Simone Seitz, Heiko Meier & Cindy Adolph-Börs: Entscheidend ist wer mitbestimmt – Potenziale für Inklusion im Sportverein

Abstract: Inklusion ist als Schlagwort seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (United Nations, 2006) im Jahr 2009 in aller Munde. Die Hauptaufmerksamkeit in der Rezeption der UN-Behindertenrechtskonvention liegt im deutschsprachigen Raum auf dem Erziehungs- und Bildungssystem. Weniger Beachtung finden in den Diskussionen demgegenüber die weiteren Lebensbereiche, die in der UN-BRK thematisiert werden, etwa die Partizipation am und im Sport. So sind Sportvereine aktuell gefordert, wirksame Strategien zur Realisierung von Inklusion zu entwickeln. Die Frage, wie diese Strategien aussehen können, ist derzeit noch ein umfassendes Forschungsdesiderat. Diesem haben wir uns im Auftrag des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung eines Vereinsentwicklungsprojektes angenommen, welches gemeinsam vom Landessportbund NRW und dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW von 2013 bis 2016 durchgeführt wurde. Die Untersuchung verbindet qualitative und quantitative Forschungsinstrumente und nimmt unterschiedliche Akteursebenen in den Blick. Als bedeutsam erweisen sich in der Untersuchung vor allem die Ambivalenzen, die sich aus den tradierten Vereinskulturen ergeben. Diese zeigen sich im Feld der sportlichen Praxis und auf struktureller Ebene, aber auch im Feld der Mitbestimmung im Verein. Im Beitrag werden nach einer theoretischen Einordnung ausgewählte Forschungsergebnisse zu den Möglichkeiten eines diskriminierungsfreien Zugangs zu den demokratischen Gremien von Sportvereinen vorgestellt und Perspektiven für die inklusive Vereinsentwicklung diskutiert.

Stichwörter:  Partizipation; Mitbestimmung; Demokratie; Inklusion; Sportverein

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung: Sport im (inklusiven) Verein
  2. Theoriegeleitete Überlegungen zum inklusiven Sportverein
  3. Organisationszielbestimmung und Mitbestimmung im Sportverein
  4. Untersuchungsmethodik und Darstellung des Samples
  5. Befunde zu inklusiven Entwicklungsprozessen und zur Mitbestimmung in Sportvereinen
  6. Schlussfolgerungen und Perspektiven
  7. Literatur

1. Einführung: Sport im (inklusiven) Verein

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (United Nations, 2006) im Jahr 2009 durch Bundesrat und Bundestag ist in Deutschland ein gleichberechtigter Zugang zu sportlichen und kulturellen Aktivitäten als Rechtsanspruch für alle Gesellschaftsmitglieder gültig. Dies hat eine breite Diskussion darüber ausgelöst, auf welche Weise sich der organisierte Sport als inklusiv erweisen kann. Als zentrale Akteure des organisierten Sports sind vor allem die Sportvereine gefordert, Wege zur Realisierung von Inklusion im Vereinsleben und in der Sportpraxis zu entwickeln. Die hier anschließende Frage lautet somit, wie Strategien zur Entwicklung inklusiver Sportvereine aussehen können.
Alltagstheoretisch betrachtet, scheint dies zunächst leicht zu beantworten, sind Sportvereinskulturen doch in besonderem Maße von der Idee des vorbehaltlosen „Mitmachens“ geprägt, sodass Inklusion leicht umgesetzt werden könne – so ließe sich vermuten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch schnell, dass die inklusiven Potenziale des Sports einer genaueren Ausleuchtung bedürfen und keinesfalls so eindeutig sind. Denn der in Vereinen und Verbänden organisierte Sport verdankt seine große gesellschaftliche Bedeutung insbesondere dem kompetitiven Sport mit seiner radikal selektiven und segregativen Verdrängungslogik. Dies wirft für die Entwicklungspotenziale der Sportvereine zumindest die Frage auf, welchem Sportverständnis diese folgen.
Vor diesem Hintergrund analysiert der vorliegende Beitrag Inklusionspotenziale von Sportvereinen. Es werden theoretische Überlegungen angestellt und mit Forschungsergebnissen verknüpft. Diese entstammen der  im Auftrag des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MFKJKS) durchgeführten wissenschaftlichen Begleitung eines gemeinsam vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen (LSB NRW) und vom Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen (BRSNW) über einen Zeitraum von drei Jahren (2013 bis 2016) durchgeführten Sportentwicklungsprojekts.
Das Projekt selber hatte zum Ziel, inklusive Sportvereinsstrukturen zu entwickeln und zu erproben. Von der Frage ausgehend, welche strukturellen und konzeptionellen Schritte notwendig sind, damit Sportvereine einen Sport für alle anbieten können, wurden von uns begleitend die Möglichkeiten, aber auch die Barrieren inklusiver Sportvereinsentwicklung auf struktureller, operativ-praktischer sowie kultureller Ebene erforscht. Über die drei Jahre wurden die Entwicklungsprozesse in den Sportvereinen durchgängig beobachtet sowie Indikatoren für den Aufbau inklusiver Sportvereinsstrukturen ermittelt. Im Folgenden greifen wir auf Teilergebnisse unserer Studie (vgl. Meier, Seitz & Adolph-Börs, 2016a; 2016b) zurück und richten den Fokus auf Befunde zu Partizipationsmöglichkeiten und -barrieren im Bereich der Mitgliedschaft und Mitbestimmung.

2. Theoriegeleitete Überlegungen zum inklusiven Sportverein

Sportvereine sind gesellschaftliche Akteure, die ihr Sportangebot an den Interessen ihrer eigenen Mitglieder ausrichten (vgl. Nagel, 2006, S. 25). Insofern erbringen sie ein klassisches „Clubgut“, eine Dienstleistung, bei der Produktion und Konsum in einer Personengruppe zusammenfallen (vgl. Meier, Kukuk & Thiel, 2016). Dieses Merkmal, welches ursprünglich Heinemann und Horch als eines der fünf konstitutiven Merkmale von Sportvereinen in die sportsoziologische Theorienentwicklung zum Sportverein eingeführt haben (vgl. 1981), verpflichtet die Sportvereine dazu, sich bei der Angebotsentwicklung und -gestaltung, mithin also bei den Teilhabeofferten auf die Bestandsmitgliedschaft und deren Interessen zu fokussieren (vgl. Thiel, Seiberth & Mayer, 2013, S. 233f.). Ein Angebot für (bislang) vereinsabstinente Personen zu schaffen, entspricht folglich nicht dem Primärziel von Sportvereinen. Dies macht sie gegenüber gesellschaftlichen Strömungen vergleichsweise unempfindlich.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Mitgliedschaftsbedingungen in einem Verein, die Fokussierung auf die Mitgliederinteressen und der Anspruch Dritter auf gleichberechtigte Teilhabe zueinander stehen. Denn ein von außen an den Verein herangetragener, nicht vom Verein selber entwickelter Anspruch auf Teilhabe widerspricht genauso den Organisationsmerkmalen von Sportvereinen wie die Verfolgung von Interessen, die in der Mitgliedschaft keine Resonanz erzeugen. Ein Verständnis von einem inklusiven Sportverein, welches den Teilhabeanspruch höher gewichten würde als die Mitgliederinteressen, wäre daher kaum zielführend. Mit anderen Worten: Es ist davon auszugehen, dass sich die Sportvereine von dem in der UN-BRK formulierten Rechtsanspruch auf Teilhabe durch Entgrenzung gegenüber bislang Vereinsabstinenten und auf Öffnung des Angebotsspektrums zunächst nicht irritieren lassen. Vielmehr bleibt die Verfolgung der Organisationsziele an die Interessen der bereits organisierten Mitglieder gebunden.
Dagegen helfen auch Appelle wie etwa im Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Deutschen Sportjugend (DSJ) zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen zunächst nicht. Dort ist zu lesen, dass „Bewegung, Spiel und Sport ... besonders geeignet [seien], das gegenseitige Kennenlernen und Zusammenwirken von Menschen mit und ohne Behinderungen zu fördern, den Gedanken der selbstbestimmten, gleichberechtigten Teilhabe im Bewusstsein zu verankern und Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft zu stärken“ (2013, S. 2). Denn einzig, wenn die Interessen der Mitgliedschaftsanwärter an die Organisationsziele anschlussfähig sind, stehen Vereine diesen grundsätzlich offen. Insofern ist kritisch zu fragen, inwieweit die im Positionspapier erkennbare gedankliche Figur des „Kennenlernens“ zweier dichotom konstruierter, bislang unverbundener Gruppen das hiermit verbundene Ziel der Stärkung der (neu zu akquirierenden) „Menschen mit Behinderungen“ unterstützen kann oder ob dies nicht eher die Vorstellung bestärkt, dass sich die Vereine im Sinne einer politischen Erwartungshaltung öffnen sollen.
Gleichwohl stehen die sportpolitischen Forderungen nach einer Öffnung der Sportvereine und ihrer inklusiven Ausrichtung im Raum. Aus der UN-BRK lassen sich diese Forderungen in Anlehnung an die Arbeiten des UN-Fachausschuss Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) zum Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe anhand von fünf Merkmalen für den Sport konkretisieren (vgl. Aichele, 2012, S. 49f):

