Abstract: Die vorliegende Studie untersucht das inklusive Musizieren im Fall der Band Just Fun der Musikschule Bochum. Es wurden Interviews mit Ensembleleiterin, Teilnehmern mit und ohne Behinderung sowie weiteren Personen aus dem Umfeld der Band geführt und mit Qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Erhebungsmethoden wurden entsprechend der befragten Teilnehmer modifiziert, methodische Überlegungen und Vorgehensweise werden ausführlich dokumentiert. Hinsichtlich der Realisierung inklusiven Musizierens im Fall der Band Just Fun habe ich viele Überschneidungen zu nicht-inklusiven Ensembles sowie ein bewusstes Streben nach musikalischer und sozialer Normalität ausmachen können.
Stichworte: Musikpädagogik; Inklusion; Musikschule; Qualitative Untersuchung; Qualitative Inhaltsanalyse; Geistige Behinderung
Inhaltsverzeichnis
An der Musikschule Bochum werden seit 1979 Menschen mit Behinderungen unterrichtet. Von 1979 bis 1981 wurde der Modellversuch „Instrumentalspiel mit Behinderten und von Behinderung Bedrohten“ durchgeführt, der schließlich in das Bochumer Modell überging und von Werner Probst wissenschaftlich begleitet wurde (Probst 1991). Im Laufe der Zeit haben sich auch verschiedene Ensembles gegründet. Ein besonders bemerkenswertes Ensemble ist die Band Just Fun. Das Ensemble ging aus der Notenband hervor. Diese Band sammelte die Teilnehmer, die das Ziel hatten, Musik nach Noten zu spielen. Im Jahr 1995 übernahm Claudia Schmidt die Leitung der Notenband von Angelika Neuse. Sie lud zunächst Profimusiker ein gemeinsam mit der Band Konzerte zu spielen. Ebenso richtete sie Jazz-Workshops mit anschließenden Konzerten für andere interessierte Musiker, etwa Schüler der Musikschule Bochum, aus. Einige Teilnehmer dieser Workshops blieben bei der Band, so wuchs die Notenband schließlich zu der Bigband Just Fun mit etwa 25 regelmäßigen Probenteilnehmern heran.
Konzeptionelles Vorbild war zunächst die bereits seit 1988 bestehende Hamburger Gruppe Station 17, die aus einer Wohngruppe eines Wohnheims für Menschen mit geistiger Behinderung hervorging (Gespräch mit C. Schmidt). Diese Gruppe kann auf musikalische Kooperationen mit Stereo Total, Fettes Brot und FM Einheit zurückblicken (Wikipedia 2014).
Inzwischen konzertiert Just Fun nicht nur regelmäßig auf den inklusiven Soundfestivals in Deutschland (Dortmunder, Hannoveraner und Fürther inklusives Soundfestival). Zentrales Anliegen der Band ist es, etablierte Veranstaltungsorte zu bespielen und sich einem Publikum über das Familienpublikum hinaus zu präsentieren und durch die Musik für sich zu gewinnen. So kann Just Fun inzwischen auf Konzerthighlights im Dortmunder Jazzclub domicil, im Dortmunder Rockclub FZW (Freizeitzentrum West) oder bei verschiedenen Veranstaltungen verschiedener Bundespräsidenten zurückblicken (vgl. Abschnitt 4.1).
Zu einer Probe am Mittwochnachmittag um 17 Uhr finden sich etwa 20 bis 25 Musiker, davon etwa 6 bis 11 mit geistiger Behinderung, im Obergeschoss der Musikschule Bochum ein, um gemeinsam zu musizieren. Bei Konzerten stehen dann 35 bis 40 Musiker auf der Bühne (Beobachtung bei Probenbesuchen zwischen Oktober 2013 und September 2014, Beobachtung bei Konzerten).
In der vorliegenden Untersuchung gehe ich der Frage nach, welche Bedingungen ein gelingendes inklusives Musizieren im Fall der Band Just Fun ausmachen.
Claudia Schmidt und Angelika Neuse (2002), aktuelle und ehemalige Ensembleleiterin der Band Just Fun, beschreiben auf insgesamt drei Seiten Geschichte, Instrumentalspektrum, Repertoire und pädagogische Ziele der Band. Darüber hinaus geben sie an Hand des Arrangements des Peter-Gunn-Themes knappe Hinweise auf die Erstellung von Arrangements. Im übrigen Teil des Beitrages gehen die Autorinnen auch auf Methoden und Ziele von integrativen(!) Musikgruppen sowie auf die Organisation von Konzerten und Workshops innerhalb der Musikschulstruktur ein.
