Christin Tellisch: Inklusion braucht Kommunikation – Impulse für gelingende Inklusion in der Schule durch reflektierte, anerkennende Lehrer-Schüler-Interaktionen

Abstract: Inklusion birgt neue Herausforderungen für die heutige Generation an Lehrenden, doch auch neue Chancen. In diesem Aufsatz wird gezeigt, wie häufig und auf welche Art und Weise Pädagogen im inklusiven Unterricht und im Unterricht an Förderschulen während eines Beobachtungszeitraums von 123 Unterrichtsstunden an 9 Schulen ihre Schülerinnen und Schüler anerkennend und wertschätzend, aber auch ablehnend und verletzend behandelten. Anhand von qualitativen Szeneninterpretationen werden Beispiele für gelingende und problematische Interaktionsqualitäten erläutert. Da Lernen über gute Beziehungen unter den Personen und zum Lerngegenstand gelingen kann, ist die Professionalisierung der Pädagogen in diesem Zusammenhang an allen hier untersuchten Schultypen der Förder-, Ober- und Grundschule notwendig. Der Beitrag bietet Einblicke in einzelne Unterrichtssituationen, er lässt wegen der Vielzahl der erhobenen Feldvignetten Vermutungen über Interaktionsqualitäten in Schulformen zu, aber er enthält keine Datenbasis für schulformbezogene Verallgemeinerungen.

Stichworte: Inklusion; Interaktion; Schule; Anerkennung

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Einblick in den Forschungsstand zur Interaktion im inklusiven Unterricht
  3. Inklusion und Exklusionsrisiken im schulischen Kontext
  4. Menschenrechtsbildung als Grundlagen ethischen pädagogischen Handelns
  5. Quantitative Studie: Gelingende Lehrer-Schüler-Interaktionen im inklusiven Kontext
  6. Qualitative Studie – Praxiseinblick: Situationsbeispiele für gelinge Inklusion
  7. Zusammenfassung der Erkenntnisse und Forschungsperspektiven
  8. Literatur

1. Einleitung

Durch das Unterzeichnen der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, behinderte und nicht behinderte Kinder integrativ in Regelschulen zu unterrichten: „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kindes wahren, seine Selbstständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern.“ (CRC, Art. 23 Abs. 1). Dazu muss sichergestellt werden, dass die Bildung auf der „möglichst vollständigen sozialen Integration [erg. beruht] und der individuellen Entfaltung des Kindes einschließlich seiner kulturellen und geistigen Entwicklung förderlich ist“ (ebd. Abs. 3).

Als Schulleiterin einer Regelschule stehe ich durch diese Neuerung, die ich sehr begrüße, immer wieder erneut vor der Herausforderung, dem Pädagogenteam das nötige Rüstzeug und den Mut mitzugeben, sich auf ‚Inklusion‘ und damit auf jedes Kind mit seinen individuellen Kompetenzen einzustellen. Dies geschieht zum Einen in Seminaren und regelmäßigen Teamsitzungen, aber der Bedarf dazu ist weitaus größer, sodass darüber hinaus zunehmend auch Gespräche über einen angemessenen Umgang im inklusiven Unterricht stattfinden. Unsicherheiten verspüre ich dabei in vielen Bereichen z.B. hinsichtlich einer angenehmen inklusiven Lernatmosphäre, dem Gerechtwerden von allen Schülern, möglicher Über- oder Unterforderung von Kindern, der Art und Weise der Kommunikation mit und über Inklusions-Kinder(n), der Klassenführung u.a. bei Mobbing. Grundtenor dieser Unsicherheiten ist u.a. die fehlende Ausbildung und Sensibilität in der Lehrersprache. Diese wird immer wieder mittels Team-Teaching und Kollegialer Fallberatung thematisiert, um tatsächlich auch konkrete Kompetenzerweiterungen im Team zu ermöglichen. Diese scheinen in Anbetracht von Inklusion auch unbedingt notwendig.

Aus diesem Grund möchte ich mich in diesem Aufsatz mit dem Thema einer angemessenen Kommunikation im inklusiven Kontext auseinandersetzen. Dabei wird zunächst der Frage nachgegangen, welche Grundlagen, d.h. welcher Maßstab dafür gegeben ist. Ein Einblick in eine Studie zeigt im weiteren Verlauf auf, inwieweit Lehrkräfte an inklusiv unterrichtenden Schulen und Förderschulen anerkennend oder verletzend mit ihren Schülern interagieren. Die quantitativen Angaben werden in einem zweiten Schritt mit tatsächlich beobachteten Szenen belegt, die interessante anerkennende und abschreckende verletzende Szenen des Unterrichts wiedergeben. Vorangestellt wird dem die Begriffsklärungen von Inklusion, Kommunikation und Lehrer-Schüler-Interaktion.

Inklusion stammt vom Lateinischen „includere“ und bedeutet „einbeziehen und „einschließen“. Für eine inklusive Pädagogik meint dies demzufolge, dass Bildung auf der Grundlage einer Wertschätzung der Vielfalt an Potenzialen jedes einzelnen Kindes beruht. Schüler mit und ohne Behinderungen lernen gemeinsam, was durch die Bereitstellung von speziellen Mitteln und Methoden gelingen kann.  Der zwischenmenschliche Umgang aller an Schule Beteiligten muss freundlich, wertschätzend und unterstützend gestaltet werden.

Kommunikation stammt vom Lateinischen „communicare“ und bedeutet „etwas gemeinsam machen, etwas mit jemanden teilen, jemanden etwas mitteilen, mit jemanden etwas besprechen, geben“. Kommunikation meint demzufolge, dass Botschaften oder Informationen zwischen Personen mittels Worten, Mimik, Gestik und/oder Blickkontakt ausgetauscht werden und dies die Menschen gegenseitig beeinflusst.

Der Fokus der Lehrer-Schüler-Interaktionen meint eine Thematisierung der Qualität der Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern, die sich in ihren täglichen Interaktionen zeigt. Diese können seitens des Lehrers in unterschiedlichen Stufen der Anerkennung und Verletzung des Schülers gestaltet werden und wirken sich auf das gesamte Klassenklima und die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes aus (Honneth 2010[1], Prengel 1995[2], dies. 2013; Stojanov 2006[3]). Dies konnte sowohl in der Sozialphilosophie, in der Bindungs- und Entwicklungspsychologie, in der Sozialisations- und Resilienztheorie sowie in der biologismuskritischen, neurobiologischen und der Bildungstheorie herausgearbeitet werden.

2. Einblick in den Forschungsstand zu Interaktionen im inklusiven Unterricht

Erste Erkenntnisse der Interaktionsforschung im inklusiven Kontext liegen bereits vor. Es handelt sich dabei um quantitativ ausgerichtete soziometrische Untersuchungen wie die von Wocken aus dem Hamburger Projekt (Wocken 1993) sowie Untersuchungen mit Praxisnähe wie die von Dumke (Dumke 1991b) sowie von Dumke und Mergenschröer (Dumke/Mergenschröer 1991). Dabei stehen aber Schüler-Schüler-Interaktionen im Vordergrund des Forschungsinteresses. Desweiteren liegen Erfahrungsberichte über Beziehungen zwischen Kindern in Integrationsklassen vor. Darunter zählen u.a. Arbeiten von Boban (Boban 1989b) mit zwei Erlebnisberichten von inklusiv beschulten Schülern und deren Integration (vgl. Hinz 1993:49).

Cloerkes erarbeitete eine kritische Bestandsaufnahme internationaler Forschung über die persönliche Einstellung und das Verhalten von Nicht-Behinderten gegenüber Behinderten bereits im Jahr 1985 und stellte fest, „dass bei Nichtbehinderten eine ausgeprägte Neigung besteht, Interaktionen mit körperbehinderten Personen zu vermeiden, was ein relativ hohes Maß an sozialer Isolation für die Betreffenden zur Folge hat. Interaktionsvermeidungstendenzen haben für den behinderten Menschen ungewöhnlich harte Konsequenzen, da Interaktion unerlässlich für die Identitätsbildung ist und insofern eine existentielle Notwendigkeit darstellt.“ (Cloerekes 1985:17) „So scheint uns unumstritten, dass sichtbare Körperbehinderungen beim Nichtbehinderten in der Regel psycho-physische Reaktionen wie Angstgefühle, affektive Erregtheit und Unbehagen hervorrufen. Auf dieser Grundlage entwickeln sich "pathologische" Formen der Interaktion zwischen Behinderten und Nichtbehinderten: Spannung, Verhaltensunsicherheit und Ambivalenzempfindungen lassen den Beteiligten soziale Situationen dieser Art zu höchst unangenehmen Erfahrungen werden, die man antizipatorisch zu vermeiden sucht.“ (Cloerkes 1985:43f.). Inwiefern dies auf den schulischen, inklusiven Interaktionskontext übertragbar ist, blieb bei Cloerkes offen.