Solch ein normativer Forderungskatalog gibt eine Richtschnur für Organisationsentwicklungsprozesse in den Sportvereinen vor, indem das Sollen benannt wird. Allerdings bleibt das Wollen der Vereine hier unberücksichtigt. Als nur den Interessen der Mitglieder verpflichtete Freiwilligenorganisation besteht allerdings für sich genommen keine Notwendigkeit für Sportvereine, die Forderungen in eigene Organisationsstrukturen zu übersetzen – es sei denn, diese stimmen mit dem Wollen überein. Entsprechend bleibt die Frage offen, wie die Vereine damit umgehen, wenn normative Erwartungen an sie gerichtet werden.
Die Frage nach der Vereinbarkeit von Mitgliederinteressen und gesellschaftlichen Erwartungen ist vor allem dann von großem Interesse, wenn die gesellschaftliche Bedeutung der Sportvereine am Maßstab gesellschaftsweiter Problemlösekapazitäten gemessen wird. Dies geschieht regelmäßig wie beispielsweise jüngst zum wiederholten Male bei der Frage nach den Integrationspotenzialen des Sports im Kontext der hohen Zuwanderungszahlen in den Jahren 2015 und 2016 und war auch während der Phase der hohen Erwerbslosenquoten zum Ende des 20. Jahrhunderts zu beobachten (vgl. Cachay, Thiel & Meier, 2001; Thiel, Meier & Cachay, 2006). Auch sonst gerät der Sport regelmäßig in den Blick, wenn es darum geht, nach Lösungen für gesellschaftsweite Probleme zu suchen. Unabhängig von den Erfolgsaussichten vermittelt der Sport (denn häufig sind es die Akteure des Sports selbst, die den Sport als Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Probleme ins Spiel bringen) so seine gesellschaftliche Stellung und sichert sich Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Inwiefern die Lösungsansätze in den Sportvereinen verfangen, welchen wirksamen Beitrag also die Vereine zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems tatsächlich leisten können, wird hingegen oft erst im Nachhinein überprüft. Dies aufgreifend ist deshalb der Beitrag der Sportvereine zur Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft daran zu messen, welches Eigeninteresse diese haben können sich zur inklusiven Organisation (weiter) zu entwickeln. Konkret bedeutet dies, dass die Sportvereine das Interesse ihrer Mitglieder auf diese Zielsetzung hin prüfen oder gegebenenfalls das Interesse hieran wecken müssen.
Wie es Sportvereinen gelingt, die Bestandsmitglieder auf dieses Ziel hin zu einen bzw. mögliche Interessendivergenzen zu überbrücken, ist deshalb Gegenstand der Betrachtung unserer empirischen Ergebnisse. Von ebenso großem Interesse ist aber auch die Frage, wie es Sportvereinen gelingt, infolge der Einrichtung neuer inklusiver Sportangebote die organisationalen Zielsetzungen auch dann zu wahren, wenn neue Mitglieder dem Verein beitreten und sich auf diese Weise möglicherweise das Interessenspektrum in der Mitgliedschaft erweitert. Denn durch ein inklusives Sportangebot allein wird ein Verein nicht zur inklusiven Organisation. Erst die volle Einbindung und gleichberechtigte Partizipation auf allen Ebenen des Vereinslebens kennzeichnet einen inklusiven Sportverein. Deshalb ist zu fragen, ob diejenigen, die im Zuge einer inklusiven Vereinsentwicklung dem Verein beitreten, neben der Teilhabe am Sportangebot auch uneingeschränkte Mitbestimmungsrechte genießen, sie also zu Shareholdern und Stakeholdern des Vereins werden.
Die Voraussetzungen hierfür betrachten wir im Folgenden anhand theoretischer Aspekte der Mitbestimmung und der diesbezüglichen strukturellen Voraussetzungen: den demokratischen Entscheidungsstrukturen im Sportverein und der Organisationszielbestimmung.

