und adaptiver Assistenz müssen folgen.[18]

4. Was ist gut an Assistenztechnologie?

Die tragende Grundidee der weiteren Ausführungen basiert auf dem Kerngedanken, den ethisch ausschlaggebenden Wert von Assistenzsystemen in ihrer Funktion sozialer Inklusion begründet zu sehen. Danach stellt ihre Eigenschaft, Menschen in die Arbeitswelt zu inkludieren, das ethisch positiv hervorstechende Merkmal von Assistenzsystemen dar. Die zentrale These, die ich im Fortgang dieser Arbeit argumentationslogisch näher untersuchen möchte, lautet also, grob gesagt: Berufliche Teilhabe an der Arbeitswelt bedeutet, dass Menschen ihren Platz im gesellschaftlichen Arbeitsleben finden. Assistenzsysteme können dazu beitragen, das dies gelingt. Sie eröffnen Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen Teilhabechancen an der Arbeitswelt, die ihnen ohne sie verschlossen bliebe oder von der sie zumindest eklatant von Ausschluss bedroht wären. Die These besagt also, dass die Inklusionsfunktion von Assistenzsystemen den begründungstheoretisch entscheidenden Faktor für eine positive Beurteilung abgibt.
Indem man Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf durch den Einsatz von Assistenzsystemen zielgerichtet unterstützt, werden sie in die Lage versetzt, anspruchsvolle Arbeitsschritte ausführen, ohne dass dabei ständige Überforderung mit typischen Symptomen wie psychischer Ermüdung, Stress und Unzufriedenheit die Folge wären oder eine andauernde Betreuung durch Dritte in Anspruch genommen werden müsste. So kann durch den Einsatz technischer Assistenz am Arbeitsplatz berufliche Teilhabe sinnvoll ermöglicht sowie ihre Qualität erheblich gesteigert werden. Was aus ethischer Sicht den Einsatz von Assistenzsystemen attraktiv macht, ist, so die These, ihr Beitrag zur Verwirklichung einer inklusiven Arbeitswelt.
In der eingängigen Form einer allgemeinen Arbeitshypothese, die alle entscheidenden Faktoren in sich bündelt, lautet mein Vorschlag demnach:
Inklusionsthese (I):Assistenzsysteme am Arbeitsplatz sind ethisch gut, weil sie berufliche Teilhabe ermöglichen.
Unter der Voraussetzung, dass Erwerbsarbeit in kapitalistischen Gesellschaften eine wichtige Dimension der gesellschaftlichen Teilhabe darstellt, spricht die Inklusionsfunktion auf den ersten Blick entschieden für einen Einsatz von Assistenzsystemen. Sofern sich I erhärten lässt, stellt die Eigenschaft sozialer Inklusion also einen ethisch hinreichenden Grund dar, Assistenzsysteme am Arbeitsplatz einzusetzen und sich begründeterweise für entsprechende Schritte auszusprechen.
Dass der Einsatz von Assistenzsystemen gut ist, bedeutet nach der vorgeschlagenen Erklärung nichts Anderes, als dass es hinreichenden Grund gibt, sie einzusetzen. Den Wert dieser technischen Geräte angemessen in Rechnung zu stellen, heißt, den Gründen zu folgen, die sich uns im Umgang mit ihnen stellen. Und gute Assistenztechnologie dieser Art ist, etwas gekünstelt ausgedrückt, gebrauchenswert. Das heißt, anders gewendet: Mit einem positiven Werturteil über Assistenzsysteme wird der Umstand bezeichnet, dass sie einen Gebrauchswert besitzen. Und dies wiederum lässt sich als ein Verdikt darüber verstehen, dass es hinreichenden Grund für ihren Einsatz gibt. Es ist eine unmittelbare Konsequenz meines Vorschlags, dass die gründe-gebende Eigenschaft, auf der das Werturteil beruht, die ganze Begründungslast trägt. Der spezifische Wert von Assistenzsystemen manifestiert sich demzufolge in ihrer Inklusionsfunktion.
