Abstract: Der Beitrag arbeitet heraus, inwiefern Versorgungsstrukturen des Behindertenhilfesystems in Deutschland als behindernde Praxen wirksam werden. Am Beispiel des Wohnens in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe wird gezeigt, inwiefern sich in diesem Kontext Behinderungspraxen vollziehen, die Personen als ‚behindert‘ hervorbringen und letztlich zu einer bürokratischen Überformung aller Subjekte, die in der Wohneinrichtung handeln (BewohnerInnen ebenso wie MitarbeiterInnen), führen. Ausgehend von einem Verständnis von Behinderung als sich diskursiv vollziehende Praxis wird ein Verständnis von Inklusion skizziert, das diesen Behinderungspraxen gegenläufig ist. Inklusion ist in diesem Sinne die Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren, welche immer auch kritisch ist, da sie auf eine Veränderung gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Praxen abzielt.
Stichworte: Inklusion, Dekonstruktion, Behinderung, Gouvernementalität, Diskurs, Foucault, Kritik, Teilhabe, Teilhabebarrieren, Versorgung, Bürokratie, Raum, Behindertenhilfe, Wohnen, geistige Behinderung, Teilhabeplanung, Wohnheim
Inhaltsverzeichnis
Inklusion ist ein Begriff, der Konjunktur hat und dennoch von unterschiedlicher Seite (wissenschaftlich als auch (sozial)politisch) mit je unterschiedlichem Inhalt bzw. Sinn gefüllt wird. Eine Herleitung des Inklusionsbegriffs, die einerseits auf theoretischen Auseinandersetzungen und andererseits auf empirischen Forschungsergebnissen aufbaut, fehlt zumeist. Dannenbeck (2012) befürchtet in diesem Zusammenhang, dass „unscharfe Verwendungen des Inklusionsbegriffs von dessen kritischen Potenzial [ablenken]“ (S. 55; siehe auch Dorrance/Dannenbeck 2013, S. 9f). An dieser Leerstelle setzt der vorliegende Beitrag an und entwickelt ausgehend von einem reformulierten Behinderungsbegriff, welcher Behinderung als sich je situativ vollziehende Praxis versteht, und aufbauend auf den Ergebnissen der Studie „Wohnräume als pädagogische Herausforderung. Institutionelle Alltagsgestaltung in Einrichtungen für Menschen mit ‚geistiger Behinderung‘“, in der die Lebenssituation institutionalisiert lebender Menschen mit geistiger Behinderung untersucht wurde (Trescher 2017c[1]), ein theoretisch und empirisch fundiertes Inklusionsverständnis. Dabei wird (zumindest in Ansätzen) offengelegt, inwiefern gouvernementale Steuerungspraxen Behinderung hervorbringen und auf mehreren Ebenen (im Hilfesystem selbst, in Einrichtungen, in der pädagogischen Praxis) reproduzieren.
Der Beitrag entfaltet im nachfolgenden zweiten Abschnitt die hier zugrunde gelegten Begrifflichkeiten. Dabei wird ein Behinderungsbegriff eingeführt, der sich an einem Diskursbegriff nach Foucault orientiert und der den Zugang zu (allgemeinen) Diskursen insbesondere an einer normativen Entscheidung festmacht. Anknüpfend daran wird das Verhältnis von allgemeinen und besonderen Diskursen ausgelotet, woraufhin sich einer Annäherung an Gouvernementalität (als Begriff und Praxis) zugewandt wird. Die begrifflichen Grundlagen werden durch eine Skizzierung des Dekonstruktionsbegriffs abgeschlossen. Im dritten Abschnitt werden Wohn- und Versorgungsdiskurse skizziert und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Es wird am Beispiel der Lebens- und Wohnsituation von Menschen mit (geistiger) Behinderung dargelegt, wie vielfältig diese und deren Lebenssituation (in Deutschland) in ein Netz von Versorgungsdiskursen eingewoben sind. Dabei werden jene Versorgungssysteme als Orte gouvernementaler Regierungstechniken identifiziert, in denen die darin versorgten Subjekte umfassend überwacht und reguliert und somit letztlich verwaltet werden. Die dem Beitrag zugrunde liegende Studie zeigt im Ergebnis Behinderungspraxen auf, die sich im Kontext des stationären Wohnens von Menschen mit geistiger Behinderung vielgestaltig vollziehen. In Abschnitt vier werden diese auf mehreren Ebenen wirksam werdenden Behinderungspraxen dargelegt. Die offengelegten Behinderungspraxen resultieren in einer Unterwerfung der Personen in der Wohneinrichtung (BewohnerInnen ebenso wie MitarbeiterInnen) unter die Verwaltungslogik des Behindertenhilfesystems (Abschnitt 4.5). Abschließend wird im fünften Abschnitt ein Verständnis von Inklusion entwickelt, welches als zu ‚Behinderung‘ gegenläufige Praxis im Sinne der Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren verstanden wird.
Die Problematik vieler vorhandener Behinderungsbegriffe besteht darin, dass der Status ‚behindert‘ am Subjekt manifest wird und so konsequent zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung unterschieden wird. Aus dieser Statuszuweisung erwachsen Praxen, die sich quasi-automatisch an den als behindert gekennzeichneten Personen vollziehen (siehe u.a. Trescher 2017d). In besonders strikter Art und Weise vollzieht sich diese Trennung bzw. Statuszuweisung in Diagnostik-Manualen wie beispielsweise dem ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Auch im sogenannten ‚bio-psycho-sozialen Modell‘ der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) wird aufgrund des nach wie vor wirksamen ‚medizinischen Blicks‘ (Foucault 2011) die Dichotomie ‚behindert‘ – ‚nicht behindert‘ reproduziert (siehe auch Trescher 2015b, S. 18). Somit kann gesagt werden, dass der ICF ein Instrument der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist, um Behinderung und Krankheit technisch zu erfassen und in Abgrenzung zu Gesundheit zu stellen (Trescher 2015b, S. 18). Darüber hinaus hat auch das von bzw. in den Disability Studies verbreitete sogenannte soziale Modell von Behinderung, dessen bekanntester Vertreter Oliver (1990) ist, einen „essentialistischen Kern“ (Waldschmidt 2006, S. 89), der dazu führt, dass Behinderung – nach wie vor – als individuelles Problem angenommen wird, „das in irgendeiner Weise der ‚Lösung‘ bedarf“ (Waldschmidt 2006, S. 89; siehe auch Trescher 2017e). Dies kann auch das sogenannte kulturelle Modell von Behinderung nicht überwinden, obwohl es ebendies für sich beansprucht (Waldschmidt 2006), denn es fehlt an einem Verständnis davon, wie Behinderung vom Subjekt entkoppelt formuliert werden kann. Ausgehend von dieser Leerstelle, wurde der Versuch einer Reformulierung herkömmlicher Behinderungsbegriffe unternommen, an dessen Ende ein Verständnis von Behinderung als Behinderung einer Teilhabe am Diskurs steht. In diesem Verständnis ist Behinderung nicht etwas, was einem Subjekt innewohnt, sondern eine sich vollziehende Praxis (Trescher 2017d). Es kann also gesagt werden, dass sich Behinderung als machtvoller Prozess in Diskursen vollzieht. Behinderung geschieht dann, wenn durch machtvolle Praxen ein Subjekt oder eine Gruppe von Subjekten von (im je konkreten Fall bezugsrelevanten) Diskursen ganz oder teilweise ausgeschlossen wird (Trescher 2017e). Behinderung ist folglich theoretisch auflösbar, indem der Zugang zu Diskursen, also Diskursteilhabe, ermöglicht wird. Dieser Behinderungsbegriff hat außerdem zur Folge, dass Menschen, die bislang nicht als behindert bezeichnet werden, in bestimmten Situationen behindert werden können[2]. Behinderung wird so von einem (biologistisch-medizinischen) Behindert-Sein abgekoppelt und als je situatives Behindert-Werden verstanden, das grundsätzlich auf alle Personen, unabhängig jeglicher vorgängig getroffener Zuschreibungen, zutreffen kann[3]. Behinderung bzw. die Praxis des Behindert-Werdens kann dabei nicht nur aus dieser (äußeren) Perspektive der Manifestation von Diskursteilhabebarrieren beschrieben werden, sondern Behinderung ist immer auch die subjektive Erfahrung des Behindert-Werdens, die je individuell erlebt und wahrgenommen wird. Inwiefern in Diskursen Teilhabebarrieren (re)produziert werden und welche Fragen sich daran anschließen, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
Foucault versteht Diskurse „als Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 1981, S. 74). Er führt weiterhin aus: „Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben“ (Foucault 1981, S. 74)[4]. Diskurs als Praxis hat also Vollzugskraft. Weiterhin haben Diskurse Grenzen, welche allerdings ‚unscharf‘ sind (Reckwitz 2008b) und der Zugang zu ihnen bzw. die Möglichkeit ihrer Aneignung wird durch äußere und innere Ausschließungssysteme kontrolliert (Foucault 2003, S. 11; siehe auch Trescher 2015b, S. 261ff). Zu den Prozeduren der äußeren Ausschließung gehören „das verbotene Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns; der Wille zur Wahrheit“ (Foucault 2003, S. 16). Diese dienen der Begrenzung der Macht des Diskurses und kontrollieren seine Verbreitung (Foucault 2003, S. 11). Es wird dadurch reguliert, wer zum ‚Sprechen‘ innerhalb eines Diskurses subjektiviert wird. Eine Behinderung der Diskursteilhabe ‚von außen‘ kann sich dadurch vollziehen, dass der Zugang zum Diskurs und den sich darin vollziehenden Praxen verwehrt wird oder dass bestimmten Personen keine ‚Sprecherrolle‘ zuerkannt wird (beispielsweise durch eine Kennzeichnung als ‚wahnsinnig‘).
Neben diesen von außen wirksam werdenden Ausschließungssystemen gibt es „[i]nterne Prozeduren, mit denen Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben; Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien wirken“ (Foucault 2003, S. 17)[5]. Der Sinn bzw. Zweck der internen Prozeduren ist, die „Dimension […] des Ereignisses und des Zufalls [zu bändigen]“ (Foucault 2003, S. 17) bzw. eine „Selektion unter den sprechenden Subjekten“ (Foucault 2003, S. 26) vorzunehmen. Diskursteilhabebarrieren, die ‚von innen‘ errichtet werden, vollziehen sich immer dann, wenn eine Person zwar an einem Diskurs teilhaben darf und teilhat – ihn somit auch mit hervorbringt – ihr Wort allerdings nicht das gleiche Gewicht hat, wie das von anderen. Ein Beispiel hierfür ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland zwar teilweise wählen dürfen (einigen wird das Wahlrecht abgesprochen[6]), es jedoch trotzdem so ist, dass es keine PolitikerInnen mit geistiger Behinderung gibt (siehe Trescher 2016b), d.h. das passive Wahlrecht bzw. der Zugang dazu (z.B. bzw. i.d.R. über Parteien) lebenspraktisch verwehrt wird. So vollzieht sich letztlich Diskursbehinderung.