3. Organisationszielbestimmung und Mitbestimmung im Sportverein

Sportvereine werben ihre Ressourcen überwiegend bis ausschließlich von den eigenen Mitgliedern ein. Auf zwei Ressourcen der Mitglieder kann der Sportverein zurückgreifen: Geld (v. a. Mitgliedsbeiträge und Spenden) und Zeit (ehrenamtliches und freiwilliges Engagement) (vgl. Meier, 2008). Dabei sind Sportvereine auf einen möglichst kontinuierlichen Ressourcenzufluss angewiesen, insbesondere bei der ehrenamtlichen Mitarbeit, die i. d. R. nur aus den Reihen der eigenen Mitgliedschaft rekrutiert wird. Da die Übernahme eines Führungsamtes zudem gewöhnlich eine erfolgreich durchlaufene Vereinskarriere voraussetzt, muss es ein zentrales Bestreben der Vereine sein, Mitglieder möglichst langfristig zu binden. Diesbezüglich bedarf es spezifischer Anreize (vgl. u. a. Zimmer, 1996, S. 190 ff.), die sich – aus organisationstheoretischer Perspektive – aus den organisationalen Zielsetzungen ableiten.
Als Organisationsziel lässt sich bestimmen, was „als Leitbild der Entscheidungen dient, die das Geschehen, die Tätigkeiten und Prozesse in der Organisation auf einen spezifischen Zweck orientieren. Damit ist schon gesagt, dass das Organisationsziel nicht mit dem identisch sein muss, was in einem Statut, einer Satzung oder Verfassung als solches definiert wird“ (Mayntz, 1963, S. 58). Vielmehr dienen Organisationsziele ganz allgemein dazu, anzustrebende Zustände zu beschreiben, ohne dass diese zwingend erreicht werden müssen (vgl. Etzioni, 1978, S. 16). Organisationsziele beschreiben also keine konkreten, sondern eher visionäre Ziele.
Folgt man weiter Mayntz sind Organisationsziele mehrdimensional und es lassen sich drei strukturelle Kategorien von Primärzielen unterscheiden (1963, S. 59 f.): (1) geselliges Beisammensein der Mitglieder, (2) das auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtete Einwirken auf die von der Organisation erfassten Personen sowie (3) die Erstellung einer Leistung bzw. Erzielung einer Außenwirkung. Dabei können Organisationen zugleich mehrere dieser Primärziele verfolgen und diese vermengen.
Betrachtet man diesbezüglich die Organisationsmerkmale von Sportvereinen im Allgemeinen, stellt erstens die Erbringung einer Leistung für Dritte bzw. die Erzielung einer Außenwirkung für Sportvereine aufgrund ihrer Innenorientierung ein untergeordnetes Ziel dar. Im Gegenzug ist die Leistungserbringung für die Mitglieder durch Mitglieder, also der Selbstbezug, in Sportvereinen umso bedeutsamer. Das Primärziel des auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichteten Einwirkens auf Personen spielt hingegen, zweitens, im Sportverein durchaus eine Rolle – beispielsweise im Kontext von Training. Die Beteiligung hieran setzt aber die Vereinsmitgliedschaft voraus. Drittens hat das Primärziel des geselligen Beisammenseins der Mitglieder für Sportvereine vom Gründungsakt an eine fundamentale Bedeutung.
Nun führt eine Primärzielvermengung, wie sie für Sportvereine obligat ist und weshalb für Sportvereine generell von einem Reflexionsdefizit hinsichtlich ihrer Leistungserstellung auszugehen ist (vgl. Meier, Kukuk & Thiel, 2016; Meier, 2008), nach Zimmer zur Ausformulierung eher vager Organisationsziele, was sie auch als Schattenseite der Strukturbesonderheiten von Freiwilligenvereinigungen beschreibt, da sich hieraus „keine konkreten Handlungsanweisungen ableiten lassen (1996, S. 152f.). Die vage Organisationszielbestimmung verwehrt den Sportvereinen auch die Möglichkeit, formale Kriterien für eine selektive Rekrutierung der Mitglieder zu entwickeln. Mitglieder werden nicht nach Passung gezielt rekrutiert bzw. exkludiert, sondern unreguliert und unspezifisch. Grundsätzlich steht so jedem Gesellschaftsmitglied, welches ein Interesse an den Angeboten des Vereins hat, die Mitgliedschaft offen. Nur selten weichen Sportvereine von dieser grundlegenden Organisationsoffenheit ab, beispielweise wenn eine Mitgliedschaft nur auf Empfehlung vorhandener Mitglieder hin möglich ist (Patenschaften) oder eine hohe Aufnahmegebühr nur Wohlhabenden die Mitgliedschaft ermöglicht (Prestige). Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit einer im Laufe der Zeit stetig zunehmenden Heterogenität in der Mitgliedschaft (vgl. auch Mayntz, 1963, S. 119).
Dieser Grundtendenz zunehmender Heterogenität der Mitgliedschaft und ihrer Interessen setzen Sportvereine zum Zweck des inneren Zusammenhalts basisdemokratische Entscheidungsstrukturen entgegen. Aufgrund dieser Entscheidungsstrukturen als ein weiteres der fünf konstitutiven Merkmale (vgl. oben; vgl. auch Horch, 1992, S. 3) gelten Sportvereine gemeinhin als Schulen der Demokratie (vgl. Zimmer, 1996). Idealtypisch sind dabei „die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern durch die Grundsätze der Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit bestimmt“, und diese sind „für Vereine verbindlich, denn laut Satzung bestimmen die Mitglieder – direkt oder indirekt – gleichberechtigt über die Geschicke des Vereins“ (Cachay, 1988, S. 390). Basierend auf diesen Grundsätzen überprüfen die Mitglieder gemeinschaftlich und in gleichberechtigter Weise die Vereinsziele und legen neue fest, wodurch bezüglich der Ressourcenzusammensetzung und der Struktur des Vereins stets größtmöglicher Konsens hergestellt wird (vgl. Horch, 1992, S. 64). Divergente Mitgliederinteressen stellen in Sportvereinen so ein Aushandlungsfeld dar, welches insbesondere in mitgliederstarken und mehrspartigen Vereinen aufgrund der Heterogenität größerer Beanspruchung ausgesetzt ist. Denn mit zunehmender Heterogenität in der Mitgliedschaft wachsen auch die Entscheidungs- und Kontrollkosten, was zu einem Dilemma zwischen Effizienz und Kontrolle führen kann (vgl. u. a. Luhmann, 2000; Offe, 2003).
Dieses Dilemma setzt Entwicklungsprozesse in Form einer Oligarchisierung in Gang (vgl. Horch, 1992, S. 45f.). Oligarchisierung dient aber nicht dazu, heterogene Interessen der Mitglieder zu bündeln, sondern dazu, Minderheiteninteressen in den Entscheidungsgremien zu kanalisieren, ohne diese zu eliminieren. Somit wird verhindert, dass die Bestimmung von Organisationszielen zum grundlegenden Gegenstand permanenter Aushandlungsprozesse wird.
Gleichwohl sind große Risiken damit verbunden, wenn Sportvereine die Interessen ihrer Mitglieder nicht verfolgen oder berücksichtigten. Denn sehen diese ihr Interesse nicht mehr gewahrt, kehren diese dem Verein mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitnah den Rücken. Gerade in Sportvereinen als Clubgüter-Produzenten fördern Oligarchisierungstendenzen, so ist auf den ersten Blick zu vermuten, die Bereitschaft zum Austritt. Auf den zweiten Blick jedoch offenbart der Schutzmechanismus vor einem dauerhaften Prozess zur Aushandlung der Organisationsziele eine weitere funktionale Komponente: Die Oligarchisierung schafft einen Puffer zwischen den Entscheidungsinstanzen und den Mitgliederinteressen und sorgt auch bei multiplen Interessen und Erwartungen in der Mitgliedschaft für Entscheidungsfähigkeit. Die vage Formulierung organisationaler Primärziele ermöglicht es den Sportvereinen, Differenzen zwischen den Organisationszielen und den Mitgliederinteressen zu verschleiern. Die Entscheidungsgremien bleiben unter Rückgriff auf Partialinteressen auch ohne ein organisationales Leitziel entscheidungsfähig. Mit dem Argument, dass in diesem Fall „halt so zu entscheiden war“, beim nächsten Mal aber auch wieder andere Interessen in den Vordergrund gestellt werden können, lassen sich Interessenkonflikte mittels des für Sportvereine hoch funktionalen „Klüngels“ vermeiden (vgl. Thiel & Meier, 2004; Meier, 2008). Insofern sind diffuse Organisationsziele durchaus funktional, denn sie lassen sich situativ auslegen und verhindern den konfliktträchtigen Aushandlungsprozess gegenläufiger Interessen – mit dem Effekt, dass der Austritt derjenigen Mitglieder verhindert wird, die ihre Interessen nicht durch die Entscheidungen in den Führungsgremien des Vereins gewahrt sehen.
Was folgt nun aus dieser theoretischen Betrachtung? Die Erkenntnisse hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der auf die Interessen der Mitglieder ausgerichteten Binnenorientierung und der formalen Voll-Mitgliedschaft als notwendige Bedingung für die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen legen es nahe, inklusive Sportvereinsentwicklungsprozesse vor allem anhand von Merkmalen zu analysieren, die über einen Sport für Menschen mit Behinderungen hinausreichen. Ob ein Sportverein inklusiv ist oder nicht offenbart sich vielmehr daran, ob Menschen, denen eine Behinderung zugeschrieben wird oder die sich selbst so sehen in Positionen gelangen, in denen sie mitbestimmen und mitarbeiten können. Gerade für „Regelsportvereine“, bei denen die Verfolgung und Vertretung der Interessen von „Menschen mit Behinderung“ – im Gegensatz zu den „Behindertensportvereinen“ – kein Gründungsparadigma darstellt, scheint hierin eine hohe Hürde zu liegen. Denn wenn diese bislang nicht die Stammklientel der Sportvereine bilden und sie keine Adressat/innen der spezifischen Leistungen von „Regelsportvereinen“ sind, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass hier inklusive Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt werden.
Dass dies trotzdem geschieht, ist empirisch evident, und damit dies geschieht, sind nach den bisherigen Überlegungen folgende Mindestvoraussetzungen zu vermuten: Sportvereine können sich am ehesten dann zu inklusiven Organisationen entwickeln, wenn

