Abstract: Das Prinzip der Mehrperspektivität gilt mehr oder weniger bundesweit seit einigen Jahren als Kernelement eines zeitgemäßen Schulsports. Auch wird im aktuellen sportdidaktischen Inklusionsdiskurs nicht selten darauf verwiesen, dass eben dieses Prinzip für das Anliegen eines inklusiven Unterrichts äußerst gewinnbringend sei. Allerdings wurde dieser Annahme bislang kaum systematisch vertieft und theoretisch fundiert nachgegangen. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der vorliegende Beitrag in einem ersten Schritt der Frage an, inwiefern das Prinzip der Mehrperspektivität im Kontext von inklusivem Sportunterricht gewinnbringende Möglichkeiten bietet, einer zunehmend vielfältigen Schülerschaft in ihrer jeweiligen Individualität gerecht zu werden. Da die Idee der Mehrperspektivität ursprünglich nicht aus der Sportdidaktik stammt, sondern gewissermaßen aus der Fachdidaktik für den Sachkundeunterricht importiert wurde, liegt des Weiteren die Vermutung nahe, dass dieses in der Sportdidaktik so prominent diskutierte Prinzip auch in übergeordneter Weise sinnvoll und damit ebenso für andere Fächer bezüglich inklusiven Unterrichts relevant sein könnte. Insofern verfolgt der Beitrag in einem zweiten Schritt das Anliegen, aus einer sportpädagogischen Perspektive heraus Möglichkeiten eines Transfers in andere Fächer bzw. ein Anknüpfen an bereits bestehende Ansätze aufzuzeigen; der Fokus liegt dabei primär auf inklusivem Unterricht.
Stichwörter: Mehrperspektivität; Unterricht; Inklusion; Schulsport; Sportpädagogik; Erziehungswissenschaft
Inhaltsverzeichnis
Die Idee eines mehrperspektivischen Unterrichts wird in der allgemeinen Didaktik seit den 1970er-Jahren (z.B. Hiller, 1973) immer wieder als gewinnbringend diskutiert und ebenso vielfältig in diverse Fachdidaktiken „importiert“. Mehrperspektivität gilt mitunter als essentielles Unterrichtsprinzip, dem eine „substantielle Bedeutung für die Gestaltung und Durchführung von Unterricht“ beigemessen wird (Duncker, 2005, S. 10). Zentral ist dabei ein Sichtbarmachen unterschiedlicher Perspektiven von Wirklichkeit, um auf diese Weise einen (Fach-)Gegenstand differenzierter beurteilen und ebenso die eigene Perspektive oder auch Weltdeutung besser wahrnehmen zu können.
Gerade in einer sich als inklusiv verstehenden Gesellschaft scheint ein solcher Perspektivenpluralismus von besonderer Bedeutung zu sein, wird dadurch doch explizit ermöglicht, individuell unterschiedliche Sichtweisen auf Welt zu erkennen – Welt zu erzeugen (Goodman, 1990). Mit Blick auf Unterricht fällt an dieser Stelle eine Nähe zur konstruktivistisch orientierten, inklusiven Didaktik (Reich, 2014) ins Auge, pointiert diese doch ausdrücklich demokratische Aushandlungsprozesse (ebd., S. 103ff.) im Sinne einer „Pädagogik der Verständigung“ (ebd., S. 146), in denen unterschiedlichste individuelle Sichtweisen auf Unterricht und seinen Gegenstand zum Tragen kommen:
„Eine inklusive Schule will, dass alle Lernenden zu möglichst optimalen Qualifikationen und exzellenten Leistungen und Entwicklungsfortschritten in emotionaler, sozialer, kognitiver, körperlicher und jeglicher Art, die ihnen zu einem Mehr an Chancen verhilft, kommen können, ohne sie deshalb immer sogleich mit einem irrealen Normbild von Durchschnitten oder idealen Entwicklungen messen und bestimmen zu müssen. Zu verstehen, dass eine solche Sicht die Bildungsansprüche aller Menschen erweitern kann, das gehört zum demokratischen Weltbild der Inklusion“ (ebd., S. 107).
Somit lässt sich eine gewisse Kompatibilität zwischen dem Unterrichtsprinzip Mehrperspektivität und Ansprüchen einer solchen inklusiven Didaktik vermuten. Der Frage ob und wenn ja, auf welche Weise diese tatsächlich gegeben ist, wird in den folgenden Ausführungen – aus einer sportpädagogischen Perspektive – nachgegangen.
Im sportpädagogischen Diskurs wurde und wird das Prinzip der Mehrperspektivität seit den 1970er Jahren in herausragender Weise verhandelt und gilt bis heute als pädagogischer Kern eines zeitgemäßen Sportunterrichts (Stibbe, 2013) – wenn auch je nach Autorschaft anders konnotiert. Mehrperspektivität ist insofern zwar weithin akzeptiert, wird im Detail jedoch ebenso unterschiedlich aufgefasst, weshalb dieser Beitrag in einem ersten Zugriff versucht, diese konzeptionelle Vielfalt zu systematisieren (Absatz 2). Dies scheint aktuell umso dringlicher, da Mehrperspektivität im Diskurs um inklusiven Sportunterricht (vgl. hierzu u.a. Giese & Weigelt, 2016; Scheid & Friedrich, 2015; Tiemann, 2015) oftmals als gewinnbringend angenommen wird. Eine theoretische Begründung dieser Annahme, respektive Erörterung, von welcher sportpädagogischen Auslegung jeweils die Rede ist, fehlt jedoch weitestgehend. Damit bleibt auch die pädagogische Legitimation dieser Annahme bislang unklar, was mindestens langfristig als pädagogisch dysfunktional angesehen werden muss.[1] Insofern wird in einem weiteren Schritt nach fundierten und konkret benannten Potenzialen einer mehrperspektivischen Auslegung von Sportunterricht für inklusiven Unterricht gesucht (Absatz 3). Auf dieser Basis wird schließlich mögliches Potenzial von Mehrperspektivität in inklusivem Unterricht über den Schulsport hinaus skizziert (Absatz 4). Idealerweise ließe sich auf diesem Wege aus mehrperspektivischen Überlegungen zum Schulsport Profit für weitere Fächer generieren wie auch anders herum.
Im sportpädagogischen Diskurs gilt Mehrperspektivität seit mehr als einer Dekade als Kernelement eines zeitgemäßen, erziehenden Sportunterrichts (Stibbe, 2013) und kann zweifellos als etabliertes, zentrales Unterrichtsprinzip bezeichnet werden. Gleichwohl existieren hier durchaus verschiedene Auffassungen darüber, was unter Mehrperspektivität zu verstehen und wie sie in den Unterricht einzubringen sei. Bereits in den 1970er Jahren wurde das Prinzip von Ehni (1977) und Kurz (1977) prominent in die Fachdidaktik eingebracht und erfuhr seitdem verschiedene Interpretationen. Um markante Unterschiede zu verdeutlichen, soll im Folgenden kurz auf vier exemplarisch ausgewählte Auslegungen eingegangen werden. Die Darstellung beschränkt sich dabei bewusst auf vier, zweifellos viel rezipierte und von den Autoren als zentral erachtete Positionen, wohlwissend, dass diese Auswahl in gewisser Hinsicht subjektiv und selektiv ist.
