Heike Tiemann: Konzepte, Modelle und Strategien für den inklusiven Sportunterricht – internationale und nationale Entwicklungen und Zusammenhänge

Abstract: Sportlehrkräfte fühlen sich häufig nicht ausgebildet, um mit der Vielfalt von Schülerinnen und Schülern in inklusiven Settings umgehen zu können. Für sie stellt sich die Frage nach Konzepten, Modellen und Strategien, die für einen inklusiven Unterricht geeignet sind und ihr unterrichtliches Handeln unterstützen können. Da diesbezüglich wichtige Impulse aus dem englischsprachigen Raum stammen, werden diese zunächst skizziert. Anschließend werden einige ausgewählte in Deutschland zum Thema formulierte konzeptionelle Entwicklungen entfaltet, bevor diese abschließend in einem systematisierenden Überblick aufgearbeitet werden.

Stichwörter: Modelle; Ansätze; Universal Design for Learning; Adapted Physical Activity; Bewegungsbeziehungen; Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht; Drei Ebenen Modell der Unterrichtsentwicklung inklusiven Sportunterrichts; Modell Sportunterricht inklusiv

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkungen
  2. Ausgewählte internationale Entwicklungen
  3. Ausgewählte nationale Entwicklungen
  4. Zusammenhänge und der Versuch einer Systematisierung
  5. Literatur

1. Vorbemerkungen

Seit nunmehr sieben Jahren sind alle Schulen in Deutschland verpflichtet, Inklusion möglich zu machen. Die Transformation eines größtenteils segregierenden Schulsystems in ein inklusives stellt für die meisten Bildungseinrichtungen bis heute jedoch eine große Herausforderung dar. Auf struktureller Ebene hemmt beispielsweise das weiterhin existierende mehrgliedrige, in ihrer zugeschriebenen gesellschaftlichen Wertigkeit hierarchisch angeordnete, aussondernde Schulsystem, die Umsetzung der Inklusion.[1]  Auf der Ebene des Unterrichts wirkt sich erschwerend aus, dass sich Lehrkräfte oftmals nicht ausgebildet fühlen mit der Diversität von Lernenden umzugehen. Dies trifft besonders zu, wenn sich auch Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Lerngruppe befinden. Für viele Lehrkräfte stellt sich die Frage nach Konzepten, Modellen und Strategien, die für einen inklusiven Unterricht besonders geeignet sind und ihr unterrichtliches Handeln unterstützen können. In diesem Kontext wichtige Impulse stammen aus dem englischsprachigen Raum, die in dem folgenden Beitrag zunächst skizziert werden sollen. Anschließend werden einige in Deutschland zum Thema formulierte konzeptionelle Entwicklungen entfaltet. Als Resultat einer kritischen Würdigung der vorgestellten unterschiedlichen sportdidaktischen Perspektiven werden Zusammenhänge identifiziert und in einem systematisierenden Überblick aufgearbeitet.

2. Ausgewählte internationale Entwicklungen

2.1 Universal Design for Learning

Ein Konzept, das jeden Menschen als Individuum mit spezifischen Stärken und Bedürfnissen mitdenkt und geeignet ist, Lehrkräften Handlungsoptionen für den inklusiven Sportunterricht aufzuzeigen, die eine gleichberechtigte Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler ermöglichen, ist das ursprünglich aus den USA stammende „Universal Design for learning“. Seit den 1970er Jahren in der Architektur diskutiert, ging es zunächst  zum Beispiel darum, Gebäude zu gestalten, die von allen Menschen genutzt werden können, ohne dass von ihnen besondere Anpassung erwartet werden (vgl. Fisseler & Markmann, 2012, S. 13 f.). Indem die Bedarfe möglichst vieler Menschen einbezogen werden, wird also von der Unterschiedlichkeit beziehungsweise der Vielfalt von Menschen ausgegangen. Die Idee des Universal Designs wurde seitdem auch in andere Fachgebiete übertragen, beispielsweise in die Pädagogik. Das „Universal Design for Learning“ (UDL) beschreibt ein Konzept, das Pädagoginnen und Pädagogen unterstützen kann, in ihren Potentialen unterschiedliche Individuen gemeinsam zu fördern – eine spezifische Differenzkategorie wie beispielsweise Behinderung wird dabei nicht fokussiert: „UDL helps address learner variability by suggesting flexible goals, methods, materials, and assessments that empower educators to meet these varied needs” (CAST, 2011, S. 4). Das Universal Design for learning soll Lehrkräfte ermutigen in ihrem pädagogischen Tun flexibel veränderbare Optionen bereitzuhalten, so dass alle Lernenden von ihrem individuellen Lern- und Entwicklungsstand ausgehend Fortschritte machen können (vgl. ebd.). „Universal design in education means that the physical, social, and learning environments are designed so that diverse learners are supported through powerful possibilities for teaching and learning” (Lieberman & Houston-Wilson, 2009, S. 67).
Von grundlegender Bedeutung für das Universal Design for Learning sind die folgenden Prinzipien, die auch auf den Sportunterricht bezogen werden können (verändert nach Lieberman & Houston-Wilson, 2009, S. 68):