Die Inklusionsthese I besagt demnach zum einen, dass die Inklusionseigenschaft von Assistenzsystemen eine hinreichende Bedingung ist, um ihnen einen entsprechenden Wert zuzuschreiben. Durch sie wird die Tatsache angezeigt, dass Assistenzsysteme wertvoll sind. Zum anderen ist es auch genau diese Eigenschaft sozialer Inklusion, in der ihr spezifischer Wert fundiert ist. Das heißt, es wird nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass der Einsatz von Assistenzsystemen in der Arbeitswelt hinreichend begründet ist, sondern auch warum, nämlich weil sie berufliche Teilhabe ermöglichen. Um diesen Sachverhalt sprachlich gebührend einzufangen, kann man I auch folgendermaßen formulieren:
(I)*      Assistenzsysteme am Arbeitsplatz sind ethisch gut, weil und sofern sie berufliche Teilhabe ermöglichen.
Assistenztechnologie als «ethisch gut» zu qualifizieren, bedeutet, dass die Gründe, die für eine Befürwortung ihres Einsatzes sprechen, unparteiliche Gründe sind. Das heißt, sie nötigen alle möglicherweise Betroffenen eine befürwortende Haltung einzunehmen. Wenn das stimmt, besitzt somit jeder rationale Akteur hinreichenden Grund, den Gebrauchswert technischer Assistenz am Arbeitsplatz anzuerkennen und sich ihnen gegenüber dementsprechend zu verhalten.
Zum Schluss möchte ich noch erläutern, warum es mir besonders aussichtsreich erscheint, den ethischen Wert von Assistenzsystemen ausgerechnet an ihrer Inklusionsfunktion festzumachen. Diese Behauptung versteht sich gewiss nicht von selbst. Denn prinzipiell kommen ja durchaus mehrere Bewertungskriterien in Frage, die für eine abschließende Beurteilung zueinander ins richtige Verhältnis gesetzt werden müssen. Wie ich oben hervorgehoben habe, verbindet sich mit Assistenzsystemen so ebenfalls die Hoffnung, dass ihnen außerdem die aus betriebswirtschaftlicher Sicht reizvolle Eigenschaft ökonomischer Effizienzsteigerung zukommt.
Dieses Merkmal kann in bestimmten Situationen sicherlich auf seine Art für ausgewählte Akteure wertvoll sein. Dennoch: Ein ethisch abgestütztes Werturteil kann es nicht untermauern, weil sich eine entsprechende Wertschätzung nicht hinreichend verallgemeinern lässt. Effizienzsteigerung ist fraglos gut für die Verwirklichung bestimmter ökonomischer Interessen. Für Unternehmen könnte ein Einsatz von Assistenztechnologie am Arbeitsplatz in diesem Sinne in vielen Fällen von technischem Wert sein. Partikulare Unternehmensinteressen liefern allerdings keine befriedigende Antwort auf die Frage, welche Haltung gegenüber Assistenzsystemen aus ethischer Sicht einzunehmen ist. An den folgenden drei Punkten lässt sich das verdeutlichen.
Erstens ist die Gültigkeit eines technischen Werturteils von hochgradig hypothetischem Charakter. Technische Gründe sind immer nur möglicherweise stichhaltig. Ob der Einsatz von Assistenzsystemen auch tatsächlich technischen Wert besitzt, hängt nämlich entschieden davon ab, ob der Zweck der Effizienzsteigerung, auf den sich die erforderlichen Mittel beziehen, seinerseits hinreichend begründet werden kann. Wem es hier an überzeugenden Gründen mangelt, für den ist auch das zugehörige Mittel wertlos. Und ob das zutrifft, muss für jeden Einzelfall geprüft werden.[19]