Diese Voraussetzungen bilden die Basis dafür, dass Inklusion im Sportverein nicht nur proklamiert, sondern auch realisiert werden kann. Ob sich Sportvereine tatsächlich und wirkungsvoll hin zu inklusiven Organisationen wandeln, hängt dann davon ab, ob sie Menschen, die sich selbst als behindert sehen oder denen eine Behinderung zugeschrieben wird, als neuen Mitgliedern auch die Vollmitgliedschaft ermöglichen und insofern einem umfassenden Verständnis von Partizipation als Mitwirkung folgen. Dazu sind diese, wie dies in der UN-BRK menschenrechtlich verbrieft ist, in die politischen Prozesse mit einzubinden (vgl. Aichele, 2012, S. 55). Die „Einbindung in eine Vereinsorganisation, die Partizipation im Vereinsleben oder die allgemeine Verbandsarbeit“ (ebd., S. 47) werden so neben der Ausübung sportlicher Aktivität zu zentralen Bestandteilen einer Realisierung von Inklusion im organisierten Sport. Mit anderen Worten: In einem inklusiven Sportverein sind alle Menschen eben nicht nur Sportler/innen, sondern auch Entscheider/innen!
Entsprechend dieser Prämisse gehen wir bei der Betrachtung der empirischen Ergebnisse unserer Studie folgenden Fragestellungen nach:

Der folgenden Darstellung ausgewählter Ergebnisse unserer Studie stellen wir einen Überblick zur Untersuchungsmethodik voran.

4. Untersuchungsmethodik und Darstellung des Samples

Als explorative Studie mit dem Ziel, Entwicklungspotenziale für Sportvereine in einem bislang noch kaum erforschten Feld zu eruieren, galt es durch die wissenschaftliche Untersuchung der an dem Projekt beteiligten Vereine spezifische Erkenntnisse hinsichtlich des strukturellen Wandels von Sportvereinen zu gewinnen und diese bezüglich allgemeiner Handlungsempfehlungen zu reflektieren. Entsprechend kamen als methodisches Instrument Fallstudien mittels der Kombination von qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden in den elf teilnehmenden Sportvereinen zum Einsatz (vgl. ausführlich Meier, Seitz & Adolph-Börs, 2016b). Vier der elf Vereine wurden zudem nach strukturgebenden Kriterien ausgewählt, um Intensiv-Fallstudien durchzuführen. Hier wurden neben den obligaten Dokumentenanalysen, schriftlichen Befragungen der Vereinsführung und Experteninterviews mit Vertretern der strategischen und operativ-praktischen Ebene zusätzlich inklusive Sportgruppen videobasiert beobachtet sowie die Mitglieder schriftlich befragt.
Das Sample der untersuchten Sportvereine setzt sich aus neun „Regelsportvereinen“ (ohne behinderungspezifische Ausrichtung) sowie zwei Behindertensportvereinen zusammen. Es handelt sich überwiegend um Großvereine mit mehr als 1.000 Mitgliedern (60%), einen mittelgroßen Verein sowie wenige Kleinvereine (30%); die meisten Sportvereine (7) sind mehrspartig, fünf haben mehr als 10 Abteilungen. Unter den mitgliederstärksten Abteilungen befinden sich überwiegend Individualsportarten, in einem der Mehrspartenvereine stellt die Behindertensportabteilung die drittstärkste Untereinheit dar. Insgesamt reicht die Bandbreite der angebotenen Sportarten in den Vereinen von traditionellen Sportarten wie Fußball, Turnen und Schwimmen über zahlreiche Gesundheits- und Fitnessangebote bis hin zu Trendsportarten (z. B. Bouncing). Die Alterspanne der Vereine erstreckt sich über fünf Jahre bis hin zu über 150 Jahren.
Hinsichtlich der Motivation, an dem Vereinsentwicklungsprojekt teilzunehmen, findet sich in unseren Untersuchungsergebnissen kein Hinweis darauf, dass die Vereine mit ihrer Neuausrichtung einem Mitgliederschwund entgegenwirken wollen. Und auch sonst findet sich kein Beleg dafür, dass die Vereine die mit Inklusion verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten als Akt einer Krisenbewältigung verstehen. Vielmehr sehen sie in einer inklusiven Entwicklung eine Herausforderung, die sie als Chance nutzen möchten, dem Verein neue Perspektiven zu eröffnen.
Hierbei scheint eine unzureichende infrastrukturelle Barrierefreiheit kein Hindernis darzustellen, sich der Thematik einer inklusiven Vereinsentwicklung zuzuwenden; unsere Befragung zeigt diesbezüglich, dass die Vereine in nur geringfügigem Maße barrierefreie Räume nutzen können. So kann nur jeweils einer von zehn Vereinen auf eine barrierefreie Sporthalle, Außensportanlage oder Geschäftsstelle zurückgreifen und drei von zehn Vereinen haben ein barrierefreies Vereinsheim. Obgleich also eine barrierefreie Infrastruktur durchaus einen Problembereich für die inklusive Ausrichtung der Sportvereine kennzeichnen kann, hält dies die Vereine nicht davon ab, sich mit den Möglichkeiten der inklusiven Vereinsentwicklung auseinanderzusetzen. Wie sie dies im Hinblick auf Fragen zur Mitbestimmung und zu Teilhabechancen an Entscheidungsprozessen im Verein tun, ist Gegenstand der nun folgenden Betrachtung, die sich an den vier o. g. Untersuchungsfragen orientiert.

5. Befunde zu inklusiven Entwicklungsprozessen und zur Mitbestimmung in Sportvereinen

5.1 Einbindung der Bestandmitglieder in den Entscheidungsprozess zur Vereinsentwicklung und in die Formulierung neuer Ziele