Thomas Greuel (2007) hat eine 15-minütige Videodokumentation über die Band Just Fun angefertigt. Die Dokumentation besteht aus etwa neun Minuten eines zusammengeschnittenen Gruppengesprächs sowie etwa sechs Minuten Ausschnitten aus der Probenarbeit. An dem Gruppengespräch nehmen die Ensembleleiterin Claudia Schmidt sowie fünf weitere Musiker und Musikerinnen ohne Behinderung teil, drei von ihnen kommen in den im Video ausgewählten Ausschnitten zu Wort. Diese neun Minuten eines geschnittenen Gruppengesprächs legen bisher die empirische Basis für einige weitere Untersuchungen zu Just Fun.
Martin Weber (2012) untersucht in seinem Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen, die entwicklungslogische Didaktik Georg Feusers (Feuser 1989) auf die Musikdidaktik zu übertragen. Am Beispiel der Probenarbeit und des didaktischen Konzeptes der Band Just Fun zeigt er Parallelen zu Feusers Theorie auf. Als Beleg greift Weber auf die Dokumentation Greuels zurück. Für den empirischen Beleg greift er dabei auf die oben genannte Dokumentation Greuels zurück.
Wie schon in seiner Publikation von 2012 so fährt Weber (2013) fort, Feusers entwicklungslogische Didaktik auf Möglichkeiten der Adaption für den Musikunterricht zu nutzen. Seinen Blick richtet er an dieser Stelle auf das Aufgabenstellen als Weg im inklusiven Musikunterricht. „Bei der Idee des Aufgabenstellens handelt es sich in meinen Augen um einen möglichen Ansatzpunkt, Inhalte und Lernfelder des gemeinsamen Musikunterrichts im Sinne von auf SchülerInnen individuell zugeschnittene Aufgaben zu planen, zu strukturieren und zu inszenieren“ (S. 439). Aufgabenstellungen sollen im Sinne Feusers eine entwicklungsbezogene Dimensionierung beinhalten. Als gelingendes Beispiel führt Weber die Band Just Fun an.
Wie schon bei Weber 2012 und 2013 so greifen auch Meier und Weber (2014) noch einmal auf die kurze Videodokumentation Greuels (2007) zurück. Die Autoren stellen zunächst fest, dass in Bezug auf Inklusion und der damit vermeintlich verbundenen sozial harmonisierenden Wirkung von Musik auf Gruppenprozesse „implizit hohe Erwarten an das Unterrichtsfach Musik gestellt werden“ (S. 137). Anschließend versuchen die Autoren die einzelnen Aspekte musikalisch-inklusiver Arbeit zu legitimieren, dazu ziehen sie wiederum die oben genannte Videodokumentation Greuels als empirische Basis heran. Die bei Just Fun beobachtete Praxis der Ensemblearbeit kann nach Meier und Weber „tatsächlich gelingende gemeinsame und gleichwürdige Interaktionen und Momente positiver Abhängigkeits- und Ergänzungserfahrungen generieren“ (Meier und Weber 2014, 145).
Studierende des dritten Studienjahres haben unter der Leitung von Eva Krebber-Steinberger im Rahmen des Dortmunder Forschungsprojekts music and ability insgesamt sechs Interviews mit Ensembleleitern verschiedener inklusiver musikalischer Projekte, darunter auch Just Fun, geführt (Börner u. a. 2014). Darüber hinaus wurden insgesamt drei Interviews mit Teilnehmern mit geistiger Behinderung geführt. Aus dem Vorwort geht hervor, dass den Interviews ein Leitfaden zugrunde lag. Der Reader versteht sich als „Handreichung“ für das inklusive Musizieren und richtet sich „an alle Musiker/ Musikpädagogen, die ihre Ensembles (…) öffnen möchten und mit Fragen befasst sind, wie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Bedarfe berücksichtigt werden können, damit am Ende Musik entsteht, 'die man auch anhören möchte'“ (S. 6) Der Zugang zum Text ist bewusst niederschwellig gehalten, so soll die Struktur mit möglichst vielen Fotos an einen Film-Plot erinnern „um positive Bilder im Kopf entstehen zu lassen und Lust auf den Text zu machen“ (ebd.).
Eva Krebber-Steinberger stellt in ihrem Beitrag die Balance zwischen Teilhabe an der Musikkultur Verwirklichungschancen und Vermittlungsanspruch auf den Prüfstand. Sie zeigt bestehende Teilhabebarrieren und mögliche gesellschaftliche Irritationen auf („Huch, da sind ja Behinderte auf der Bühne“). Sie kommt zu dem Schluss, dass sich „Inklusive Prozesse [nicht] nicht von allein [gestalten]. Sie brauchen die Neugier und Offenheit für Veränderungen auf der persönlichen wie auf der strukturellen Ebene. Inklusion verändert Normen und damit eine sicher geglaubte Normalität.“ (Krebber-Steinberger 2015: Abschnitt 7).