Die erste Position ist der Ansatz Ehnis (1977) zur Mehrperspektivität im Sportunterricht. Innovativ an Ehnis Überlegungen ist, dass ihr Ausgangspunkt nicht in originär sportpädagogischen Aspekten liegt, sondern in den – teilweise allgemeindidaktischen, teilweise auf bestimmte Fächer bezogenen – Arbeiten Giels und anderer (u.a. Giel, Hiller, & Krämer, 1974; Giel, 1975). Jene betonen vor allem die pädagogische und didaktische Relevanz der Alltagswirklichkeit von Kindern, die einerseits einen günstigen didaktischen Ausgangspunkt darstelle, da sie jeweils als sinnvoll und vollständig wahrgenommen werde, wobei andererseits jedoch „in ihrer fraglosen und intersubjektiven Gültigkeit [...] die prinzipielle Freiheit des Menschen immer schon aufgehoben“ sei (Ehni, 1977, S. 107). Vor diesem Hintergrund betont nun Ehni die „Zeige‑ und Deutungsfunktion“, die schulischem Sportunterricht zukomme, um die „‚Mache‘ sportlicher Wirklichkeit zur Diskussion“ zu stellen (ebd., S. 109). Grundsätzlich geht Ehnis fachdidaktischer Ansatz dabei von der Annahme aus, dass es keinen allgemeingültigen, abstrakten Sinn des sportlichen Handelns geben könne, sondern der Sinn sowie das Wesen des Sports sich immer erst in der Interpretation der für die Handlung repräsentativen Medien und Zeichen vollziehe (ebd., S. 55f.). Im Zusammenhang mit einer von ihm stark gemachten „allgemeinen Handlungsfähigkeit“ ist Ehni entsprechend daran gelegen, „blindes Handeln“ aufzudecken und auf seinen Sinn hin zu befragen (ebd., S. 107f.):
„Verpflichtet auf die Dimension der allgemeinen Handlungsfähigkeit wird die Schule zur Deutungsanstalt, die die gesellschaftliche Wirklichkeit nach ihren realen und möglichen Bedeutungs‑ und Sinndimensionen in einem mehrperspektivischen Unterricht zur Darstellung bringen will“ (ebd., S. 108).
Ehnis Überlegungen zielen damit auf die individuelle Konstruktion von Sinn im (sportlichen) Handeln, wobei die Schülerinnen und Schüler sich ausgehend von ihrer sportlichen Alltagswirklichkeit individuelle Sinnperspektiven im Unterricht erschließen. Der Gegenstand (Sport) ist also nicht a priori oder unisono von extern her definiert – wenngleich zunächst durch die subjektiven Alltagswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler individuell beschränkt –, sondern soll aus den Perspektiven der Lernenden heraus im Prozess des mehrperspektivischen Unterrichts bewusst aufgebrochen und erweitert werden.
Als Hauptvertreter der zweiten vorgestellten Position gilt Kurz (1977), der sich nahezu zeitgleich mit Ehni ebenfalls mit der Sinnfrage beschäftigt.[2] Er knüpft an die traditionelle bildungstheoretisch orientierte Didaktik der Leibeserziehung (z.B. Schmitz, 1967) an und die hier verhandelte Beziehung zwischen Sinn und Handeln (in der Übung). Allerdings erweitert er diesen Ansatz, indem er betont, dass sich nicht unmittelbar mit dem Vollzug bestimmter Leibesübungen ein jeweils vordefinierter Sinn vollziehe, sondern „äußerlich gleiche oder ähnliche Handlungsvollzüge von den Handelnden mit unterschiedlichem Sinn belegt werden können“ (Kurz, 1977, S. 86). Unter Bezugnahme auf empirische Befunde aus der Motivationspsychologie (vgl. Kenyon, 1968) schlägt Kurz (vgl. 1977, S. 88ff.) nun sechs „Sinnrichtungen“ des Sports vor (Leistung, Ausdruck, Eindruck, Gesundheit, Anschluss und Spiel) und legt damit den Grundstein für seine nachhaltige Beschäftigung mit dem Sinn sportlichen Handelns (vgl. u.a. 1977, 1995, 2013).[3] Im Gegensatz zu Ehni orientiert sich Kurz in seinem sportdidaktischen Konzept – das als „pragmatische Fachdidaktik“ die 1980er und die erste Hälfte der 1990er Jahre maßgeblich prägt – explizit am außerschulischen Sport als Faktum: „Sport in der Schule wird mit dem Blick auf den Sport außerhalb von ihr konzipiert; er gewinnt seine Elemente aus ihm und bereitet auf ihn vor“ (1977, S. 59). Die Sachorientierung (an der Sache des Sports) wird dabei durch den Einbezug der Frage nach dem Sinn sportlicher Handlungen jedoch in gewisser Hinsicht irritiert, respektive relativiert. Die Möglichkeit unterschiedlicher Sinnzuschreibungen zu sportlichen Handlungen werde schließlich nicht zuletzt auch in den verschiedenen Ausrichtungen des sich zunehmend verändernden und ausdifferenzierenden Sports erkennbar (z.B. Leistungssport, Breitensport, Gesundheitssport etc.). Damit erkennt Kurz an, dass das Handlungsfeld des außerschulischen Sports – u.a. aufgrund seiner Vielfältigkeit – durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Gleichwohl begreift er den außerschulischen Sport als ein zumindest temporär definierbares Gebilde, an dem sich der Schulsport zu orientieren habe, um die Schülerinnen und Schüler handlungsfähig für eine (lebenslange) Teilnahme an eben jenem Sport zu machen. Die mehrperspektivische Betrachtung richtet sich in der pragmatischen Fachdidaktik entsprechend auf Bewegungshandlungen, die im Feld des außerschulischen Sports üblicherweise vollzogen werden. Ziel ist, dass die Lernenden (als zum Sport zu erziehende Subjekte) in sportiven Handlungen und im Rahmen der vorgegebenen Perspektiven individuellen Sinn finden – demnach wird Sinn hier nicht wie bei Ehni individuell konstruiert, sondern in Sinnzusammenhängen gefunden, die als tendenziell bestehend bzw. als entdeckbar angenommenen werden.