  1. „Inklusive Grundhaltung“ – Das Lernumfeld ist gekennzeichnet durch eine wertschätzende Haltung gegenüber der Diversität von Menschen. Stigmatisierung und Aussonderung von Schülerinnen und Schülern finden nicht statt.
  2. „Barrierefreiheit/Zugänglichkeit“ – Alle Räume wie der Klassenraum, die Sporthalle, der Sportplatz, die Schwimmhalle oder der Pausenhof sind barrierefrei und damit zugänglich für alle Nutzerinnen und Nutzer unabhängig beispielsweise von deren körperlichen Möglichkeiten.
  3. Vermittlungsmethoden – Die Vermittlungsmethoden werden an die  Bedürfnisse der Lernenden angepasst. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler steht eine Methodenvielfalt im Zentrum. Inhalte können zum Beispiel über Erklärungen, Demonstrationen, interaktive Medien oder Selbsterfahrungen vermittelt werden. Besonders zu beachten ist, „[…] that each mode is accessible to students with a wide range of abilities, disabilities, interests, and previous experiences“ (Lieberman & Houston-Wilson 2009, S. 68).
  4. Interaktionen – Schülerinnen und Schüler lernen eine Reihe von verschiedenen Sozial- und Aktionsformen kennen, die ihnen auf unterschiedlichen Wegen die Möglichkeit geben miteinander und/oder mit der Lehrperson zu interagieren, zum Beispiel in der Partner- oder Gruppenarbeit oder im Rahmen einer Diskussion oder Stationsarbeit.
  5. Rückmeldung – Alle Lernenden erhalten Rückmeldungen entsprechend ihrer individuellen Aktivitäten und Lernfortschritte.
  6. Beurteilung“ – Schülerinnen und Schüler können auf unterschiedliche Art und Weise und unter Berücksichtigung ihrer individuellen Potentiale ihre erworbenen Kompetenzen demonstrieren, welche beurteilt werden. Neben eher traditionellen Leistungstest werden beispielsweise auch Gruppenarbeiten, Portfolios oder Präsentationen bewertet.

Auf der Basis der vom Lieberman und Houston-Wilson (2009) formulierten Prinzipien werden für den Sportunterricht Modifikationen vorgenommen um eine gleichberechtigte Teilhabe aller umzusetzen. Diese Veränderungen beziehen Lieberman und Houston-Wilson (2009, S. 69) auf die vier Bereiche Material, Regeln, Umwelt und Anleitung:

In Bezug auf die aufgeführten Modifikationen sind bestimmte Grundsätze zu beachten, die dem methodischen Handeln der Sportlehrkraft eine Rahmung geben (verändert nach Lieberman & Houston-Wilson, 2009, S. 70):

  1. Die Schülerinnen und Schüler werden in den Prozess der Modifikationen eingebunden.
  2. Möglichst viele Differenzierungsmöglichkeiten (z. B. in Bezug auf Material, Regeln) werden angeboten und zur Wahl gestellt.
  3. Wenn sich eine Modifikation als nicht sinnvoll erweist, muss diese verändert werden.
  4. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollen die Möglichkeit bekommen, die gleiche Vielfalt an Sport- und Bewegungsaktivitäten kennen zu lernen wie seine/ihre Peergroup ohne Behinderung.
  5. Modifikationen werden kontinuierlich angeboten.
  6. Bei der Planung des Sportunterrichts werden die besonderen Bedürfnisse aller Kinder und Jugendlichen berücksichtigt.

Mit Blick auf die Diversität von Menschen zeigt das Universal Design for Learning Wege auf wie traditionelle für inklusive Settings ungeeignete, generalisierende und unflexible „‘one-size-fits-all‘ Ansätze (National Center on Universal Design for Learning, 2016) in der Schule überwunden werden können.

2.2 Adapted Physical Activity

Die Diskussion und Erarbeitung von Anpassungsmöglichkeiten von Sport- und Bewegungsangeboten entsprechend der Potentiale von Individuen steht auch im Mittelpunkt des Fachgebiets „Adapted Physical Acitivity“ (hierzu auch der Beitrag von Giese, Kiuppis und Baumert in diesem Heft). Ursprünglich definiert als Oberbegriff für „alle Formen körperlicher/sportlicher Aktivität für Menschen aller Lebensalter und unterschiedlicher Beeinträchtigungen, Erkrankungen und Behinderungen“ (Doll-Tepper, 2003, S. 16) wurde Adapted Physical Activity im deutschsprachigen Raum mit „Prävention, Rehabilitation, Behindertensport“ gleichgesetzt (vgl. ebd.). Dieses Begriffsverständnis hat sich jedoch inzwischen in dem Sinne erweitert, dass es um alle Menschen geht, die in ihrer Teilhabe an sportlichen Aktivitäten beschränkt werden: „Adapted physical activity is defined as a cross-disciplinary body of practical and theoretical knowledge directed toward impairments, activity limitations, and participation restrictions in physical activity“ (IFAPA, 2016). Der Internationale Dachverband des Fachgebiets International Federation of Adapted Physical Activity (IFAPA) hebt 2016 des Weiteren hervor, dass es um die „acceptance of individual differences“ geht.
Für das praktische Handeln von Sportlehrkräften werden ähnlich der im Kontext des Universal Designs for Learning formulierten Modifikationsfelder auch im Rahmen dieses Gebiets Adaptionen vorgeschlagen. IFAPA (2013) differenziert beispielsweise fünf Felder: Während ebenso wie beim Universal Design auf Anpassung von Material, Regeln und Anleitung verwiesen wird kommen zwei Bereiche weitere hinzu:

Diese können so angepasst werden, dass die gleiche Aufgabe unterschiedlich erfüllt werden kann. Für eine Pendelstaffel könnte das zum Beispiel heißen, dass die Aufgabe differenziert wird: In jedem Team müssen 2 Teilnehmende die Laufstrecke mit einem Rollbrett bewältigen. Auf diese Weise kann auch das Kind, das sich möglicherweise sonst mit Gehhilfen fortbewegt, gleichberechtigt am Wettkampf teilnehmen.

Die physische Umwelt kann beispielsweise über die Größe der Spielfelder oder Aktionsräume verändert werden. Sie kann bestimmter Weise strukturiert oder durch gut sichtbare oder spürbare Abgrenzungen überhaupt erst wahrnehmbar gemacht werden. Unter einer Anpassung der sozialen Umgebung ist zum Beispiel die Auswahl der angemessenen Sozialformen zu verstehen (vgl. Schoo, 2014; Tiemann, 2013).