Mitbestimmung und Mitgestaltung setzen voraus, dass die Mitglieder über die Entwicklungen im Verein informiert sind. Die von uns untersuchten Projektvereine nutzen hierzu verschiedene Informationskanäle, wie z. B. Newsletter, Aushänge, die Vereinszeitschrift oder die Homepage. Einige der untersuchten Vereine haben ihre Homepage auf Barrierefreiheit (Texte in einfacher Sprache, Farbgestaltung, Schriftgröße, Mehrsprachigkeit etc.) hin überprüft und teilweise überarbeitet.
Die Mitgliederbefragung hat jedoch ergeben, dass sich vor allem ältere Mitglieder am wenigsten über das Internet informieren. Gerade diese Mitglieder weisen oft eine hohe Bindung an ihren Verein auf und es fällt Ihnen schwerer, Veränderungen im Verein zu akzeptieren:
„Im Grunde genommen sind es Menschen, die eine lange Tradition im Verein haben. Also auch lebensältere Menschen, die nicht grundsätzlich Bedenkenträger sind, die aber Veränderungen gegenüber oftmals nicht so aufgeschlossen sind (…) Manche haben schon eine gewisse reservierte Haltung gezeigt, wenn es darum ging Behinderte, geistig Behinderte in Sportgruppen zu integrieren. Das sind aber sicherlich bestimmte Vorbehalte, die allgemein existieren. Also die man auch, wenn man aufklärt, relativieren kann“ (VS-V11).
Um diese Mitglieder als Fürsprecher der inklusiven Entwicklung zu gewinnen, gehen die Funktionäre besonders behutsam vor. Dabei nutzen sie bevorzugt klassische und vor allem informelle Informationswege, d. h. die direkte Ansprache und Versammlungen. Überzeugungsarbeit verläuft also im Verein noch immer am ehesten über face-to-face-Kommunikation, die besonders bei langjährigen Mitglieder notwendig erscheint.
Jedoch scheint es insgesamt ein Problem zu sein, die Mitglieder, die einer Öffnung des Vereins eher kritisch gegenüberstehen, frühzeitig zu identifizieren. Denn diese bringen ihre Befürchtungen und ihren Ärger nur selten offen zum Ausdruck. So berichtet ein Vorsitzender, „…ein offener Disput oder irgendwelche offenen Äußerungen, dass man das nicht will, sind nicht da gewesen“ (VS-V11).
Ähnliches beschreibt ein weiterer Vereinsvorsitzender, der darauf hinweist, dass der Vorstand aktiv darauf hingewirkt hat den Inklusionsprozess im Verein zu entschleunigen, um befürchtete offen ausgetragene Konflikte zu verhindern. Mögliche Bedenken der Kritiker wurden somit antizipiert und aufgegriffen:
„Die Bedenkenträger waren relativ ruhig muss man dazu sagen. Die haben also keine öffentliche Flamme entfacht … sie haben sich eigentlich dadurch auch zurückgehalten, dadurch, dass wir immer wieder klargestellt haben, wir werden überdenken, ob wir dieses Projekt in einem großen Stil weitermachen oder ob wir eine andere Form suchen, die Inklusion im Verein bewahrt […] Wir haben den Leuten gesagt wir werden das mit Augenmaß machen, weil wir wissen wir sind ein Breitensportverein“ (VS-V11).
Auch Funktionäre anderer Vereine beschreiben, dass sich Befürchtungen und Vorurteile nur durch eine frühzeitige, mitunter auch langwierige Aufklärungsarbeit entkräften lassen. Damit wird die Strategie deutlich, sich als Vorstand bei seinem Vorhaben nicht zu weit von der Basis zu entfernen. Zu informieren und zugleich Alternativen in Erwägung zu ziehen, erscheint hier als erfolgreiche Strategie, die Vereinsmitglieder in den Entwicklungsprozess einzubinden. Dabei werden teilweise auch Aufgaben an einzelne Personen oder Gruppen übertragen, ohne das übergeordnete Ziel aus den Augen zu verlieren oder die Zuständigkeit hierfür aus der Hand des Vorstands zu geben. Eine weitere Möglichkeit, die Mitglieder im Entwicklungsprozess mitzunehmen, besteht darin, bei der Gestaltung und Umsetzung von inklusiven Angeboten zunächst Handlungsspielräume in einzelnen Teilbereichen des Vereins zu nutzen, um von dort ausgehend weitere Entwicklungsschritte in Gang zu setzen:
„Also beim Schützenverein, da haben wir auch einmal inklusives Schießen gemacht. Das probieren wir aus und gucken erst mal mit dem Schützenverein, was müssen die überhaupt ändern, damit ihr schießen könnt? All so Dinge probieren wir dann aus und dann begegnen die sich und dann bekommt das so eine kleine Dynamik. Und das ist das, woran wir dann arbeiten können“ (VS-V6).
Das Wechselspiel von Information und proaktiver Umsetzung kleiner Schritte inklusiver Vereinsentwicklung in einem eher verlangsamten Entwicklungsprozess scheint demnach eine zielführende Kommunikationspolitik im Verein zu sein. Zügiger verlaufen solche Prozesse, wenn im Verein bereits Mitglieder sind, die sich selbst als behindert wahrnehmen oder so wahrgenommen werden. Eine weitere Öffnung wird dann nicht als grundlegende Neuerung angesehen.
Doch die Vereine informieren nicht nur intern, sondern gezielt auch öffentlich über das Entwicklungsvorhaben. Dies soll unter anderem dazu dienen, neue Kooperations- und Netzwerkpartner sowie gegebenenfalls auch neue Mitglieder oder Sponsoren zu gewinnen, aber auch das innovative Potenzial des Vereins in der Öffentlichkeit darzustellen und so einen Imagegewinn zu erzeugen.
Insgesamt gehen die Vereine jedoch eher behutsam und zurückhaltend mit Mitteilungen und Beiträgen zur inklusiven Vereinsentwicklung um, und zwar aus unterschiedlichen Gründen:

Die Verantwortlichen in den Vereinen sind sich somit ihrer Funktion, die Interessen der Mitglieder in den Sportvereinen zu vertreten, voll bewusst.
„Wir rühren ganz bewusst nicht die Werbetrommel, weil wir immer gesagt haben, wir müssen das auch qualitativ umsetzen können.“ (VS-V7).
Einer Verunsicherung oder einem Misstrauen der Mitglieder wird somit durch gezielte und gering dosierte Öffentlichkeitsarbeit begegnet. Das übergeordnete Ziel der Vereinsentwicklung gerät dabei nicht aus dem Blick, lediglich die Wege dorthin bleiben offen:
„So hatte ich es auch vor einem Jahr gesagt, […] es wäre ein Fehler jetzt mit einer großartigen Initiative in der Presse aufzutauchen. Obwohl, die hat ja darüber auch berichtet, aber in einem kleinen Stil. Haben wir gesagt, lassen wir erstmal diesen Prozess, dieses Pilotprojekt, mal durchführen, um dann entscheiden zu können, wie gehen wir da weiter vor“ (VS-V11).
Mit dieser zurückhaltenden Informationspolitik erzielen die Vereine eine positive Resonanz und gezielte Aufmerksamkeit in den Medien sowie bei den Mitgliedern. Dafür erhalten sie bestätigende Rückmeldungen, die sie beschreiben als: „Wir waren im Gespräch“ (GF-V11) oder „Sonderstellung im positiven Sinne“ (VS-V7). Die Vereine bekommen zudem viel Aufmerksamkeit von Öffentlichen Trägern. Dies hilft in besonderem Maße bei der Vernetzung mit lokalen Partnern: „Wir sind offene Türen eingerannt“ (MA-V11). Damit generieren sie auch finanzielle Unterstützungsleistungen z.B. von Banken, Stiftungen oder karitativ arbeitenden Organisationen. Hierbei kommt ihnen zugute, dass sie auf dem Gebiet der inklusiven Sportentwicklung eine Vorreiterrolle übernehmen.
Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass inklusive Sportvereinsentwicklungsprozesse zunächst vorstandsintern, gegebenenfalls unter Einbeziehung des erweiterten Vorstands mit den Abteilungsleiter/innen, abgestimmt werden. Auch werden vor den Mitgliedern häufig zunächst die Trainer/innen und Übungsleiter/innen informiert, um das Vorhaben publik zu machen. Erst im Anschluss wird dieses den Mitgliedern z. B. auf einer Mitgliederversammlung vorgestellt.
Die Zielsetzung wird also vom Vorstand vorgegeben, die Einbindung der Mitglieder in den Entwicklungs- und Entscheidungsprozess erfolgt allmählich und behutsam und zunächst vor allem über informelle Kommunikationswege, wobei das Tempo vor allem davon beeinflusst wird, ob und wie offen der Prozess von Mitgliedern kritisiert wird und welche Vorerfahrungen vorliegen. Gelingt auf diese Weise eine allmähliche Sensibilisierung in den Sportvereinen, erhalten die Vorstände in der Regel eine große Unterstützung, nicht nur von außen, sondern auch von den eigenen Mitgliedern.