Diese äußeren und inneren Ausschließungssysteme tragen dazu bei, dass einzelnen Subjekten Teilhabe an (allgemeinen) Diskursen[7] erschwert wird – sie werden ‚diskursbehindert‘. Dies zieht die folgenden Fragen nach sich: Was ist in Diskursen zugelassen zu sagen? Wer wird im Diskurs zugelassen und wer nicht? Wer darf sich im Diskurs äußern und wird gehört? Wichtig ist, dass es beim Verständnis von ‚Diskursbehinderung‘ nicht nur um die Problematik der (mehr oder minder eingeschränkten) Zugangsmöglichkeiten zu Diskursen geht, sondern auch um Möglichkeiten der Aneignung, durch die Diskurse letztlich gestaltet und (mit) hervorgebracht werden. Das Verständnis von Behinderung als eingeschränkte bzw. als eingeschränkt erlebte Diskursteilhabe bezieht sich auf eine Unterscheidung von ‚allgemeinen‘ und ‚besonderen‘ Diskursen, wobei sich ‚Diskursbehinderung‘ zunächst auf ‚allgemeine‘ Diskurse bezieht.
Unter allgemeinen Diskursen sind all jene Diskurse gefasst, zu denen jedes Mitglied der Gesellschaft Zugang haben sollte (eine normative Komponente klingt hier bereits an). Besondere Diskurse dagegen sind jene Diskurse, die eines spezifischen Wissens oder spezifischer Qualifikationen bedürfen und deren Zugang so durch bestimmte Teilhabevoraussetzungen reglementiert ist (Trescher 2017c, S. 182).
Diskurse sind allgemein, wenn theoretisch jedes Gesellschaftsmitglied Zugang und Teilhabemöglichkeiten hat. Das setzt voraus, dass (möglichst) keine ‚Verknappung der sprechenden Subjekte‘ (Foucault 2003, S. 26) innerhalb einer Gesellschaft erfolgt. Die (unscharfen) Grenzen (Reckwitz 2008b, S. 11) einer Gesellschaft bilden dann aber dennoch Grenzen des allgemeinen Diskurses, über welchen schlussendlich auch die sprechenden Subjekte im Diskurs begrenzt werden. Dementgegen sind besondere Diskurse solche, in welchen auch innerhalb einer Gesellschaft die sprechenden Subjekte verknappt werden können.
Link (u.a. 1999, 2005) nimmt eine andere Differenzierung vor und unterscheidet zwischen ‚Spezialdiskursen‘, ‚Interdiskursen‘ und ‚Elementardiskursen‘. „Spezialdiskurse tendieren gerade aufgrund der Spezialität ihres Wissens […] zum Vorherrschen der Denotation und der Eindeutigkeit (klare Definitionen, Operationalisierbarkeit usw.), während Interdiskurse umgekehrt Spezialwissen überbrückende, integrative Funktionen bedienen und vor allem an Subjektapplikationen gekoppelt sind“ (Link 1999, S. 155). Elementardiskurse dagegen sind eine Verbindung „historisch-spezifische[n] Wissen[s] (seit geraumer Zeit vor allem von den naturwissenschaftlich-technischen Diskursen und Praktiken gespeist) mit dem sogenannt anthropologischen Alltagswissen (über allgemeinste Lebensstrategien, Liebe, Familie, rudimentäre as-sociative Solidaritäten und Kollisionen usw.)“ (Link 2005, S. 91). Waldschmidt et al. (2006) bedienen sich ebenfalls dieser Differenzierung, ziehen jedoch im Anschluss an Elias (1978) die Bezeichnung ‚Alltagsdiskurse‘ der der ‚Elementardiskurse‘ vor (Waldschmidt et al. 2006, S. 203f). Die AutorInnen verstehen Alltagsdiskurse „als die entscheidende gesellschaftliche Institution zur strukturellen Verkopplung von Subjekt, Wissen und Macht“ (Waldschmidt et al. 2006, S. 204).
Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Diskursen nach Link (1999, 2005) bzw. Waldschmidt et al. (2006) sind als solche sinnvoll und nachvollziehbar, aber für den hiesigen Gegenstand nur bedingt gebräuchlich. Die Frage (die schlussendlich immer eine normative bleibt), wer an welchen Diskursen teilhaben können sollte, bleibt ungeklärt – auch bei den oben genannten Alltagsdiskursen (Waldschmidt et al. 2006). Dies liegt auch daran, dass a) nicht allgemeingültig trennscharf von anderen Diskursen unterschieden werden kann und b) nicht für jede sozio-kulturell-historisch differente Situation gesagt werden kann, dass Teilhabe daran (und nur daran) für alle Menschen ermöglicht werden muss. Es wird sich hier also für die etwas ‚einfachere‘ Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Diskursen entschieden. Die Entscheidung darüber, welche Diskurse allgemein und welche als besonders gelten (sollten), ist eine sozio-kulturell-historisch normative. Letztlich ist es somit eine Frage der Gerechtigkeit (und somit eine politische Entscheidung; Forst 2005, S. 24ff), welche Diskurse allgemein und welche besonders sind. Eine Frage, die sich hierbei ganz grundsätzlich stellt, ist, inwiefern und durch welche Instanzen der Zugang zu Diskursen bzw. Diskursteilhabe reguliert wird. Es bedarf eines Begriffes davon, was gouvernementale Steuerung bedeutet.
Unter Gouvernementalität versteht Foucault „die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben“ (Foucault 1978, S. 171). Gouvernementalität ist ein bzw. der wesentliche Typus von Herrschaftsausübung.[8] Gouvernementalität meint im ersten Sinne eine Technik der Menschenführung und ist folglich „die Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert“ (Foucault 2015, S. 261). Gouvernementalität beinhaltet eine gewisse Selbstermächtigung der Subjekte. In einem zweiten Sinn, und das ist hier entscheidend, meint Gouvernementalität diejenigen Prozeduren, mit welchen Subjekte (Regierende) auf das Verhalten anderer und/oder auf das eigene Verhalten planvoll einwirken. Durch Regierungstechniken werden Subjekte diskursiv (mit) hervorgebracht (siehe hierzu ausführlich: Lemke 2014, Angermüller/van Dyk 2010). Dies betrifft einerseits auf einer übergeordneten Ebene die Regierenden eines Staates und ‚den Staatsbürger‘, der gewisse Pflichten hat (z.B. Meldepflicht) und sich an die Gesetze des Staates zu halten hat, innerhalb derer er sich jedoch ‚frei‘ bewegen kann. Andererseits betrifft es, auf einer strukturell nachgeordneten Ebene, auch diejenigen, die in einer Einrichtung gewisse Regeln und Handlungsanweisungen vorgeben, und diejenigen, die diese einhalten müssen. Im Kontext des institutionalisierten Wohnens für Menschen mit Behinderung ist es beispielsweise so, dass der Staat gewisse Vorgaben macht, innerhalb derer sich die Wohneinrichtungen ‚frei‘ bewegen bzw. diese ausgestalten können, welche aber dennoch dazu führen, dass diese als spezifische Versorgungseinrichtungen hervorgebracht werden. Diese wiederum wirken, geleitet durch interne und externe planvolle Vorgaben, auf die zu betreuenden Subjekte und bringen diese in einer spezifischen Weise (mit) hervor. Im Kontext pädagogischen Handelns spielen gouvernementale Regierungstechniken also insbesondere in der pädagogischen Beziehung zwischen pädagogisch Handelnden und Betreuten eine Rolle. Solche „Prozesse der Subjektivierung müssen als Prozesse ambivalenter Gleichzeitigkeit von Fremd- und Selbstführung systematisch rekonstruiert werden“ (Kessl 2006, S. 72). Eine solche systematische Rekonstruktion wurde sich im Rahmen der hier zugrundeliegenden Studie (Trescher 2017c) zur Aufgabe gemacht.
Um das begriffliche Inventar dieses Beitrags zu vervollständigen, soll im Nachfolgenden kurz skizziert werden, wie ‚Dekonstruktion‘ begrifflich gefasst wird und welche theoretischen Anschlüsse dabei gesucht werden. Dies ist insofern relevant, dass, wie eingangs bereits erwähnt, der Abbau von Diskursteilhabebarrieren über den Prozess der Dekonstruktion erfolgt. Inwieweit dies mit dem hier entworfenen Verständnis von Inklusion zusammenhängt, wird in Abschnitt fünf eingehend erläutert.
Begriffstheoretisch wird in diesem Beitrag beim Sprechen über Praxen der Dekonstruktion der Anschluss an Butler gesucht (u.a. 1991), welche sich wiederum auf Derrida (u.a. 2016) bezieht bzw. dessen Verständnis von Dekonstruktion aufgreift und weiterentwickelt (Reckwitz 2008a, S. 89ff). Derrida bildet das Kofferwort Dekonstruktion aus den Begriffen ‚Destruktion‘ und ‚Konstruktion‘ (Ehrenspeck 2001, S. 25) und versteht es als Praxis des Infragestellens, die „Ambivalenzen und Widersprüche aufdeckt“ (Zima 2016, S. 1; siehe auch Saar 2007, S. 167). Dekonstruktion fordert demzufolge „eine Bejahung der Differenz und des Differierens“ (Zirfas 2001, S. 50) und hat zum Ziel, „das Denken von innen her für das zu öffnen, was dieses seit jeher ausgeschlossen hat, um dem anderen gerecht werden zu können“ (Zirfas 2001, S. 50). Dabei wird Dekonstruktion nicht als regelgeleitetes Instrumentarium, das methodisch angewendet werden kann, entworfen, sondern Dekonstruktion „ist vielmehr ein bewegliches, sich jeweiligen Kontexten anpassendes Lesen (Handeln), das auf diese Art eine Alternative zum totalisierenden Zugriff allgemeingültiger Methoden entwickeln will“ (Engelmann 1990, S. 27). Dieses ‚kritische Lesen‘ verweist auf die gesellschaftskritischen Elemente bzw. Möglichkeiten dekonstruktiver Herangehensweisen, die im Kontext von ‚Behinderung‘ von besonderer Bedeutung sind, bedeutet Dekonstruktion doch auch, „das Vorherrschende […] in seiner gesellschaftlichen Funktion zur Aufrechterhaltung der herrschenden Norm(alität) sowie in seinen Konstitutions- und Konstruktionsprozessen zu untersuchen, dabei Ausgeschlossenes zu erkennen und Hierarchisierungen aufzuweichen“ (Hartmann 2001, S. 80f). Eine solche Untersuchung determinierender gesellschaftlicher Strukturen und Praxen, die letztlich Behinderung (mit) hervorbringen und reproduzieren, steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Es geht also um die Frage der Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren.