Außerdem vernachlässigt eine solche Sichtweise auf technische Assistenz am Arbeitsplatz zweitens, dass jenseits ökonomischer Nutzenerwägungen weitere gewichtige Gründe für einen Einsatz sprechen. Eine Berücksichtigung dieser Gründe ist unverzichtbar, um für einen reflektierten Umgang mit Assistenztechnologie die richtigen Konsequenzen ziehen zu können. Ansonsten wäre ihr Wert nicht nur notorisch unterbestimmt. Man würde sogar Gefahr laufen, ihren Einsatz aus den falschen Gründen gutzuheißen. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob der Gebrauch dieser Technologie dem Nutzenkalkül von Privatinteressen überlassen bleibt, oder ob er als unparteilich wertvoll angesehen werden muss. Anders als die ökonomische Komponente der Effizienzsteigerung, kann die Eigenschaft beruflicher Inklusion ein ethisches Urteil untermauern. Eine inklusive Arbeitswelt stellt ein allseitig geteiltes Ideal dar. Seine Verwirklichung ist von ethischem Wert.
Zu guter Letzt muss man sich drittens die empirischen Kennziffern genau in Erinnerung rufen, die im letzten Abschnitt kurz vorgestellt worden sind. Mit Blick auf die aktuelle Studienlage stellen sich Assistenzsysteme in Wahrheit nämlich als nur eingeschränkt effizienzsteigernd dar. Positive Auswirklungen konnten eindeutig nur für Mitarbeiter mit starken kognitiven Beeinträchtigungen nachgewiesen werden. Ein ähnlich positiver Effekt für andere Personengruppen ließ sich jedoch nicht zeigen. Eine Steigerung von Effizienz liegt also bezogen auf die ansonsten sehr leistungsschwache Personengruppe der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen vor und nicht etwa global skaliert. Genau besehen sind Assistenzsysteme also gar keine «Effizienzsteigerer» und «Inkludierer», sondern «effiziente Inkludierer». In diesem Sinne verstärkt die Tatsache relativer Effizienzsteigerung eher den genannten Grund, Assistenzsysteme zum Zweck sozialer Inklusion am Arbeitsplatz einzusetzen, als dass sie einen eigenständigen, von diesem unabhängigen Grund abgeben würde. Gründe sind nach vorherrschender Meinung Relationen zwischen einem bestehenden Sachverhalt (oder einer wahren Proposition), rationalen Akteuren und einer bestimmten Verhaltensreaktion. So stellt die Tatsache, dass Assistenzsysteme zur Verwirklichung des Ideals einer inklusiven Arbeitswelt beitragen, für alle möglicherweise Betroffenen einen ethisch hinreichenden Grund dar, sie am Arbeitsplatz einzusetzen oder ihren Einsatz zu befürworten. Allerdings sind in diesem Zusammenhang nicht alle relevanten Faktoren einer Sachlage eigenständige Gründe, sondern verstärken mitunter nur das Gewicht von anderen Gründen.[20] Es liegt auf der Hand, dass die Eigenschaft relativer Effizienzsteigerung genau eine solche verstärkende Tatsache für den ethisch eigentlich ausschlaggebenden Grund abgibt, den die Inklusionsfunktion von Assistenzsystemen darstellt. Denn sie zeichnet Assistenzsysteme vor anderen Alternativen, wie beispielsweise einer persönlichen Eins-zu-eins-Betreuung, als ein effizientes Mittel aus, um berufliche Teilhabe zu gewährleisten.
An dieser Stelle mag sich der Gedanke aufdrängen, dass Assistenzsysteme streng genommen noch eine weitere wertvolle Eigenschaft besitzen, die bisher noch überhaupt nicht in den Blick genommen worden ist. Neben ihren Attributen relativer Effizienzsteigerung und Inklusion könnte es nämlich auf den ersten Blick so erscheinen, als würde die durch sie geleistete Assistenz am Arbeitsplatz eine dritte wichtige Quelle für ihre Beurteilung abgeben. Immerhin bewirkten Assistenzsysteme eine Steigerung der Funktionsfähigkeit ihrer Nutzer. So werden Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen durch die bereitgestellte Assistenz in die Lage versetzt, komplexe Bauteile effizient zu montieren und damit selbstständig einer wertschöpfenden Beschäftigung nachzugehen, was ihnen ohne diese Unterstützung nicht möglich wäre.