In meinem Beitrag (Kloth 2012) bilanziere ich die Auswirkungen von Inklusion auf den Musikunterricht an Grundschulen. Ich komme zu dem Ergebnis, dass Inklusion bis zu diesem Zeitpunkt nicht notwendigerweise eine veränderte Unterrichtspraxis hervorgerufen hat, mit wachender Zahl von Schülern mit Sinnes- und Körperbehinderungen oder mit geistiger Behinderung aber andere und weitere Ressourcen für einen erfolgreichen inklusiven Musikunterricht notwendig sein werden. Als erfolgversprechende Möglichkeit eine heterogene Schülerschaft zu unterrichten schlage ich „differenzierende Aufgabenstellungen“ (heute bevorzuge ich den Begriff „selbstdifferenzierende Aufgabenstellungen) vor. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass SuS unterschiedlicher Leistungsstufen an der gleichen Aufgabenstellung arbeiten und jeweils sinnvolle neue Erfahrungen machen können. Dies umfasst etwa Erfindungs- und Improvisationsaufgaben oder auch Aufgaben zur Erforschung von Klangmöglichkeiten von Musikinstrumenten und Gegenständen. Dieser Aufgabentypus lässt sich in offenen Unterrichtssituationen wie etwa Gruppenarbeiten gut nutzen.
Katharina Schilling-Sandvoß (in der Publikation: (Schilling-Sandvoss 2015) betont, dass Musizieren sehr stark auf gemeinsames Tun ausgerichtet sei und sich in gemeinsamen Musizierprozessen die Möglichkeit biete, sich als handelndes Subjekt bei der Erschaffung eines gemeinsamen Produkts zu erleben. Daraus stellt sie die Frage, ob „die Möglichkeit zur Teilhabe aller Menschen also in der Natur der Musik [liege] und […] der Musikunterricht dann also per se ein inklusiver Unterricht [sei]“ (S. 210). Zur Gestaltung eines individuellen und zieldifferenten Musikunterrichts schlägt sie von daher das Klassenmusizieren auf Basis des Lernprozessmodells nach Bausch u.a. (2011) vor. Hier böten sich Möglichkeiten zur Adaption von Arrangements, die allen Schülerinnen und Schülern einen Lernzuwachs entsprechend ihren Fähigkeiten ermöglichten.
In der musikpädagogischen Praxisliteratur gibt es bereits eine Reihe von Erfahrungsberichten aus der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen und aus der inklusiven Arbeit. Beispielhaft genannt seien an dieser Stelle die Unterrichtshilfen von Moroder und Moroder-Tischler (1998), Schmidt und Neuse (2002), Wagner (2002), Probst u.a. (2006), des Verbandes deutscher Musikschulen (1999) sowie der Zeitschrift Praxis Förderschule (Nr. 3, 2009). Diese Beiträge gehen unter anderem auf Möglichkeiten für das musikalische Arrangement ein, diesem Aspekt gehe ich im Rahmen meiner Untersuchung nicht nach.
Eine in der pädagogischen Forschung häufig gebrauchte Definition von Inklusion stammt aus dem Artikel „Inklusion“ im Handlexikon Behindertenpädagogik und stammt von Andreas Hinz.
„Im Kontrast hierzu [der Integration, A.K.] begreift sich der Ansatz der Inklusion als allgemeinpädagogischer Ansatz, der auf der Basis von Bürgerrechten argumentiert, sich gegen jede gesellschaftliche Marginalisierung wendet und somit allen Menschen das gleiche volle Recht auf individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet ihrer persönlichen Unterstützungsbedürfnisse zugesichert sehen will. “ (Hinz 2006)
Hinz argumentiert an dieser Stelle normativ: Inklusion sei ein Bürgerrecht und als solches zu gewährleisten. Im weiteren Verlauf des Textes stellt Hinz klar, dass Inklusion in diesem Sinne einen uneingeschränkten Zugang zu Bildungsbereich erfordert, damit jeder Mensch als „selbstverständliches Mitglied der Gemeinschaft“ anerkannt wird. Darüber hinaus postuliert Hinz, dass Inklusion nicht nur auf Menschen mit Behinderungen zielt sondern vielmehr alle möglichen Dimensionen von Heterogenität (beispielsweise kulturelle Herkunft, Geschlechterrollen, sexuelle Orientierung, Religionen, Weltanschauungen, ethnische Herkunft etc.) betrifft. Insofern untersuche ich an dieser Stelle nur eine Heterogenitätsdimension von Inklusion: Das gemeinsame Musizieren von Menschen mit und ohne (geistige) Behinderung in einem Ensemble der Musikschule Bochum.