Um sich einem routinemäßigen Verständnis von ‚Wohnen‘ anzunähern, gilt der Blick zunächst der etymologischen Bedeutung des Begriffs. Eine solche sprachgeschichtliche Herangehensweise zeigt, dass ‚Wohnen‘ ursprünglich „lieben, schätzen“ (Kluge 2002, S. 994) bedeutete und der Begriff die „unauflösbare Einheit von Wohnen und Leben“ (Hasse 2009, S. 26) immer schon in sich trug. Untrennbar verknüpft mit dem Begriff Wohnen ist der Raumbegriff (Thesing 2009, S. 26). Nach Löw (2001) ist unter ‚Raum‘ eine „relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an Orten“ (S. 224) zu verstehen. Raum hat folglich sowohl strukturierende Funktionen als auch eine Handlungsdimension (Löw 2001, S. 166; Trescher 2017c, S. 20f) und erzeugt so „Aushandlungsdiskurse, welche über die Ausgestaltung und Begrenzung der Räume entscheiden“ (Trescher 2017c, S. 20). Raum wird also durch Aneignungspraxen konstituiert. Wohnen ist in diesem Sinne nicht an einen Ort (im Sinne eines absoluten ‚Behälterraums‘) gebunden, sondern drückt sich durch eine Form von lokaler aber insbesondere auch sozialer Verbundenheit und Zugehörigkeit aus (Hasse 2009, S. 26f; Trescher 2017c, S. 21f; 2017b). Dementsprechend ist Wohnen auch „nicht jede Art räumlich-leiblichen In-der-Welt-Seins. Es ist vielmehr durch Vertrautheit und ein Gefühl des Hingehörens an einen Ort und dessen Gegend gekennzeichnet“ (Hasse 2009, S. 33). Wohnraum ist Ort des sozialen Miteinanders und bietet grundlegenden Gestaltungsraum für Vergemeinschaftungspraxen (Hasse 2009, S. 28f; Trescher 2017c, S. 22f; 2017b). Gleichzeitig ist der eigene Wohnraum ein privater Ort des Rückzugs, zu dem Nicht-Eingeladene keinen uneingeschränkten Zugang haben (sollen) (Trescher 2017c, S. 22ff).[9] Diese Kontrolle über das Private der eigenen Wohnung ist in Deutschland bereits im Grundgesetz festgehalten, heißt es doch in Artikel 13, Absatz 1: „Die Wohnung ist unverletzlich“. Verletzungen des Privaten bedeuten dabei immer auch Verletzungen der Würde (Trescher 2015a; 2017c, S. 24).
Das aktive Gestalten des Wohnraums respektive seine Aneignung ist ein wichtiges Konstitutionsmerkmal von ‚Wohnen‘ (Trescher 2017c, S. 20f; 2017b). (Wohn-)Raum wird durch Aneignungspraxen hervorgebracht (siehe dazu Trescher/Hauck 2017). Menschen mit Behinderung einen ‚Wohnraum‘ zu bereiten, also einen Ort, an dem sie sich Raum (individuell und sozial) aneignen können, ist in diesem Verständnis der Sinn von Wohneinrichtungen. Thesing betont, es sei „müssig“ (Thesing 2009, S. 28) – jedoch offensichtlich notwendig, da nicht als selbstverständlich vorausgesetzt – immer wieder betonen zu müssen, dass die Aneignung von Wohnraum auch für Menschen mit Behinderung gilt. Es bestehen also für Menschen mit Behinderung Diskursteilhabebarrieren hinsichtlich ihrer Aneignungsmöglichkeiten von Wohnraum. Inwiefern diese Diskursteilhabebarrieren letztlich auf unterschiedlichen Ebenen als Behinderungspraxen wirksam werden, wird in Abschnitt vier hinsichtlich äußerer und innerer Strukturen und Praxen herausgearbeitet.
Das Wohnen von Menschen mit Behinderung ist, insofern es in irgendeiner Weise organisational eingefasst ist (beispielsweise in einem Wohnheim oder im sogenannten Betreuten Wohnen), staatlich geregelt und somit eine Antwort darauf, wie Wohnen gouvernemental gesteuert und umgesetzt werden soll. Wohnen wird innerhalb des Behindertenhilfesystems verwaltet und somit zu einem Gegenstand des Versorgungsdiskurses. Hinsichtlich der Frage danach, was ‚Versorgung‘ meint, können drei Aspekte herausgearbeitet werden. Einerseits meint Versorgung ‚Obsorge und Unterhalt‘ und bezeichnet damit jene essentiellen Überlebensgrundlagen, derer Menschen bedürfen. Andererseits meint Versorgung aber auch eine geordnete, koordinierte logistische Leistung im Sinne von Lieferung und Nachschub. Zum dritten meint Versorgung eine Leistung, wie beispielsweise die Bereitstellung von Ressourcen über die Arbeitstätigkeit hinaus (z.B. in Form einer Rente). Im Kontext des stationären Wohnens für Menschen mit Behinderung treffen alle drei Aspekte des Versorgungsbegriffs zu.[10] Die Wurzeln der Institutionalisierung der Versorgung von Menschen mit Behinderung liegen im Mittelalter (Vanja 2007, S. 79) und bis heute ist die „Ära der Institutionen“ (Vanja 2007, S. 79) nicht abgeschlossen.[11]
In Deutschland ist die Versorgung von Menschen mit Behinderung (heute) in den Sozialgesetzbüchern geregelt. Das Netz der Sozialleistungen, die der Staat (potenziell) erbringt, ist dabei einigermaßen komplex. So befasst sich das SGB I mit allgemeinen Regelungen, aus denen sich die Leistungsansprüche, die Menschen mit Behinderung geltend machen können, ergeben. Die genauen Leistungsansprüche sind auf bis zu acht der übrigen elf Sozialgesetzbücher verteilt. Gerade bei Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf wird also das Beantragen von Leistungen zu einer bürokratischen Herausforderung. Im Kontext der Versorgung institutionalisiert lebender Menschen mit Behinderung sind insbesondere die Sozialgesetzbücher SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen), SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) und SGB XII (Sozialhilfe) relevant. Es wird also bereits jetzt deutlich, dass das Leben von Menschen mit Behinderung mitunter von einer umfangreichen Struktur bürokratischer Vorgänge zumindest mitgeprägt ist. Dies wird durch die Zuständigkeit – und daraus folgende Abhängigkeit – von verschiedenen Ämtern und Institutionen sowie die nicht einheitliche Regelung in den jeweiligen Bundesländern zur Beantragung einzelner Leistungen noch weiter verschärft. Zu problematisieren ist außerdem, dass nicht immer eindeutig klar ist, auf welcher Grundlage Leistungen zu beantragen sind. Im Kontext stationären Wohnens muss beispielsweise vorab geklärt werden, ob es sich um eine Leistung im Sinne der Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen, also eine SGB XI-Leistung, oder ob es sich um eine Wiedereingliederungshilfe von Menschen mit Behinderung im Sinne der Sozialhilfe, also um eine SGB XII-Leistung, handelt. Zugespitzt formuliert muss sozusagen entschieden werden, in welchem Bereich das Subjekt ‚mehr‘ behindert ist – im Bereich der Pflege oder hinsichtlich sozialer Probleme. Die Versorgung von Menschen mit Behinderung ist also in vielfacher Hinsicht eine Aushandlungspraxis, die innerhalb der Strukturen des Versorgungssystems verortet ist. Die sich in diesen Strukturen vollziehenden Praxen werden als ‚Regierungstechnik‘ im Sinne von Foucaults Verständnis von Gouvernementalität wirksam. Die gouvernementalen Strukturen spannen ein hoch komplexes, engmaschiges Netz um Menschen mit Behinderung und zeigen sich in der Vielzahl von Einrichtungen, Stellen und Personen, die alle für eine bestimmte Versorgungsaufgabe zuständig und die wiederum untereinander vernetzt und abhängig sind. Beispielsweise ist es häufig so, dass ein Mensch mit Behinderung in einer stationären Wohneinrichtung eines Trägers der Behindertenhilfe wohnt, in der unterschiedliche Professionen in je spezifischen Teilbereichen angestellt sind (bspw. pädagogische MitarbeiterInnen, ‚Fachkräfte‘ und ‚Nicht-Fachkräfte‘, Haushaltskräfte, Reinigungskräfte, HausmeisterInnen, MitarbeiterInnen ausschließlich für den Pflegebereich etc.). Dazu kommen gegebenenfalls externe Pflegedienste, sog. TherapeutInnen, ÄrztInnen, eine gesetzliche Betreuungsperson und weitere Personen. Zusätzlich arbeitet der betroffene Mensch mit Behinderung nicht selten in einer Werkstatt (WfbM), welche wiederum andere für ihn zuständige Personen vorhält, und besucht ein Freizeitangebot, in welchem dies womöglich ebenfalls so ist. Auf diese Art und Weise wird die betroffene Person „in Zuständigkeitsbereiche parzelliert, an denen die MitarbeiterInnen angreifen“ (Trescher 2017c, S. 82). Mit einer solchen Parzellierung des Subjekts geht ein hoher Dokumentationsaufwand einher, der letztlich das Subjekt überwacht und somit potenziell reguliert.
Bereits diese kurzen Ausführungen verdeutlichen, welch hoher wohlfahrtsstaatlicher, bürokratischer Aufwand der Gegenstand Behinderung in Deutschland sein kann.[12] Der Beitrag wird dies im Folgenden noch weiter illustrieren. Von Relevanz wird dabei sein, das ambivalente Verhältnis von Wohnen als theoretischer Idee und der Ausgestaltung von Wohnraum für Menschen mit Behinderung herauszustellen und darzulegen, inwiefern das Hilfesystem Diskursteilhabebarrieren (mit) hervorbringt.