Doch auch dieses Argument lässt sich nicht ins Feld führen, um den ethischen Stellenwert meiner Inklusionsthese (I) zu erschüttern oder ihr etwas Wesentliches hinzuzufügen. Fest steht, dass die vorgehaltene Assistenz für viele Nutzer tatsächlich von prudentiellem Wert ist, weil sie persönlich davon profitieren. An einem Arbeitsplatz mit technischer Assistenz zu arbeiten, liegt somit im wohlerwogenen Interesse von vielen Betroffenen. Allerdings ist diese Tatsache aus ethischer Sicht nicht ausschlaggebend. Betrachtet man die Assistenzfunktion als eine ethisch gute Eigenschaft, wird der Denkfehler wiederholt, einen bloß verstärkenden Faktor als eigenständigen Grund anzusehen. Entscheidend ist, dass Assistenzsysteme nicht zu einer dauerhaften Verbesserung der Köperfunktionen ihrer Nutzer beitragen, sondern als technische Mittel der Assistenz auf eine (Wider-)Herstellung einer bestimmten Funktionsfähigkeit in einem bestimmten Kontext zielen. Die durch ein Assistenzsystem bereitgestellte Unterstützung muss somit ebenso deutlich von jedweder Form eines sogenannten «Human Enhancement»[21] abgegrenzt werden wie von einer medizinischen Therapie. Um das zu verdeutlichen, ist wiederum die oben getroffene begriffliche Unterscheidung zwischen Beeinträchtigungen und Behinderungen instruktiv. Die Interventionen von Assistenzsystemen am Arbeitsplatz zielen klarerweise darauf ab, die Beeinträchtigungen, die aufgrund einer pathologischen Schädigung der normalen Körperfunktionen bestehen, durch gezielte Assistenz derart zu kompensieren, dass für die Betroffenen daraus keine Behinderungen entstehen. In der Kompensation einer diagnostizierten Behinderung liegt ganz unmissverständlich ein therapeutisches Ziel, im Gegensatz zu einer Erweiterung der normalen menschlichen Leistungskraft, wie sie für ein Human Enhancement charakteristisch wäre. Allerdings steht ebenso unmissverständlich fest, dass die Assistenz durch ein Assistenzsystem nicht dauerhaft, sondern nur am Arbeitsplatz und damit auch nur für ganz bestimmte Arbeitsschritte erfolgen kann. Die Nutzer erlangen somit ausschließlich im Rahmen einer eigens dafür vorgesehenen Montageaufgabe eine entsprechende Funktionsfähigkeit (zurück). Mit anderen Worten: (Wider-)Hergestellt und therapiert wird nicht etwa eine bestimmte Körperfunktion im eigentlichen Sinn. Im Mittelpunkt der Assistenz steht vielmehr die grundsätzliche Ermöglichung einer dauerhaften Erwerbsfähigkeit zur beruflichen Teilhabe am Arbeitsleben durch eine Veränderung bestimmter Umweltfaktoren. In ihrer ethischen Bedeutung muss man die Assistenzfunktion daher klarerweise auf ihre Eigenschaft sozialer Inklusion beziehen.
Diese Überlegungen leugnen nicht, dass durch die Berücksichtigung spezifischer Anwendungssituationen weitere Gründe für (oder gegen) den Einsatz von Assistenztechnologie am Arbeitsplatz sprechen könnten. Und es mag sogar zutreffen, dass ihr Einsatz aus Unternehmenssicht unter bestimmten Umständen geschickt oder für einzelne Nutzer klug ist. Vor allem aber ist er ethisch wertvoll. Das ethische Ziel von Assistenzsystemen besteht darin, eine inklusive Arbeitswelt zu schaffen. Und der besondere Wert dieses Ideals ist von weiteren Hintergrundannahmen weitestgehend unabhängig.