Cramer und Harant (2014:639ff) diskutieren in ihrem Beitrag unterschiedliche Definitionsansätze des Begriffs Inklusion. Sie stellen fest, dass sich die Definitionen je nach Partiallogik, Weltanschauung oder auch Partikularinteressen Aporien aufweisen. Sie nehmen Abstand von normativ-setztenden Definitionen, diese seien unzureichend, da sie andere Partiallogiken ausblenden. Hinz' Definition (2002 und 2006) bezeichnen sie als „normativ-pädagogisch“, die Definition des Deutschen Instituts für Menschenrechte (2014) sei „nomativ-politisch“ (S. 642). Problematisch sei hier auch die offen bleibende Frage, „ob Inklusion die Folge realgesellschaftlich umgesetzter Gleichberechtigung ist oder deren Voraussetzung darstellt.“ (S. 643).
Cramer und Harant führen die soziologisch orientierte Definition von Stichweh an. Diese ist an Parsons und Luhmanns Systehmtheorie angelehnt: „Diese spricht im Sinne der von Inklusion und Exklusion dort, wo sie die Form der Beteiligung und der Berücksichtigung von Personen in Sozialsystemen analysiert. Das setzt eine ausgearbeitete Theorie des Sozialsystems voraus, und es setzt die Vorstellung voraus, dass Personen zur Umwelt von Sozialsystemen gehören und von diesen in verschiedener Weise kommunikativ einbezogen werden können.“ (Stichweh 2013: Abschnitt 1).
Der Inklusionsbegriff bleibt für Cramer und Harant nach der Analyse verschiedener Zugänge letztendlich bislang ungeklärt:
„Aus wissenschaftlicher Sicht existiert bislang aber weder ein klares Begriffsverständnis, noch ist geklärt, wie sich die teils widersprechenden Vorstellungen von Inklusion als Menschenrecht, von normativen gesellschaftlich-inklusiven Prinzipien und von Maßnahmen sowie deren Umsetzung im Bildungsbereich zueinander verhalten.“ (Cramer und Harant 2014:639)
Vor diesem Hintergrund kann ich an dieser Stelle nur eine Arbeitsdefinition des Begriffs Inklusives Musizieren geben. Demnach verstehe ich unter inklusivem Musizieren in Anlehnung an Stichweh einen Gruppenprozess, in dem Musizieren als künstlerischer und sozialer und Prozess stattfindet. Dabei werden die Fähigkeiten und Interessen aller Beteiligten im musikalischen sowie im sozialen Handeln aller Beteiligten berücksichtigt. Das musikalische Handeln schließt bereits das Anfertigen bzw. die Auswahl des Arrangements sowie die Anerkennung des Arrangements als Musizierregel durch die Beteiligten ein.
Dieser Zugang enthält zunächst zwei Dimensionen: Musizieren als sozialer Prozess sowie Musizieren als künstlerischer Prozess.
a) (Inklusives) Musizieren als sozialer Prozess
Für Alfred Schütz geht das Musizieren geht über die Gesichtsfeld-Beziehung sozialer Handlungen (Charles H. Cooley) hinaus, die Beteiligten „teilen nicht nur die innere Durée, durch die sich der Inhalt der gespielten Musik selbst aktualisiert; jeder teilt in unmittelbar in lebendiger Gegenwart den Bewußtseinsstrom des anderen.“ (Schütz 1972:148, Hervorhebung im Original). Dabei stellt Schütz klar, dass die Art des gemeinsamen Erlebens beim gemeinsamen Musizieren grundsätzlich auftritt, unabhängig davon, um welche Musik und welche Ensembleform es sich handelt (S. 149). Für Schütz handelt es sich damit beim Musizieren um einen sozialen (kommunikativen) Prozess zwischen verschiedenen Personen und Personengruppen (Dirigent – Musiker; Musiker – Musiker; Ensemble – Publikum), diese müssen noch nicht einmal notwendigerweise gleichzeitig erleben, entscheidend ist vielmehr das Wiedererleben und Neu-Erleben eines musikalischen Bewusstseinsstroms (Komponist – Interpret; Komponist – Hörer; Interpret – Hörer) (S. 144f.). Schütz spricht dabei von einem kommunikativen Prozess. Zumindest für das gleichzeitige Musikerleben und gemeinsame Musizieren schließe ich mich dabei eher der Argumentation von Klaus-Ernst Behne an, demnach handelt es sich beim Musizieren eher um Interaktion denn um Kommunikation (Behne 1982:125).