Am Beispiel des Wohnens in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe wird im Folgenden gezeigt, inwiefern diese Einrichtungen und ihre MitarbeiterInnen respektive die übergeordneten Strukturen des Behindertenhilfesystems Praxen hervorbringen, die die darin betreuten Personen als ‚behindert‘ kennzeichnen und in diesem Status reproduzieren. Dabei wird Bezug genommen auf Ergebnisse der Studie „Wohnräume als pädagogische Herausforderung“ (Trescher 2017c). Forschungspraktischer Gegenstand der Studie waren zwei strukturell kontrastive Wohneinrichtungen (‚klassisches Heim‘ und ‚modernes Apartmentwohnen‘) für Menschen mit geistiger Behinderung. Das methodische Vorgehen der Studie ist multimethodal und auf zwei Ebenen angeordnet. Auf der strukturanalytischen Ebene wurden anhand einer Analyse von Grundrissen, Tagesplänen, Dienstplänen etc. die strukturellen Gegebenheiten der Wohneinrichtungen untersucht. Zudem wurden Interviews mit MitarbeiterInnen und (ehemaligen) BewohnerInnen geführt und ebenfalls rekonstruktiv-sequenziell ausgewertet. Auf der Ebene des affektiven Erlebens wurden Beobachtungen im Alltag der Wohneinrichtungen geführt und anhand des eigens entwickelten Verfahrens ‚Affective Revisiting‘ (Trescher 2017c, S. 61ff), welches methodisch an die sogenannte Infant Observation (Bick 1964; siehe auch Datler et al. 2008) und damit ursprünglich psychoanalytisch geprägte Verfahren angelehnt ist, hinsichtlich ihrer subjektiv-affektiven Wirkung analysiert. Dieses multimethodale Vorgehen ermöglichte es, die Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung, die innerhalb stationärer Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe leben, differenziert zu beleuchten, wovon der folgende, notwendigerweise ausschnitthafte, Einblick in die Ergebnisse zeugt.
Die gouvernementale Steuerung, die über die Vorgaben und (daraus resultierenden) Praxen des Hilfesystems in die jeweiligen Wohneinrichtungen hineinreicht, bringt Praxen hervor, die eine spezifische Organisationskultur innerhalb der Wohneinrichtung prägen. Inwiefern diese Organisationskultur behindernd wirksam werden kann, wird im Folgenden dargelegt.
Praxen, die Teil der Organisationskultur sind, werden von den Einrichtungen selbst geschaffen und haben zumeist den Zweck, Abläufe zu optimieren und das vorhandene Personal ressourcenorientiert einzusetzen. So gibt es umfassende Pläne, die zum Teil eine (oftmals weitreichende) Einschränkung des Alltags der BewohnerInnen bedeuten. In Dusch-, Einkaufs- und Essensplänen werden alltägliche Praxen teilweise grob, teilweise aber auch minutiös geplant und durchstrukturiert (Trescher 2017c, S. 171f).
Eine weitere Ausprägung innerer formell vorgegebener Praxen ist beispielsweise, dass Büros nicht selten in den Wohnbereichen selbst vorgehalten werden. Das Vorhalten von Büros hat zur Folge, dass es im ureigentlich privaten Wohnraum der BewohnerInnen Bereiche gibt, die diese nicht betreten dürfen und zu denen sie keinen Zugang haben. Zudem werden so Überwachungsstrukturen verankert, die zu weiteren Objektivierungen der BewohnerInnen beitragen (Trescher 2017c, S. 158). Wohnen als Aneignungspraxis wird dadurch zusätzlich behindert.
Besonders ambivalent ist die strukturelle und handlungspraktische Ausgestaltung sogenannter Bezugsassistenzen. Grundlegend erscheint es sinnvoll, jedem Bewohner und jeder Bewohnerin eine/n MitarbeiterIn an die Seite zu stellen, welche/r in besonderer Weise für die Belange und Interessen der Person zuständig ist. Dennoch erwachsen aus dieser Zuordnung auch je spezifische Zuständigkeiten, die zu einer weiteren Abhängigkeit der BewohnerInnen führen. Beispielsweise können BewohnerInnen bestimmte, in der routinemäßigen Lebenspraxis als alltäglich geltende, Termine nur mit ihren BezugsassistentInnen wahrnehmen und sind in der Folge vom Dienstplan der betreffenden MitarbeiterInnen abhängig. So werden BewohnerInnen in ihrer Handlungsökonomie und der Spontaneität im Alltag deutlich eingeschränkt. Hinzu kommt außerdem, dass die Ausgestaltung der Bezugsassistenzen primär auf technischer Ebene erfolgt. „Die Bezugsassistenzen haben kein individuelles umfassendes psychosoziales Betreuen zum Inhalt, sondern regeln in erster Linie die Zuständigkeiten in Bezug auf bürokratische und organisatorische Angelegenheiten. Damit sind Beziehungen zwischen MitarbeiterInnen und BewohnerInnen deutlich von zweckrationalem Charakter geprägt, was einem Dienstleistungsideal entspricht. Die Schattenseite dessen ist, dass die BewohnerInnen durch dieses gelebte Dienstleistungsideal nur bedingt persönliche Anerkennung und Wertschätzung erfahren“ (Trescher 2017c, S. 82).
Problematisch erscheint außerdem, dass die MitarbeiterInnen die bürokratischen Strukturen, wie sie sowohl die Einrichtung als auch die übergeordneten Strukturen des Hilfesystems (beispielsweise hinsichtlich der sogenannten Teilhabeplanung (Abschnitt 4.3)) vorgeben, verinnerlicht haben und ihr Handeln (implizit) daran ausrichten. Dies sei an einem kurzen Beispiel verdeutlicht. Bei einem Rückkopplungsworkshop mit den MitarbeiterInnen einer untersuchen Wohneinrichtung thematisiert der Autor die Verwahrlosungstendenzen in BewohnerInnenzimmern. Ein/e MitarbeiterIn merkt diesbezüglich an, dass es sich in keiner Weise um eine absichtliche Vernachlässigung handele, sondern dass bereits mehrfach ein Formular für den Hausmeister ausgefüllt wurde, sodass dieser (in einem konkreten Zimmer) Renovierungstätigkeiten ausübt. Auf die Idee, selbst etwas gegen den schlechten Zustand der BewohnerInnenzimmer zu unternehmen (teilweise wäre schon viel damit erreicht, eine verdreckte Stelle an der Wand zu überstreichen), kommen die MitarbeiterInnen eher nicht, denn die Orientierung an innerinstitutionellen Vorgaben und Handlungsabläufen hat sich bereits in sie eingeschrieben (siehe dazu Trescher 2017c, S. 198f). Handlungsmaxime ist so häufig eine an bürokratischen Vorgaben orientierte „Versorgungspragmatik“ (Trescher 2017c, S. 198).
Eine weitere gouvernementale Steuerungspraxis ist, dass die Ausgestaltung des Wohnens und der Wohnräume in Einrichtungen durch verschiedene Gesetze und Vorgaben geregelt ist. So gibt das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG; ehemals ‚Heimgesetz‘) die vertragsrechtlichen Regelungen der Heimunterbringung vor (dies ist in den 16 Bundesländern je unterschiedlich geregelt). Verordnungen hinsichtlich baulicher und infrastruktureller Art sind in der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimmindestbauverordnung - HeimMindBauV) zu finden. Dort ist unter anderem festgehalten, dass „Fußbodenbeläge der von Heimbewohnern benutzten Räume und Verkehrsflächen […] rutschfest sein [müssen]“ (§5) oder auch, dass an den Wänden in Fluren und Treppenhäusern an beiden Seiten Handläufe befestigt werden müssen (§3 Abs. 3). Durch das (verpflichtende) Anbringen einer Rufanlage, zumindest in den Räumen, in denen pflegebedürftige Personen leben (§7), werden Überwachungsstrukturen im (eigentlich privaten) Wohnraum installiert (siehe diesbezüglich auch Trescher 2017c, S. 81). Die Ausgestaltung der Wohnräume wird also von unterschiedlicher Seite (mit) vorgegeben, wodurch Wohnen als Aneignungspraxis massiv eingeschränkt bzw. behindert wird. Dadurch, dass den Personen keine uneingeschränkte individuelle Gestaltung und Nutzung des eigenen Wohnraums möglich ist, werden sie in ihrer individuellen Entfaltung behindert. Zudem ist eine gewisse Ferne zu routinemäßigen Wohnpraxen festzustellen (beispielsweise gibt es in Privatwohnungen in der Regel keine Handläufe an beiden Seiten des Flurs), die Ausdruck der eingeschränkten Teilhabe der BewohnerInnen von Wohneinrichtungen ist. Wohneinrichtungen werden so zu exklusiven, ‚behinderten Sphären‘, die die darin lebenden Personen letztlich als ‚behindert‘ subjektivieren. Dabei ist klar, dass Handläufe nicht dort angebracht werden, um Menschen zu ‚behindern‘ oder sie als ‚behindert‘ zu kennzeichnen, sondern um sie zu unterstützen. Dennoch wirkt die (nicht nur) dadurch geschaffene Sphäre der Behinderung auf (und in) die dort lebenden Subjekte und bringt diese letztlich als ‚behindert‘ (mit) hervor.
Ein weiteres Beispiel für die Einbindung von Wohneinrichtungen in das Netz des Versorgungssystems ist die Verpflichtung zur sogenannten Teilhabeplanung, die der Hilfebedarfsermittlung dient und letztlich über die Zuteilung finanzieller Mittel entscheidet. Diese Hilfebedarfsermittlung ist in den 16 Bundesländern unterschiedlich geregelt. Hier wird sich exemplarisch mit dem sogenannten Integrierten Teilhabeplan (ITP), einem Instrument des Landeswohlfahrtsverbands Hessen, auseinandergesetzt. Dieser wird gemeinhin als ‚fortschrittlich‘ bezeichnet (u.a. Rölke 2013; Jürgens 2015). Mittels des ITP, der bislang erst in wenigen weiteren Modellregionen erprobt wurde (vgl. Rölke 2013, S. 116), sollen Ressourcen, Umweltfaktoren und Hilfebedarf von Menschen mit Behinderung erfasst werden. Grundlage des ITP „sind die Wünsche, Vorstellungen und Bedarfe der Klientin oder des Klienten“ (Gromann 2010, S. 4). Aufbauend darauf sollen kurz- und langfristige Entwicklungsziele festgelegt sowie vorhandene Fähigkeiten und hindernde Barrieren festgehalten werden (LWV Hessen 2015, S. 7). Es wird unterschieden zwischen den beiden Kernbereichen ‚Wohnen‘ und ‚Arbeit/Beschäftigung/Tagesstruktur‘. Potenziell problematisch an dieser Unterscheidung ist, dass diese Bereiche nicht immer eindeutig voneinander zu trennen sind. Dies betrifft zum Beispiel (im Fall von Menschen mit geistiger Behinderung) insbesondere berentete Menschen, die zudem immer zahlreicher werden (vgl. Grunwald et al. 2013; Wiese et al. 2012, S. 571; Köhncke 2009, S. 28f; Mair/Hollander 2006, S. 58), denn in der Einrichtung angebotene tagesstrukturierende Aktivitäten werden zumeist nicht als getrennt vom regulären Wohnheimalltag wahrgenommen (Trescher 2015b, S. 206ff).