5. Fazit

Ein Großteil der Menschen mit wesentlichen kognitiven Beeinträchtigungen ist von beruflicher Exklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt betroffen, weil die marktgesteuerten Inklusionsregeln einer kapitalistischen Marktwirtschaft all jene Personen von einer effektiven Teilhabe an der Arbeitswelt formell ausschließen, die nicht die erforderliche Eignung für eine qualifizierte Berufsausübung besitzen. Assistenzsysteme am Arbeitsplatz stellen geeignete Mittel strukturerhaltender Inklusionspolitik dar, um den bestehenden formellen Inklusionsdefiziten in Bezug auf Menschen mit wesentlichen geistigen Behinderungen in der Arbeitswelt aktiv entgegenzuwirken, weil durch ihren Einsatz die Funktionsfähigkeit der Nutzer verbessert wird. Es bleibt zu hoffen, dass damit nicht nur eine theoretische Debatte befruchtet, sondern ebenfalls ein praktischer Fortschritt in Richtung einer inklusiveren Arbeitswelt angestoßen werden kann.

6. Literatur

Bächler, Liane; Bächler, Andreas; Funk, Markus; Autenrieth, Sven; Kruell, Georg; Hörz, Thomas; Heidenreich, Thomas: The use and impact of an assistance system for supporting participation in employment for individuals with cognitive disabilities, in: Miesenberger, Klaus; Bühler, Christian; Penaz, Petr (Hrsg.): Computers Helping People with Special Needs.15th International Conference, ICCHP 2016, Proceedings, Part 1, Cham 2016, S. 329-332
Bittner, Rüdiger: Hypothetische Imperative, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Jg. 34 (1980) Nr. 2, S. 210–226.
Broome, John: Normative Requirements, in: Ratio, Jg. 12 (1999), Nr. 4, S. 398–419.
Broome, John: Wide or Narrow Scope? In: Mind, Jg.116 (2007), Nr. 462, S. 359–370.
Coenen, Christopher u.a. (Hrsg.): Die Debatte über «Human Enhancement». Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld 2010;
Funk, Markus; Bächler, Andreas; Bächler, Liane; Korn, Oliver; Krieger, Christoph; Heidenreich, Thomas; Schmidt, Albrecht: Comparing projected in-situ feedback at the manual assembly workplace with impaired workers. In: PETRA ‘15 Proceedings of the 8th ACM International Conference on PErvasive Technologies Related to Assistive Environments, New York 2015, S.1-8.
Funk, Markus; Dingler, Tilman; Cooper, Jennifer; Schmidt, Albrecht: Stop Helping Me - I'M Bored!: Why Assembly Assistance Needs to Be Adaptive. In: Adjunct Proceedings of the 2015 ACM International Joint Conference on Pervasive and Ubiquitous Computing and Proceedings of the 2015 ACM International Symposium on Wearable Computers, New York 2015, S. 1269-1273.
Funk, Markus; Kosch, Thomas; Kettner, Romina; Korn, Oliver; Schmidt, Albrecht: Motioneap: an overview of 4 years of combining industrial assembly with augmented reality for industry 4.0, in: Proceedings of the 16th international conference on knowledge technologies and data-driven business, New York 2016.
Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace. In: ASSETS ’15 Proceedings of the 17th International ACM SIGACCESS Conference on Computers & Accessibility, New York 2015, 185–192.
Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Cognitive Assistance in the Workplace, in: IEEE Pervasive Computing, Jg. 14 (2015), Nr. 3, S. 53-55
Funk, Markus: Augmented Reality at the Workplace – A Context-Aware Assistive System, Dissertationsschrift, Stuttgart 2016.
Hollenweger, Judith: Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF): Ein neues Modell von Behinderungen (Teil I), in: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 2003, Nr. 10, S. 1-8.
Korn, Oliver; Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Assistive Systems for the Workplace: Towards Context-Aware Assistance, in: Theng, Lau Bee (Hrsg.): Assistive Technologies for Physical and Cognitive Disabilities, Hershey 2015, S. 121-135.
Korn, Oliver; Schmidt, Albrecht; Hörz, Thomas: The Potentials of In-Situ-Projection for Augmented Workplaces in Production. A Study with Impaired Persons. In: CHI ’13 Extended Abstracts of the ACM SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, New York 2013
Kosch, Thomas; Kettner, Romina; Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Comparing tactile, auditory, and visual assembly error-feedback for workers with cognitive impairments, in: ASSETS ‘16 Proceedings of the 18th international acm sigaccess conference on computers & accessibility, New York 2016.
Lord, Errol; Maguire, Barry: An Opinionated Guide to the Weight of Reasons, in: dies. (Hrsg.): Weighing Reasons, Oxford 2016, S. 3-24.
Niehaus, Mathilde: Chancen und Barrieren der Teilhabe gesundheitlich beeinträchtigter und behinderter Menschen im Betrieb, In: Zeitschrift für Sozialreform. Der Schutz der Gesundheit und Teilhabe am Arbeitsleben behinderter, chronisch kranker und älterer Menschen, Jg. 51 (2005), S. 73-86.
Schöne-Seifert, Bettina; Talbot, Davinia (Hrsg.): Enhancement. Die ethische Debatte, Paderborn 2009.
Schramme, Thomas: Krankheitstheorien, Frankfurt a.M. 2006.
Schroeder, Mark: The Hypothetical Imperative? In: Australasian Journal of Philosophy, Jg. 83 (2005), Nr. 3, S. 357–372.
World Health Organization: International Classification of Functioning, Disability, and Health, Genf 2001.