b) (Inklusives) Musizieren als künstlerischer Prozess
Gleichzeitig definiere ich inklusives Musizieren als einen künstlerischen Prozess. Damit meine ich an dieser Stelle die Erfahrung, sich künstlerisch durch das Medium Musik auszudrücken. Diese Dimension beinhaltet auch die Anerkennung und Wertschätzung des musikalischen Produkts der Musizierenden in ihrer Beschäftigung mit dem Medium Musik. Krebber-Steinberger stellt bei der Beobachtung verschiedener inklusiver Ensembles fest, dass die Ensembles „den Anspruch [erheben], Musik auf qualitativ hohem Niveau, teils in Kooperation mit professionellen Musikern unterschiedlicher Genres zu produzieren und diese in, für das jeweilige Musikgenre normalen Kontexten, zu präsentieren. Inklusive Soundfestivals in Dortmund, Fürth und Hannover seit 2007 belegen die hohe Qualität, die daraus entstehen kann.“ (Krebber-Steinberger 2015: Abschnitt 4)
c) Ergänzung um weitere Dimensionen
Zu diesen beiden Dimensionen können noch weitere hinzutreten, im Setting der Band Just Fun etwa ist auch noch eine bildende Dimension wiederzufinden, dies lässt sich auch im schulischen Musikunterricht finden. Diese wären meines Erachtens allerdings untergeordnet und sind keine Bedingungen für das inklusive Musizieren.
Die vorliegende Untersuchung analysiert die Bedingungen der Band Just Fun der Musikschule Bochum. Mit der gewollten Beschränkung der Untersuchung auf diese eine Band handelt es sich um eine Fallstudie. „Dabei geht es nicht darum, Aussagen allein über den konkreten Fall zu machen. Vielmehr wird er untersucht, weil er als ein typisches oder besonders aufschlussreiches Beispiel für ein allgemeines Problem gilt“ (Flick 2014:178). Nur im Falle einer begründeten Auswahl kann eine Fallstudie begründete allgemeine Schlüsse überhaupt erst zulassen (ebd.).
Bei der Auswahl der Band Just Fun für die vorliegende Untersuchung haben zwei Faktoren ein Rolle gespielt: Bei Just Fun handelt es sich um eine etablierte und in der Szene sehr bekannte inklusive Band, die Band wird seit 1995 von Claudia Schmidt geleitet. Die Band tritt seit vielen Jahren auf inklusiven Soundfestivals in Dortmund, Hannover und Fürth auf und spielt auch Konzerte in den renommierten Dortmunder Clubs domicil und FZW. Just Fun ist auch im Rahmen anderer überregionaler Veranstaltungen vielfach aufgetreten (Auflistung aus der Hand von Claudia Schmidt):
Insofern ist Just Fun eine der ältesten und bekanntesten inklusiven Bands in Deutschland. Die Bedingung, ein typisches und/oder besonders aufschlussreiches Beispiel zur Grundlage der Analyse einer Fallstudie zu machen, halte ich aufgrund dieser Gegebenheiten für erfüllt.
Zum anderen haben auch zeitökonomische Gründe eine wichtige Rolle bei der Wahl gespielt: Just Fun probt an der Musikschule Bochum, ich lebe und arbeite in Dortmund. Nur so war es mir möglich regelmäßig an Proben teilzunehmen und zu Interviews an die Musikschule Bochum zu reisen.
Die Band Just Fun ist bereits mehrmals, vor allem von Martin Weber (Meier & Weber 2014; Weber 2013; Weber 2012), in der wissenschaftlichen Literatur besprochen worden. Diese Erwähnungen fußen sämtlich auf der Videodokumentation von Thomas Greuel (2007). Eine empirische Studie über Just Fun oder eine andere inklusive Band liegt bislang noch nicht vor, einzig die von Studentinnen der Universität Dortmund angefertigte Projektarbeit (Börner u. a. 2014) weist einen in Grundzügen qualitativ-empirischen Zugang zum Feld auf.
Aufgrund der bisher wenig systematisch erhobenen Daten bietet sich ein qualitativer Zugang zum Untersuchungsgegenstand an. Um einen Einblick in die Bedingungen des inklusiven Musizierens bei Just Fun zu erhalten, habe ich ich mich für eine Datenerhebung durch Interviews entschieden. Darüber hinaus habe ich auch an Proben der Band teilgenommen und Konzerte besucht, meine Beobachtungen habe ich dabei in einem Forschungstagebuch festgehalten.