Der ITP wird über ein pdf-Formular erfasst.[13] Nach dem Abfragen allgemeiner Angaben werden unter 3. die Ziele der Person, die den ITP ausfüllt bzw. für die dieser ausgefüllt wird, erfragt. Hier findet sich ein ‚drop-down-Menü‘, aus welchem die aktuelle Situation sowie die angestrebte Veränderung ausgewählt werden muss. Diese Ziele sind geordnet; in Bezug auf den Themenbereich Wohnen bedeutet das, dass Wohnformen von „wohnungslos“ bis „eigene Wohnung“ angewählt werden können. Dies suggeriert, dass, wenn eine Person bereits in der eigenen Wohnung lebt, es keine Ziele mehr gibt, die sie erreichen kann – und folglich in ihrer jetzigen Situation keinen Anspruch auf Unterstützungsleistungen erheben kann. Problematisch ist außerdem, dass durch die Anordnung der Ziele der Eindruck einer Hierarchisierung entsteht, und dass es weniger erstrebenswert sei, in einer stationären Einrichtung leben zu wollen als in der eigenen Wohnung. Dadurch werden auch die Personen hierarchisiert, die den ITP ausfüllen bzw. für die dieser ausgefüllt wird. Sie werden unterteilt in jene, die einen höheren Unterstützungsbedarf haben (und für die (bislang) der Umzug in eine ambulant betreute Wohnsituation eher selten realisiert wird), und jene, die vermeintlich selbstständiger sind und für die folglich ein Auszug aus stationären Wohnformen näherliegend ist. Mit dieser (hierarchischen) Anordnung geht eine implizite Bewertung der Person als (mehr oder weniger) leistungsfähig einher[14].
Das ausgewählte übergeordnete Ziel wird dann heruntergebrochen in Teilziele, welche jeweils mit einem konkreten „Indikator“ (ITP 2013, S. 2) verknüpft werden. So wird eine komplexe Lebenssituation technisch erfasst und in kleinteilige, vermeintlich messbare Größen zerlegt. Das Subjekt in seiner Lebenswirklichkeit wird so zerteilt in bürokratisch abrechenbare Einheiten. In der konkreten Praxis bedeutet dies auch, dass im Alltag kontinuierlich geprüft werden muss, ob das Erreichen eines Zieles bereits indiziert ist, was eine ständige Prüfung nach sich zieht, die die betreuten Personen in einem Zustand der dauerhaften Bewährung hält. Das pädagogische Personal in Einrichtungen der Behindertenhilfe stellt die Umsetzung und Überwachung dieses „umfassenden rationalen Plan[s]“ (Goffman 2014, S. 17) sicher und wird so zum Erfüllungsgehilfen des bürokratischen Überbaus.
Wie kleinteilig der ITP Subjekte und Lebenspraxen erfasst, soll an einem weiteren Beispiel dargelegt werden. Die Punkte 7. bis 9. des ITP fragen Fähigkeiten und vorhandene Unterstützungspotenziale der betreffenden Person ab. Diese sollen anhand einer Skala von 0 = keine Beeinträchtigung bis 4 = voll ausgeprägte Beeinträchtigung bewertet werden (entsprechende Skalen gibt es auch bezüglich der Bewertung vorhandener bzw. nicht vorhandener Unterstützung). Beispielsweise sollen die Personen, die den ITP ausfüllen bzw. für die dieser ausgefüllt wird, bewerten inwieweit „Inhalt und Kontrolle des Denkens (b160ff)“ (ITP 2013, S. 3) beeinträchtigt sind. Diese äußerst invasive Vorgehensweise, die die Betreuten auf datenbasierte Abfragungen reduziert, dringt in intimste Angelegenheiten ein. Dadurch werden die betroffenen Personen herabgewürdigt (siehe diesbezüglich u.a. Trescher 2015a). Durch eine Orientierung des ITP an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) wird dies (mit) hervorgerufen. Der ICF selbst wird im Plan anhand der Codes (im obigen Beispiel „b160ff“) sichtbar. Daraus folgt ein (immer noch) medizinischer Blick auf Behinderung, der dem ITP inhärent ist, und aus welchem je spezifische Behinderungspraxen, die sich an den betreuten Personen vollziehen, resultieren. Selbst wenn der ICF versucht, nicht mehr nur ein medizinisches Verständnis von Behinderung zu vertreten, indem auch Umweltfaktoren und Ressourcen mit in den Blick genommen werden, geschieht das in einem technischen, das Subjekt als defizitär konstruierenden Maße. Den so erfassten Personen wird der Status Behinderung zugeschrieben und „indem sie den Status des Gegenstandes annehmen, werden sie gewichtig und fest. […] Die Aufmerksamkeit des Blicks wird sie […] nach und nach aufwecken und ihnen Objektivität verleihen. Der Blick reduziert nicht mehr, er begründet vielmehr das Individuum in seiner unreduzierbaren Qualität“ (Foucault 2011, S. 12). In diesem Netz aus Vorgaben, Codes und Praxen werden Menschen objektiviert und somit behindert (Trescher 2015b, S. 226f; 2017c, S. 180ff). Der ITP, aber auch die zahlreichen anderen Vorgaben, Formblätter in Pflegemappen etc., sind so der materiale Ausdruck einer spezifischen „Form der Beziehungen zwischen der Macht und dem Wissen“ (Foucault 1976, S. 115).
In Bezug auf Punkt 8. „Vorhandene und zu aktivierende Hilfen im Umfeld“ ist zu diskutieren, dass das persönliche Umfeld der Personen stellvertretend für die Einrichtung in die Pflicht genommen wird, Unterstützungsleistungen zu erbringen. Dies mag auf der einen Seite eine unbürokratische Form der Unterstützungserbringung bedeuten, zieht aber andererseits eine massive Abhängigkeit von (primär) Angehörigen nach sich, welche Selbstermächtigungspraxen der betreuten Personen deutlich einschränken, da dadurch die sich routinemäßig vollziehende schrittweise Unabhängigkeit (von insbesondere den Eltern) gehemmt wird. Letztlich führt der ITP bzw. seine Ausgestaltung dazu, den häufig kritisierten Status des ‚ewigen Kindes‘ weiter aufrechtzuerhalten.
Das Hinzuziehen von Angehörigen zur Reduktion von ‚Beeinträchtigungspunkten‘ innerhalb des ITP führt mitunter zu absurden Praktiken, wie der Fall eines Bewohners einer stationären Wohneinrichtung verdeutlichen soll (siehe dazu Trescher 2017a, S. 145ff). Der 35-jährige Mann lebt in einer Wohngruppe in einem großen Wohnheim. Einmal in der Woche kommt seine Mutter in die Einrichtung, nimmt ihn mit hinaus und geht mit ihm die kurze Strecke zur nächsten Bushaltestelle. Dort nimmt er dann selbstständig den Bus und fährt zu einem nahe gelegenen Einkaufszentrum, in welchem er einen Elektrofachmarkt besucht und Sozialbeziehungen unterhält. Am frühen Abend nimmt er wieder selbstständig den Bus und fährt zurück zur Wohneinrichtung, wo seine Mutter an der Bushaltestelle auf ihn wartet, um ihn zurück zur Einrichtung zu bringen. Dieser Modus für sich allein gestellt erscheint schon äußerst problematisch, wird aber noch dadurch potenziert, dass durch dieses Engagement der Mutter der für den ITP relevante Unterstützungsbedarf deutlich reduziert wird, was eine Reduktion von Leistungen nach sich zieht. Familiäres Engagement entzieht also strenggenommen der Person, welche hier primär als Leistungsempfänger konstruiert wird, finanzielle Unterstützungsmittel. Wird dieser Gedanke weiter verfolgt, zeichnet sich eine weitere Schwierigkeit ab, denn sobald die Mutter ihrem Sohn nicht mehr diese Form der Selbstständigkeit ermöglichen kann (beispielsweise aufgrund ihres Alters), ist die Einrichtung wieder in der Verantwortung, welche jedoch im hiesigen Fall solche Freiheitsgrade (des selbstbestimmten Verlassens der Einrichtung) grundsätzlich nicht ermöglicht.
Zusätzlich problematisch ist, dass bei der Bearbeitung des ITP verschiedene Interessen konkurrieren können. Denn es ist so, dass je ausgeprägter die Beeinträchtigung der betroffenen Person ist, desto mehr Anspruch auf Leistungen finanzieller Art kann sie erheben. Die Leistung wird allerdings nicht zwingend an die Person, sondern gerade bei stationärer Unterbringung von Menschen mit geistiger Behinderung oft an die Wohneinrichtung bzw. deren Träger gezahlt. Letztlich erzeugt die Logik des ITP also, dass die Einrichtungen bzw. Träger ein (zumindest implizites) finanzielles Interesse daran entwickeln, dass der Unterstützungsbedarf der BewohnerInnen möglichst hoch ist.
Es kann also gesagt werden, dass durch die Eigenlogik des Versorgungssystems Praxen generiert werden, die den Alltag vieler Menschen mit Behinderung (im Besonderen hier Menschen mit geistiger Behinderung) massiv einschränken bzw. behindern. Auch die sich vollziehende pädagogische Praxis wird dadurch deutlich eingeengt. Es zeigt sich, dass Unterstützungsleistungen zwar erbracht werden, um (idealerweise) mehr (Diskurs-)Teilhabe zu ermöglichen, dass jedoch mit der Praxis der Gewährung und Verwaltung dieser Leistungen (teilweise massive) Behinderungspraxen einhergehen.