[1] Eine Auseinandersetzung um eine nähere Begriffsbestimmung findet sich bei Schramme, Thomas: Krankheitstheorien, Frankfurt a.M. 2006.

[2] Vgl. World Health Organization: International Classification of Functioning, Disability, and Health, Genf 2001.

[3] Vgl. Hollenweger, Judith: Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF): Ein neues Modell von Behinderungen (Teil I), in: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 2003, Nr. 10, S. 1-8.

[4] §2 Sozialgesetzbuch IX.

[5] Niehaus, Mathilde: Chancen und Barrieren der Teilhabe gesundheitlich beeinträchtigter und behinderter Menschen im Betrieb, In: Zeitschrift für Sozialreform. Der Schutz der Gesundheit und Teilhabe am Arbeitsleben behinderter, chronisch kranker und älterer Menschen, Jg. 51 (2005), S. 73-86. S. 75.

[6] Ein Überblick über die Bandbreite aktueller Entwicklungen findet sich bei Korn, Oliver; Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Assistive Systems for the Workplace: Towards Context-Aware Assistance, in: Theng, Lau Bee (Hrsg.): Assistive Technologies for Physical and Cognitive Disabilities, Hershey 2015, S. 121-135.

[7] Vgl. die Homepage des Forschungsprojekts unter www.motionEAP.de; Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Cognitive Assistance in the Workplace, in: IEEE Pervasive Computing, Jg. 14 (2015), Nr. 3, S. 53-55; Funk, Markus; Kosch, Thomas; Kettner, Romina; Korn, Oliver; Schmidt, Albrecht: Motioneap: an overview of 4 years of combining industrial assembly with augmented reality for industry 4.0, in: Proceedings of the 16th international conference on knowledge technologies and data-driven business, New York 2016.

[8] Vgl. Bächler, Andreas; u.a: Systeme zur Assistenz und Effizienzsteigerung in manuellen Produktionsprozessen der Industrie auf Basis von Projektion und Tiefendatenerkennung. (im Erscheinen).

[9] Für eine detaillierte technische Systembeschreibung vgl. Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace. In: ASSETS ’15 Proceedings of the 17th International ACM SIGACCESS Conference on Computers & Accessibility, New York 2015, 185–192.

[10] Vgl. Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Cognitive Assistance in the Workplace.

[11] Vgl. Korn, Oliver; Schmidt, Albrecht; Hörz, Thomas: The Potentials of In-Situ-Projection for Augmented Workplaces in Production. A Study with Impaired Persons. In: CHI ’13 Extended Abstracts of the ACM SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, New York 2013; Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace; Funk, Markus; Bächler, Andreas; Bächler, Liane; Korn, Oliver; Krieger, Christoph; Heidenreich, Thomas; Schmidt, Albrecht: Comparing projected in-situ feedback at the manual assembly workplace with impaired workers. In: PETRA ‘15 Proceedings of the 8th ACM International Conference on PErvasive Technologies Related to Assistive Environments, New York 2015, S.1-8.