Eine quantitative und qualitative Untersuchung der Interaktionsqualität in inklusiven Schulen im Vergleich zu Förderschulen in der Art der im Folgenden aufbereiteten Beobachtungen liegt bislang nicht vor.

3. Inklusion und Exklusionsrisiken im schulischen Kontext

Aus dem in der Einleitung aufgezeigten Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen von UN-Konventionen und darauf aufbauenden KMK-Beschlüssen einerseits und der praktischen Umsetzung von Inklusion im schulischen Alltag andererseits zeigen sich bereits die Schwierigkeiten dieser Thematik. Dies bringt u.a. Fragen nach einer angemessenen Kommunikationsweise im Unterricht mit sich. Dabei geht es laut Stichweh oftmals um die Problematik der kommunikativen Adressierung und damit der Definition, „wer ...die Anderen sind, die für kommunikative Adressierung in Frage kommen, und von welchen Bedingungen Andersheit und die Adressierung von Andersheit abhängig ist. Die elementarste Form der Relevanz von Inklusion und Exklusion bezieht sich auf einzelne Situationen der Kommunikation.“ (Stichweh 2009:30).

Sensible Pädagogik ist dabei eine wichtige Grundsäule inklusiven Unterrichts und meint einen angemessenen, anerkennenden sprachlichen Umgang mit allen Schülern und gleichzeitig die Erziehung der Kinder zu einem solchen Umgang untereinander u.a. durch Vorbildwirkung der Lehrkräfte. Dass Wörter wie „behindert“ in unserer Gesellschaft dabei teilweise als Schimpfwörter gebraucht werden (vgl. Schimanke Aktion Mensch), erschwert einen vorurteilsfreien Umgang mit bestimmten Ausdrücken. Regelmäßige Reflexionen des Sprachverhaltens sind daher sowohl unter Pädagogen als auch in der Lehrer-Schüler- und Schüler-Schüler-Kommunikation unbedingt notwendig. Geiling, Liebers und Prengel entwickelten sechs handlungsleitende Prinzipien für inklusiven Unterricht, die die Interaktionsqualität zwischen Lehrer und Schüler wesentlich mitbestimmen sollen:

(vgl. Geiling/Liebers/Prengel 2011:12ff.)

Hinz leitet Ansprüche für Pädagogen im inklusiven Unterricht ab: „Es ergeben sich für pädagogische Prozesse große Unterschiede, ob Pädagogen bewusst oder unbewusst einen schweren Karren zu vorgegebenen Zielen hin ziehen oder einen pädagogischen Garten pflegen, um Wachstum und Entwicklung zu fördern, unhinterfragte [...] nichtbehinderte Normalität vermitteln oder für individuelle Verschiedenheit offen sind, sich vorwiegend auf Wissensvermittlung und kognitive Förderung beschränken oder Entwicklungsprozesse junger Menschen ganzheitlich begleiten, effektive Maßnahmen und Regelungen für Problemlösungen fordern oder bereit und in der Lage sind, Widersprüche auszuhalten, sich als Person in pädagogische Prozesse einbringen oder vorwiegend in ihrer professionellen Rolle, quasi als ihr eigenes Denkmal agieren.“ (Hinz 1993:230)

Die vorliegende Studie gibt einen Einblick in anerkennende Lehrer-Schüler-Interaktionen, die einen wesentlichen Beitrag für gelingende Inklusion darstellen. Gleichzeitig werden auch verletzende Interaktionsszenen vorgestellt, sodass die Unterschiede in der Interaktionsqualität deutlich werden. Es stellt sich die Frage, nach welchen Prinzipien die Interaktionsszenen bewertet werden, was im folgenden Abschnitt erläutert wird.

4. Menschenrechtsbildung als Grundlage ethischen pädagogischen Handelns

Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen wurde 1989 „als erstes rechtsverbindliches Instrument auf diesem Gebiet“ erstellt und gilt als „ein Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechte“ (Brander u.a. 2005:362, vgl. Lohrenscheit 2009:37). Die Kinderrechtskonvention wurde von Deutschland 1992 ratifiziert und gilt für alle Kinder und damit auch für alle pädagogischen Einrichtungen. Sie enthält Grundsätze, die für die pädagogische Arbeit von Bedeutung sind. Damit ist vor allem die Perspektive, das Kind als selbstständig agierendes Rechtssubjekt anzusehen, gemeint. Dies impliziert einen respekt- und würdevollen Umgang mit dem Kind und dessen Partizipation in allen es betreffenden Angelegenheiten entsprechend seiner sich entwickelnden Fähigkeiten (Artikel 12[4], Artikel 3[5]). Jegliche Aktion mit dem Kind muss in dessen bestem Interesse geschehen (Artikel 3). Das impliziert die Nichtdiskriminierung (Artikel 2[6]), um die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit zu ermöglichen. In der Kinderrechtskonvention wird auch der Schutzgedanke ausgeführt, der erstmals in der Genfer Erklärung 1924, einem Vorläuferdokument der Kinderrechtskonvention, dargelegt wird. In der heutigen Kinderrechtskonvention wird diese Problematik unter anderem in Artikel 16[7], der den Schutz der Privatsphäre und der Ehre des Kindes thematisiert und darum für den Unterricht und die pädagogischen Interaktionen von besonderer Bedeutung ist, behandelt. Die Kinderrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten darauf, sowohl den Zugang zur Bildung als auch die Qualität der Bildungsprozesse sicherzustellen (vgl. Overwien/Prengel 2007:30). Die explizite Ausformulierung für Inklusion ist ebenfalls in der Kinderrechtskonvention dargelegt (vgl. Einleitung).

Lehrkräfte – und vor allem auch inklusiv unterrichtende – müssen die Menschen- und Kinderrechte  kennen und sich daran u.a. in ihren Interaktionen mit den Schülern orientieren. Nach Brander u.a. besteht das langfristige Ziel von Menschenrechts- und Kinderrechtsbildung in der Etablierung einer Kultur, in der diese Rechte verstanden, verteidigt und respektiert werden“ (Brander u.a. 2005:17), weshalb Engagement, Respekt, Demokratie und Toleranz wichtige Schlüsselelemente dieser Bildung darstellen (vgl. Sommer/Stellmacher 2009:35). Lenhart ergänzt diese Auflistung um das Kriterium der Werteerziehung (vgl. Lenhart 2006:57), die die Menschenrechtsbildung impliziert. Dazu gehören auf der Ebene der Grobziele der Aufbau von Selbstbewusstsein und sozialer Wertschätzung (vgl. ebd.:58). Die Ziele der Menschenrechtsbildung sind damit auf mehreren Ebenen angesiedelt: Koch fasst sie prägnant zusammen, indem er sie als Grundlage „für die persönliche Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt, für die Teilnahme an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und für den Zugang zum Arbeitsmarkt und als Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung“ (Koch 2007:61) darstellt. Laut Bauer besteht eines der beiden wesentlichen Ziele von Schulentwicklung heute darin, die Mitmenschlichkeit, d.h. die humane Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung zu fördern, was den wichtigen Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der pädagogischen Arbeit aufzeigt (vgl. Bauer 2008:584).

5. Quantitative Studie: Gelingende Lehrer-Schüler-Interaktionen im inklusiven Kontext

Die vorliegende Studie entstand im Kontext einer größeren Projektkooperation. Im Projektnetz „INTAKT“ unter Leitung von Prof. Dr. Annedore Prengel und Dr. Antje Zapf der Universität Potsdam kooperieren Wissenschaftler aus mehreren Universitäten, die die Analyse anerkennender und verletzender pädagogischer Handlungsmuster in den Fokus ihres Interesses gerückt haben (vgl. Prengel 2012c). In diesem Netzwerk arbeiten Erziehungswissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Fachdidaktiker, Graduierte und studentischer Nachwuchs zusammen. Anhand eines von Annedore Prengel entwickelten Beobachtungsbogens werden im Forschungsteam alltägliche Interaktionsszenen zwischen Lehrpersonen und Schulkindern erhoben und analysiert (vgl. Prengel/Zapf 2012). Perspektivisch wird die Ausarbeitung einer Theorie anerkennenden bzw. verletzenden Lehrerhandelns angestrebt (vgl. Prengel 2013). Darauf aufbauend können Aus- und Fortbildungskonzepte entwickelt werden, damit im Schulalltag auch unter schwierigen Bedingungen anerkennend gehandelt wird.

5.1 Beschreibung der ausgewählten Schulen

Für diese Studie wurden Beobachtungen an 4 Grundschulen, 2 Oberschulen und 3 Förderschulen im Zeitraum von 2008 bis 2012 durchgeführt. Die Regelschulen arbeiten alle seit mindestens einem Jahr inklusiv, haben teilweise gut ausgearbeitete Inklusionskonzepte und/oder teilweise bereits Preise für gelingende Inklusion erhalten (z.B. Jakob-Muth-Preis) oder weisen Modellschulcharakter für Inklusion auf. Die Förderschulen weisen die Schwerpunkte Sprache, Hören und Lernbehinderung auf.