2.3 Die australischen Modelle TREE und CHANGE IT

Auch die in Australien entwickelten Modelle „TREE“ (Australian Sports Commission, 2006, S. 1) und CHANGE IT (Australian Sports Commission o.J.) heben in prägnanter Form die Aspekte hervor, die im inklusiven Sportunterricht gegebenenfalls verändert werden müssen, um eine Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.
TREE ist ein Akronym und steht im Original für:

Während Rules, Environment und Equipment mit den oben genannten Feldern der Anpassung vergleichbar sind, findet in diesem System der Terminus „Teaching Style“ Anwendung. Abweichend von dem in Deutschland bekannten Terminus „Unterrichtsstil“ werden unter „Teaching Style“ Unterrichtsformen und -verfahren, methodische Maßnahmen und Sozialformen subsumiert. Sind zum Beispiel Lernende, die schlecht sehen können in der Gruppe, muss darauf geachtet werden, dass verstärkt verbal kommuniziert wird. Bei kognitiv etwas langsameren, Teilnehmenden, sollte in leicht verständlicher Sprache gesprochen werden. Praktische Demonstrationen sollten Spiel- oder Aufgabenerklärungen begleiten.
Das Akronym „CHANGE IT“ (Australian Sports Commission o.J.) bezeichnet ein Modell, das ursprünglich im Wesentlichen auf Trainerinnen und Trainer gerichtet war, sich aber auch auf den Sportunterricht übertragen lässt. Als eine Weiterentwicklung des „TREE“ Modells zu verstehen, ist es umfassender als das vorher Genannte und berücksichtigt zusätzliche Anknüpfungspunkte für Modifikationen im Unterricht. „CHANGE IT“ findet in seiner Vollständigkeit allerdings nur im Kontext von Sportspielen oder wettkampforientierten Bewegungsspielen Anwendung.

Veränderungen die sich auf den Trainingsstil („Coaching Style“) beziehen sind vergleichbar mit Modifikationen die beim TREE Modell unter dem Begriff Unterrichtsstil („Teaching Style“) zusammengefasst werden. Der Aspekt „How to score“ verweist darauf, dass hinsichtlich des Erzielens von Punkten oder Treffern möglicherweise differenziert werden muss. So können z.B. unterschiedliche Trefferflächen angeboten werden, auch könnten diese unterschiedlich weit von den Standorten der Schülerinnen oder Schüler entfernt sein. Die Spielfläche („Playing Area“) muss hinsichtlich der Größe, der Form oder auch der Bodenoberfläche so ausgewählt werden, dass eine gleichberechtigte Teilhabe Aller möglich ist. Bodenmarkierungen, die für Kinder und Jugendliche mit Sehbeeinträchtigungen farblich nicht gut sichtbar sind, müssen gegebenenfalls mit Bodenmarkierungsbändern mit grellen Farben ersetzt werden. Es könnte jedoch auch hilfreich sein räumlich besser sichtbare Pylone aufzustellen um Spielräume voneinander abzugrenzen. Veränderungen können des Weiteren bei der Anzahl der Beteiligten einer Aktivität oder eines Spiels („Number of Players“) nötig werden. Anpassungen der Spielregeln („Game Rules“) und des Materials („Equipment“) werden wie im TREE Model verstanden Noch nicht angesprochen wird dort allerdings der Aspekt, der als Inklusion bezeichnet wird („Inclusion“). Hierbei handelt es sich um Anpassung, die das gemeinsame Handeln der Akteure eines Teams in den Mittelpunkt rückt. Dazu kann zum Beispiel beim Fußball die Vorgabe gehören, dass sich alle Spielenden in Handfassung mit einer Partnerin oder einem Partner auf dem Spielfeld bewegen. Der Ball darf von beiden gespielt, die Handfassung jedoch nie gelöst werden. Unter zeitlichen Differenzierungen („Time“) werden Anpassungen bezogen auf die Spiel-, Aktivitäts- bzw. auch Belastungszeiten verstanden. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur die körperlichen Möglichkeiten und Grenzen von Kindern und Jugendlichen einer Klasse sehr vielfältig sein können, sondern auch deren Konzentrationsfähigkeit (vgl. Tiemann, 2013).

2.4 Inclusion Spectrum Model

Die Verknüpfung des Modells STEP, das den oben dargestellten Systemen von Modifikationen sehr ähnlich ist, mit einem inhaltlich-organisatorisch ausgerichteten, verschiedene Aktivitätsformen unterscheidenden Modell, bietet das Inclusion Spectrum Model aus England (Black & Stevenson, 2012).

Abb. 1 Inclusion Spectrum incorporating STEP
STEP steht als Akronym für die bereits mehrfach aufgeführten Begriffe Space (Lernumwelt), Task (Aufgabenstellung) und Equipment (Material). Die vierte Modifikationskategorie ist People (Menschen). Dabei geht es um die Zusammenstellung von Gruppen, z.B. für Bewegungs- oder Sportspiele:„[…]match participants of similar ability in small-sided or close marking activities balance team numbers according to the overall ability of the group[…]” (Black & Stevenson, 2012, S. 2.). Bevor die einzelnen Anpassungen geprüft und gegebenenfalls nötig werden, findet die Entscheidung für eine der fünf verschiedenen „Formen sportlicher Betätigungen“ (Schoo, 2013, S. 101) statt:

Eine Reihe von den hier aufgeführten Ansätzen und Modellen haben Eingang in den deutschen Fachdiskurs gefunden und diesen an vielen Stellen bereichert (u. a. Fediuk, 2008; Meier & Ruin, 2015; Giese & Weigelt, 2015; Ruin, Meier, Leineweber, Klein & Buhren, 2016) wie im Folgenden gezeigt werden kann.