5.2 Einbindung neuer Mitglieder in Felder der Mitbestimmung und Mitwirkung

Wie in den theoretischen Überlegungen dargelegt, geht es in inklusiven Vereinen auch darum, allen Menschen die Möglichkeit zur vollumfänglichen Mitbestimmung zu verschaffen. Um Bedürfnisse und Interessen wirksam äußern und im Sinne der uneingeschränkten Partizipation mitbestimmen können, muss also allen im vereinsrechtlichen Sinne der Status des „ordentlichen Mitglieds“ zugedacht werden. Da dies in erster Linie für die Mitgliederversammlungen als oberstem Entscheidungsorgan zum Tragen kommt, betrachten wir hierzu im Folgenden die satzungsgemäßen Regelungen und die Aussagen der Befragten genauer.
In vielen Vereinen ist das Interesse der Mitglieder an den Versammlungen generell eher gering. Im Hinblick auf die Sicherstellung von Partizipation in inklusiven Sportvereinen stellt sich aber nicht nur die Frage, ob alle hieran teilnehmen wollen, sondern auch ob ihnen dies möglich ist. Die Mitgliederbefragung hat hierzu ergeben, dass einige Befragte für den Besuch der Mitgliederversammlung und während der Versammlung auf die Hilfe anderer angewiesen wären. Auch müssten Einzelne Fahrdienste in Anspruch nehmen, um den Versammlungen beiwohnen zu können. Für einige Mitglieder bestehen folglich größere Barrieren, wenn sie ihr Mitbestimmungsrecht wahrnehmen wollen.
Einzelne Befragte schildern Erfahrungen, wie dieses Recht wahrgenommen werden kann:
„Wenn bei mir im Verein Gehörlose sind und ich mache eine Mitgliedsversammlung ist es meine Pflicht die Teilhabe zu ermöglichen. Ich kann nicht sagen, wenn du deinen Gebärdendolmetscher selber bezahlst, kannst du teilnehmen. Funktioniert einfach nicht ... Also müssen wir das auch tun. Wie wir es finanzieren ist eine andere Sache. Dann suchen wir eine Spenderin, wenn wir es nicht können. Nur letztendlich muss ich es gewährleisten. Ich kann nicht sagen, Inklusion, aber du darfst hier nicht rein, weil du geistig behindert bist oder weil du nichts hörst ... Andere brauchen eine Anstiegshilfe ins Wasser, der braucht einen Gebärdendolmetscher, ist doch das gleiche“ (VS-V6).
Von anderen Befragten wird eine barrierefreie Beteiligung eher hypothetisch diskutiert:
„Bei den vieren von der Werkstatt für Behinderte ist immer das Problem, dass die sowieso nicht geschäftsfähig sind. Da hat sie [die Trainerin] ja auch viel Arbeit mit und nimmt sich viel Zeit, spricht mit den Betreuern und solche Sachen halt. […] Da sage ich mal ist es eher weniger, dass die in die Vereinsarbeit miteingebunden sind. Ich denke, dass muss auch wenn dann langsam erfolgen. Das ist jetzt wie gesagt eine Gruppe, die kennen die Örtlichkeiten, die können von da aus gut mit ihrem Bus in ihre Wohnstätten fahren […] Das [Ort der Mitgliederversammlungen] wäre nochmal woanders. Man könnte das machen, wenn der Personenkreis bliebe, könnte man etwas organisieren. Wir haben einen Bus. Aber es ist eben im Moment nicht notwendig, die Frage stellt sich nicht“ (VS-V2b).
Real werden in diesem Verein die Mitglieder, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, also bislang nicht an den demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt. Die Vorenthaltung dieses Rechts anhand der Zuschreibung von Behinderung über den Arbeitsort stellt eine Diskriminierung dar, die hier jedoch nicht als solche wahrgenommen wird. Überlegungen, wie die Mitglieder an Versammlungen oder an der Vereinsarbeit partizipieren können, wurden bislang offenbar nicht angestellt und werden im Interview als aktuell nicht notwendig eingeschätzt. Es ist nicht eindeutig, ob die Befragte bei diesen Vereinsmitgliedern kein diesbezügliches Interesse vermutet oder ob sie ihnen die Kompetenzen zur Partizipation an den Entscheidungsprozessen nicht ohne Weiteres zutraut. Mit einer Beteiligung wird jedoch gedanklich ein organisatorischer und inhaltlicher Mehraufwand verbunden, den zu leisten erst dann für den Verein als notwendig erachtet wird, wenn die Mitgliedschaft weiterhin anhält. Dann allerdings wird dieser als machbar beschrieben und die Bereitschaft angedeutet, dies auch umzusetzen.
Nun besteht das Recht auf Teilhabe an den Mitgliederversammlungen unabhängig davon, wie lange jemand bereits Mitglied im Verein ist. Als Begründung dafür, dieses Recht zunächst vorzuenthalten, wenn diese gedanklich als behinderte Vereinsmitglieder eingestuft und wahrgenommen werden, wird angegeben, viele der Mitglieder seien „sowieso nicht geschäftsfähig“. Tatsächlich finden wir in drei von elf Vereinssatzungen einen Hinweis auf die Geschäftsfähigkeit sowie in verschiedenen Mustersatzungen auch den Passus, dass geschäftsunfähige Mitglieder nicht stimmberechtigt seien. Anders als hier offenbar vermutet, sind allerdings Personen, die gemäß dem Gesetz Betreuung in einzelnen Lebensbereichen in Anspruch nehmen, etwa in der Vermögensverwaltung, nicht geschäftsunfähig.
So wurde bereits 1992 im so genannten Betreuungsgesetz festgelegt, dass Betreuung jeweils partikular in einem oder mehreren Bereichen (sog. Aufgabenkreisen) in Anspruch genommen werden kann, sofern dies unbedingt notwendig ist. Da Betreuer in aller Regel nur für bestimmte Aufgabenkreise bestellt werden, wirkt sich dies nicht auf das Wahlrecht der betreffenden Person aus (vgl. Palleit, 2011, S. 11). Und selbst wenn von einer Person in allen Bereichen Betreuung in Anspruch genommen wird, was einen hochschwellig angesetzten Vorgang als letztes Mittel darstellt, ist dies nicht gleichbedeutend mit dem Verlust aller demokratischen Rechte einer Person. Vor diesem Hintergrund wird seit längerer Zeit eine gesetzliche Änderung des politischen Wahlrechts gefordert, die auch Menschen, für die eine umfassende Betreuung in allen Angelegenheiten eingerichtet wurde, eine gleichberechtigte Teilnahme an politischen Wahlen ermöglicht, wie dies in der UN-BRK unmissverständlich festgeschrieben ist (vgl. Palleit, 2011, S. 12; Monitoring-Stelle, 2015, S. 29).
Wie auch das Wahlrecht bei politischen Wahlen ist die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte im Verein völlig unberührt davon, ob ein Vereinsmitglied Betreuung etwa in der Vermögensverwaltung in Anspruch nimmt oder nicht. Die in der Interviewpassage geäußerte Annahme, diese Vereinsmitglieder seien nicht geschäftsfähig, trifft somit mit hoher Wahrscheinlichkeit sachlich-inhaltlich nicht zu.[1] Auch stimmt die hieran geknüpfte Einschätzung nicht, diese Personen hätten kein Recht auf die selbstverantwortete Inanspruchnahme der demokratischen Rechte und Pflichten im Vereinsleben.
Es zeigt sich somit, dass im praktischen Vereinsleben aufgrund fehlenden Wissens und fehlender Erfahrungen demokratische Rechte teilweise vorenthalten werden. Die im Interview beschriebenen Vereinsmitglieder, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, werden antizipierend als nicht in der (rechtlichen) Lage eingeschätzt, ihre Mitbestimmungsrechte verantwortlich wahrzunehmen. Auf der Ebene der Mitbestimmung geht die Vereinsmitgliedschaft, wenn sie gedanklich mit der Klassifizierung als behindert und damit defizitär verbunden wird, folglich mit einem erhöhten Risiko der inkludierenden Exklusion einher (vgl. Stichweh, 2009, S. 38ff.; Seitz 2016; Meier, Seitz & Adolph-Börs, 2016a).
Auf diesem Weg gerät jedoch die laut UN-BRK zu stellende Frage aus dem Blick, wie für die Personen die unter Umständen notwendige Unterstützung geleistet werden kann (vgl. Palleit, 2011). Erst auf der Basis der Anerkennung der Betroffenen als auskunfts-, entscheidungs- und verantwortungsfähige Vereinsmitglieder könnte geklärt werden, ob und wenn dann welche konkrete Unterstützung sich diese wünschen, um ihre Mitbestimmungsrechte im Verein wahrnehmen und ausüben zu können. Die Abwesenheit von der Mitgliederversammlung hat hingegen zur Folge, dass diesbezügliche Interessen und Wünsche gar nicht erst eingebracht und durchgesetzt werden können. Auch entgehen den betroffenen Personen vereinsrelevante Informationen, was wiederum die kommunikative Anschlussfähigkeit erschwert. Damit wird auch die Chance vertan, Potentiale und Stärken der Mitglieder zu entdecken, sie kommunizierbar zu machen und sie beispielsweise für die Übernahme eines ehrenamtlichen Engagements, was als solches ja ein knappes Gut ist, zu gewinnen und zu binden.
Dass dies möglich ist, wird von einer Geschäftsführerin eines anderen Vereins berichtet:
„Also der [Vereinsmitglied mit Lernschwierigkeiten] kam zu uns, brabbelte immer ständig mit sich selber. Und wir haben ihn von Anfang an mit eingebunden, ... erstmal war es damals für den Vorstand, so wie er zusammengesetzt war, eine Herausforderung, und wie er sich eingebracht hat, hat er eigentlich jeden überzeugen können “ (GF-V4).
Und der Vorsitzende des Vereins ergänzt, dass
„er ... volle Akzeptanz auch in der Vorstandsrunde [genießt]. Also wir gehen nicht hin und sagen jetzt, im Vorstand sitzen nur Elitäre, die alles ich sag mal wunderbar administrieren, verwalten können und führen können, sondern auch da sitzt ich sag mal jemand, der auch inkludiert wird mit am Tisch. Also das ist nicht nur der reine Sportbetrieb, sondern der Gesamtbetrieb des Vereins hat den Anspruch auch inklusionsfähig zu sein“ (VS-V4).
Auf diesem Weg der Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied mit allen Rechten und Kompetenzen erhalten alle Mitglieder die Chance, ihre Mitbestimmungsfähigkeiten sichtbar zu machen bzw. zu erproben und weiter zu entwickeln. Auch können neu gewonnene Mitglieder so aktiv ihre Interessen vertreten und für eine Sensibilisierung sorgen:
„Ich hab Ihm dann erzählt, was wir so machen wollen und dann hat er zu mir gesagt ‚Nee, das ist keine gute Idee. Wenn man als Gehbehinderter da jetzt hochsteigen soll, klappt das nicht. Das funktioniert nicht. Da müsste man hier und da einen Haltegriff oder eine Haltemöglichkeit haben’. Das sind Dinge, wo ich eben vielleicht mal drüber nachdenke, aber die Schwierigkeiten nicht selber kenne. Und da bin ich wirklich froh, wenn mir dann jemand sagen kann ‚Da denk mal dran’“ (GF-V8).
Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass die volle Mitbestimmung und Mitwirkung von Menschen in Sportvereinen vor allem dann nicht durchgängig praktiziert wird, wenn diese als behindert wahrgenommen und/oder klassifiziert werden und Betreuung in Anspruch nehmen. Die fälschlich als notwendig erachtete Geschäftsfähigkeit als Voraussetzung für die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen in Sportvereinen bietet ein Einfallstor für die illegitime Praxis, ein Grundrecht vorzuenthalten, indem Betreuungsbedarf mit Geschäftsunfähigkeit gleichgesetzt wird.
Ein Passus in einer Satzung wie der Folgende, wie wir ihn so oder ähnlich häufiger finden konnten, wirft demnach rechtliche Fragen auf: „Mitglieder ab 16 Jahren sind stimmberechtigt. Das Stimmrecht kann nur persönlich ausgeübt werden. Gewählt werden können alle volljährigen und vollgeschäftsfähigen Mitglieder des Vereins“ (SZ-V7).
Wie erläutert, sind derzeit politische Aktivitäten zu beobachten, die geschilderten Diskriminierungen im politischen Wahlrecht aufzuheben. In Bezug auf die demokratischen Strukturen in Vereinen wird dieser Prozess jedoch offensichtlich bislang wenig thematisiert, auch nicht im Kontext der Debatten zur Umsetzung der UN-BRK. Die Umsetzung politischer Teilhabe im Verein ist offensichtlich ein blinder Fleck und es besteht ein konkretes Desiderat dahingehend, Sportvereine sachgerecht zu informieren.