Die Vorgaben des gouvernementalen Überbaus führen in vielen Fällen dazu, dass sich in den Wohneinrichtungen selbst, informelle Praxen ausbilden, die nicht durch die Einrichtung oder den Versorgungsträger vorgegeben sind, sich aber implizit aus deren Vorgaben ergeben. Dies betrifft in erster Linie die zeitliche Optimierung von Abläufen. Als Beispiel kann hier die Optimierung von Dokumentationspraxen angeführt werden, indem ein Büroarbeitsplatz im Wohnzimmer der BewohnerInnen eingerichtet wird, sodass bürokratische Tätigkeiten, wie in diesem Kontext die Dokumentation, vor Ort erledigt werden können und die MitarbeiterInnen dafür nicht die Wohngruppe verlassen oder zusätzliche Büroarbeitszeiten eingeplant werden müssen. Ein/e interviewte/r MitarbeiterIn führt diesbezüglich aus: „Wir machen die Doku hier im Gruppenraum [gemeint ist das Wohnzimmer der BewohnerInnen, Anm. des Verfassers], wir haben einen Schreibtisch da für uns reingestellt. Ist nicht ganz günstig, keine Möglichkeit zu haben, da irgendwas wegzuschließen, außer im Schreibtisch selber. Aber gut, das ist halt hier oft so, dass die Räume nicht grade ganz ideal sind“ (M-1; Z. 348-351; siehe auch Trescher 2017c, S. 199). Dadurch wird das Wohnzimmer der BewohnerInnen – ein ureigentlich privater Raum – institutionalisiert und zum Arbeitsraum der MitarbeiterInnen.
Eine weitere informelle Praxis ist die zeitliche Optimierung von Pflegeleistungen. Zum morgendlichen Dienstbeginn werden die BewohnerInnen nacheinander durch die MitarbeiterInnen geweckt, damit sie bereit für die Pflege sind. Schlafenszeiten der BewohnerInnen orientieren sich also nicht primär an individuellen Bedürfnissen, sondern an der Ausgestaltung des Dienstplans der MitarbeiterInnen. Ein/e interviewte/r MitarbeiterIn schildert diesbezüglich: „Also wir versuchen den bestmöglichen Kompromiss zu finden zwischen sozusagen dem, ich meine das is ja ne Wohnsituation und jeder möchte ja Zuhause sozusagen ja so lange wach bleiben, wie er gerne möchte und Fernseh gucken wie er möchte, ne. Aber des müssen wir halt sozusagen mit unseren Dienstabläufen son bisschen koordinieren und versuchen halt, den bestmöglichen Kompromiss zu finden, ne, dass die Pflege schon stattgefunden hat, wenn die Schicht zu Ende ist“ (Trescher 2017c, S. 113). Nicht selten kommt es vor (auch der obige Interviewausschnitt belegt dies), dass BewohnerInnen bereits am frühen Abend bettfertig gemacht werden, da die MitarbeiterInnen schon zeitig nach dem Abendessen Dienstschluss haben. Ein/e interviewte/r MitarbeiterIn führt diesbezüglich aus: „Ab sechs Uhr ist dann so Abendessen und dann macht man so schlafen gehen Angelegenheiten“ (Trescher 2017c, S. 92). Ein/e andere/r MitarbeiterIn sagt: „Erfahrungsgemäß ist nach dem Abendessen auch nicht mehr viel zu machen“ (Trescher 2017c, S. 94), woran noch einmal sehr deutlich wird, inwiefern MitarbeiterInnen ihr Handeln auf pflegerische/organisatorische Tätigkeiten begrenzt sehen. Pädagogisches Handeln (im Sinne einer intersubjektiven Beziehungspraxis) scheitert so. Weitere Folgen einer (einseitigen) Orientierung des eigenen Handelns an den Dienstzeiten zeigt sich darin, dass ein/e BewohnerIn, die/der von den MitarbeiterInnen als sehr ‚betreuungsintensiv‘ dargestellt wird, beispielsweise bereits um 19:00 Uhr zu Bett gebracht wird und zusätzlich noch ein Medikament bekommt, das dafür sorgt, dass er/sie bis zum nächsten Morgen durchschläft (Trescher 2017a, S. 174). Dies hat, neben dem massiven regulierenden Eingriff in den Körper der betreffenden Person, unter anderem auch zur Folge, dass besagtem/besagter BewohnerIn die Teilhabe an routinemäßigen, inklusiven Freizeitaktivitäten, welche zu einem Großteil am Abend stattfinden, strukturell erschwert oder sogar gänzlich verwehrt wird (Trescher 2015b, S. 140f). Das als behindert geltende Subjekt wird durch diese Praxis in seiner Teilhabe an der Allgemeingesellschaft behindert. Betreuungspraxen können also letztlich auch zu Behinderungspraxen werden.
Zu betonen ist dabei allerdings, dass diese Praxen nicht alleinig von den MitarbeiterInnen hervorgerufen werden. Vielmehr entstehen sie aus einer Eigenlogik der Einrichtung, welche letztlich durch die Struktur der ‚Versorgung‘ von außen vorgegeben ist, und so zu einer bürokratischen Überformung der Subjekte, die unter dem Protektorat der Behindertenhilfe (pädagogisch) handeln, führt.
Als Resultat dieser behindernden Praxen innerhalb der Wohneinrichtungen kann festgehalten werden, dass Menschen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe betreut und versorgt werden, jedoch auch jene, die dort (eigentlich) pädagogisch arbeiten, durch ein engmaschiges System bürokratisch überformt werden. Eine ‚Leistung‘, die nicht dokumentiert ist, gilt als nicht erbracht und wenn der ‚Duschplan‘ nicht eingehalten wird, gilt das als unkollegial gegenüber den anderen MitarbeiterInnen. Diese gouvernementalen Strukturen schränken deutlich die persönliche Handlungsökonomie der BewohnerInnen ein. Die Menschen in der Einrichtung werden bürokratiebehindert. Sie leben ein ‚verwaltetes Leben‘, das sich letztlich auch in einer ‚verwalteten Biographie‘ niederschlägt (siehe Trescher 2017a). Die Einbindung in Verwaltungsdiskurse vollzieht sich dabei nicht nur im Kontext von Wohnen, sondern kann sich in vielen Facetten des Lebens zeigen, beispielsweise in Kindertagesstätten und Schulen, im Kontext der Familie, in Freizeit und Arbeit, im Bereich Partnerschaft und Sexualität und in weiteren Lebensbereichen (siehe dazu Trescher 2017f).
Mit Rückbezug auf die oben dargestellten Praxen innerhalb der stationären Betreuung von Menschen mit Behinderung kann zusammenfassend festgehalten werden, dass äußere formelle sowie innere (in)formelle Praxen das Leben der BewohnerInnen in den Einrichtungen regulieren und so zu einer Behinderung von Wohnen als Aneignungspraxis beitragen. Die Nutzung des Wohnraums als Ort, der individuelle Gestaltung, uneingeschränkte Selbstentfaltung und privaten Rückzugsraum erlaubt (Hasse 2009, S. 29ff; Trescher 2017c, S. 17ff; 2015a), ist institutionalisiert lebenden Menschen mit Behinderung nur eingeschränkt möglich, da das Subjekt bürokratisch zerlegt und somit in seiner persönlichen Handlungsökonomie ebenso wie in seiner Persönlichkeitsentwicklung massiv eingeschränkt wird. Die am Subjekt angreifenden Praxen führen letztlich zu einer bürokratischen Überformung des Subjekts, was sich, nicht nur, jedoch besonders eindringlich, in der Überzahl von Formularen und Akten die Person betreffend zeigt. Behinderung wird so zu einem Gegenstand der Sachbearbeitung durch das Personal in den Einrichtungen – Behinderung wird Bürokratiebehinderung. Menschen, die umfassend auf dieses Versorgungssystem angewiesen sind (beispielsweise Menschen mit ‚schwerer‘ Behinderung), sind davon in besonderer Weise betroffen. Abrams (2015) trifft es auf den Punkt, wenn er sagt, „filling out bureaucratic forms is an essential part of (Western) disabled existence” (Abrams 2015, S. 13). Das, insbesondere auch durch diese Praxen, behinderte Subjekt wird auf bürokratisch und verwaltungstechnisch zu bearbeitende Datensätze reduziert und die Behinderung wird zum Fixpunkt des Lebens (Trescher 2017c, S. 173). Diese Praxen reproduzieren Behinderung vielfach als „measurable problem“ (Titchkosky 2007, S. 48) und zeigen, dass „[t]o be disabled is to be mapped, charted, poked-and-prodded – and then: inscribed” (Abrams 2015, S. 15). Ganz besonders deutlich wird dies am Beispiel des, oben bereits dargelegten, Dokumentationszwanges innerhalb der Einrichtung, welcher dazu führt, dass MitarbeiterInnen an erster Stelle für ‚die Akte’ – und nicht die BewohnerInnen – arbeiten. „Dieser bürokratische Verwaltungsdiskurs (re)produziert die Subjekte als singularisierte Objekte“ (Trescher 2017b).