3. Ausgewählte nationale Entwicklungen

Wichtige Impulse für im Kontext stehende nationale Entwicklungen sind vom allgemeinen pädagogisch-didaktischen Fachdiskurs ausgegangen. Grundlegend ist dabei die aus dem Kontext der Integrations/Inklusionspädagogik stammende „Theorie der Integrativen Prozesse“ (Reiser, 1991), die schon vor über fünfzehn Jahren von Scheid und Fediuk (z. B. 1999) aufgegriffen und in der Sportpädagogik zur Diskussion gestellt wurde. Diese Theorie geht von der Annahme der Gleich- und Verschiedenheit aller Menschen aus. Alle Menschen haben das Recht auf ihr ganz individuelles „So-Sein“, auf ihre „Verschiedenheit“ gegenüber anderen und damit auf die Wahrung ihrer individuellen Bedürfnisse. Ebenso sind alle Menschen aber auch gleich, haben das Recht auf Gleichheit – Gleichbehandlung und Gemeinsamkeit. Dieses Recht auf Gleichheit und Differenz legt auch Folgerungen für eine inklusive Didaktik des schulischen Sports nahe: Gemeinsame Sequenzen sportlichen Tuns, die die Gleichheit und Verbundenheit aller Individuen herausstellen, haben ebenso ihren Raum wie individualisierte, auf differenzierten Niveaustufen angebotene Sport- und Bewegungsaktivitäten. Und auch in mit Blick auf die Umsetzung dieses Anspruches in die Praxis kann die Sportdidaktik auf allgemeine pädagogisch-didaktische Entwicklungen Bezug nehmen. Die von Wocken (1998) identifizierten Lernsituationen bieten dabei eine mögliche Orientierung: Sie können gelesen werden als Abbild des Spannungsfeldes zwischen Situationen, die durch gemeinschaftliches Tun geprägt sind und solchen, die die Differenz von Individuen in den Mittelpunkt rücken:
• Koexistente Lernsituationen
Das Verhalten der beteiligten Partner ist durch die jeweils eigenen Pläne bestimmt; soziale Austauschprozesse sind nur Beiwerk.
(Beispiel im Sportunterricht: individuelles Üben)
• Kommunikative Lernsituationen
Die Kommunikation steht im Vordergrund, inhaltliche Aspekte spielen keine Rolle.
(Beispiel im Sportunterricht: Kommunikative Situationen in der Umkleidekabine)
• Subsidiäre Lernsituationen
Diese werden differenziert in zwei unterschiedliche Lernsituationen:
• Unterstützende Lernsituationen
Partner A unterstützt Partner B, ohne die eigenen Ziele aus dem Blick zu verlieren.
(Beispiel im Sportunterricht: Partner A und Partner B üben individuell im Stationsbetrieb – an einer Station – mit dem Ball, A holt dem motorisch beeinträchtigten Partner B den Ball, wenn dieser ihn verliert.)
• Prosoziale Lernsituationen
Partner A unterstützt Partner B. Die eigenen Pläne werden nicht mehr weiterverfolgt.
(Beispiel im Sportunterricht: A hilft dem motorisch unsicheren Partner B durch Handfassung bei der Überquerung eines Geräteparcours.)
• Kooperative Lernsituationen
Diese werden differenziert in zwei unterschiedliche Lernsituationen:
• Komplementäre Lernsituationen
Partner A und Partner B verfolgen unterschiedliche Ziele, können diese aber nicht unabhängig voneinander erreichen und müssen zusammenarbeiten.
(Beispiel im Sportunterricht: Partner A kann ohne Partner B nicht Tennis spielen - jeder will dabei gewinnen und verfolgt für sich dieses Ziel.)
• Solidarische Lernsituationen
Ein gemeinsames Handlungsziel kann nur gemeinsam erreicht werden.
(Beispiel im Sportunterricht: Mehrere Aktive müssen gemeinsam ein Hindernis überqueren. Diese kann nur gelingen, wenn alle Partner zusammenarbeiten) (vgl. Tiemann, 2012).
Aus einer anderen Argumentationsfigur heraus bezieht sich Weichert (2008) auf Wocken und wandelt das System von Lernsituationen ab beziehungsweise überträgt es auf den schulischen Sport. Er stellt den sozialen Beziehungsaspekt realisiert durch Bewegungsbeziehungen an den Anfang seines Erkenntnisinteresses. Mit dem Bezug auf das gemeinsame Sporttreiben von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung im Sport zeigt er auf, auf welche Weise erfolgreiche Bewegungsbeziehungen initiiert und gestaltet werden können. Dabei differenziert er in sieben Bewegungsbeziehungen auf unterschiedlichen Niveauebenen in ansteigender Qualität:

Während die meisten Bewegungssituationen von Weichert ihre Erklärungsparallelen bei Wocken finden, ist die koaktive Bewegungssituation ohne einen solchen Bezug: Unter dieser Situation versteht Weichert (2008, S. 82) „mehr als Koexistenz, denn das gemeinsame Produkt der Bewegungsgestaltung hängt vom Einzelbeitrag jedes Einzelnen ab (z. B. Singspiel, Rudern, Paddeln[…]). Und auch die kompetitive Bewegungsbeziehung spricht einen von Wocken in der Form nicht explizit herausgestellten Aspekt an, - der des sich Messens und in Sport und Bewegung. „Dieses Miteinander/Gegeneinander erhält in Zweikämpfen durch die Körpernähe und die immanente Gewalt […] und die damit zusammenhängende Notwendigkeit zur Rücksichtnahme, zur Regeleinhaltung und zur Empathie eine ganz spezielle Dynamik […] (Weichert, 2008, S. 84).
Obwohl die Lernsituationen von Wocken übertragen auf den Sportunterricht aber auch das System von Bewegungsbeziehungen von Weichert bereits konkrete Anknüpfungspunkte für die Planung und Analyse von inklusivem Sportunterricht bieten, kommen Handlungsstrategien auf der eigentlichen Unterrichtsebene relativ kurz, obgleich Weichert in seinen Ausführungen bereits einige praktische Strategien offenbart.
Im Sinne einer Erweiterung des TREE Modells, welches Ansatzpunkte für solche Strategien beschreibt, versucht das „6+1-Modell eines adaptiven Sportunterrichts“ die so zentrale Haltung der Lehrperson stärker in den Mittelpunkt zu rücken (vgl. Tiemann, 2013). Um die Sportlehrkraft herum sind die sechs Felder der Modifikationen positioniert. Die Pfeile zwischen den Feldern der Modifikationen und der Lehrkraft betonen die Prozesshaftigkeit des adaptiven Handelns der Lehrkraft im Sportunterricht. Anpassungen an die jeweiligen Lerngruppen sind sehr individuell. Ob die Passung zwischen dem adaptiven Bewegungs- und Sportangebot und den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen gegeben und stimmig ist, muss immer wieder aufs Neue geprüft werden und gegebenenfalls neu hergestellt werden (vgl. ebd.).