Als weiterer markanter Meilenstein im sportdidaktischen Diskurs um Mehrperspektivität als Unterrichtsprinzip – und für unseren Argumentationsgang dritte Position – kann die Lehrplanrevision in Nordrhein-Westfalen um die Jahrtausendwende angesehen werden (vgl. Stibbe, 2000).[4] Mit dem Konzept des erziehenden Sportunterrichts und dessen erheblicher fachdidaktischer Rezeption prägen die hier entstandenen Lehrpläne auch aktuell noch die gängige Vorstellung eines zeitgemäßen Sportunterrichts (vgl. Stibbe, 2013).[5] Mehrperspektivität gilt dabei gewissermaßen als „Kern der pädagogischen Konzeption“ (Stibbe, 2000, S. 215). In der Tradition von Kurz geht auch der erziehende Sportunterricht von sechs Perspektiven aus, nun als pädagogische Perspektiven betitelt: (1) „Wahrnehmungsfähigkeit verbessern, Bewegungserfahrungen erweitern“, (2) „Sich körperlich ausdrücken, Bewegungen gestalten“, (3) „Etwas wagen und verantworten“, (4) „Das Leisten erfahren, verstehen und einschätzen“, (5) „Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen“ und (6) „Gesundheit fördern, Gesundheitsbewusstsein entwickeln“ (Stibbe, 2000, S. 213). Der Gedanke der Mehrperspektivität erfährt im Gegensatz zur pragmatischen Fachdidaktik jedoch „eine deutliche Erweiterung“ (Stibbe, 2000, S. 215). Intention ist nicht mehr ein Hinzufügen vorgegebener Sinngebungen zu sportlichen Handlungen, sondern es geht vielmehr darum, „das Interesse der Schülerinnen und Schüler an der Vielfalt der menschlichen Bewegungskultur zu wecken und ihnen zu einer individuellen Sinnfindung zu verhelfen“ (Beckers, 2000, S. 90f.).[6] Den pädagogischen Perspektiven kommt in diesem Zusammenhang eine zweifache Aufgabe zu. Erstens „zeigen die einzelnen Perspektiven jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln „die besonderen erzieherischen Möglichkeiten des Faches Sport auf“ (ebd.); das Handlungsfeld Sport wird dabei begriffen als „Spiegel der modernen ausdifferenzierten Gesellschaft“ in dem sich z.B. „Grundformen und ‑probleme des sozialen Miteinander in exemplarischer Verdichtung erfahren“ lassen (MSWWF NRW, 1999, XXXIV). Zweitens setzen die pädagogischen Perspektiven aber auch „an den individuellen Beweggründen an, mit denen viele Kinder und Jugendliche ihr sportliches Handeln verbinden“ (Stibbe, 2000, S. 214f.). Ähnlich zu Kurz' (1977) Ansatz der pragmatischen Fachdidaktik wird in diesem zweiten Aspekt das individuelle Handeln in sportiven Kontexten zum Gegenstand der mehrperspektivischen Betrachtung[7]; jedoch ist das Gegenstandsfeld hier „in einem weiten Sinne gedeutet“ (Stibbe, 2000, S. 213): Der „Gegenstandsbereich des Fachs“ wird „eher offen und flexibel für künftige Entwicklungen ausgelegt“ und die Inhalte des Schulsports anhand von weiter gefassten „Bewegungsfeldern“ (anstelle von Sportarten) geordnet (ebd., S. 216). Im Mittelpunkt des pädagogischen Interesses steht im erziehenden Sportunterricht damit ausdrücklich das Subjekt, das sich die Vielfalt der komplexen Phänomene „Bewegung, Spiel und Sport“ erschließen, darin enthaltene Zusammenhänge sowie Ambivalenzen erkennen und diese reflektieren (können) soll (vgl. Beckers, 2000, S. 90f.). Insbesondere anhand pädagogisch begründeter Perspektiven und deren (in der unterrichtlichen Inszenierung angebahnten) Beziehungen zum individuellen Bewegungshandeln wird eine pädagogische Rahmung hergestellt, deren Ziel es ist, den Lernenden vielfältige subjektive Erfahrungen zu ermöglichen.
Als vierte Position soll auf den Ansatz eines mehrperspektivischen Sportunterrichts nach Balz und Neumann (u.a. Balz 2004; Neumann, 2004; Balz, 2011) eingegangen werden. Ausgehend von der Diskussion zeitgemäßer sportpädagogischer Positionen sowie allgemeinpädagogischer Überlegungen zum erziehenden Unterricht (insbesondere derjenigen Herbarts) entwirft Neumann (2004) einen eigenen Ansatz des erziehenden Sportunterrichts, in dessen Zentrum ebenfalls die Idee der Mehrperspektivität steht. Anders als in der curricularen Konzeption NRWs (s.o.) müsse jedoch eine Auswahl an Perspektiven im jeweiligen spezifischen Kontext des zugrunde gelegten Verständnisses von Sportunterricht geschehen (Neumann, 2004, S. 163). Folgerichtig verzichtet er auf eine genaue Vorgabe bestimmter pädagogischer Perspektiven und schlägt indes vor, eine „Balance zwischen der Geschlossenheit und einer perspektivischen Offenheit“ zu suchen (ebd., S. 166). Entscheidend sei weniger, welche Perspektiven im Unterricht zur Geltung kommen als vielmehr in welcher Weise verschiedene Perspektivierungen vorgenommen werden. Ähnlich macht auch Balz (2004, S. 89) deutlich, dass es weder eine definitive Zahl noch eine feste Ausrichtung der pädagogischen Perspektiven geben sollte. Perspektiven könne man schließlich „nicht einfach vorgeben oder verordnen“, sondern müsse sie „einführen und sich darüber verständigen“ (Balz, 2011, S. 30). Zur Orientierung schlägt er konkrete methodische Prinzipien für einen mehrperspektivischen Sportunterricht vor: „Aufmerksamkeit für potenzielle Perspektiven“, „konsequente Thematisierung verschiedener Perspektiven“ sowie „nachhaltige Kultivierung“ der Perspektiven durch außerunterrichtliche Angebote und fächerübergreifenden Unterricht (vgl. Balz, 2004, S. 89ff.). Perspektiven repräsentieren für Balz dabei „verschiedene und verbreitete Sichtweisen auf unsere Sport- und Bewegungskultur“, in denen „individuelle Sinn- und Handlungsmuster im gesellschaftlichen Feld des Sports“ abgebildet, eingefangen und pädagogisch fokussiert werden sollen (Balz, 2011, S. 28). Vor dem Hintergrund dieser Vorarbeiten stellen Balz und Neumann (2013, S. 152f.) gemeinsam pragmatisch heraus, Mehrperspektivität sei kein starres Programm mit vorgeschriebenen Prinzipien, sondern vielmehr ein fachdidaktisches Prinzip, das zwar sechs bewährte Perspektiven (die des erziehenden Sportunterrichts; s.o.) fokussiere, sich perspektivischen Veränderungen bzw. Erweiterungen jedoch nicht verschließe (vgl. auch Balz & Neumann, 2015).