Uwe Flick unterschiedet beim Sampling zwischen Fallauswahl und Fallgruppenauswahl. Eine Fallauswahl bezieht sich auf die befragte Person, die Fallgruppenauswahl auf die Gruppe, der die Person zugeordnet werden kann. Im weiteren Verlauf kommen weitere Auswahlentscheidungen auf den Forscher zu: Bei der Interpretation der Daten muss das Material, also die zu interpretierenden Interviews ausgewählt werden, auch innerhalb des Materials stehen Auswahlprozesse bevor. Schließlich wird auch noch eine Präsentationsauswahl für die Darstellung des Forschungsprozesses und der Ergebnisse getroffen (Flick 2014:154f). Des weiteren unterscheidet Flick zwischen theoretischem und statischem Sampling. Beim statischen Sampling wird die Auswahl von vornherein durch bestimmte Charakteristika (je nach Fragestellung der Untersuchung z.B. Alter, Geschlecht, Region, Religion, Lebensverhältnisse …) begrenzt. Das theoretische Sampling hingegen zeichnet sich durch ein schrittweises Vorantasten in das Feld aus. Die im Verlauf der Untersuchung gesammelten und evtl. bereits ausgewerteten Daten machen die Erhebung und Auswertung weiterer Daten notwendig. Das Ende der Datenerhebung und -auswertung ist dann erreicht, wenn eine theoretische Sättigung (in der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (2010:76ff)) eintritt: Die Auswertung der neu erhobenen Daten bringt keine neuen Eigenschaften einer Kategorie mehr hervor.
Flick weist darauf hin, dass neben der sauberen Darstellung der beiden Zugänge zu den Daten die beiden Erhebungsmethoden, das statische und das theoretische Sampling, nicht zwangsweise isoliert nebeneinander stehen:
„Sampling-Entscheidungen lassen sich nicht isoliert treffen. Es gibt nicht per se die richtige Entscheidung oder Strategie. Die Angemessenheit der Samplingstruktur und -inhalte und damit die Angemessenheit der gewählten Strategie, beides zu gewinnen, lässt sich einerseits nur an der Fragestellung der Untersuchung bestimmen: Welche und wie viele sind notwendig, um die Fragen der Untersuchung beantworten zu können?“ (Flick 2014:169)
Bei Just Fun handelt es sich um eine Band mit etwa 20 bis 25 regelmäßigen Probenteilnehmern. Die Auswahl an Interviewpartnern ist aus diesem Grund stark eingeschränkt: ein theoretical sampling, wie es etwa in der Grounded Theory Verwendung findet (Glaser & Strauss 2010:61ff), scheint mir an dieser Stelle nicht möglich zu sein. Ich musste mit den Gesprächsoptionen arbeiten, die sich mir innerhalb dieses personell kleinen Untersuchungsfeldes boten. Das kleine Feld hat jedoch auch einen Vorteil: Ich konnte einen sehr großen Teil der Personen im Umfeld von Just Fun tatsächlich befragen.
Bei der Auswahl der Befragten der Band Just Fun bin ich zunächst mit einer eher statischen Idee an die Durchführung von Interviews gegangen, mit einer Erweiterung des zu befragenden Personenkreises habe ich jedoch von vornherein gerechnet: Ich wollte, ausgehend von der Ensembleleiterin, Teilnehmer mit und Teilnehmer ohne Behinderungen befragen. Dabei habe ich drauf geachtet jüngere und ältere Teilnehmer genauso wie Männer und Frauen zu befragen. Im Verlauf der Untersuchung bin ich noch auf andere Personen im Umfeld der Band aufmerksam geworden. Ich habe im weiteren Verlauf meiner Untersuchung noch Interviews mit der ehemaligen Ensembleleiterin, einer Mutter sowie einer ehrenamtlichen Helferin geführt. Das Gespräch mit der Mutter nimmt dabei eine unerwartete Doppelfunktion als Elterninterview wie auch Teilnehmerinterview mit Kommunikationsunterstützung ein. Darauf gehe ich in Abschnitt 4.5 genauer ein.
Darüber hinaus haben sich die angenommenen Untersuchungsgruppen Ensembleleiterin, Teilnehmer mit Behinderung und Teilnehmer ohne Behinderung weiter ausdifferenziert: Bei den Teilnehmern mit Behinderung, so zeigte sich, musste ich bei meinem methodischen Vorgehen noch einmal zwischen sprechenden und nichtsprechenden Teilnehmern differenzieren (vgl. Abschnitt 4.5).