An den Schulen wurden mehrere Unterrichtsstunden verschiedener Lehrkräfte hospitiert und alle Lehrer-Schüler-Interaktionen protokolliert. Dadurch sind unterschiedliche Anzahlen an Feldvignetten je Schule entstanden, die zwischen 25 und 625 Szenen in insgesamt 123 Unterrichtsstunden bei 46 Lehrkräften liegen. Diese begrenzte Auswahl von Unterrichtsstunden lässt Erkenntnisse über die beobachteten Situationen, aber nicht über die Interaktionsqualität an der ganzen Schule zu. Die insgesamt 2332 Feldvignetten wurden mittels MAXQDA untersucht und kategorisiert, sodass nun Trends in den Daten als erste Ergebnisse vorliegen und in dieser Studie vorgestellt werden.

5.2 Erhebungs- und Auswertungsmethode

Zur Gewinnung der Protokolle wurde, wie in allen „INTAKT“studien die Methode der qualitativen, nicht-teilnehmenden, offenen Feldbeobachtung angewendet (vgl. Prengel/Zapf 2012, Schnell u.a. 1999:359f., Böhm-Kasper/Weishaupt 2008:111, Flick 2012:287-296). Diese ermöglicht sowohl sichtbare Elemente der Situation als auch sichtbare emotionale Reaktionen der Betroffenen durch Dritte zu erheben. Beobachtungen scheinen für die Fragestellung geeignet, da sie immer dann „unverzichtbar [erg. sind], wenn komplexe Verhaltensmuster ermittelt werden sollen“ (Böhm-Kasper 2008:113). Folgende Beobachtungsschritte werden dabei eingehalten: Der Beobachter beschreibt nach Hans Oswald genau die beobachtete Situation sowie deren Kontext (vgl. Oswald 2008:79f.). Im Beobachtungsprotokoll werden im ersten Schritt die Beschreibung der Szenen mit Mimik, Gestik, Körperhaltung und ggf. wörtlichen Äußerungen der Personen festgehalten. Diese Form der Datenerhebung erlaubt eine gewisse Offenheit, die sich nach den Interaktionsverläufen richtet (vgl. Flick 2012:288). Der Beobachter vermerkt im zweiten Schritt im Bereich der ‚Interpretation‘ des Beobachtungsbogens kurze fachliche Kommentare, damit die Szene von außenstehenden Lesern nachvollzogen und verstanden werden kann (vgl. Prengel/Zapf 2012). Auf einer dritten Ebene – der Introspektion – wird ebenfalls das Ziel eines besseren, späteren Verständnisses der Interaktionsqualität durch an der Situation Unbeteiligte verfolgt. Dazu protokolliert der Beobachter in Form von Ich-Aussagen als intersubjektive Resonanzen, was er in der Szene empfunden hat. Schließlich nimmt der Beobachter eine erste Einschätzung der Szene hinsichtlich der Kategorien der Grade der Anerkennung, die für die „INTAKT“-Studien entworfen wurden, vor. Diese wird durch Mitglieder des Forscherteams anhand der Aussagen innerhalb der Szenenbeschreibung, der -interpretation und der -introspektion wiederholt überprüft und diskutiert. 

Ergänzend zu diesen Beobachtungen werden für jede protokollierte Unterrichtsstunde Angaben zur Schulart, zum Einzugsgebiet, zur Klassenstufe, zum Klassenmodell, zur Schüleranzahl und zum Geschlecht der Interagierenden erhoben. Weitere Beobachtungsitems zur Erfassung der Rahmenbedingungen der Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern ergänzen das Erhebungsinstrument. Zum Festhalten weiterer Erkenntnisse des Beobachters wurde ein Memo-Bogen entwickelt, der Aufschluss über ergänzende Details, zusätzliche Gespräche, offene Fragen und Einschätzungen des Klimas und der Partizipationsmöglichkeiten der Schüler gibt (vgl. Prengel/Zapf 2012).

Die Datenerhebung wurde von eigens dafür geschulten Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern verschiedener Universitäten unter Anleitung der Mitglieder des Projektnetzes durchgeführt. Die Beobachter wurden hinsichtlich der Beobachtungsinhalte, der Kategorien, der Codes und der Beobachtungstechniken geschult. Nach einer Auswertung der ersten 1600 Szenen wurde in zyklischen Prozessen in über einem Jahr ein Codebuch durch das Forschungsteam „INTAKT“ entwickelt.

Auf zusätzliche Befragungen wurde verzichtet, um möglichst unaufwändig Zugang zu sehr vielen Unterrichtsstunden zu bekommen. Es wurde von der Annahme ausgegangen, dass mehr Lehrkräfte Hospitanten zulassen würden, wenn ihre zeitliche Belastung so gering wie möglich gehalten würde. Allerdings kam es auf Wunsch von einzelnen Lehrkräften zu aufschlussreichen informellen Gesprächen.

Nach der Beobachtung der Unterrichtsszenen und derer Protokollierung wurden die Daten folgendermaßen ausgewertet: Nach einer ersten Codierung zweier Beobachter wurde das Protokoll einer zweiten Codierung durch mindestens einen Wissenschaftler der Stammbesatzung des „INTAKT“-Teams unterzogen. Alle schwer einzuordnenden Szenen wurden der gesamten Forschungsgruppe vorgelegt und zur Diskussion gestellt. Diese Phase wird als Prozess des konsensuellen Codierens bezeichnet. Falls keine Einigung erreicht werden konnte, wurde die Szene einem Pool ambivalenter Feldvignetten zugeordnet, der immer wieder aufgearbeitet und deren Zuordnung nach Überarbeitungen des Codebuchs versucht wurde und wird. Im Projektnetzwerk „INTAKT“ werden die Variablen induktiv gewonnen und für die  Datenauswertung finden vorrangig deskriptive Verfahren Anwendung, um die Fülle der Beobachtungen zu strukturieren. Für den Auswertungsprozess wird MAXQDA verwendet, wodurch die Daten strukturiert und zugeordnet werden konnten. Auch aus diesen Berechnungen ergaben sich Hinweise auf einzelne Feldvignetten, deren qualitative Untersuchung interessant schien.

Die Zuordnung von Kategorien zu den protokollierten Feldvignetten erfolgt anhand einer Skala, deren Werte für bestimmte Grade der Anerkennung und Verletzung des Kindes in den Lehrer-Schüler-Interaktionen stehen. Da pädagogisches Handeln Mehrdeutigkeiten und Widersprüche aufweisen kann, wurde die Interaktionsqualität ‚ambivalent‘ aufgenommen. Tabelle drei zeigt und definiert die Auswertungskategorien:

Kategorie

Zahl

Beschreibung der Kategorie

sehr anerkennend

2

Szenen, in denen eine besonders deutliche und als sehr angemessen zu erachtende Wertschätzung des Schülers vorliegt

leicht anerkennend

1

Szenen, in denen eine wenig oder eher beiläufige Wertschätzung des Schülers empfunden wird

neutral

0

Szenen, die weder Wertschätzung noch Missachtung durch die Lehrperson aufweisen

leicht verletzend

- 1

Szenen, in denen eine einfache oder beiläufige Missachtung des Schülers wahrgenommen wird

schwer verletzend

- 2

Szenen, in denen eine heftige und eindeutig als unzulässig empfundene Missachtung des Schülers vorliegt

schwer einzuordnen

99

Szenen, in denen starke Widersprüche oder Ambivalenzen wahrgenommen wurden und die eine Einordnung daher als schwierig erscheinen lassen

 

 

 

 

Tabelle 3: Skala der Anerkennung und Verletzung des Kindes in den Lehrer-Schüler-Interaktionen, anhand derer die einzelnen Feldvignetten ausgewertet werden.

Das Codesystem umfasst neben der Kategorisierung der Anerkennungsgrade folgende Codes hinsichtlich der anerkennenden, missachtenden und ambivalenten Interaktionsformen:

Alle Feldvignetten wurden anhand des Codesystems ausgewertet. Die qualitative Auswertung protokollierter Szenen erfolgt in dieser Arbeit in Anlehnung an Mayrings qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 1995). Alle Daten wurden anonymisiert und alle Namen verändert.

5.3 Ergebnisse

Die Analyse der Daten zeigt die unterschiedlichen Interaktionsqualitäten an den verschiedenen Schulen beobachteten Unterricht zu. Sowohl bei den inklusiv unterrichtenden Grund- und Oberschulen als auch an den Förderschulen gibt es Lehrer, die sehr anerkennend mit ihren Schülern interagieren, aber auch Lehrer, die eher verletzend und/oder ambivalent mit den Kindern kommunizieren, wie die folgende Auswertung – differenziert nach den drei Schultypen – zeigt.