Abb. 2: „6+1-Modell eines adaptiven Sportunterrichts“
Hinsichtlich der inhaltlich-organisatorischen Ebene reichen Lernsituationen und Modifikationsmodelle allerdings nicht aus um Sportunterricht inklusiv zu gestalten. Eine Differenzierung in die folgenden vier verschiedene Aktivitätstypen kann für diesen Zweck eine Struktur bieten.

Unter offenen Aktivitäten sind offene Bewegungsangebote zu verstehen. Normierte Vorgaben, wie die Aktivität ausgeführt werden sollte, gibt es nicht. Typisch für diese Kategorie ist dagegen eine große Entscheidungsfreiheit, die den Akteuren ermöglicht wird, unter anderem in Bezug auf Bewegungsausführungen, Materialnutzung und Sozialformen. Beispiele für offene Aktivitäten sind Bewegungsbaustellen oder Inhalte aus der Psychomotorik.

Diese Kategorie umfasst Aktivitäten, die in Form von Bewegungs- und Sportspielen miteinander stattfinden. Um eine gleichberechtigte Teilhabe aller zu ermöglichen, müssen die Spiele an die Bedürfnisse der Akteure angepasst werden. Aufgrund des den Bewegungsspielen typischen Variantenreichtums und der großen Flexibilität des Regelwerks sind diese relativ leicht anzupassen.  Doch auch Spiele, mit denen spezifische Vorgaben verbunden werden, können mithilfe von Anpassungen zum Beispiel der Spielregeln so modifiziert werden, dass alle gemeinsam an der gleichen Aktivität teilnehmen können. So kann Fußball, Basketball, Hockey, aber auch andere Spiele unter anderem über Zonierungen so verändert werden, dass ein gemeinsames Spiel für alle Kinder einer Klasse möglich wird. Zu diesem Aktivitätstyp gehören aber auch Spiel- und Bewegungsangebote, die aus unterschiedlichen Bewegungskulturen, z. B. dem Behindertensport, stammen. Dazu gehört zum Beispiel Blindenfußball, bei dem im Rahmen der Anpassungen den sehenden Teilnehmenden die Augen verbunden werden.

Einerseits können individualsportliche Angebote der Kategorie der angepassten, parallelen Aktivitäten zugerechnet werden. Mithilfe von Modifikationen erhalten die Lernenden differenzierte Angebote. Andererseits können diese Sport- und Bewegungsangebote in parallelen, voneinander unabhängig agierenden, relativ homogenen Gruppen stattfinden. In manchen Gruppen können Modifikationen vorgenommen werden, in anderen sind diese nicht notwendig. Auch können in unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Modifikationen von Bedeutung sein. Angepasste, parallele Aktivitäten finden beispielsweise auf drei parallelen Spielfeldern statt, auf denen zum Teil modifizierte und zum Teil nicht modifizierte Fußballvarianten gespielt werden. Des Weiteren können unterschiedliche Inhalte parallel stattfinden, denen sich Schülerinnen und Schüler möglicherweise selbst zuordnen

Unter diesen Aktivitäten werden Sport- und Bewegungsangebote verstanden, die von ihrer ursprünglichen Spiel- oder Bewegungsidee beispielweise in Bezug auf Spielregeln und Material allen Teilnehmenden der jeweiligen Gruppe die Möglichkeit eröffnen, ohne Modifikationen oder mit nur ganz geringfügigen Veränderungen an der Aktivität teilzuhaben. Beispielsweise könnte in einer Gruppe, in der sich auch Kinder befinden, die deutlich langsamer laufen als die meisten anderen Kinder die Wahl des Spiels Rollbrettball, einem Zielschussspiel, bei dem sich alle Spieler auf dem Rollbrett fortbewegen, sicherstellen, dass alle am Spiel gleichberechtigt teilnehmen können.
Die genannten Aktivitäten gehen von der Vielfalt der Lernenden aus. Im Gegensatz zum Inclusion Spectrum steht dabei nicht die Kategorie Behinderung im Vordergrund. Aus diesem Grund wird in diesem Zusammenhang auf den Aktivitätstyp „Behindertensport“ (im Inclusion Spectrum „disability sport“) verzichtet und solche Aktivitäten dem „angepasst-gemeinsamen“ Aktivitätstyp zugeordnet. Durch diese Denkweise rücken so auch Spiel-, Sport- und Bewegungsaktivitäten zum Beispiel aus anderen Kulturkreisen stärker in den Fokus. Seperate Aktivitäten (im Inclusion Spectrum „Separate activity”), im Sinne von Aktivitäten, die für einzelne Kinder außerhalb des Sportunterrichts stattfinden, erschweren den Prozess des gegenseitigen Kennenlernens und Wertschätzens der Schülerinnen und  Schüler untereinander und sind unter der Prämisse von Gleichheit und Differenz nicht stimmig. Eine differenzierte Förderung Einzelner kann in „angepasst-parallelen Aktivitäten stattfinden. Die Begrifflichkeiten „angepasste gemeinsame“ Aktivität und „angepasst parallele“ Aktivität ähnelt den Termini „modified acitivty“ und „parallel activity“ bei Black und Stevenson (2012). Die „open activity“ des Inclusion Spectrums entspricht dem „umfassenden Aktivitätstyp“. Der „offene Aktivitätstyp“ stellt einen im Inclusion Spectrum nicht herausgearbeiteten Aspekt heraus: Modifikationen sind den offenen Aufgabenstellungen immanent. Ausgangpunkt ist also die Entwicklung von Spiel – und Bewegungsformen, die nicht modifiziert werden müssen, da sie von den Akteuren selbst im Entwicklungsprozess bereits angepasst werden.
Aktivitätstypen, Lernsituationen und Modifikationen hängen eng miteinander zusammen. In welcher Weise sie miteinander verknüpft sind bildet das „Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht“ ab (vgl. Tiemann, 2015c).