Der massive bürokratische Überbau hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf das betreute Subjekt, sondern auch auf die (eigentlich) pädagogisch Handelnden in der Einrichtung, denn die Flut an Vorgaben, an denen sich die EinrichtungsmitarbeiterInnen orientieren (müssen) – u.a. ebenjener Dokumentationszwang, schränkt pädagogisches Handeln im Sinne einer reflexiven Beziehungspraxis (Oevermann 1996; Trescher 2016a) deutlich ein. So vollzieht sich Bürokratiebehinderung in zweierlei Hinsicht: Einerseits regelt und überwacht sie teilweise minutiös das Leben der Betroffenen durch Vorgaben und Regelungen, die eingehalten werden müssen und zu spezifischen Praxen führen. Andererseits verschlingen bürokratische Vorgaben selbst Ressourcen, indem MitarbeiterInnen einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Angelegenheiten wie Verwaltung und Dokumentation verbringen, was letztlich professionelles, pädagogisches Handeln verhindert (siehe diesbezüglich Trescher 2017c, S. 161f; 2017b).[15]
Die Ausmaße dieser vielfach von außen auferlegten Fokussierung auf die Abarbeitung verwaltungstechnischer Aufgaben werden in einem Interview mit einem ehemaligen Bewohner einer (verhältnismäßig offenen) Wohneinrichtung, der mittlerweile in einer betreuten Wohngemeinschaft mit drei MitbewohnerInnen wohnt, deutlich: „Und was scheiße am Wohnheim war, oh, ja mh, hartes Wort, stimmt aber, dass die Betreuer selten Zeit für uns hatten. Weil wenn jemand was wollte zum Beispiel, gibt es Toilettenpapier? ‚Keine Zeit‘, ‚Spülmittel?‘ ‚Keine Zeit‘, ‚Waschmittel?‘ ‚Keine Zeit‘. Immer dieselbe Ausrede. Und dabei saßen die eigentlich nur im Büro und tippten ein bisschen am PC rum“ (Trescher 2017c, S. 154). Diese Dominanz bürokratischer Tätigkeiten bedeutet letztlich eine Verbetriebswirtschaftlichung der Angelegenheit ‚Behinderung‘, welche wiederum eine weitgehende Entfremdung der (pädagogisch) Handelnden (deren Tätigkeiten kaum pädagogischen Maximen genügt (u.a. Bernhard 2011)) von denjenigen darstellt, für die diese pädagogischen Handlungen generiert sind.[16] Aus der Entfremdung zu ihrer Arbeit entsteht letztlich eine Entfremdung in der pädagogischen Beziehung (siehe hierzu ausführlich Trescher 2017c, S. 185f). Das heißt auch, dass pädagogisches Handeln, im Sinne von stellvertretender bzw. gemeinsamer Krisenbewältigung, kaum noch stattfindet, weil die Praxen insoweit vorgegeben sind, dass Räume für eigenverantwortliches pädagogisches Handeln der ‚Professionellen‘ (inwiefern sie durch die Dominanz von Vorgaben noch als ‚Professionelle‘ zu bezeichnen sind, ist eine andere Frage) stark eingeschränkt sind.
Die Ergebnisse der Interviewanalysen auf Seiten der MitarbeiterInnen zeigen jedoch auch, dass diese immer wieder Nischen im institutionellen Alltag finden, innerhalb derer sie Momente des reflektierten pädagogischen Handelns gestalten können und den BewohnerInnen auf einer Beziehungsebene begegnen. Die MitarbeiterInnen werden so zu widerständigen Subjekten, die sich der Dominanz des bürokratischen, versorgungstechnischen Überbaus entgegenstellen (Trescher 2017b; 2017c, S. 189ff).
Schlussendlich können bürokratische Strukturen in ihrer umfassenden Wirkmächtigkeit als Diskursteilhabebarrieren ausgemacht werden, da sie a) das Subjekt und seine individuellen Bedarfe technisch reduzieren, und damit b) die pädagogische Praxis, die idealerweise mehr Selbstermächtigung der Subjekte zur Folge haben soll, behindern (das betrifft auch die enge Form der vorgegebenen pädagogischen Beziehung zwischen MitarbeiterInnen und BewohnerInnen), und c) durch solche Praxen behinderte Identitäten (re)produziert werden. Diese Praxen führen dazu, dass Menschen mit Behinderung sich oft nur innerhalb der engen Grenzen des Versorgungssystems entfalten bzw. entwickeln können und somit nicht an Praxen der Mehrheitsgesellschaft teilhaben können. Es bedarf also der Dekonstruktion solcher als Diskursteilhabebarrieren identifizierten Strukturen. Es bedarf einer Idee von Inklusion.
Ausgehend von einem Verständnis von Behinderung als Praxis, die sich immer dann vollzieht, wenn Subjekte an Diskursteilhabebarrieren stoßen, und ausgehend von der Frage, welches Subjekt zu welchen Themen im Diskurs ‚sprechen‘ darf und dann wie und von wem gehört wird, wird Inklusion als Prozess bzw. Praxis der Dekonstruktion ebenjener Diskursteilhabebarrieren verstanden (Trescher 2015b, S. 333f; 2017c, S. 183ff), wobei hier auf das oben entfaltete Verständnis von Dekonstruktion als kritisches Infragestellen von Gegebenem rekurriert wird. Am Ende dieses Prozesses der Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren stehen Teilhabemöglichkeiten (Trescher 2015b, S. 333f; 2017c, S. 183ff), was letztlich zeigt, dass Inklusion als ein Prozess gedacht wird, der Behinderung gegenläufig ist. Inklusion im Sinne einer Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren muss sich dabei in mehrerlei Hinsicht vollziehen.
5.1 Inklusion durch die Ausweitung der ‚Sprecherrolle‘
Eine Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren muss die Verknappung bzw. Selektion der im Diskurs sprechenden Subjekte (wobei ‚sprechen‘ hier nicht auf Verbalsprache beschränkt ist) kritisch in den Blick nehmen. Die ‚Ordnung des Diskurses‘ schreibt fest, wer diskursmächtig ist und deshalb in ihm ‚sprechen‘ darf und „[n]iemand kann in die Ordnung des Diskurses eintreten, wenn er nicht gewissen Erfordernissen genügt, wenn er nicht von vorneherein dazu qualifiziert ist“ (Foucault 2003, S. 26). Als Beispiel kann hier noch einmal auf den pauschalen Wahlrechtsausschluss von AusländerInnen, aber auch von Menschen, die unter umfassender Betreuung stehen, aufmerksam gemacht werden (Bundeswahlgesetz BwahlG §§ 12 und 13). Diese Personen werden vordiskursiv als ‚sprachlos‘ manifestiert und werden darin behindert, im Diskurs zu sprechen. Inklusion bedeutet im hiesigen Fall also eine Dekonstruktion der Zugangsbeschränkungen zu (allgemeinen) Diskursen und somit eine Ausweitung der Sprecherrolle auf (idealtypischerweise) alle Subjekte, das heißt, die Ermächtigung aller Subjekte zur Sprache und zum ‚Sprechen‘. Dies geht wiederum mit der Dekonstruktion gewisser gouvernementaler Praxen einher. Exemplifizieren lässt sich dies mit Rückgriff auf obiges Beispiel der durch das Hilfesystem behinderten Freizeit von Menschen mit geistiger Behinderung, denn durch die konsequente Behandlung des Menschen als Mensch mit geistiger Behinderung wird dessen Subjektivität auch entsprechend hervorgebracht. So äußern viele institutionalisiert lebende Menschen mit geistiger Behinderung ihr Interesse an Freizeitaktivitäten nicht, weil es in entsprechenden Einrichtungen nicht vorgesehen ist, dass sie dies tun (Trescher 2015b, S. 208f). Vielmehr scheint die Rolle der Menschen, die dort leben, so strukturiert zu sein, dass sie auf (exklusive) Angebote der Einrichtung warten. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sie Freizeitaktivitäten der routinemäßigen Lebenspraxis gar nicht kennen (Kreuzer 2000, S. 153ff). Geistige Behinderung wird hier als Status (der vor allem auch von Abhängigkeit geprägt ist) in das Subjekt eingeschrieben – auch, weil das Hilfesystem es so vorsieht.
5.2 Inklusion durch die Dekonstruktion behindernder Zuschreibungspraxen
Durch die „Ausgrenzung des Wahnsinns“ (Foucault 2003, S. 16), werden als ‚wahnsinnig‘ konstruierte Personen vom Diskurs ausgeschlossen. Nach Foucault ist derjenige ‚wahnsinnig‘, „dessen Diskurs nicht ebenso zirkulieren kann wie der der andern: sein Wort gilt für null und nichtig, es hat weder Wahrheit noch Bedeutung“ (Foucault 2003, S. 12). Sein Wort galt nicht als Teil des Diskurses, „[o]b es nun ausgesperrt wurde oder insgeheim die Weihen der Vernunft erhielt – es existierte nicht“ (Foucault 2003, S. 12). Dies betrifft Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen (neben Menschen mit geistiger Behinderung zum Beispiel auch Menschen mit Demenz) in besonderer Weise. So konnte beispielsweise in der Studie ‚Kontexte des Lebens. Lebenssituation demenziell erkrankter Menschen im Heim‘ (Trescher 2013) nachgewiesen werden, dass sich BewohnerInnen solcher Einrichtungen über ihren Alltag äußern bzw. mit ihrer Umwelt interagieren, ihnen aber seitens des Personals kaum Gehör geschenkt wird (Trescher 2013, S. 273ff). Der Status ‚behindert‘ (bzw. ‚dement‘) hat also zur Folge, dass Äußerungen von vorneherein als irrelevant eingeordnet und aufgrund dessen übergangen werden.
5.3 Inklusion durch die Ausweitung des ‚Sagbaren‘
Durch den „Wille[n] zur Wahrheit“, welcher eine äußere Ausschließungsprozedur darstellt, wird geregelt, was innerhalb eines Diskurses im Bereich des ‚Sagbaren‘ ist (Foucault 2003, S. 13ff). Der „Wille zur Wahrheit stützt sich, ebenso wie die übrigen Ausschließungssysteme, auf eine institutionelle Basis; er wird zugleich verstärkt und ständig erneuert von einem ganzen Geflecht von Praktiken wie vor allem natürlich der Pädagogik“ (Foucault 2003, S. 15). Neben Praxen, die festlegen, welche Personen innerhalb eines Diskurses sprechen dürfen, regelt die ‚Ordnung des Diskurses‘ also auch Praxen, die festlegen was innerhalb eines Diskurses thematisiert wird bzw. werden kann – was also innerhalb eines Diskurses als ‚normal‘ und damit ‚sagbar‘ gilt. Inklusion bedeutet folglich auch die Dekonstruktion normalisierender Diskurspraktiken (vgl. Foucault 1976, S. 123), die festlegen, welche Praxen und Themen innerhalb eines Diskurses üblich und zulässig sind, um so eine Ausweitung dieser zu ermöglichen. Eine normalisierende Diskurspraxis „formuliert und definiert Normen, die eine Scheidung in normal und anormal erlauben und in sozialen und institutionellen Praktiken operieren“ (Lemke 2014, S. 96f; siehe auch Foucault 1976, S. 123). Exemplarisch kann dies an Sittlichkeitsnormen, wie sie beispielsweise in Form von normalisierten Praxen während eines Restaurantbesuches gegeben sind[17], verdeutlicht werden. Die Personen, die als Gäste ein Restaurant besuchen, unterliegen impliziten Normen, welche ein bestimmtes Verhalten hervorrufen, das als ‚Sittlichkeitsetikette‘ verstanden werden kann. Eine Dekonstruktion solcher Sittlichkeitsnormen ermöglichte andere normalisierte Praxen, wie beispielsweise eine Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme (auch bei Erwachsenen). Diese Unterstützung wäre dann als ‚normal‘ im Diskurs verankert und riefe keine Irritation oder Ablehnung hervor. Eine solche Dekonstruktion greift herkömmliche Sitten und Gebräuche an und führt innerhalb dieses Prozesses sicherlich (vorerst) zu Verunsicherungen aller Beteiligten.