Datenauswertung zum inklusiven Grundschulunterricht
In dieser Studie wurden Hospitationen an vier Grundschulen mit Inklusion durchgeführt. Dabei wurden zwischen 4 und 34 Unterrichtsstunden und damit zwischen 58 und 625 Szenen insgesamt je Schule beobachtet. Auf diese Weise konnten 26 verschiedene Lehrkräfte in 1392 Szenen im inklusiven Unterricht aufgenommen werden.

Es stellt sich heraus, dass an Grundschule 1 und 2 ca. ¼ der beobachteten Szenen und an Grundschule 3 und 4 beinahe die Hälfte aller Szenen neutrale Lehrer-Schüler-Interaktionen aufweisen. Große Unterschiede bestehen in der Verteilung der anerkennenden Szenen. Während Grundschule 1, 2 und 4 in diesem Bereich mehr als 1/3 bis beinahe der Hälfte aller Szenen aufweisen, konnten in Grundschule 3 nur ¼ aller Feldvignetten mit solch wertschätzenden Interaktionen festgestellt werden. Am wenigsten verletzende Interaktionsszenen konnten in Grundschule 4 mit nur 12% beobachtet werden, während die Grundschulen 1, 2 und 3 in diesem Bereich zwischen ca. ¼ und 1/3 aller dort beobachteten Szenen die verletzende Interaktionsqualität zeigen. Auffällig ist zudem das hohe Vorkommen von 11% ambivalenter Szenen in Grundschule 1 und 2, während diese Interaktionsqualität in Grundschule 3 und 4 sehr selten zu beobachten war (5% und 2%).

 

Anerkennende Szenen

Verletzende Szenen

Neutrale     Szenen

Ambivalente Szenen  

Grundschule 1

32%

33%

24%

11%

Grundschule 2

43%

23%

23%

11%

Grundschule 3

26%

25%

44%

5%

Grundschule 4

40%

12%

46%

2%



Datenauswertung zum inklusiven Oberschulenunterricht
In dieser Studie wurden Hospitationen an zwei Oberschulen mit Inklusion durchgeführt. Dabei wurden einmal 4 und einmal 8 Unterrichtsstunden und damit einmal 25 und einmal 122 Szenen beobachtet. Auf diese Weise konnten 3 verschiedene Lehrkräfte in 147 Szenen im inklusiven Unterricht aufgenommen werden.

An beiden inklusiven Oberschulen wurde ungefähr der gleiche Anteil an neutralen Szenen mit ca. ¼ aller Feldvignetten beobachtet. Während Oberschule 2 einen leicht höheren Anteil an anerkennenden Szenen aufweist (41% im Vergleich zur Oberschule 1 mit 34%), gibt es im Bereich der verletzenden Interaktionsszenen mehr Ähnlichkeiten. Der Anteil dieser Feldvignetten liegt bei Oberschule 1 bei 22% und bei Oberschule 2 bei 27%. Unterschiede bestehen dahingehend, dass bei Oberschule 1 deutlich mehr sehr missachtende Lehrer-Schüler-Interaktionen (13%) als bei Oberschule 2 (3%) festzustellen sind.  Leicht verletzende Interaktionsszenen konnten an Oberschule 1 zu 9% und an Oberschule 2 zu 24% beobachtet werden. Große Unterschiede gibt es in der Verteilung der ambivalenten Interaktionsqualität. Während an Oberschule 2 diese Interaktionen nur sehr selten beobachtet werden konnten (3%), treten sie an Oberschule 1 zu beinahe ¼ aller Szenen auf (21%).

 

Anerkennende Szenen

Verletzende Szenen

Neutrale     Szenen

Ambivalente Szenen  

Oberschule 1

34%

22%

23%

21%

Oberschule 2

41%

27%

29%

3%




 

Datenauswertung zum Förderschulunterricht
In dieser Studie wurden Hospitationen an drei Förderschulen durchgeführt. Dabei wurden zwischen 8 und 16 Unterrichtsstunden und damit zwischen 68 und 363 Szenen insgesamt je Schule beobachtet. Auf diese Weise konnten 17 verschiedene Lehrkräfte in 793 Szenen im inklusiven Unterricht aufgenommen werden.

Die Ergebnisse der untersuchten Förderschulen zeigen eine hohe Varianz, die in dem Ausmaße nicht an den anderen beiden untersuchten Schultypen festzustellen waren. Sehr deutlich zeigt sich dies u.a. im Anteil der neutralen Interaktionsszenen. Während Förderschule 1 nur 8% solcher Szenen aufweist, sind es an Förderschule 2 über die Hälfte (58%) und an Förderschule 3 immerhin 40% aller beobachteten Feldvignetten. Weitere Unterschiede bestehen in der Verteilung der verletzenden Interaktionsszenen. Während an Förderschule 1 65% solche Interaktionsqualität aufweisen, sind es an Förderschule 3 nur 31% und an Förderschule 2 nur 9%. Das Ergebnis der Förderschule 1 mit Verletzungen in über der Hälfte aller protokollierten Feldvignetten ist außerordentlich hoch. Ähnlichkeiten hingegen liegen im Bereich der anerkennenden Interaktionen vor: Alle drei Förderschulen weisen hier Werte um ca. ¼ aller beobachteten Szenen auf (23%, 26%, 27%). Weitere Gemeinsamkeiten lassen sich im Bereich der ambivalenten Szenenqualität aufdecken. Die untersuchten Förderschulen weisen hier geringe Werte auf (4%, 7%, 2%).

 

Anerkennende Szenen

Verletzende Szenen

Neutrale     Szenen

Ambivalente Szenen  

Förderschule 1

23%

65%

8%

4%

Förderschule 2

26%

9%

58%

7%

Förderschule 3

27%

31%

40%

2%


Fazit aus den quantitativen Vergleichen
An allen neun untersuchten Schulen konnten sowohl neutrale und anerkennende als auch ambivalente und verletzende Interaktionsszenen beobachtet werden. Die Interaktionsqualität ist sehr breitgefächert und ist stark von der Lehrkraft abhängig. Auffällig ist, dass der beobachtete Unterricht in zwei Schulen – eine Ober- und eine Förderschule – nicht die Tendenz aufweist, dass neutrales und anerkennendes Lehrerverhalten überwiegt. Diese Ausnahmen sind besorgniserregend, da die Schüler immer wieder Missachtungen ausgesetzt waren und dies für ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht förderlich ist. Aber auch die nur wenigen an den übrigen Schulen beobachteten – vor allem stark – verletzenden Interaktionsszenen zeigen, dass hier ein erhöhter Handlungsbedarf besteht, um jedem Kind eine individuelle und wertschätzende Entwicklung zu ermöglichen.

Die hier vorgestellten Daten belegen, welche und wie viele anerkennende und verletzende Handlungsweisen in begrenzten Beobachtungszeiträumen an einzelnen Schulen praktiziert wurden. Diese Untersuchung lässt aufgrund der begrenzten Stichprobe keinen verallgemeinernden Vergleich zwischen verschiedenen Einzelschulen, Schulformen und –stufen zu. Allerdings lassen sich begründete Vermutungen anstellen.

Einmal mehr wird bestätigt, dass in den wenigen Sonderschulen, in denen Erhebungen durchgeführt werden konnten, auffällig unterschiedliche Ausmaße verletzenden bzw. anerkennenden Lehrerhandels gefunden wurden (vgl. Prengel 2013, S. 112-114). Wir können vorsichtig vermuten, dass das Klima in einem Teil der Sonderschulen sehr diskriminierend und in einem anderen Teil der Sonderschulen sehr ermutigend ausfällt. Bei den Sonderschulen mit den schlechteren Werten handelte es sich, wie auch hier, bisher stets um Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, während die wenigen beobachteten Sonderschulen, die behinderte Kinder im engeren Sinne aufnehmen, stets deutlich bessere Werte aufwiesen. Auffällig ist auch, dass in den hier beobachteten inklusiven Schulen im Primar- und Sekundarbereich, von einer Grundschule abgesehen, keine Tendenz zu weniger Verletzungen festzustellen ist, als für den Durchschnitt von im gesamten INTAKT-Projekt zunächst 6000, inzwischen ca. 10 000 beobachteten und bisher ausgewerteten Interaktionsszenen ermittelt wurde. Durchschnittlich wurde, auch nach Erweiterung der Datenbasis, relativ konstant ungefähr ein Viertel aller Lehrer-Schüler-interaktionen als verletzend kategorisiert (Zapf 2015; Prengel/Tellisch/Wohne 2016). In Schulen mit reformorientierten Profilen, einschließlich inklusiver Schulen, wurde (mit um 15 %) meist tendenziell weniger verletzendes Lehrerhandeln gefunden (vgl. Prengel/Tellisch 2016). Diese positive Tendenz bestätigt sich hier für eine inklusive Schule. Aber wie lässt sich die Tatsache, dass der beobachtete Unterricht in fünf Schulen mit inklusivem Profil mehr als 20 % Verletzungen durch Lehrpersonen aufweist, verstehen? Dazu können begründete Vermutungen angestellt werden, vor allem dass Reformen auf der institutionellen Ebene nicht per se mit Verbesserungen auf der interaktiven Ebene einhergehen. Auch wird hier einmal mehr deutlich, dass die Befunde aus punktuellen Beobachtungen zeigen, was in Einzelfällen real möglich ist, aber nicht wie allgemein verbreitet diese Möglichkeit ist.    