[12] Vgl. Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace; Funk, Markus; Bächler, Andreas; Bächler, Liane; Korn, Oliver; Krieger, Christoph; Heidenreich, Thomas; Schmidt, Albrecht: Comparing projected in-situ feedback at the manual assembly workplace with impaired workers; Bächler, Liane; Bächler, Andreas; Funk, Markus; Autenrieth, Sven; Kruell, Georg; Hörz, Thomas; Heidenreich, Thomas: The use and impact of an assistance system for supporting participation in employment for individuals with cognitive disabilities, in: Miesenberger, Klaus; Bühler, Christian; Penaz, Petr (Hrsg.): Computers Helping People with Special Needs. 15th International Conference, ICCHP 2016, Proceedings, Part 1, Cham 2016, S. 329-332; Funk, Markus: Augmented Reality at the Workplace – A Context-Aware Assistive System, Dissertationsschrift, Stuttgart 2016.

[13] Innerhalb der Gruppe a) lassen sich wiederum drei Abstufungen nach Leistungsgrad vornehmen. Vgl. Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace.

[14] Vgl. Funk, Markus: Augmented Reality at the Workplace – A Context-Aware Assistive System.

[15] Allerdings konnten nicht alle Teilnehmer dieser Leistungsgruppe gleichermaßen partizipieren, da ein sehr hoher Behinderungsgrad die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung erheblich beeinflusst. Vgl. Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace; Funk, Markus; Bächler, Andreas; Bächler, Liane; Korn, Oliver; Krieger, Christoph; Heidenreich, Thomas; Schmidt, Albrecht: Comparing projected in-situ feedback at the manual assembly workplace with impaired workers; Kosch, Thomas; Kettner, Romina; Funk, Markus; Schmidt, Albrecht: Comparing tactile, auditory, and visual assembly error-feedback for workers with cognitive impairments, in: ASSETS ‘16 Proceedings of the 18th international acm sigaccess conference on computers & accessibility, New York 2016.

[16] Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace; Bächler, Liane; Bächler, Andreas; Funk, Markus; Autenrieth, Sven; Kruell, Georg; Hörz, Thomas; Heidenreich, Thomas: The use and impact of an assistance system for supporting participation in employment for individuals with cognitive disabilities.

[17] Funk, Markus; Mayer, Sven; Schmidt, Albrecht: Using In-Situ Projection to Support Cognitively Impaired Workers at the Workplace.

[18] Vgl. Funk, Markus; Dingler, Tilman; Cooper, Jennifer; Schmidt, Albrecht: Stop Helping Me - I'M Bored!: Why Assembly Assistance Needs to Be Adaptive. In: Adjunct Proceedings of the 2015 ACM International Joint Conference on Pervasive and Ubiquitous Computing and Proceedings of the 2015 ACM International Symposium on Wearable Computers, New York 2015, S. 1269-1273.

[19] Es gibt mittlerweile eine geradezu ausufernde Diskussion darüber, wie hypothetische Imperative richtig analysiert werden müssen. Vgl. beispielhaft Schroeder, Mark: The Hypothetical Imperative? In: Australasian Journal of Philosophy, Jg. 83 (2005), Nr. 3, S. 357–372; Bittner, Rüdiger: Hypothetische Imperative, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Jg. 34 (1980) Nr. 2, S. 210–226. Für die generelle Unterscheidung von Wide- und Narrow-Scope Lesarten rationaler Erfordernisse vgl. Broome, John: Normative Requirements, in: Ratio, Jg. 12 (1999), Nr. 4, S. 398–419; ders.: Wide or Narrow Scope? In: Mind, Jg.116 (2007), Nr. 462, S. 359–370.

[20] Vgl. Lord, Errol; Maguire, Barry: An Opinionated Guide to the Weight of Reasons, in: dies. (Hrsg.): Weighing Reasons, Oxford 2016, S. 3-24, S. 10ff.

[21] Vgl. Coenen, Christopher u.a. (Hrsg.): Die Debatte über «Human Enhancement». Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld 2010; Schöne-Seifert, Bettina; Talbot, Davinia (Hrsg.): Enhancement. Die ethische Debatte, Paderborn 2009.