Im sportpädagogischen Diskurs um Inklusion finden sich nun mehrfach Verweise darauf, dass Mehrperspektivität als Unterrichtsprinzip gewinnbringende Ansatzpunkte für inklusiven Schulsport[8] biete. Oftmals wird dieser These allerdings weniger systematisch und theoretisch fundiert nachgegangen, sondern die Aussagen bleiben teilweise eher globaler Natur. Auf einige dieser Verweise soll im Folgenden exemplarisch eingegangen werden, um anschließend – auch anhand der oben dargestellten Unterschiede in den Auslegungen von Mehrperspektivität – genauer zu beleuchten, worin und an welcher Stelle jeweils die benannten Potenziale gesehen werden (können). Die Auswahl der herangezogenen Textstellen bezieht sich auch hier auf die subjektiv wahrgenommene Relevanz im Diskurs (um inklusiven Schulsport).
Wurzel (u.a. 1991; 2008) unterbreitet in ihren Arbeiten – aus einer integrationspädagogischen Sicht kommend – Vorschläge, Mehrperspektivität als Prinzip im gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen zu gebrauchen, um die Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit aller Schülerinnen und Schüler zu fördern. Ausdrücklich verweist sie dabei auf die Chance, das Prinzip der Mehrperspektivität nutzbar zu machen, um lehrplankonformen Unterricht auch im gemeinsamen Unterrichten zu ermöglichen. Als ausdrücklicher Bezugspunkt gelten ihr die (oben skizzierten) richtungsweisenden Lehrpläne NRWs um die Jahrtausendwende (vgl. Wurzel. 2008, S. 127f.). Konkretisierend geht Wurzel (ebd., S. 128ff.) auf die Umsetzung spezifischer sportiver Anliegen im gemeinsamen Sportunterricht ein und nimmt hierbei besonders die individuelle Bedeutung von Sinn im sportiven Handeln in den Blick. So setzt sie sich z.B. mit der Frage auseinander, welchen Sinn es eigentlich für einen blinden Schüler mache einen Speer zu werfen. Als Ausgangspunkt hierfür dienen ihr die Arbeiten von Kurz (u.a. 1977). Auch in einem heterogenen Sportunterricht sollen die Lernenden entsprechend im Rahmen vorgegebener Perspektiven Sinn im individuellen sportlichen Handeln finden – ggf. durch Hinführung oder auch Hilfestellung unterstützt. Auf die besonderen erzieherischen Möglichkeiten des Faches Sport, die im erziehenden Sportunterricht ausdrücklich im Zusammenhang mit Mehrperspektivität hervorgehoben werden (s.o.), geht Wurzel zwar implizit gewissermaßen ein (vgl. 2008, S. 128ff.), gleichwohl lassen ihre Ausführungen erkennen, dass sie auch in ihren neueren Arbeiten eher von Sport als einem gesellschaftlichen Faktum ausgeht, auf das hin die Lernenden vorbereitet werden sollen (angelehnt an die Ausführungen von Kurz).[9] Weniger wird Sport damit als exemplarisches Feld individueller Lernprozesse mit allgemeiner Reichweite betont. Es hat letztlich den Anschein, dass für Wurzel individueller Sinn auf tendenziell bestimmte Weisen auffindbar sein muss und sich meist in „Bahnen“ eines gesellschaftlichen Sports bewegt. Der mögliche Rahmen für demokratische Aushandlungsprozesse, wie sie einem inklusiven Unterricht als zuträglich gelten (Reich, 2014) scheint damit relativ eng gesteckt.
Die Arbeiten Wurzels aufgreifend vertieft Fediuk (2008) den Ansatz, in heterogenen Lerngruppen Sport mehrperspektivisch zu unterrichten und beleuchtet in seiner didaktischen Konzeption sechs konkrete Perspektiven aus integrationspädagogischer Sicht – ebenfalls in Bezugnahme auf die pragmatische Fachdidaktik sowie den erziehenden Sportunterricht (s.o.). Auch ihm geht es dabei vornehmlich um gemeinsamen Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen. Sein ausdrückliches Anliegen ist es, eine ausgewogene Perspektivierung im gemeinsamen Unterricht anzubahnen und einer befürchteten Ungleichverteilung (beispielsweise einer Unterbetonung der Leistungsperspektive) entgegenzuwirken (ebd., S. 129f.).[10] Entsprechend arbeitet er zu allen sechs pädagogischen Perspektiven deren jeweiliges integrationspädagogisches Potenzial heraus. So wird etwa die Leistungsperspektive mit Blick auf diverse Leistungsverständnisse beleuchtet, hinsichtlich Individualisierung und Differenzierung – als zentralen Unterrichtsprinzipien in heterogenen Lerngruppen – konkretisiert und Aspekte sowie Beispiele der praktischen Umsetzung skizziert (vgl. ebd., S. 130ff.). Damit liegt hier eine detaillierte Adaption einer Auslegung von Mehrperspektivität (tendenziell jene des erziehenden Sportunterrichts) hinsichtlich der spezifischen Heterogenitätsdimension „Behinderung“ vor. Ein Gewinn der Mehrperspektivität sieht Fediuk dabei vor allem in der Möglichkeit auf die Vielfalt individueller Interessen einzugehen, eine größere Bandbreite an Fördermöglichkeiten anbieten zu können und eine individuelle Klärung von Sinnfragen bezüglich sportlichen Handelns seitens der Lernenden anzuleiten (ebd., S. 126). Die Ausführungen implizieren damit jedoch, dass jedwede individuelle Vielfalt der Interessen oder der Sinnauslegungen auch durch das angenommene Perspektivenspektrum abgedeckt werden könne, was sich durchaus bezweifeln lässt.
Neben dieser integrationspädagogischen Betonung von Mehrperspektivität als Prinzip für Unterricht in heterogenen Lerngruppen, wird dieser Punkt auch in der „allgemeinen“ Sportpädagogik zunehmend angerissen. So betonen etwa Frohn und Pfitzner (2011, S. 5), ein Schaffen mehrperspektivischer Zugänge ermögliche Lernenden, sich „in ihrer Unterschiedlichkeit und mit ihren individuellen Stärken“ einzubringen und anerkannt zu fühlen.[11] Dies sei einem Sportunterricht in heterogenen Lerngruppen zuträglich – ausdrücklich sind dabei vielfältige Heterogenitätsdimensionen mitgedacht. Ungeklärt bleibt an dieser Stelle jedoch, wie Mehrperspektivität hier konkret interpretiert wird und auf welche Weise dieses Einbringen vonstattengehen sowie das Gefühl der Anerkennung sich einstellen soll.