5.3 Befunde zur Schließung gegenüber Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten

Wie zuvor erläutert, stellt die verhinderte Partizipation an der Mitbestimmung und Mitwirkung ein Problemfeld in den Sportvereinen dar, nicht aber die am Sportbetrieb. Um Konflikte zwischen der Mitbestimmung und der Ausübung von Sport zu umgehen, haben die Vereine seit Langem ein Instrument ersonnen, welches eine Trennung zwischen Sporttreiben und Mitbestimmung erlaubt: das Kurssystem. Denn Sportkurse können zeitweise oder dauerhaft von Sportinteressierten auch losgelöst von der Vereinszugehörigkeit als ordentliches Mitglied besucht werden; dann allerdings ohne jegliches Stimmrecht in den Vereinsgremien. Auf diese Weise können sich Vereine auf der Angebotsebene vergrößern, bleiben aber im Kern der Selbstorganisation und Mitbestimmung sozial geschlossen.
Allerdings stellen wir fest, dass die Vereine in der Regel keinen besonderen Gebrauch von diesem Instrument machen. Zwar bieten einige Vereine auch Kurse an, doch sind diese nicht speziell auf inklusive Sportgruppen ausgerichtet. Die Sportvereine halten dieses Angebot also eher aus inhaltlich-organisatorischen Gründen in Form von Kursen vor, nicht entlang einer Differenzlinie zwischen Sportler/innen mit und ohne Behinderung. Entsprechend setzt der Besuch inklusiver Sportangebote oft die Aufnahme in den Verein als Mitglied voraus; allerdings mit den oben beschriebenen Folgeproblemen. Ein gewichtiger Grund, weshalb die Vereine eine Mitgliedschaft neu gewonnener Sportler und Sportlerinnen anstreben, ist dabei der versicherungstechnische Schutz beim Sportreiben; die Vereinsvertreter möchten sich absichern, insbesondere bei Sportangeboten für Kinder.
Auf die Mitbestimmung im Verein wirkt sich die Aufnahme von Kindern als neue Mitglieder allerdings nicht aus, da sie als Minderjährige nicht als Ordentliche Mitglieder gelten bzw. ihre Interessen in den Jugendvertretungen verfolgt werden. Auch die Erhöhung der Mitgliederzahlen und damit gegebenenfalls auch der Mitgliedsbeiträge spielt im Fall der Aufnahme neuer Kinder keine Rolle:
„Es geht mir nicht darum, dass noch zehn Kinder mehr im Verein sind. Bei 2.000 Mitgliedern ist das jetzt nicht unbedingt der Zwang neue Mitglieder zu werben. Ich meine, die müssen bei uns im Verein sein aufgrund versicherungstechnischer Gründe, wenn die oben auf dem Platz verunglücken und sind dann nicht versichert, das geht natürlich nicht. Das machen die Eltern aber auch gerne, glaube ich. Wir haben oben nämlich auch ein Clubheim auf dem Platz, wo die auch im Sommer ein Grillfest mit den Eltern und den Kindern war“ (VS-V10).
Das Zitat lässt erkennen, dass die Eltern der Kinder im Verein ebenfalls willkommen geheißen werden, als neue Mitglieder und dann folgerichtig auch als neue Mitbestimmer, die dann möglicherweise die Interessen und Bedarfe ihrer Kinder besonders berücksichtigt wissen möchten. Allerdings sind, wie wir dies in den theoretischen Überlegungen dargelegt haben, gerade große Vereine ohnehin durch eine eher heterogene Mitgliedschaft gekennzeichnet. Diese Vereine sind, allein schon qua ihrer Größe, gegenüber der Durchsetzung von Einzelinteressen immunisiert, was sie für die Motive der Neumitglieder unempfänglicher macht. Insgesamt gibt es deshalb unserer Einschätzung nach keinen Grund anzunehmen, dass die befragten Sportvereine das Instrument des Sportkurses zur Verhinderung von Mitbestimmungsrechten einsetzen. Die ordentliche Mitgliedschaft als Form der Vereinszugehörigkeit wird in jedem Fall favorisiert, unabhängig von den Motiven der Einzelnen. Damit wird auch den neuen Vereinszugehörigen bevorzugt das Recht auf Mitbestimmung gegeben – mit den geschilderten Schwierigkeiten.
Dessen ungeachtet können wir in unserer Studie eine andere Form verhinderter Partizipationsmöglichkeiten entdecken. Denn die Satzung eines Behindertensportvereins unterscheidet zwischen ordentlichen und fördernden Mitgliedern: „Ordentliches Mitglied kann jede(r) Behinderte werden, deren/dessen Behinderung einen Grad von mind. 28% hat und die/der in der Lage ist, am Behindertensport [...] teilzunehmen. Ordentliche Mitglieder sind stimmberechtigt“ (SZ-V2b). Im folgenden Absatz wird festgelegt: „Förderndes Mitglied kann die-/derjenige werden, die/der die Gemeinschaft ideell oder materiell unterstützt oder deren/dessen Grad der Behinderung während der ordentlichen Mitgliedschaft unter 25% herabsinkt“ (ebd.). Im Paragraphen, der die Bestimmungen zur Mitgliederversammlung enthält, heißt es an späterer Stelle, dass nur „jedes anwesende volljährige ordentliche Mitglied stimmberechtigt“ ist. Hier wird das Mitbestimmungsrecht primär an das Merkmal Behinderung und einen über das Sozialgesetzbuch IX (Schwerbehindertenrecht) abgesicherten Behinderungsgrad gebunden. Dieses wird nochmals explizit hervorgehoben: „Nichtbehinderte Aktive sind wie fördernde Mitglieder anzusehen“ (ebd.), denn Fördermitglieder sind in diesem Verein nicht stimmberechtigt.
Partizipation an den demokratischen Entscheidungsprozessen setzt in diesem Verein den rechtlichen Status als (schwer)behindert voraus. Mitglieder, die dieses Merkmal nicht erfüllen, werden vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen. Die satzungsgemäße Verhinderung von Partizipation an den demokratischen Entscheidungsprozessen stellt eine spezielle Form sozialer Schließung dar. Es wird unterstellt und vorausgesetzt, dass Menschen, die gemäß rechtlichem Status als behindert gelten, ein wie auch immer geartetes gleichartiges Anliegen haben, welches durch den Verein zielführend nur dann verfolgt werden kann, wenn alle anderen vom Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Somit stoßen wir hier auf ein spezielles Phänomen der sozialen Schließung in einzelnen Behindertensportvereinen, das (vereins-)historisch begründet sein mag, eine inklusive Entwicklung dieser Vereine jedoch erheblich erschwert, da hierzu eine Satzungsänderung notwendig ist.