3.1 Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht

Der erste Ansatzpunkt für die Gestaltung eines inklusiven Sportunterrichts, ist die Frage nach dem der jeweiligen Zielsetzung des Unterrichts angemessenen „Aktivitätstyp“, für den bestimmte Lernsituationen charakteristisch sind. Modifikationen spielen bei den verschiedenen Aktivitätstypen eine unterschiedliche Rolle.
Im „Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht“ bilden sich Gleichheit und Differenz in der Verknüpfung von Aktivitätstypen und Lernsituationen ab. Es können jedoch nicht alle Lernsituationen mit allen Aktivitätstypen verbunden werden: Bei einer angepasst-gemeinsamen Aktivität zum Beispiel ist das gemeinsame Tun, ist also die Beziehungsebene von Bedeutung, sodass sich eine koexistente Lernsituation ausschießt. Im Gegensatz dazu rücken bei einer parallelen Aktivität koexistente Lernsituationen in den Vordergrund. Dies ist bei individuell durchgeführten Aktivitäten zutreffend, bei denen die Beziehungsebene nachgeordnet ist. Handelt es sich um parallel stattfindende Gruppenaktivitäten können innerhalb dieser Gruppen allerdings durchaus subsidiäre und/oder kooperative Lernsituationen stattfinden. Über die inhaltsbezogene Entscheidung für einzelne Aktivitätstypen kann also auch die Balance von Gleichheit und Differenz gesteuert werden. Modifikationen, für deren Strukturierung das TREE-, CHANGE IT- oder 6+1-Modell herangezogen werden können, sind abhängig von den Aktivitätstypen.
Die Zielsetzungen des Sportunterrichts können zum Teil in verschiedene Aktivitätstypen oder nur in einem spezifischen eingebettet werden. Soll die Zielsetzung im Rahmen eins offenen Aktivitätstyps erreicht werden, ermöglichen die offenen Bewegungsangebote sowohl kooperative, koexistente als auch subsidiäre Lernsituationen. Sind Kinder beispielsweise mit dem Bauen von Rollbrettfahrzeugen beschäftigt, kann es dazu kommen, dass einzelne Kinder ganz allein ihr Fahrzeug bauen. Andere überlegen sich ein Bauprojekt, welches sie nur zusammen bewältigen können. Es kann aber auch passieren, dass einzelne Kinder andere unterstützen und dabei kurz oder auch länger ihre eigenen Ziele aus den Augen verlieren.
Modifikationen sind offenen Aufgabenstellungen in der Weise immanent, dass sie bei der Entwicklung von Spielen und Bewegungsaktivitäten von den Akteuren meist von Anfang an mitgedacht werden. Oft gibt es kein festes Arrangement, kein festes Regelwerk, was nachträglich an die Individuen angepasst werden müsste. Die Unterschiedlichkeit wird von Schülern selbst berücksichtigt.
Wird eine angepasste gemeinsame Aktivität gewählt, zum Beispiel Zonenbasketball, steht eine kooperative – häufig die komplementäre – Lernsituation im Zentrum der Aktivität. Die Modifikationen in Bezug auf das Regelwerk betreffen alle Kinder beziehungsweise Jugendlichen. Subsidiäre Lernsituationen können initiiert werden, indem es Teil der Spielidee ist, dass Lernende sich gegenseitig unterstützen. Als ein Beispiel für eine solche Situation kann eine Variante angeführt werden, Blindenfußball in einem inklusiven Setting einzuführen. Da es zunächst eine sehr große Herausforderung darstellt, sich blind im Raum zu bewegen und zu orientieren, ist es hilfreich, am Anfang in Teams zu spielen. Das heißt, dass ein sehendes Kind ein nicht sehendes Kind führt. Der Ball darf aber nur von dem nicht sehenden Kind gespielt werden.
Mit Blick auf Individualsportarten sind koexistente Situationen für angepasste parallele Aktivitäten von zentraler Bedeutung. Während Schülerinnen und Schüler, darunter eine Schülerin, die sich im Rollstuhl fortbewegt auf dem Sportplatz mit Aufgaben zum Kugelstoßen beschäftigt ist, ist eine andere Gruppe ohne Mitschülerin oder Mitschüler im Rollstuhl, beim Hochsprung. Ein weiteres Beispiel sind in Bezug auf ihre Spielstärke ungefähr homogene Partner beim Tischtennis. Die „Parallelität“ kann sich an ganz wechselnden Kategorien festmachen: sie kann sich beispielsweise über die Interessenslage der Lernenden definieren oder über deren Lernstand, ebenso aber auch über bestimmte individuelle Möglichkeiten und Grenzen. Modifikationen können sich auf alle, aber auch nur auf Teilgruppen beziehen. Sie sind individuell auf einzelne Gruppen bezogen.
Umschließende Aktivitäten benötigen keine oder kaum Modifikationen. Bezogen auf die spezifische Lerngruppe, kann das Angebot in seiner ursprünglichen Version beibehalten werden, da es den sport- und bewegungsspezifischen Potenzialen der Gruppenmitglieder entspricht. Alle Lernsituationen können Anwendung finden. Möglich wäre zum Beispiel das oben bereits erwähnte, in zwei Teams gespielte Zielschussspiel Rollbrettball in der Variante, in der jedes Teammitglied auf einem Brett alleine agiert (komplementäre Lernsituation). In der anderen Variante wird mit einem Partner gespielt, der hinter dem Kind auf dem Rollbrett steht und schiebt. Der Ball darf nur von dem Kind auf dem Rollbrett gespielt werden (subsidiäre Lernsituation) (vgl. Tiemann, 2015c).