5.4 Inklusion durch die Dekonstruktion gouvernementaler Regierungspraxen
Wohlfahrtsstaatliche Regierungstechniken führen dazu, dass, das konnte gezeigt werden, bestimmte als LeistungsempfängerIn adressierte Subjekte in ihrer persönlichen Handlungsökonomie stark eingeschränkt werden. Die Subjekte als „Unternehmer ihrer selbst“ (van Dyk/Angermüller 2010, S. 10) haben für das ‚Unternehmen der Selbstentfaltung‘ nur einen sehr begrenzten Raum im Diskurs. Die gouvernementale Steuerung, die über mehrere Institutionen und Diskursebenen regiert und somit Subjekte in spezifischer Art und Weise (re)produziert, vollzieht sich, indem sie nur eben jene engen Räume zur Selbstentfaltung der Subjekte zulässt. Im konkreten Fall des stationären Wohnens in Einrichtungen der Behindertenhilfe vollzieht sich dies beispielsweise dann, wenn eine reduzierte Betreuungsleistung am Abend eine Teilhabe an (routinemäßigen, am Abend stattfindenden) Freizeitaktivitäten verhindert (Trescher 2015b, S. 140f). Dies ist auch dahingehend prekär, dass der Freizeitbereich ein besonders hohes Potenzial für inklusives Miteinander hat (Trescher 2015b, S. 139). Die engen Grenzen der Wohneinrichtungen werden so als „Inklusionsbarriere“ (Trescher 2015b, S. 251) wirksam und behindern eine inklusive Teilhabe an außerinstitutionellen Praxen.
Die Dekonstruktion von gouvernementalen Regierungstechniken kann nie gänzlich gelingen, bedeutet hier aber vor allem die Entbürokratisierung von Lebensräumen, die Bereiche des Verborgenen, die vor anderem bzw. staatlichem Zugriff geschützt sind, ermöglicht. Dies bedeutet dann für den Staat, eben nicht mehr nach der Maxime der perfekten überwachenden Versorgung des Körpers zu handeln, sondern gerade auch hier ein ‚Risiko des Nichtwissens‘ einzugehen, das dem Subjekt persönliche Handlungsökonomie und Würde verleiht (Trescher 2015a; 2017b; 2017c, S. 188).
5.5 Inklusion als Kritik
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Inklusion hier nicht als eine moralische Idee, die besagt, dass alle Menschen an allen Diskursen teilhaben sollen, entworfen wird. Vielmehr geht es darum, Inklusion als gegenläufigen Prozess zu Behinderung zu verstehen. Inklusion ist folglich eine Praxis, die verschiedentlich Behinderungspraxen entgegentritt. Insofern ist Inklusion kritisch, denn sie stellt gouvernementale Regierungstechniken infrage[18]. Sie erfasst Praxen von Herrschaft und Ausschluss und dekonstruiert sie im lebenspraktischen Vollzug. Inklusion stellt Gesellschaft infrage und ist somit immer auch Gesellschaftskritik. „Inklusion ernst zu nehmen, bedeutet notwendiger Weise ständig Kritik an gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zu üben und somit die Politisierung der eigenen Tätigkeit ernst zu nehmen“ (Seifert 2013). Dies sollte auch im hiesigen Beitrag deutlich werden, indem die beinahe zwangsläufige Verbindung der Etikettierung ‚behindert‘ mit dem – und vor allem durch den – Eintritt in das System der Behindertenhilfe, und allen daraus resultierenden Konsequenzen, aufgezeigt wurde. Sobald Menschen unter die umfassenden Strukturen der Behindertenhilfe fallen, ist ihr Leben fortan von einem hohen Grad an Überwachung und Regulierung geprägt. Am Beispiel des stationären Wohnens in Einrichtungen der Behindertenhilfe wurde gezeigt, dass sich diese Überwachungs- und Regulierungspraxen von der Leistungszuweisung (hier verdeutlicht an der sogenannten Integrierten Teilhabeplanung) bis hin zur umfassenden Steuerung aller das persönliche Leben betreffenden Angelegenheiten (wie Körperpflege, Tagesrhythmus, Freizeitaktivitäten) vollziehen. Es bedarf einer Diskursverschiebung, die es ermöglicht, herkömmliche Praxen (wie beispielsweise die totalen Strukturen der Behindertenhilfe oder auch Sittlichkeitsnormen) infrage zu stellen und aufzubrechen, denn „[d]iese Leidenschaft für Bueraeukratisierung […] ist zum Verzweifeln […] die zentrale Frage ist […] nicht, wie wir das noch weiter fördern und beschleunigen, sondern was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um den Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bureaukratischer Lebensideale“ (Weber 1988, S. 414). Dass dieser Prozess mit Herausforderungen verbunden ist und für die beteiligten Subjekte und Diskurse krisenhaft sein kann, da zunächst routinisierte Praxen und Denkmuster aufgegeben werden müssen, scheint klar. Dementsprechend ist es pädagogische, aber auch gesamtgesellschaftliche, Aufgabe, diese Prozesse zu begleiten und etwaige Bedenken abzubauen. Dazu gehört auch, Berührungspunkte zwischen Menschen mit und Menschen ohne (geistige) Behinderung zu schaffen, um letztlich Inklusion als gesellschaftlichen Prozess voranzutreiben. Inklusion kann also, das bleibt hier abschließend festzuhalten, nicht durch eine Maßnahme ‚hergestellt‘ werden, sondern muss sich, als Praxis der Diskursverschiebung, in der Lebenspraxis vollziehen (Trescher 2015b, S. 334; 2017c, S. 183).
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[2] Ein Beispiel hierfür ist der pauschale Wahlrechtsausschluss von AusländerInnen in Deutschland (§ 12 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG)). Diese werden durch diese Statuszuweisung an der politischen Partizipation ‚behindert‘.
[3] Es geht in dieser theoretischen Idee folglich nicht darum, einzelne Gruppen (beispielsweise Menschen mit Behinderung, Menschen mit Fluchtmigrationshintergrund, Angehörige der LGBTQ Community usw.) als (grundsätzlich) ‚ausschlussgefährdet‘ zu benennen, da durch die Zuweisung einzelner Personen zu einer spezifischen Gruppe (potenziell) Diskursteilhabebarrieren (re)produziert werden.
[4] Folglich wird die Idee der nicht-diskursiven Praktiken in Anlehnung an Laclau/Mouffe (2006, S. 143ff) abgelehnt, denn „[d]ie sprachlichen und nicht-sprachlichen Elemente werden nicht bloß nebeneinander gestellt, sondern konstituieren ein differentielles und strukturiertes System von Positionen, das heißt einen Diskurs“ (Laclau/Mouffe 2006, S. 145).
[5] Zu den internen Prozeduren gehören der Kommentar, die Funktion des Autors, die Disziplin, die Verknappung der sprechenden Subjekte, das Ritual, die Doktrin sowie die Diskursgesellschaft (Foucault 2003, S. 18ff; siehe auch Trescher 2015b, S. 81ff).
[6] § 12 Bundeswahlgesetz (BWahlG)
[7] Zur Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Diskursen siehe Abschnitt 2.3.
[8] Foucault grenzt die Gouvernementalität von den Herrschaftsformen Souveränität und Disziplin ab. Gouvernementalität ist „die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als ‚Regierung‘ bezeichnen kann, gegenüber allen anderen – Souveränität, Disziplin – geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat“ (Foucault 1978, S. 171).
[9] Zum Begriff des ‚Privaten‘ sowie dem Zusammenhang zwischen Privatem und Würde siehe ausführlich Trescher 2015a.
[10] Zur Institutionalisierung von Versorgungspraxen siehe auch Wansing 2005, S. 151ff.
[11] Bezüglich des Institutionsbegriff sei hervorzuheben, dass es eine Vielzahl an Definitionen mit unterschiedlichen „inhaltliche[n] und formelle[n] Bestimmungen und Kriterien“ (Schülein 1987, S. 9) gibt, welche dazu beitragen, dass „inhaltliche Bestimmungen auffällig diffus und vage“ (Schülein 1987, S. 9) bleiben. Nach Esser (2000) bedeutet ‚Institution‘ „eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen“ (Esser 2000, S. 2). Institutionen sind dabei sowohl von Regelmäßigkeiten als auch von Organisationen zu unterscheiden (Esser 2000, S. 5ff).
[12] Dies betrifft Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf in besonderem Maße.
[13] Dieses ist online verfügbar und unter http://www.lwv-hessen.de/files/272/ITP_Bogen_ITP_Version2.4_150513.pdf abrufbar (zuletzt am 28.02.2017).
[14] Zu einer solchen impliziten Hierarchisierung nimmt auch Seifert (2015, S. 370f) kritisch Stellung und problematisiert zudem die Situation von Menschen mit sogenannten Schwerstmehrfachbehinderungen.
[15] Hier wird sich auf einen Professionsbegriff nach Oevermann (u.a. 1996; 2002) bezogen, der pädagogisches Handeln primär als reflexives und interaktives Handeln versteht, das eine „Beziehungspraxis“ (Oevermann 1996, S. 115) mit den Betreuten ermöglicht (siehe diesbezüglich auch: Trescher 2016a).
[16] In diesem Zusammenhang wäre sicherlich eine volkswirtschaftliche Analyse darüber, was in diesem komplexen System – von den Versorgungsämtern über die Verwaltung im jeweiligen Bundesland, über den Landeswohlfahrtsverband, über die einzelnen bürokratischen Strukturen in Trägern, in den Einrichtungen selbst bis hin zu den Personalkosten in den einzelnen Einrichtungen – für bürokratische Praxen aufzubringen ist, hochgradig spannend. Diesem Überhang an bürokratischen Kosten könnte das entgegenhalten werden, was tatsächlich bei den Subjekten an Ressourcen und Unterstützungsleistungen ankommt.
[17] Es sei darauf verwiesen, dass solche Sittlichkeitsnormen soziokulturell-historisch variabel sind.
[18] Um mit Foucault zu sprechen: Inklusion als Kritik bedeutet „die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992, S. 12).