Mit Blick auf inklusive Lerngruppen – in einem weiten Inklusionsverständnis, das ausdrücklich mehrere Heterogenitätsdimensionen sowie Intersektionalität berücksichtigt – stellt auch Tiemann (2015) für die Fachdidaktik heraus, mehrperspektivischer Sportunterricht gebe „eine methodische Orientierungshilfe“ (ebd., S. 60). Ihr geht es dabei explizit um ein gleichwertiges Entfalten der „pädagogisch bedeutsamen Sinnperspektiven des Sports“ (ebd., S. 60f.). Verschiedene „Zugänge zum Sport und zur Bewegung“ sollen so über „unterschiedliche Sinnzuschreibungen“ kennengelernt und entdeckt werden. Die Sinnperspektiven ermöglichen hierfür eine „Vielfalt an Zugängen zu Bewegungs- und Sportaktivitäten“ (ebd., S. 61) anhand derer auf die individuellen (vielfältigen) Bedürfnisse gut eingegangen werden könne. Ähnlich wie Fediuk hebt Tiemann besonders hervor, dass die Sinnperspektiven gleichrangig gewichtet werden müssen und beispielsweise keine „Überbetonung des sozialen Miteinanders“ (ebd.) vorgenommen werden dürfe. Implizit ist dabei davon auszugehen, dass auch Tiemann von einem festen Kanon an Perspektiven ausgeht – möglicherweise den sechs prominenten pädagogischen Perspektiven des erziehenden Sportunterrichts; eine ausdrückliche Bezugnahme findet sich hier jedoch nicht. Explizit betont sie allerdings die Notwendigkeit, die Inhalte eines inklusiven Sportunterrichts weit zu fassen (ebd., S. 59), was eine Nähe zum Konzept des erziehenden Sportunterrichts vermuten lässt.
Klein, Kurth, Leineweber, Meier & Ruin (2016, S. 41ff.) stellen (ebenfalls basierend auf einem weiten Inklusionsverständnis) grundsätzlich heraus, die im erziehenden Sportunterricht angelegte Erfahrungs‑ und Subjektorientierung (vgl. Beckers, 2000) weise in Richtung eines Verständnisses von Sportunterricht, das durchaus kompatibel sei mit fachdidaktisch formulierten Anforderungen an inklusiven Sportunterricht – beispielsweise Gieses (2015) Forderung, die Bedeutung individueller Welterfahrung zu betonen, um sich der Autonomie des Subjekts zuzuwenden. Ein Anbahnen individueller Welterfahrung werde im erziehenden Sportunterricht schließlich insbesondere über pädagogisch begründete Perspektiven und deren Beziehung zum individuellen Bewegungshandeln hergestellt (Klein et al., S. 42). Zudem biete die Mehrperspektivität als Unterrichtsprinzip (im Sinne des erziehenden Sportunterrichts) für die unterrichtliche Gestaltung gewinnbringende Ansatzpunkte bezüglich des Umgang mit Vielfalt. Unter Verweis auf Wurzel (2008) und Fediuk (2008) wird von Klein et al. hervorgehoben, Perspektivwechsel hielten beispielsweise Möglichkeiten bereit, „Schülerinnen und Schülern diverse Zugänge zum Handlungsfeld Sport zu eröffnen“ (Klein et al., S. 43) – ausdrücklich ausgehend von einem weiten Sportbegriff (ebd.). Konkretisiert werden diese angerissenen Potenziale hier – ähnlich wie bei Tiemann – jedoch nicht weiter.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Prinzip der Mehrperspektivität bei aller Unterschiedlichkeit der angeführten Verweise dabei stets ein gemeinsames Anliegen verfolgt: Ein Einnehmen diverser Blickrichtungen in der Auseinandersetzung mit der eigenen Bewegung und der Sport‑ und Bewegungskultur. Genau dieses Kernanliegen ist es, das die Annahme nahelegt, Mehrperspektivität sei für einen gelingenden Umgang mit Vielfalt besonders gewinnbringend. So kann bis hierhin festgehalten werden, dass die integrationspädagogischen Arbeiten Wurzels (2008) und Fediuks (2008) eine vergleichsweise differenzierte Auseinandersetzung mit Mehrperspektivität als Prinzip für Unterricht in heterogenen Lerngruppen erkennbar machen. Hier werden in der Verknüpfung übergeordneter sportpädagogischer Annahmen und unterrichtspraktischer Gestaltung konkrete Möglichkeiten aufgezeigt, wie das Prinzip ein gewinnbringendes sein kann. Der Fokus liegt dabei jedoch stets auf der Heterogenitätsdimension Behinderung – andere Aspekte wie z.B. ethnokulturelle Unterschiede oder die Genderthematik werden damit nicht explizit berücksichtigt. Zudem greifen diese Arbeiten auf ein Verständnis von Mehrperspektivität zurück, das sich zwar der Auslegung des erziehenden Sportunterrichts verschreibt, dennoch aber an einigen Stellen – vor allem bei Wurzel – eher einer pragmatischen Fachdidaktik verpflichtet zu sein scheint. Problematisch könnte dies werden, wenn es dann darum geht, die Schülerschaft auf einen tendenziell als Faktum begriffenen außerschulischen Sport vorzubereiten. Geht man – wie in diesem Heft an mehrfachen Stellen betont wird – davon aus, dass sich das Feld des außerschulischen Sports im Zuge inklusiver Entwicklungen maßgeblich wandeln muss (und wird), dann erscheinen auch im Sportunterricht weniger statische Auffassungen des mehrperspektivisch zu behandelnden Gegenstandes jedoch deutlich hilfreicher – etwa wie im erziehenden Sportunterricht oder auch bei Ehni (1977) angelegt. Für einen zeitgemäßen inklusiven Sportunterricht im Sinne des oben formulierten Anspruchs gälte es hier demnach, diese integrationspädagogischen Ansätze konstruktiv aufzugreifen, das Gegenstandsverständnis jedoch auszuweiten und andere Heterogenitätsdimensionen mit in den Blick zu nehmen.
In der Sportdidaktik liefern Frohn und Pfitzner (2011) einen ersten (knappen aber gleichwohl wichtigen) übergeordneten sportpädagogischen Verweis auf mögliche Potenziale der Mehrperspektivität als Prinzip für Sportunterricht in heterogenen Gruppen, ohne diese Potenziale jedoch differenziert zu benennen. Die Ausführungen Tiemanns (2015) zu inklusivem Schulsport sind an dieser Stelle etwas weiterführender. Sie betont die Notwendigkeit eines gleichwertigen Entfaltens der pädagogisch bedeutsamen Sinnperspektiven des Sports, um einseitige Gewichtungen (etwa zugunsten einer Leistungsorientierung oder aber sozial- kooperativer Aspekte) zu vermeiden. Dies lässt sich in gewisser Hinsicht als Brücke begreifen zu den differenzierten integrationspädagogischen Konkretisierungen Fediuks (2008). Es sollen verschiedene, gleichberichtigte und damit potenziell auch mehr adäquate Zugänge zu Sport und Bewegung geschaffen werden, um Teilhabechancen zu erhöhen. Ungeklärt bleibt dabei jedoch, welche Auslegung von Mehrperspektivität Tiemann hier zu Grunde legt. Zudem ist offen, ob die sich bietenden Zugänge im angesprochenen Perspektivenspektrum auch tatsächlich solche Perspektiven bereithalten, die für die Schülerschaft in einem inklusiven Sportunterricht sinnstiftend sein können. Dies gälte es noch im Einzelnen zu diskutieren bzw. im Sinne einer „Pädagogik der Verständigung“ (Reich, 2014, S. 146) mit den Lernenden zu verhandeln. Eine Antwort auf diese zweite Frage lassen ebenso Klein et al. (2016) vermissen. Ihr Verdienst ist es aber, zu zeigen, dass ein erfahrungs- und subjektorientierter erziehender Sportunterricht besonders mittels des Prinzips der Mehrperspektivität einen pädagogischen Rahmen schaffen kann, der vielfältige individuelle Erfahrungen ermöglicht und damit den Lernenden „zu einem Mehr an Chancen verhilft“ (Reich, 2014, S. 107) und sie weniger mit „irrealen Normbildern“ abgleicht (ebd.).