6. Qualitative Studie – Praxiseinblick: Situationsbeispiele für gelinge Inklusion

Im Folgenden wird ein Einblick in eine exemplarische Auswahl von fünf anerkennenden, fünf verletzenden und einer ambivalenten Feldvignette ermöglicht. Dieser soll zeigen, dass einige Lehrkräfte eine wertschätzende Interaktionsqualität im inklusiven Lernkontext selbstverständlich und hervorragend umsetzen, aber auch, welch großen Schwierigkeiten andere Lehrer/Innen mit dieser Herausforderung haben. Die Szeneninterpretationen ermöglichen einen praktischen Einblick und ein konkretes Lernen als Handlungswissen.

Die Interpretation geschieht in mehreren Schritten: Zunächst wird die Szene in den Unterrichtskontext kurz eingeordnet und beschrieben. Es folgt eine Analyse der Feldvignetten aus verschiedenen Perspektiven: der des betroffenen Kindes/der betroffenen Kinder, der der Lehrkraft und der der anderen Schüler/Innen.

Untersuchung anerkennender Interaktionsszenen

1. Angebot persönlicher Unterstützung des Kindes in schwierigen Lebensphasen

Die erste Interaktionsszene wurde an einer integrativen Gemeinschaftsschule im jahrgangsübergreifenden Mathematikunterricht der ersten und zweiten Klasse beobachtet.

08:23

Beim durch den Klassenraum Gehen stellt die Lehrkraft fest, dass Tobias genau in der Sonne sitzt und fragt: „Stört dich die Sonne? Möchtest du dich vielleicht woanders hinsetzen? Komm doch hier rüber!“ Tobias steht tonlos auf, geht zur Lehrerin und lässt sich auf den Stuhl neben ihr plumpsen. Die Lehrerin fragt: „Ist alles okay? Bist du heute vielleicht etwas schlecht drauf?“ Tobias nickt. Die Lehrerin sagt: „Soll ich dich mal in den Arm nehmen?“ Tobias schüttelt den Kopf. Die Lehrerin bleibt noch kurz stehen, geht dann weiter.

Die Lehrerin achtet extrem auf die Befindlichkeiten ihrer Schüler. Sie wirkt zu jedem Zeitpunkt sehr entspannt und macht immer den Eindruck, als ob genügend Zeit im Unterricht für diese Art der Aufmerksamkeit wäre.

Ich bin gerührt.

+2

Die Lehrkraft beobachtet ihre Schüler sehr genau und hinterfragt Ablenkungen vom Lernen u.a. mit äußerlichen Bedingungen des Lernens. Auf diese Weise unterstellt sie dem Kind keine Unlust oder Verweigerungshaltung, sondern ist daran interessiert, die Lernumgebung störungsfrei und lernförderlich zu gestalten. Im weiteren Gesprächsverlauf zeigt die Lehrerin kontinuierliches Bemühen um eine angemessene Lernsituation für das Kind, indem sie nach seinem  Wohlbefinden fragt. Als das Kind offen gesteht, dass es ihm nicht gut geht, bietet die Lehrerin Trost, kommentiert freundlich und gesteht ihm Körperkontakt zu, falls der Junge diesen wünscht. Das Kind lehnt diesen jedoch ab, was die Lehrkraft mit respektvoller Distanz und ohne Wertung akzeptiert.

Der Junge ist in seinem Lernen gehemmt, da ihn andere Dinge vermutlich psychischer Natur beschäftigen. Durch das Verhalten seiner Lehrerin werden ihm Vertrauen in seine Fähigkeiten, Zuneigung und Wertschätzung zuteil, was sich förderlich auf seine Lernmotivation und –einstellung auswirken kann. Das Kind realisiert, dass es auch mit seinen Schwierigkeiten einen Ansprechpartner in der Lehrerin finden kann, wenn es dazu bereit ist.

Die anderen Schüler, die die Situation vermutlich teilweise beobachten, lernen, dass die Lehrerin sich um jeden einzelnen von ihnen bemüht und sie zu ihr Vertrauen aufbauen können.

2. Anerkennung individueller Leistungsfortschritte und Anleitung zu sozialer Anteilnahme daran

Die nachfolgende Interaktionsszene wurde in derselben Schule und Klasse wie die vorangegangene beobachtet. Die Feldvignette wurde im fächerverbindenden Unterricht Deutsch und Kunst aufgenommen.

8.46

Die Lehrerin verteilt an Karl und Josef Urkunden, weil der Eine das Konfetti-Heft und der Andere den Schreibschriftlehrgang beendet hat. Die Lehrerin lobt die beiden Schüler und beginnt zu klatschen. Daraufhin beginnen auch alle anderen Schüler zu klatschen. Beide Schüler holen sich stolz ihre Urkunde ab.

Durch die Urkunde bekommen Karl und Josef das gute Gefühl, etwas geschafft zu haben. Sie werden dadurch motiviert, weiter zu arbeiten. Auch das Lob der Lehrerin und ihrer Mitschüler trägt zur Verbesserung der personalen Kompetenz bei. Sie gewinnen Selbstvertrauen.

Ich bin erfreut.

+2

Die Szene zeigt einen Ausschnitt individuellen Lernens in der Grundschule. Jedes Kind bearbeitet seinem persönlichen Leistungsstand entsprechend Themen und Aufgaben und erhält daraufhin individuelle Rückmeldungen. Bei positiven Entwicklungen nehmen die Klassenkameraden Anteil daran und geben ebenfalls motivierend Anerkennung. Beim inklusiven Lernen ist es unerlässlich, dass jedes Kind sein eigenes Lerntempo verfolgt und Raum für individuelles Lernen sowie Rückmeldungen diesbezüglich gegeben wird. Die Lehrkraft in der vorliegenden Feldvignette schafft eine Wertschätzung der Leistung der beiden Kinder durch einen geeigneten Rahmen hinsichtlich der Lernatmosphäre und gibt positives Feedback.

Die beiden Jungen wachsen vermutlich in ihrem Selbstvertrauen und erhalten Motivation durch das Lob der Lehrkraft und der Anerkennung durch ihre Mitschüler. Dies ist förderlich für das weitere Lernen. Sie verstehen, dass Leistungen positiv bewertet werden und jeder individuell seine Fortschritte erzielt.

Die anderen Kinder werden zur sozialen Anteilnahme angeleitet und freuen sich mit den beiden Jungen. Sie lernen, dass gute Leistungen Anerkennung von der Lehrkraft und im Gruppenkontext erhalten.

3. Individuelles Leistungsfeedback und Leistungsmotivation

Die Feldvignette wurde im jahrgangsübergreifenden Lernbüro-Unterricht der Klassen 7-9 an einer privaten Gemeinschaftsschule beobachtet.

9:28

Marcel hat den Test fertig und möchte in ein anderes Lernbüro gehen. Die Lehrerin und Marcel füllen daher das Logbuch aus. Die Lehrerin sagt zu Marcel: „Was ist dein Ziel für den Test? Das müssen wir noch eintragen!“ Marcel entgegnet: „80%!“ Daraufhin sagt die Lehrerin: „Die hast du mindestens!“

Sehr individuelles, vertrauensvolles Umgehen beiderseits.

Ich bin erstaunt und fühle mich sehr wohl.

+2

 
Diese Szene ähnelt der vorangegangenen insoweit, dass beide individuelle Leistungsfortschritte und ein damit verbundenes Feedback der Lehrkraft aufzeigen. Unterschiede liegen darin, dass in der vorliegenden Feldvignette eine Szene in der Sekundarstufe beobachtet wurde und die Entwicklung in einem persönlichen Lehrer-Schüler-Gespräch gemeinsam erörtert wird. Auf diese Weise lernt der Jugendliche, sich selbst einzuschätzen. Eine soziale Anerkennung durch die Klassenkameraden findet dabei nicht statt. Die Lehrerin ermutigt den Jungen zu einer realistischen Selbsteinschätzung und motiviert ihn, positiv zu denken. Die Lehrkraft nimmt sich dem Kind an, wenn es auf sie zukommt.

Das Kind versteht, dass es die Lehrkraft jederzeit ansprechen und mit ihr über die eigenen Entwicklungen ins Gespräch kommen kann. Es erfährt motivationalen Zuspruch, sodass die nächsten Lernschritte gegangen werden können.