Abb. 3 Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht (Tiemann, 2015c)
Aus einem anderen Blickwinkel, aber ähnlich wie das Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht,  versucht ein weiteres Modell im Sinne einer besseren Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der unterschiedlichen Ansätze und Modelle diese zusammenzubringen und zu strukturieren.

3.2 Drei Ebenen Modell der Unterrichtsentwicklung inklusiven Sportunterrichts

Das Model von Friedrich und Scheid (2015) trägt dazu bei, die in den letzten Jahren publizierten und im Fachdiskurs diskutierten Beiträge zu verorten und einen systematischen Überblick über die für die theoretische Fundierung als auch für die praktische Umsetzung bedeutsamen Perspektiven zu generieren. Im Sinne der didaktischen Konkretisierung unterscheidet das Modell in eine allgemeine Ziel-Ebene, eine mittlere Konstrukt-Ebene und eine konkrete Unterrichtsebene (vgl. Scheid & Friedrich, 2015, S. 41)

Abb. 4 Drei-Ebenen-Modell der Unterrichtsentwicklung inklusiven Sportunterrichts (Scheid & Friedrich, 2015, S. 41)
Impulse aus der Internationalen Diskussion werden in diesem Modell auf der Konstruktebene sichtbar. Auf dieser Ebene verorten sich zum Beispiel Modelle wie das Inclusion Spectrum, aber auch das STEP, TREE oder CHANGE IT Modell.

4. Zusammenhänge und der Versuch einer Systematisierung

Die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Ansätze und Modelle werden im aktuellen deutschen Fachdiskurs immer wieder diskutiert, grade auch in Bezug auf ihre Relevanz für das Handeln von Sportlehrkräften in inklusiven Settings. Mit Blick auf die Modelle der Anpassungen werden z.B. unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aber auch Überschneidungen deutlich. Zum Teil sind sie eingebunden in Konzepte größerer Reichweite wie beispielweise dem Universal Design. Unterschiede werden besonders dann sichtbar wenn geprüft wird, welches Inklusionsverständnis den Ansätzen zugrunde liegt. Während das Universal Design konsequent von der Unterschiedlichkeit aller Individuen ausgeht und dabei keine Differenzkategorie herausstellt, also eine nicht an Kategorien festhaltende Sichtweise auf Inklusion reflektiert, steht im Fachgebiet Adapted Physical Activity die Kategorie Behinderung bis heute im Vordergrund. Und obwohl bereits Reid (2003, S. 20) ein zeitgemäßes Verständnis von Adapted Physial Activity unter anderem als „[…] a philosophy and attitude of acceptance of diversity“ und einen „focus on inidivual differences“ betont, definiert der Dachverband IFAPA wie oben aufgezeigt Adapted Physical Activity (APA) bis heute auch über die Kategorie Behinderung. In diesem Kontext fällt auf, dass bei der offiziellen Definition durch den Dachverband die Akzeptanz und nicht die Wertschätzung von Unterschiedlichkeit betont wird: „It is a service delivery profession and an academic field of study that supports an attitude of acceptance of individual differences“ (IFAPA, 2016). Mit Blick auf die Bedeutung von Wertschätzung des individuellen-Seins, des Anders-Seins als eine wichtige Grundlage für einen gelingenden Inklusionsprozess, gewinnt dieser Aspekt an Gewicht.
In Bezug auf die die vorgestellten Modelle TREE und CHANGE IT aus Australien ist festzuhalten, dass diese auf die Praxis gerichtete Handlungsorientierung bieten. Sie bleiben allerdings auf die konkrete Ebene der Planung von Modifikationen beschränkt, ohne weitere für das Handeln der Lehrkräfte entscheidende Aspekte zu berücksichtigen, wie beispielsweise die im Inklusionsprozess so zentrale Haltung von Lehrkräften. Das Inclusion Spectrum bietet in diesem Zusammenhang bereits eine Erweiterung, da hier die Planung von Anpassungen mit dem STEP Modell mit der Planung der Aktivitätsformen verknüpft wird. Weitere Aspekte werden nicht in das Modell aufgenommen. Die deutschen Modelle (das „Drei-Ebenen-Modell der Unterrichtsentwicklung inklusiven Sportunterrichts“ von Friedrich & Scheid, 2015 und das „Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht“ von Tiemann, 2015c) sind dagegen bemüht, verschiedene Planungsebenen miteinander zu verbinden. Sie zeichnen auf diese Weise ein umfassenderes Bild der für eine Unterrichtsplanung in inklusiven Settings notwendigen Faktoren. Trotzdem bleiben bestimmte Grundsätze inklusiven Unterrichts auch hier unberücksichtigt
Als Konsequenz daraus müssen sie weiterentwickelt werden, um Lehrkräfte auf ihrem Weg zu einem inklusiven Sportunterricht unterstützen. Das im Folgenden erläuterte Modell „Sportunterricht Inklusiv“ (siehe Abbildung 5), dass das Planen und Unterrichten in inklusiven Settings in den Mittelpunkt stellt, versucht diese Kritik aufzugreifen und konstruktiv darauf zu reagieren.