Resümierend lässt sich festhalten, dass eine Auslegung von Mehrperspektivität im Sinne des erziehenden Sportunterrichts für inklusiven Sportunterricht sowohl sinnvoll scheint bezüglich der weiten und flexiblen Auffassung des zu behandelnden Gegenstandes als auch hinsichtlich der verfolgten Intention, vielfältige individuelle Erfahrungen unter pädagogisch legitimierten Perspektiven anzubahnen. Auch ist für inklusive Lerngruppen die Tatsache offenbar gewinnbringend, dass hier allenfalls in der unterrichtlichen Inszenierung temporär ein Zusammenhang zwischen einzelnen Perspektiven und dem zu betrachtenden Gegenstand (Bewegungshandlung) vorausgesetzt wird, generell in diesem Punkt aber von einer hohen Flexibilität und Möglichkeit zu Kreativität ausgegangen wird. Problematisch mutet jedoch an, dass das Perspektivenspektrum – gewissermaßen historisch mit der pragmatischen Fachdidaktik gewachsen – auf sechs fest definierte Perspektiven limitiert ist. Fasst man Inklusion generell als ein prozesshaftes Geschehen (Ainscow & Miles, 2009, S. 2) müssten auch an dieser Stelle Spielräume geschaffen werden, einer zunehmend heterogenen Schülerschaft gerecht werden zu können. Äußerst plausibel scheint entsprechend die Kritik von Balz und Neumann (s.o.), dass je nach Lerngruppe auch andere Perspektiven denkbar (und evtl. nötig) seien. Wenngleich diese Kritik nicht vor dem Hintergrund von inklusivem Sportunterricht formuliert ist, so ist die vorgeschlagene potenzielle Öffnung für weitere Perspektiven und ein Verhandeln der Perspektiven mit der konkreten Lerngruppe in einem solchen vermutlich umso gewinnbringender.
Ehnis (1977) Ansatz eines mehrperspektivischen Sportunterrichts, bei dem es maßgeblich um ein individuelles Erschließen bzw. Konstruieren von Wirklichkeit zum Ermöglichen gesellschaftlicher Veränderung geht, wird im sportpädagogischen Diskurs zwar rezipiert, hat sich aber gegen den tendenziellen Mainstream der pragmatischen Fachdidaktik (bis in die 1990er Jahre) und den erziehenden Sportunterricht (seit der Jahrtausendwende) nicht wirklich durchsetzen können.[12] So überrascht es auch nicht, dass die bisherigen Versuche, Mehrperspektivität als Prinzip für inklusiven Sportunterricht stark zu machen, bislang weniger auf diese Auslegung zurückgreifen. Allerdings kann gerade hier in der Wahl der Alltagswirklichkeit der Lernenden als Ausgangspunkt ein besonderer Gewinn für inklusive Lerngruppen gesehen werden. Der weitgehende Verzicht auf ein vorab mehr oder weniger definiertes Perspektivenspektrum und auf die Annahme eines fest definierbaren Objekts mehrperspektivischer Beschäftigung ermöglichen es, Kindern und Jugendlichen vermutlich sich in ihrer Individualität unvoreingenommen in den Unterrichtsprozess einzubringen. Auf diese Weise wird ihre „tatsächliche, gesellschaftlich bedingte Andersartigkeit“ positiv und produktiv ausgelegt, was eine „Chance der Veränderung der gesellschaftlichen Zustände durch die Aufdeckung und praktische Förderung gesellschaftlich noch nicht realisierter und abgegoltener Möglichkeiten der menschlichen Selbstverwirklichung" birgt (Giel, 1975, S. 11) – demokratische Aushandlungsprozesse, werden also ermöglicht. Eingedenk des aktuellen gesellschaftlichen Wandels (hin zu Inklusion) klingt diese Herangehensweise vielversprechend, böte sich doch hier die Chance, notwendige gesellschaftliche Veränderungen gewissermaßen im Unterricht anzubahnen. Das Feld des außerschulischen Sports würde dann im schulischen Sportunterricht verhandelt.
Diskussionswürdig ist an diesem Ansatz jedoch, dass sich in Ehnis Konzeption neue Perspektiven durch ein „Distanzieren“ aus bestehenden (subjektiv u. objektiv) bedeutsamen Perspektiven in einem vielfach komplex anmutenden Prozess des Deutens und Zeigens ergeben. Um diesen Prozess zu strukturieren, schlägt er fünf analytische Differenzierungsebenen und davon ausgehend sieben recht abstrakte Perspektiven (z.B. die Perspektiven der leibhaften, der sprachlichen und der instrumentalen Repräsentation) vor (vgl. Ehni, 1977, S. 125ff.). Neben der Frage, ob ein solcher Prozess des Deutens und Zeigens im Sportunterricht möglicherweise nur sehr aufwändig zu realisieren ist und von Lehrkräften bislang eher weniger angenommen wurde – eventuell auch, da dies zweifellos auf Kosten von oftmals als höchst relevant reklamierter Bewegungszeit geht –, werden hier zudem vergleichsweise hohe Abstraktionsleistungen gefordert. Implizit greift Ehni dabei – ähnlich wie auch der erziehende Sportunterricht – auf eine sport- und bewegungspädagogische wie auch bildungstheoretische weit verbreitete Prämisse zurück: Die individuelle Bildungsfähigkeit des Subjekts wird eng an bestimmte Reflexionsleistungen gebunden (vgl. Giese & Weigelt, 2015, S. 40). Zweifellos ohne irgendwem generell absprechen zu wollen, zu Reflexionsleistungen fähig zu sein, stellen Giese und Weigelt (ebd., S. 41) an dieser Stelle die Frage, ob auch in der Sportpädagogik, ausgehend von dieser Prämisse nicht bisweilen derart „hochabstrakte und komplexe“ Reflexionsleistungen gefordert werden, zu denen in einem inklusiven Sportunterricht möglicherweise nicht alle Lernenden gleichermaßen fähig seien. Ob sich damit tatsächlich Barrieren für einzelne Schülerinnen und Schüler ergeben, kann im Rahmen dieses Beitrags nicht abschließend geklärt werden und gälte es gesondert zu prüfen; es sollte aber als Möglichkeit in Betracht gezogen werden.
Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, entstammt die Idee der Mehrperspektivität nicht ursprünglich aus dem sportpädagogischen Diskurs, sondern wurde sozusagen „importiert“, u.a. aus Giels (1975) Überlegungen zum Sach- (und Mathematik‑)Unterricht sowie allgemeinpädagogischen Arbeiten Hillers (1973). Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass dieses in der Sportdidaktik und im Diskurs um inklusiven Schulsport so prominent diskutierte Prinzip auch in übergeordneter Weise sinnvoll und damit aktuell ebenso für andere Fächer relevant für inklusiven Unterricht sein könnte. Wäre dem so, ließen sich aus der intensiven und differenzierten Beschäftigung mit diesem Prinzip innerhalb der Sportpädagogik möglicherweise Erkenntnisse für inklusiven Unterricht im Allgemeinen oder in bestimmten anderen Fächern übertragen und vice versa Erkenntnisse für die Sportpädagogik gewinnen. Daher sollen im Folgenden denkbare Verallgemeinerungen oder auch mögliche Transfers in andere Fächer bzw. ein Anknüpfen an hier bereits bestehende Ansätze knapp skizziert werden. Da dieser Beitrag aus einer sportpädagogischen Perspektive heraus geschrieben ist, kann dies jedoch nur in fragmentarischer Form geschehen und ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht reklamiert. Vielmehr geht es um ein Sensibilisieren für (aus Sicht der Autoren) denkbare Ansatzpunkte.
Ein Blick in die allgemeine Pädagogik zeigt, das auch hier dem Prinzip der Mehrperspektivität – u.a. ausgehend von den bereits zitierten Arbeiten Hillers (1973), Giels (1975) – nach wie vor eine „substantielle Bedeutung für die Gestaltung und Durchführung von Unterricht“ beigemessen wird (Duncker, 2005, S. 10). So müsse es gelingen,
„die Vielfalt vorhandener, vielleicht noch nicht artikulierbarer Betrachtungsweisen von Wirklichkeit, wie sie in der Biographie und der Erfahrung der Schüler verankert ist, so aufzugreifen und sichtbar zu machen, dass sie mit einer anderen Vielfalt möglicher Perspektiven und Weltdeutungen in Kultur und Gesellschaft, in Wissenschaft und Politik in ein produktives Spannungsverhältnis gesetzt werden kann“ (ebd., S. 9).
Duncker betont, dass es aus bildungstheoretischer Sicht notwendig sei, die Beschränktheit des eigenen Erfahrungshorizontes zu überschreiten und die Welt von größerem Abstand aus zu betrachten, um einen Gegenstand angemessen zu beurteilen; es gelte, die Relativität der eigenen Weltdeutung wahrzunehmen (vgl. ebd., S.11). Mit Blick auf Inklusion scheint dies nun von hoher Relevanz zu sein. Für eine Gesellschaft, wie auch eine Schule, die sich als inklusiv begreift ist es schließlich essentiell, dass individuell höchst unterschiedliche Gesellschaftsmitglieder in der Lage sind, ihre eigene Relativität auf eine derartige Weise zu begreifen oder auch weitere solcher „Relativitätsperspektiven“ kennenzulernen.[13]
Aus unterrichtstheoretischer Sicht bezeichnet Duncker (2005, S. 15ff.) Mehrperspektivität als Prinzip des Zeigens. Zunächst geht es dabei für ihn um das Anliegen, „die Wirklichkeit in ihrem Aspektreichtum sichtbar zu machen“ (ebd., S.15). Eine Selbsttätigkeit werde dabei durch die „Professionalität des Zeigens“ hervorgerufen (ebd.). Dies erinnert in gewisser Hinsicht an die pädagogischen Perspektiven des Schulsports (s.o.), die einen pädagogisch begründeten Erfahrungsraum schaffen (sollen), der die Lernenden zu individueller Auseinandersetzung mit Sinn anregt bzw. ihnen diese ermöglicht. Anders als im Diskurs um Schulsport geht es Duncker jedoch darum, im Unterricht einen erlebnis- und erfahrungsbezogenen Zugang zu ergänzen (vgl. ebd., S.16) und nicht – wie im erziehenden Schulsport – von einem solchen auszugehen und diesen dann zu erweitern oder aber bewusst temporär zu verengen (z.B. um explizit auf ein Wagnis fokussieren zu können). Duncker begreift den erlebnis- und erfahrungsbezogenen Zugang zur Welt entsprechend als „primäre Sicht“, die durch Blickwinkel „sekundärer Ordnung“ im Sinne wissenschaftlicher oder öffentlich-politischer Kategorien integriert werden sollen (ebd.). Ebenso weist er aber darauf hin, dass derartige Grundkategorien nicht in eine geschlossene Ordnung „richtiger“ Perspektiven überführbar seien; vielmehr sei das Prinzip der Mehrperspektivität „offen und dynamisch“ (ebd.). In ähnlicher Weise lässt sich letzteres auch bei Ehnis Auslegung von Mehrperspektivität erkennen, in dem Sinn ausgehend von der Alltagswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler individuell gefunden werden (soll). Vergleichbares gilt ebenso für die Erweiterung und Veränderung des Perspektivenspektrums aus der jeweiligen Lerngruppe heraus, wie sie Balz und Neumann für den Schulsport anregen.
Ein Potenzial der verschiedenen sportpädagogischen Auslegungen von Mehrperspektivität scheint in der auch von Duncker angesprochenen Erfahrungsorientierung (für Sport vgl. Giese, 2014) zu liegen, die im Sportunterricht ähnlich wie auch in weiteren ästhetisch-expressiven Unterrichtsfächern einen besonders prominenten Platz einnimmt. So geht es neben der Erweiterung des intellektuellen Horizonts hier auch immer um eine des Erfahrungshorizonts. Im Musikunterricht ermöglicht dies z.B. im Rahmen einer mehrperspektivischen Annäherung an ein Phänomen (z.B. „Regen“) (Phleps, 2005), dass ein solches auf vielfältige Weise wahrgenommen, beschrieben und auch musiziert werden soll. Hier gibt es ebenso kein „richtiges“ Regen wahrnehmen, vielmehr steht die Auseinandersetzung mit eigenen und anderen Konstruktionen sowie deren Wahrnehmung – also dem Aspektreichtum der Wirklichkeit – im Mittelpunkt. Das Erfahren integriert damit implizit kognitiv-intellektuelle Aspekte und umgekehrt. Es geht demnach nicht wie tendenziell bei Duncker in erster Linie darum, die normierte sekundäre Ordnung durch Andocken an eine (individuelle) primäre Sicht zu erschließen, sondern darum, Welterfahrung als ergebnisoffenen Prozess zu ermöglichen. Eine derart integrative Auslegung von Mehrperspektivität scheint zwar für die ästhetisch-expressiven Fächer mit ihrer starken Betonung der Bedeutung von Welterfahrung zunächst eher naheliegend, dürfte aber auch für jene Unterrichtsfächer gewinnbringend sein, welche der Erfahrungsorientierung qua ihres Unterrichtsgegenstands nicht derart nahe stehen. Gewisse Ansätze, die kognitives und erfahrungsorientiertes Lernen integrieren, lassen sich ja bereits – z.B. im Rahmen von Bemühungen um die bewegte Schule (u.a. Hildebrandt-Stramann, 2007) – erkennen.