4. Berücksichtigung von Schülerbedürfnissen und Schaffung einer angenehmen Lernatmosphäre

Die folgende Szene wurde an einer inklusiv unterrichtenden Oberschule beobachtet. Es handelt sich um Musikunterricht in einer zehnten Klasse.

14:27

Musiknoten werden verteilt. Die Lehrerin macht eine CD an und sagt: „So, entspannt euch erstmal! Hört zu! Lehnt euch zurück!“ Einige Schüler singen unaufgefordert mit.

Die Lehrerin spielt das Lied vor und sorgt für Entspannung..

Ich bin überrascht, dass einige Schüler mitsingen. Das zeigt, dass Entspannung da ist. Ich fühle mich wohl.

+2

Diese Musikstunde wurde am Nachmittag beobachtet. Die Lehrkraft anerkennt ihre Schüler, indem sie ihnen eine entspannende Unterrichtsphase bietet, in der sie gleichzeitig Input – nämlich Musik – für die folgenden Unterrichtsprozesse erhalten. Die Lehrerin formuliert kurze und klare Ansagen. Zudem gestattet sie, dass einige Schüler trotz der Aufforderung, nur zuzuhören, mitsingen.

Die Schüler nehmen die Möglichkeit der Entspannung scheinbar dankbar an und folgen dieser Anweisung. Auf diese Weise schöpfen sie vermutlich neue Kraft für nachfolgende Lernprozesse und verstehen, dass die Lehrkraft sich gut in sie hineinversetzen kann und den Unterricht ihren Bedürfnissen und Kompetenzen anpasst.

5. Heraushebung besonderer Lernfortschritte von Integrationskindern

Die folgende Feldvignette wurde an einer Förderschule für Hören und Sprache im jahrgangsübergreifenden, integrativen Unterricht der Klassen 1 und 2 beobachtet.

11:12

Die Lehrerin sagt: „Ich möchte jetzt noch etwas sagen, was alle Kinder hören sollen. Lisa hat eine wunderbare Idee gehabt. Sie hat sechs Blätter genommen, meine Lieblingsfarben. Ich fand es außerdem wahnsinnig toll und sehr mutig, dass du vor der Klasse vorgelesen hast. Super!“

Die Lehrerin lobt Lisa vor der gesamten Klasse.

Die Lehrerin hat kein einfaches Verhältnis zu Lisa. Das Lob trotz allem – das ist gut!

+2

Die Lehrkraft stellt in dieser Szene die Leistungen aber auch den Mut eines Kindes, welches starke Einschränkungen im Bereich Hören und Sprache hat, in den Mittelpunkt des Klassengesprächs. Obwohl in den vorangegangenen Protokollen in dieser Klasse ein sehr schwieriges Verhältnis zwischen der Lehrkraft und der Schülerin beobachtet werden musste, gelingt es der Lehrerin in dieser Szene ihr große Anerkennung und Lob zu zollen. Sie lobt das Kind gemäß dessen Kompetenzen und sensibilisiert auch die Klassenkameraden für diese Leistungen.

Das Mädchen erfährt, dass gute Leistungen und Leistungsbereitschaft zu Anerkennung seitens der Lehrkraft führen können. Das Lob vor der gesamten Klasse stärkt sie sicherlich in ihrem Selbstbewusstsein, ist förderlich für ihre Persönlichkeitsentwicklung und motiviert vermutlich für weitere Lernprozesse.

Die anderen Kinder bekommen ein Gespür dafür vermittelt, dass die Kinder gemäß ihrer individuellen Entwicklungen Anerkennung bekommen und werden dafür sensibilisiert.

Untersuchung verletzender Interaktionsszenen

1. Aggressiver Körperkontakt mit einem Integrationskind

Die erste das Kind verletzende Interaktionsszene wurde an einer integrativen Gemeinschaftsschule im jahrgangsübergreifenden Musikunterricht der ersten und zweiten Klasse beobachtet.

12.18

Die Schüler sollen einen Kreis bilden. Die Lehrerin macht eine CD an und führt einen Tanz vor. Die Schüler sollen zuschauen. Plötzlich geht die Lehrerin Arthur, packt ihn forsch und schüttelt ihn an beiden Armen und sagt sehr laut und ernst: „Wenn du hier andere Kinder störst, darfst du nicht mitmachen.“ Arthur guckt nach unten und verschränkt die Arme vor sich. Alle anderen Schüler sind ganz still und verunsichert.

Arthur hat nichts Offensichtliches gemacht und wird sehr grob und unangebracht ermahnt. Auch die anderen Schüler wirken verwirrt.

Ich bin sprachlos und empört. Ich fühle mich unwohl.

-2

Die Lehrkraft möchte mit den Schülern tanzen, was aufgrund der besonderen Aufgabe der Bewegung, was nicht sehr häufig im Schulalltag stattfindet, besondere Disziplin und Regeln braucht. Anscheinend ist die Klasse etwas unruhig, was die Lehrerin nervt und an ihre persönlichen Grenzen bringt. Aus diesem Grund scheint sie auch heftig zu reagieren, als ihr ein Schüler aus nicht ersichtlichen Gründen auffällt. Bevor sie in die verbale Kommunikation mit ihm tritt, geht sie ihn physisch aggressiv an, was sichtlich sowohl das Kind, die Mitschüler als auch den Beobachter erschreckt. Das forsche Angreifen des Kindes und das folgende Schütteln sind aggressive Körperkontakte, die entgegen jeglichen sinnvollen, den Menschen- und Kinderrechten entsprechenden Verhaltens stehen und pädagogisch verwerflich sind.

Der Junge lernt, dass jede Regelabweichung beim Tanzen zu aggressiven Lehrerverhalten ihm gegenüber führen kann und spürt dies auch deutlich. Die Freude und die Harmonie, welche Musik und Tanzen mit sich bringen sollen, werden durch dieses Lehrerverhalten zerstört. Das Kind entwickelt womöglich eine Abneigung gegen diese musikalische Aktivität.

Die anderen Kinder realisieren, dass die Lehrkraft überraschend aggressiv gegenüber Schülern vorgeht. Das stille und verunsicherte Verhalten der übrigen Kinder zeigt, dass sie vermutlich verwirrt und ängstlich sind. 

2. Überforderung der Lehrkraft und Beschimpfungen der Schüler

Die nachfolgende Feldvignette wurde an einer privaten Montessori-Oberschule im Musikunterricht der Klasse 8 beobachtet.

15:38

Die Schüler sind laut, das Unterrichtsgeschehen ist völlig entgleist. Die Aktivität (Rhythmusdiktat hat insgesamt 3 Minuten von 38 stattgefunden). Die Lehrerin spricht zu Harald: „Du machst NUR Müll. Du machst NICHT mit!“ Josua mischt sich ein: „Ich war`s!!“ Daraufhin sagt die Lehrerin: „Das ist mir egal! Macht jetzt mit!“

Die Lehrerin beschuldigt den falschen Schüler und ermahnt zum Mitmachen.

Es herrscht keine Kommunikation. Die Lehrkraft will ihr Ziel, aber sie schafft es nicht auf die Schüler als Menschen einzugehen, mit ihnen richtig zu reden. Sie erklärt ihre Wünsche nicht. Ihre Beschuldigung  ist inakzeptabel und entwertend.

-2

Die Lehrerin möchte mit der Klasse ein Rhythmusdiktat schreiben. Allerdings liegt in der Gruppe eine große Unruhe vor, sodass das Vorhaben der Lehrkraft nicht gelingt. Sie greift sich einen Jungen heraus und wirft ihm vor, dass er dem Unterrichtsgeschehen nicht folge. Diesen Vorwurf verbindet sie mit einer Bloßstellung des Schülers („Du machst nur Müll!“). Mit diesem Kommentar agiert die Lehrerin nicht mehr auf fachlicher Basis. Es lässt sich Überforderung vermuten, besonders als der zweite Schüler anmerkt, dass er schuld sei. Die Musiklehrerin möchte die Schuldfrage anscheinend nicht klären und fordert wiederholt Ruhe. Ihr Vorgehen wirkt aufgrund der wiederholten Aufforderung nach Ruhe, der keiner Folge zu leisten scheint, verzweifelt. Sie bricht das Rhythmusdiktat ab. Die Verzweiflung über ihre Wirkungslosigkeit und die Unruhe in der Klasse sind deutlich. Die Musiklehrerin setzt den Schülern vermutlich keine klaren Grenzen und geht auf Fehlverhalten bei Regelverstößen in dieser Szene nicht ein. Es ist anzunehmen, dass sie dadurch bei den Kindern unglaubwürdig wirkt. Die Stunde ist weit vorangeschritten und die Lehrerin scheint am Ende ihrer Nerven zu sein, was ihre Ausfälligkeit erklären, aber nicht legitimieren kann. Auf die Gründe für die Unruhe geht sie nicht ein.