Abb. 5 Modell „Sportunterricht Inklusiv“
Ausgangspunkt des Modells und aller Überlegungen ist eine wertschätzende Haltung der im pädagogischen Setting Agierenden gegenüber dem Anders-Sein von Menschen. Eine solche Haltung basiert auf einer der Pädagogik der Anerkennung verpflichteten Grundidee. Eine „gefestigte Haltung gegenseitiger Achtung, ein eingeübter Respekt vor der Autonomie, dem Eigenwert und der anerkennungswürdigen Andersheit der Anderen und des Anderen“ (Hafeneger, 2013, S. 55) wird in diesem Kontext als ethisches Grundproblem pädagogischen Handelns in den Vordergrund gerückt. Es geht um die „soziale Achtung und Wertschätzung sowie Respekt vor einer Person in ihrem Gewordensein, mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten“, die als eine kognitive und moralische Herausforderung gesehen wird (ebd.).
Aus der pädagogischen Prämisse der Anerkennung leitet sich einerseits eine Fokussierung der Potentiale der Lernenden ab. Unterschiede wertzuschätzen heißt, diese als Potentiale zu sehen, an denen didaktisch angeknüpft werden kann. Andererseits geht davon auch eine Diversitätssensibilität aus. Die Anerkennung von Anders-Sein bedeutet einen Blick – hier der Lehrkraft auf das Individuum in seiner Besonderheit – einen Blick der generalisierende Zuschreibungen gegenüber Schülerinnen und Schülern in Bezug auf Differenzkategorien zum Beispiel Geschlecht oder Behinderung ausschließt. Kategorienbezogene Zuschreibungen, die sowohl von Sportlehrkräften oder von den Lernenden ausgehen können, manifestieren und verfestigen Stereotype, die einen Inklusionsprozess erschweren.[3]
Aus der Anerkennung von Lernenden in ihrem „Gewordensein“ (ebd.) kann des Weiteren die Forderung nach der Berücksichtigung von Gleichheit und Differenz im Unterricht geschlussfolgert werden. Differenz wird nicht als Ungleichheit hierarchisch angeordnet verstanden, sondern anerkennungstheoretisch als gleichberechtigte - Gleichbehandlung fordernde Positionen (vgl. Budde, 2015, S. 23f.). „Für die Gestaltung von Anerkennungsverhältnissen in der Schule bedeutet das, dass sie die Gleichheit und Verschiedenheit ihrer Schülerinnen und Schüler zugleich anerkennen muss“ (Neuber & Gebken, 2009, S. 10). Im Rahmen des Sportunterrichts können sich, wie im Handlungsmodell Inklusiver Sportunterricht erläutert, Gleichheit und Differenz in der Verknüpfung von Aktivitätstypen und Lernsituationen und Modifikationen abbilden. Für die Strukturierung der Modifikationen, die abhängig von den Aktivitätstypen von Bedeutung sind, können das TREE-, CHANGE IT- oder 6+1-Modell herangezogen werden.
Das gesamte planerische Handeln und die Durchführung von Sportunterricht, aber auch Faktoren wie zum Beispiel die eigenen Einstellungen müssen von den Lehrkräften kontinuierlich reflektiert werden. Den Reflektionen kommt eine große Bedeutung zu: Soll keine Schülerin und kein Schüler ausgeschlossen werden, müssen Teilhabeprozesse, -chancen aber auch -risiken von den Lehrkräften kontinuierlich reflektiert werden. Die gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern durchgeführten Reflektionen bilden die Basis für die darauf bezogenen Reaktionen beziehungsweise nötigen Veränderungen beispielsweise der Unterrichtsmethoden. Ziemen (2014), die den Begriff der „Reflexiven Didaktik“ prägt, benennt vier Reflexionsebenen:
• Ebene der Schülerinnen und Schüler (z. B. Vorwissen, Erfahrungen, Motive, Interessen, soziale und persönliche Situation)
• Ebene der Sache/des Lerngegenstandes (z. B. Komplexität des Lerngegenstandes, Relevanz in Curricula)
• Ebene der Institution Schule und Schulsystem (z. B. Schulkonzept, personelle, bauliche, zeitliche Rahmenbedingungen)
• Ebene der Lehrperson/Teams (z.B. Einstellungen zu Schülerinnen und Schülern, Kenntnisse und Fähigkeiten, Theorien, Erklärungen und Zugänge, ungeklärte Fragen)

Das Model „Sportunterricht Inklusiv“ versucht eine Zusammenführung und Systematisierung unterschiedlicher Perspektiven, Ansätze und Modelle. Es soll dazu beitragen, angehenden und bereits tätigen Lehrkräften mithilfe dieses Überblicks eine Orientierung zu geben für ihr konkretes unterrichtliches Handeln in inklusiven Settings. Auf darüber hinaus notwendige strukturelle Entwicklungen wird in diesem Zusammenhang nicht eingegangen, da sie den Rahmen dieses Beitrages sprengen würden. Strukturelle Entwicklungen unter Berücksichtigung methodisch-didaktischer Diskurse zum Thema darzulegen und zu diskutieren, wäre jedoch eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.

5. Literatur

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[1] Diese Einschätzung bestätigt sich u.a. in den „Abschließende[n] Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands“ des UN Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN, 2015). Als ein Problembereich bei der Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention wird das segregierende Schulsystem identifiziert. „Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass der Großteil der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in dem Bildungssystem des Vertragsstaats segregierte Förderschulen besucht“ (UN, 2015, S.11). Er empfiehlt deswegen, „im Interesse der Inklusion das segregierte Schulwesen zurückzubauen“ (UN, 2015, S.11).

 

[2] In Australien liegt diesem Begriff ein Verständnis zugrunde, welches von dem in Deutschland abweicht.

[3] Dazu ausführlicher bei Tiemann (2015a).