Mehrere Autoren sprechen die Problematik des Zugangs über einen Gatekeeper an. Diese eröffnen zum einen den Zugang zum Forschungsfeld, zum anderen kann es sein, dass der Gatekeeper den Zugang stark kontrolliert, steuert oder gar verwehrt (Stalker 1998:8; Tuffrey-Wijne u. a. 2008:187). Dies mag insbesondere dann eine Gefahr darstellen, wenn durch die Forschung ein „problematisches Licht“ auf die Gatekeeperinstitution fallen könnte (Buchner 2008:518). In der vorliegenden Studie hat die Ensembleleiterin sicherlich die Funktion eines Gatekeepers. Allerdings habe im Forschungsprozess alle Teilnehmer selber angesprochen. Alle Teilnehmer und alle Personen aus dem Umfeld der Band standen, so sie denn von sich aus dazu bereit waren, für ein Interview zur Verfügung. Eine Steuerung bzw. eine Auswahl von potentiellen Interviewpartnern hat seitens der Ensembleleiterin (in ihrer Funktion als Gatekeeper) nicht stattgefunden.
„Das Hauptmerkmal qualitativer Interviewführung ist, den Befragten so viel offenen Raum wie möglich zu geben, damit diese so weitgehend wie möglich ohne fremdgesteuerte Strukturierungsleistungen und und theoretische Vorannahmen (die von außen an sie herangetragen werden) ihre subjektiven Relevanzsysteme, Deutungen und Sichtweisen verbalisieren können“ (Kruse 2014:267).
Auch Siegfried Lamnek (2010:310) empfiehlt für das nichtsstandardisierte Interview möglichst offene Erzählaufforderungen zu nutzen. Der Impuls soll dem Befragten die Möglichkeit geben, sich möglichst frei und selbstgewählt zum Thema zu äußern.
Ich habe die Gespräche mit der Aufforderung „Erzähle mir von Just Fun!“ begonnen. Im Anschluss an diese Phase des freien Berichtens habe ich weitere Fragen gestellt. Diese Anschlussfragen konnten sich sowohl aus der vorausgehende freie Berichtsphase oder auch aus bereits bestehenden Kategorien aus der Auswertung vorangegangener Interviews ergeben. Auch Anschlussfragen habe ich nach Möglichkeit in Form einer offenen Frage gestellt. Nach dem Gespräch habe ich ein Postskriptum angefertigt und darin Ort, Zeit und besondere Umstände des Gesprächs festgehalten. Auch Informationen, die ich unmittelbar vor oder nach dem Gespräch, off-record, erhalten habe, habe ich so festgehalten.
Die Transkription der Interviews erfolgte in der von Jan Kruse (2014:358) vorgeschlagenen Art: Grundsätzliche Verwendung von Kleinschreibung, Großbuchstaben geben beTONungen wieder. Kleine Gesprächspausen werden durch (.) angegeben, längere Pausen durch die Angabe von Sekunden (3). In den Gesprächsauszügen steht I für Interviewer und TN für Teilnehmer. Namen von Teilnehmern der Band Just Fun – mit Ausnahme der Namen der Ensembleleiterinnen – habe ich anonymisiert. Für die Darstellung in diesem Beitrag habe ich die Belegstellen zugunsten besserer Lesbarkeit sprachlich geglättet und orthographisch angepasst.
Für das Setting der Befragung empfiehlt Jutta Hagen (Hagen 2002, sehr ähnlich in Hagen 2007) Interviews mit Menschen mit geistiger Behinderung in deren gewohnter Umgebung stattfinden zu lassen. Außerdem soll deutlich gemacht werden, dass es sich bei dem Interview nicht um einen Test handelt und die Teilnahme freiwillig ist. Menschen mit geistiger Behinderung haben Befragungssituationen häufig bereits als medizinische oder psychologische Test- oder Diagnosesituationen erlebt (Hagen 2002:296ff.).
Das Interviewkonzept soll zum einen ausreichend Raum für eigene Äußerungen geben, zum anderen empfiehlt Hagen Leitfragen für den Fall, dass der Befragte sich nur sehr knapp äußert, vorbereitet zu haben. Darüber hinaus sei auf einen angepassten Sprachgebrauch zu achten. Vor dem Interview soll nach Möglichkeit Vertrauen aufgebaut werden (ebd. 299ff.).
Tobias Buchner gibt unter Bezug auf Hagen ähnliche Hinweise, über Hagen hinausgehend empfiehlt er, Fragen bei Verständnisschwierigkeiten zu reformulieren und sprachlich angemessen, aber keineswegs übersimplifiziert zu sprechen (Buchner 2008:521).