Die Schüler nehmen die Musiklehrerin scheinbar nicht ernst. Es gelingt ihnen durch Unruhe das Rhythmusdiktat zunächst lange hinauszuzögern und schließlich abbrechen zu lassen. Sie könnten in dieser Situation lernen, dass sie durch ihre Unruhe den Unterrichtsverlauf beeinflussen können. Scheinbar wissen die Schüler, dass die Ermahnungen der Musiklehrerin keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen. Einen Grund zur Leistungserbringung sehen sie anscheinend nicht und lärmen chaotisch.  

3. Ironisches Verhalten der Lehrkraft im inklusiven Lernkontext

Die Szene wurde an einer integrativ unterrichtenden Oberschule im Englischunterricht der Klasse 8 beobachtet.

8.52

Sven und Jakob schlagen sich einvernehmlich mit einem Lineal („Mutprobe“). Darauf sagt der Lehrer: „Das könnt ihr in der Pause machen. Von mir aus auch doppelt so stark.“

Der Lehrer reagiert wieder unangemessen auf das Verhalten der Schüler, bestärkt sie eigentlich in ihrem Verhalten.

 Ärgere mich.

-2

Die Feldvignette gibt Einblick in ironisches Lehrerverhalten, welches im vorliegenden Datenmaterial mehrfach vorgefunden wurde. Das Aufdecken von Ironie ist Schülern und im besonderen Fokus inklusiv beschulten Schülern oftmals nicht möglich. Ihnen fehlt die nötige Erfahrung damit oder auch das nötige Verständnis dafür. Im vorliegenden Fall ist die Ironie besonders verletzend, da die Lehrkraft  das aggressive Verhalten der Schüler gegeneinander befürwortet und dieses sogar noch bestärkt. Ihre Reaktion ist unangemessen. Statt mit den Schülern in ein kurzes Gespräch bezüglich ihres Verhaltens zu treten, sie an Regeln, Grenzen und Konsequenzen zu erinnern und sie sinnvoll zu fördern, sodass sie nicht auf andere Gedanken kommen, erteilt sie eine destruktive Anweisung.

Die Schüler lernen vermutlich, dass ihre Mutprobe von der Lehrkraft scherzhaft aufgefasst wird und sie dieses Verhalten für die Pause sogar befürwortet. Sinnvolle Kommunikation über ein angemessenes Schülerverhalten findet nicht statt.

Die übrigen Kinder könnten verstehen, dass sie sich in den Pausen notfalls auch aggressiv gegeneinander austoben sollen.

4. Verbale Missachtung von Schülern im inklusiven Lernkontext

Die folgende Feldvignette wurde an derselben Schule im Englischunterricht der Klasse 9 aufgenommen.

12.40

Jonathan fragt, warum Markus schon wieder im Unterricht isst. Darauf sagt die Lehrerin: „Damit er überhaupt heute irgendwas Produktives macht.“ Jonathan grinst.

Offensichtlich hat der Tag die Lehrerin belastet und sie verlässt am Ende ihre gute Linie.

 -

-2

Die Lehrkraft scheint das Essen eines Integrationskindes nicht bemerkt zu haben und wird darauf von einem anderen Schüler hingewiesen. Statt diesem Hinweis mit einer konstruktiven Anweisung und einer eventuellen kurzen Thematisierung von angemessenen Schülerverhalten anzuschließen, kommentiert sie die Szene destruktiv und etikettiert das Integrationskind missachtend. Sie zeigt in ihrem Kommentar auf, dass der Junge keinen aus ihrer Sicht sinnvollen Beitrag für das Lernen und den Unterricht leistet und bewertet sein Essen als einzig produktiven Beitrag. Vielleicht möchte sie auch lustig wirken, was jedoch auf Kosten des missachteten Kindes als völlig inakzeptabel einzuschätzen ist.

Der Junge fühlt sich in dieser Situation vermutlich diskriminiert. Obgleich das Essen im Unterricht nicht den Regeln des Lernens entspricht, muss ein solcher Regelverstoß von der Lehrkraft in anderer Art und Weise kommentiert werden, als es in dieser Szene geschieht. Das Kind wird in seiner Persönlichkeit völlig entwertet, was für dessen Entwicklung nicht förderlich ist.

Der Mitschüler, der den Jungen bei der Lehrerin anzeigt, und seine Klassenkameraden billigen die Missachtung des Jungen durch die Lehrkraft. Das Lächeln scheint zu zeigen, dass der Junge sich sogar über den Kommentar der Lehrerin amüsiert, um damit seine Verlegenheit zu überspielen. Ein angemessenes Gerechtigkeitsempfinden wird auf diese Weise nicht entwickelt.

Die Untersuchung der Szene zeigt, wie eine Diskriminierungen durch die Lehrkraft im inklusiven Unterricht auftritt, und dass sie für die Persönlichkeitsentwicklung des betroffenen Kindes und für den Zusammenhalt im kollegialen Lernen der Klasse nicht förderlich ist.

5. Fehlendes Einfühlungsvermögen in das Denken und Fühlen des Integrationskindes durch die Lehrkraft

Die folgende Feldvignette wurde an einer Förderschule für Hören und Sprache im jahrgangsübergreifenden, integrativen Unterricht der Klassen 1 und 2 beobachtet.

08:30

Die Lehrerin schließt die Tür auf, weil eine Schülerin zur Toilette muss. Lisa geht auch raus, kommt kurz danach wieder rein, holt sich Stifte und geht wieder raus. Die Lehrerin geht ihr hinterher: „Nein, du gehst nicht raus!“ Die Lehrerin nimmt Lisa die Stifte weg. Lisa ruft: „Mama, Mama. Da drin ist es zu laut.“ Die Lehrerin sagt: „Bist du ein Schulkind oder ein Weinkind?“ Die Lehrkraft trägt Lisa an den Armen in die Klasse, Lisa schreit. Die Lehrerin schließt die Tür wieder zu, Lisa trommelt dagegen. Die Lehrkraft sagt: „Das bringt doch jetzt gar nichts. Komm, pack das Böckchen mal weg.“ Lisa schreit laut.

Die Lehrerin ist hilflos und weiß nicht, wie sie mit dem Mädchen umgehen soll.

Unglaublich. Es ist schwierig, die Situation als Beobachter auszuhalten.

-2

Die Lehrkraft schränkt in dieser Szene die Freiheit ihrer Schüler durch das Abschließen des Unterrichtsraumes und durch das Verbot, nicht raus gehen zu dürfen, massiv ein. Besonders deutlich wird dies, als das Mädchen schreit und gegen die Tür trommelt. Dieser Hilferuf des Kindes wird jedoch nicht wahrgenommen und von der Lehrerin lediglich abwertend kommentiert. Dabei fühlt sie sich nicht in die Gedanken- und Gefühlswelt des Kindes ein. Pädagogisch falsch und übergriffig ist auch die Wegnahme der Stifte durch die Lehrkraft. Sie erklärt und begründet diese Entscheidung dem Kind nicht, sondern kommentiert den Protest des Mädchens wiederum abwertend. Dabei etikettiert sie das Mädchen als Weinkind und nicht als Schulkind, wenn es sich so verhalte. Das darauffolgende Tragen an den Armen zurück in den Raum muss ebenfalls als unzulässig eingeschätzt werden. Die Lehrkraft erklärt dem Mädchen nicht, was sie aus welchen Gründen machen soll, sondern überwältigt sie durch das Mitnehmen.

Das Mädchen ist hilflos der Lehrkraft ausgeliefert und realisiert dies auch. Sie lernt, dass Erwachsene sich ihrer bemächtigen, damit sie deren Willen folgt. Für ihre Entwicklung sind die Beleidigungen als Weinkind und Böckchen nicht förderlich und helfen dem Mädchen auch nicht, die Situation und das Verhalten der Lehrkraft sowie mögliche Regeln zu verstehen und einzuhalten. Das laute Schreien des Kindes ist als Hilferuf zu werten, doch dieser Ruf bleibt ungehört.

Inwieweit Klassenkameraden diese Szene beobachten, ist unklar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass einige Kinder das Schreien des Mädchens bemerken. Doch anscheinend hinterfragt kein Kind das Verhalten der Lehrkraft oder ist mutig genug, um einzuschreiten und das Unrecht zu erkennen.

Untersuchung einer ambivalenten Interaktionsszene

Die folgende ambivalente Interaktionsszene wurde an einer staatlichen Oberschule im Englischunterricht der Klasse 10 beobachtet.

11.35

Einige Schüler gehen ihren Aufgaben nicht nach und sind laut. Die Lehrerin sagt: „Kann sich die Krabbelgruppe Sonnenschein jetzt mal einkriegen?“ Danach Ruhe.

Ausdruck etwas abschätzig, aber die Schüler können damit scheinbar umgehen.