Ebenso geeignet für inklusive Settings scheinen Pluralismus (von Perspektiven) und eine generelle Offenheit zu sein wie sie z.B. auch für Ethikunterricht zu Grunde gelegt werden:
„Die Pluralität der Perspektiven, die in der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen ermöglicht wird, legitimiert hier nämlich erst das Fach und verbürgt einen Unterricht, der nicht indoktriniert, sondern Anleitung und Hilfe zum selbstständigen Argumentieren, Urteilen und möglicherweise auch Handeln, kurz, zu ethischer Selbstverantwortung gibt“ (Enders, 2005, S. 145).
Ein Wechsel der Perspektive(n) bedeutet hier oftmals auch ein Nachdenken über Fächergrenzen hinaus, da Ethikunterricht aus den Traditionslinien mehrerer Unterrichtsfächer entspringt. Pluralität steht daher für keine bestimmte Ethik, es soll auch kein klar umrissenes Menschenbild gelehrt werden (ebd., S. 149f.). Vielmehr liegt der Fokus auf der Urteilsfähigkeit, um die verschiedenen Sichtweisen begreifen zu können.
Im Rahmen von fächerübergreifendem oder -verbindendem Unterricht ließe sich eine solche Urteilsfähigkeit nutzen, um übergreifend relevante Aspekte (beispielsweise Leistung) im Unterricht zu reflektieren. Steht hierbei z.B. für den Sportunterricht ein Orientieren am gesellschaftlichen Sport im Mittelpunkt oder werden individuelle Bezugsgrößen gewählt? Oder allgemeiner, welche Erfahrungen lässt ein wie konnotierter Unterricht zu, wie werden jene Perspektiven erfahren, erlebt und beurteilt?
In einem solchen Sinne könnte Mehrperspektivität auch über das Fach Sport hinaus vermutlich gewinnbringend für inklusiven Unterricht sein. Es bliebe jedoch im Einzelnen zu prüfen, worin und an welcher Stelle jeweils die benannten Potenziale gesehen werden (können). Insofern versteht sich dieser Beitrag aus einer sportpädagogischen Perspektive als Anregung für eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung.
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[2] Die Suche nach dem Sinn sportlichen Handeln gehörte ab Mitte der 1970er Jahre zum Grundtenor der Sportdidaktik (vgl. Kurz, 1993, S. 58ff.). Es ging u.a. darum, die allzu funktionalistisch anmutenden Lernzielorientierungen, die im Nachgang an die Curriculumtheorie entstanden waren, abzulösen.
[3] Dass die Auswahl gerade dieser Sechs Perspektiven durchaus auch kritisch betrachtet werden kann, wird im weiteren Verlauf des Beitrags aufgegriffen.
[4] Zweifellos können Lehrpläne nicht als fachdidaktisches Positionen verstanden werden; dennoch entstand im Nachgang der Lehrplanrevision NRWs um die Jahrtausendwende im deutschsprachigen Raum eine rege fachdidaktische Diskussion um die hier ausgebreitete Konzeption des erziehenden Sportunterichts (vgl. Stibbe, 2013), für die Stibbe als exemplarischer fachdidaktischer Vertreter herangezogen wird.
[5] Mindestens bezüglich formal ausgewiesener Zielvorstellungen vertreten auch die aktuellen kompetenzorientierten Lehrpläne nahezu bundesweit einen erziehenden Sportunterricht (vgl. Ruin & Stibbe, 2014).
[6] Zum problematischen Verhältnis von Selbst‑ und Fremdbestimmung in dieser Konzeption vgl. u.a. Thiele (2001) und Laging (2005).
[7] Mit diesen „geläufigen (gegenwartserfüllenden) Erwartungen der Heranwachsenden“ sollen sich Lehrkräfte in ihrem Unterricht jedoch nicht begnügen, sondern es gilt als elementar, die Lernenden mit „pädagogisch reflektierten Anliegen“ zu konfrontieren (Stibbe, 2000, S. 215).
[8] Die älteren Verweise beziehen sich dabei eher auf einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen und weniger auf Inklusion in einem weiten Sinne.
[9] Die Interpretation von Mehrperspektivität der pragmatischen Fachdidaktik muss mit ihrer eher statischen Vorstellung des zu betrachtenden Gegenstands, der (in Form bestimmter Sportarten) zudem gewissermaßen vorgibt, welche Perspektiven bezüglich welcher Bewegungshandlungen angemessen sind, für inklusiven Sportunterricht als eher heikel eingeschätzt werden. Die Wahrscheinlichkeit ist vergleichsweise groß, dass es sich hier um „irreale Normbilder“ (Reich 2014, S. 107) handelt.
[10] Damit geht es sowohl Wurzel (2008) als auch Fediuk (2008) zentral darum, dass im gemeinsamen Schulsport von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen derselbe Sport unterrichtet werden soll, wie auch im „regulären“ Unterricht. Wurzel betont in diesem Sinne die Relevanz der Lehrplankonformität, Fediuk betont die Notwendigkeit, einer Akzentuierung der Leistungsperspektive. Ob dies dann nicht letztlich zu einer (ungewollten) Überbetonung des Leistungsaspekts führte, wäre zu diskutieren (vgl. hierzu Meier, Haut & Ruin in diesem Heft).
[11] Derartige Hinweise verleiten – gewollt oder ungewollt – zu der diskussionswürdigen Annahme, dass mehrperspektivischem Unterricht quasi per se inklusives Potenzial anhafte. Vergleichbares ließe sich auch bereits für Fediuk (2008) anführen.
[12] In gewisser Hinsicht greifen Balz und Neumann (s.o.) auf Ehnis Ansatz zurück, wenn sie dafür plädieren das Perspektivenspektrum zu öffnen und die zu behandelnden Perspektiven aus der Lerngruppe heraus (bzw. mit ihr) zu entwickeln.
[13] Eine Akzeptanz von Andersartigkeit entsteht auf einer derartigen Basis, wie u.a. auch aus der interkulturellen Pädagogik im Zusammenhang mit einem angestrebten Kulturrelativismus bekannt ist (Auenheimer, 1990, S. 192ff.).