6. Schlussfolgerungen und Perspektiven

Wie die Ergebnisse unserer Studie zeigen, ist ein inklusives Sportangebot allein keine hinreichende Bedingung dafür, dass Vereine inklusiv werden. Selbst wenn sie sich durch Akzeptanz von Vielfalt und Offenheit im Hinblick auf unterschiedliche Werte auszeichnen, gewährleistet dies noch keine inklusive Strukturentwicklung im Verein. Erst der diskriminierungsfreie Zugang zu Mitwirkung und Mitbestimmung in Form der Vollmitgliedschaft bzw. als Ordentliches Mitglied mit allen Rechten sichert dem inklusiven Sportverein die gesellschaftspolitisch bedeutsame Funktion einer Schule der Demokratie für alle. Darin liegt entsprechend eine zentrale Entwicklungsaufgabe für die Vereine.
Mit Blick auf die theoretischen Ausführungen lässt sich allerdings sagen, dass dies nicht von heute auf morgen geht. Vielmehr müssen hier organisationale Lernprozesse stattfinden. Sportvereine brauchen folglich zunächst konkrete Unterstützung und Aufklärung dahingehend, dass Inklusion im Sport nicht nur impliziert, für alle Sportler und Sportlerinnen offen zu stehen, sondern auch für alle Entscheider/innen und Mitarbeiter/innen - unabhängig von behinderungsbezogenen Klassifizierungen oder Zuschreibungen. Diesbezüglich sind die Verbände gefragt; denn diese müssen Vereine unterstützen, um Bewusstseinsprozesse zu bestärken und entsprechendes Wissen zu vermitteln. Damit dieses Wissen reflexiv in Vereinsentwicklungsprozesse transformiert werden kann, genügt es jedoch nicht, über einen gut informierten Vorstand zu verfügen; vielmehr ist intensive Kommunikation mit den Mitgliedern notwendig, damit ein organisationaler Lernprozess (beispielsweise über Satzungsänderungen, die nur mit der Mehrheit der Mitglieder erreicht werden kann) stattfinden kann. Nur so können alle ihre Interessen wahren und jede ihre und jeder seine Interessen einbringen.
Die Antwort auf die Frage, wie es angesichts der hohen Hürden gelingen kann, inklusive Vereinsentwicklungsprozesse in Gang zu setzen, lautet folglich, demokratische Mitbestimmung zum Ziel und zum Weg zu erklären. Dies impliziert nach unserer Einschätzung eine engere Verzahnung der aktuell fachlich und organisatorisch oft parallelen Bereiche des Sports. Nicht die Einzelorganisation als inklusiver Sportanbieter, sondern Kooperationen und Netzwerklösungen scheinen daher in einem ersten Schritt ein gangbarer Weg zu sein, um den Sport inklusiv zu gestalten. Hierzu müssen neue Formen der Zusammenarbeit entwickelt werden, in denen voneinander abgrenzbare Organisationseinheiten, die dennoch intensiv und eng verzahnt miteinander agieren und gemeinsame Ziele verfolgen, eine strategische Allianz bilden können. In diese können die beteiligten Organisationen ihre unterschiedlichen Ressourcen und Kompetenzen einbringen, gegebenenfalls lassen sich hierdurch auch gemeinsame neue Ressourcen erschließen.
Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit kann ein lokales Netzwerk unterschiedlicher Partner sein mit dem Ziel, Strategien für einen inklusiven Sport zu entwickeln. Auch eine enge Kooperation von „Regel-„ und „Behinderten-Sportvereinen“ in einer gleichberechtigten Partnerschaft (Vereins-Buddy) als erster Schritt kann Räume schaffen zur Begegnung und für den notwendigen intensiven Austausch der zentralen Akteure in den Vereinen, zunächst der Vorstandsmitglieder und in der Folge auch der Vereinsmitglieder. Auf diesem Weg können Ideen und Konzepte für gemeinsame Aktivitäten entwickelt und partnerschaftliche Projekte ins Leben gerufen werden. Auch die gegenseitige Beratung und Reflexion der eigenen Praktiken ist hier möglich. Ein vorbehaltloser Umgang in einem engen Miteinander schafft Impulse und setzt Signale, nach außen und nach innen.
Was folglich in der Sportpraxis von Vereinen bedingungslos möglich scheint, muss auf der Ebene der Vereinsgestaltung und -führung strategisch geplant und ausgebaut werden. Diese Prozesse zu initiieren ist eine zentrale Gelingensbedingung für einen zukünftig inklusiv organisierten Sport.

7. Literatur

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[1]„Die Anordnung einer Betreuung, zur Besorgung aller Angelegenheiten ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. (...). In aller Regel werden Betreuer daher nur für bestimmte Bereiche (sog. Aufgabenkreise) bestellt, was sich auf das Wahlrecht der betreffenden Person nicht auswirkt.“ (Palleit, 2011, S. 11).