 

 99

Diese Feldvignette zeigt ein Lehrerverhalten, das vermutlich lustig sein soll, zugleich aber auch als Diskriminierung aufgefasst werden kann. Der Ausdruck muss als abschätzig kategorisiert werden, was die Schüler jedoch nicht sichtlich verletzt. Daher ist diese Szene als amivalent bewertet wurden. Der Kommentar der Lehrkraft erzielt die erwünschte Wirkung, nämlich Ruhe. Die rhetorische Frage der Lehrkraft wird durch ein ruhigeres Lernverhalten der Gruppe beantwortet.

Die Schüler einer zehnten Klasse werden in dieser Szene als Kindergartengruppe tituliert, was vermutlich ihrem lauten Verhalten zugeschrieben werden muss. Der leicht abwertende Kommentar scheint die Jugendlichen an die Lautstärkeregel zu erinnern, sodass sie sich angemessener verhalten.

Die beobachtenden Schüler scheinen ruhiger als die angesprochene Schülergruppe zu arbeiten. Sie werden nicht ermahnt und zeigen auch keine nennenswerte Reaktion auf den Kommentar der Lehrkraft.

Fazit aus den qualitativen Szenenanalysen

Die Szenenanalysen zeigen, wie wichtig Einfühlungsvermögen und sensibles Vorgehen in der Lehrer-Schüler-Interaktion als grundlegende pädagogische Qualitäten sind. Dies scheint für alle pädagogischen Interaktionen wesentlich und im inklusiven Kontext von großer Bedeutung, da eine angenehme Lernatmosphäre und Lernen ohne Angst in diesem Zusammenhang große Herausforderungen an die Lehrkräfte darstellen. Desweiteren wird deutlich, wie wichtig Anerkennung individueller Leistungen im inklusiven Unterricht ist und wie förderlich dies für die Persönlichkeitsentwicklung jedes Menschen ist. Lehrkräfte müssen dazu einen geeigneten Rahmen schaffen, individuell rückmelden und zu sozialer Anteilnahme anleiten. Die Untersuchung zeigt auch, dass ein sehr individueller und vertrauensvoller Umgang zwischen Lehrer und Schüler für einen inklusiven Unterricht wesentlich ist. Zudem muss inklusiver Unterricht an die Lerngruppe angepasst werden, worauf sich die Lehrkraft trotz voriger Unterrichtsplanung einlassen muss. Damit wertschätzt sie die Lerngruppe und jeden einzelnen Schüler als sich eigenständig entwickelnde Persönlichkeiten.
Doch auf der anderen Seite deckt die Untersuchung auch Szenen auf, die zeigen, dass Lehrkräfte manchmal unüberlegt und körperlich ausfallend mit ihren Schülern umgehen, was aufgrund von Überforderung o.ä. vielleicht erklärbar, aber keinesfalls legitimierbar ist. In verletzenden Interaktionsszenen wurde immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, das soziale Miteinander durch die Lehrkraft in klaren und sinnvollen Regeln, Grenzen und konstruktiven Anweisungen anzuregen. Ironie, die teilweise auch noch Gleichgültigkeit gegenüber schmerzlichen Verletzungen signalisiert, ist dafür kein geeignetes Mittel, da dies die Klarheit der Aussagen und konstruktive Hinweise nicht zulässt. Beobachtete Diskriminierungen durch die Lehrkraft im inklusiven Unterricht sind für die Persönlichkeitsentwicklung des betroffenen Kindes und für den Zusammenhalt im kollegialen Lernen der Klasse als nicht förderlich einzuschätzen. Lehrer sollten hierfür über Handlungsalternativen verfügen und einfühlsam mit ihren Schülern interagieren. Darüber hinaus wurden auch Szenen beobachtet, in denen Lehrkräfte Kinder körperlich angehen, nicht angemessen mit ihnen sprechen und sie ihrer Freiheit berauben. Sinnvolle Kommunikation ist auf einer solchen Ebene nicht mehr möglich. Solche beobachteten Szenen sind alarmierend. Sie zeigen wie wichtig eine Sensibilisierung sowie Fortbildung und Reflexion der Pädagogen sind.
Die Untersuchung konnte zeigen, dass  pädagogisches Verhalten manchmal uneindeutig ist. Ambivalente Interaktionen sind für Schüler oftmals schwer einzuordnen. Die schwierige Einordnung solchen Lehrerverhaltens erschwert es den Schülern, Vertrauen und Sicherheit in das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu gewinnen, was für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung förderlich wäre.

Der Einblick in die Feldvignetten zeigt, wie alltäglich anerkennend Lehrkräfte im inklusiven Lernkontext handeln, aber auch, wie Schüler immer wieder von verletzenden Interaktionen betroffen sind. Einige Szenen sind aufgrund ambivalenten Lehrerhandelns auch schwierig für Beobachter und Betroffene einzuordnen und ebenfalls nicht förderlich für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Häufiges missachtendes Lehrerverhalten wirkt sich, wie beobachtet werden konnte, negativ auf die Lernatmosphäre für die gesamte Klasse aus und beeinflusst damit alle Kinder ungünstig. Beobachtet werden konnte zudem, dass die Interaktionsqualität in keinem eindeutigen Zusammenhang mit dem Schülergeschlecht, dem Interaktionsanlass oder der praktizierten Unterrichtsform steht. Vielmehr ist es stark von der Lehrkraft und ihrer Einstellung zu jedem einzelnen Kind und dessen Lernen abhängig, wie sich ihre Beziehung und damit die Interaktionen mit dem Schüler gestalten. Das Geschlecht der Kinder konnte in den Protokollen stets erhoben werden, aber der Status als behindert/nicht behindert konnte nicht systematisch ermittelt werden, darum sind zum Umgang der Lehrpersonen mit Kindern unterschiedlicher Befähigungen keine Auswertungen aller Szenen möglich. Möglich sind hingegen die in diesem Abschnitt vorgelegten Interpretationen einzelner Szenen, bei denen aus der Feldvignette selbst hervorgeht, ob ein Kind eine Beeinträchtigung aufweist.

7. Zusammenfassung der Erkenntnisse und Forschungsperspektiven

Inklusion birgt neue Herausforderungen für die heutige Generation an Lehrenden, doch auch neue Chancen. In diesem Aufsatz konnte aufgezeigt werden, wie häufig und auf welche Art und Weise Pädagogen im inklusiven Unterricht körperlich, geistig und sozial eingeschränkte und nicht eingeschränkte Kinder anerkennend und wertschätzend, aber auch ablehnend und verletzend behandeln. Es wurde deutlich, dass an mehreren untersuchten Schulen weitgehend neutrale und anerkennende Interaktionsqualitäten zwischen Lehrern und Schülern vorgefunden werden konnten. Die Ergebnisse von zwei Schulen sind jedoch alarmierend und zeigen, dass eine verletzende und ambivalente Interaktionsqualität häufig beobachtet werden musste.

Die qualitative Szeneninterpretation zeigt, wie unterschiedlich die Interaktionsqualität der Lehrkräfte ist. Eine Sensibilisierung aller Lehrenden, eine Auseinandersetzung mit eigenen Anerkennungs- und Verletzungserfahrungen, ein Wissen über die Kinderrechte als ethische Ausgangsbasis für wertschätzendes Handeln, eine regelmäßige Reflexion und Supervision der eigenen Tätigkeit und Teamteaching könnten wichtige Maßnahmen darstellen, um Lehrkräfte zu einem , professionellen und wertschätzenden Umgang mit ihren Schülern zu bewegen. Da Lernen ausschließlich über gelingende Beziehungen unter den Personen und zum Lerngegenstand geschehen kann, ist die Professionalisierung der Pädagogen in diesem Zusammenhang an allen Schultypen der Förder-, Ober- und Grundschule notwendig.

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[1] Entscheidende Ansätze für die Anerkennungstheorie erarbeitete u.a. Axel Honneth mit der Systematisierung von Anerkennung in der Liebe und Freundschaft, im Rechtssystem und in der Solidarität als soziale Wertschätzung.

[2] Eine wichtige Grundlage für eine anerkennende Pädagogik legte Prengel mit der ‚Pädagogik der Vielfalt‘, in der sie die Anerkennung jedes Schülers in seiner Einzigartigkeit forderte (vgl. Prengel 1995).

[3] Stojanov griff diese Überlegungen auf und erklärte Bildung als parallelen Prozess von Selbst-Entwicklung und Welt-Erschließung (vgl. Stojanov 2006:161), wodurch der Bereich der Anerkennung nicht nur auf die Eigenschaften eines Menschen bezogen, sondern auf die dazu komplementären Welt-Referenzen ausgeweitet wird (vgl. ebd.).

[4]          Artikel 12 – Berücksichtigung des Kindeswohls: (1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife. (2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.

[5]          Artikel 3 – Wohl des Kindes: (1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von  öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen. (3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.

[6]          Artikel 2 – Diskriminierungsverbot: 1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds. (2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormundes oder seiner Familienangehörigen geschützt wird. 

[7]          Artikel 16 – Schutz der Privatsphäre und Ehre: (1) Kein Kind darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. (2) Das Kind hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.