Imke Niediek (2014) empfiehlt ebenfalls eine möglichst offene und Raum gebende Anlage des Gesprächs. Konkret geht sie in ihrem Beitrag auf Problemzentrierte Interviews (Witzel 1985) mit Menschen mit geistiger Behinderung ein und gibt einen detaillierten Ablaufplan vor.
Die Befragung von nichtsprechenden Teilnehmern gestaltete sich ebenfalls schwierig. Petra Gromann (1998:254ff) empfiehlt die Verwendung einer Smiley-Scala zur Vermeidung des Effekts der Antwortpräferenz auf die letztgenannte Option. Eine Smiley-Scala erhebt jedoch in erster Linie quantitative Daten.
Ich habe daher zunächst versucht, nichtsprechende (bzw. kommunikationseingeschränkte und deswegen schwer verständliche Teilnehmer mit einer weiteren, in der Kommunikation mit der kommunikationseingeschränkten Person geübten Person, quasi als „Übersetzer“, zu befragen (Whitehurst 2007:56f). Im Rahmen meiner Studie habe ich insgesamt drei Interviews mit dieser Form der Kommunikationsassistenz geführt. Bei zwei Interviews waren die Übersetzer andere Musiker, die mit den kommunikationseingeschränkten Teilnehmern bereits länger bekannt waren. Ein weiteres Interview war ursprünglich als Elterninterview geplant, es entwickelte sich im Laufe des Gesprächs allerdings zu einem Paarinterview.
Bei der Auswertung der Interviews stellte sich heraus, dass die nichtbehinderten Teilnehmer sehr stark an Stelle der kommunikationseingeschränkten Teilnehmer sprachen anstatt bei der Kommunikation zu assistieren. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, diese Interviews nicht weiter als repräsentatives Datenmaterial für kommunikationseingeschränkte Teilnehmer zu verwenden.
Möglicherweise sind die in den von mir geführten Interviews als Übersetzter fungierenden Teilnehmer in der Kommunikation mit einem oder mehreren kommunikationseingeschränkten Teilnehmern, etwa deren Satzkollegen, doch nicht geübt genug, um eine solche Assistenzleistung bei der Kommunikation erbringen zu können. Schließlich sehen sich die Musiker in der Regel nur einmal wöchentlich zu den Proben, während dieser Zeit steht die Musik und Proben im Vordergrund, nicht die Kommunikation. Zum anderen handelt es sich bei den Teilnehmern nicht um Menschen, die professionell mit diesem Personenkreis zu tun haben und daher auch nicht unbedingt über ausreichende Übung, Erfahrung und geschultes Reflexionsvermögen über den ablaufenden Kommunikationsprozess für eine so komplexe Kommunikationsaufgabe verfügen.
Anders verhielt es sich in dem Gespräch mit einem kommunikationseingeschränkten jungen Mann und seiner Mutter. Gerd Laga weist darauf hin, dass Gespräche, bei denen Eltern als Übersetzter fungieren, häufig misslingen: Eltern würden oftmals bereits nach kurzer Gesprächsdauer nicht mehr für die kommunikationseingeschränkten Kinder (also als Übersetzter), sondern über ihre Kinder sprechen (Laga 1982:234f).
Für das vorliegende Gespräch dieser Art kann ich diesen Befund jedoch nicht bestätigen. Im Vorgespräch mit der Mutter habe ich deutlich gemacht, dass mich ihre Sichtweise auf Just Fun und das Mitwirken ihres Sohnes in diesem Ensemble interessiert. Das Gespräch fand nach einer Probe statt, Thomas war während des Gesprächs ebenfalls im Raum. Die Mutter fragte ihren Sohn immer wieder nach seiner Meinung und seinen Erfahrungen, Thomas antwortete, die Mutter paraphrasierte seine Antworten und der Sohn bestätigte oder korrigierte die Paraphrasen. Diese Kommunikationstechnik ermöglicht es, dass Thomas trotz seiner Kommunikationseinschränkung seine Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse mitteilen kann und in einen kommunikativen Prozess mit anderen Menschen eintreten kann. Eine solche Kommunikationsstruktur habe ich in den anderen beiden Gesprächen mit Übersetzer nicht gefunden. Fraglich bleibt hierbei allerdings, ob Thomas in Anwesenheit seiner Mutter nicht eventuell in erzieherisch-erwünschter Art geantwortet hat. Dies lässt sich aus der Transkription und den Notizen zum Gespräch nicht ausschließen, allerdings gibt es auch keine konkreten Anhaltspunkte für ein solches sozial erwünschtes Antwortverhalten.
Bei der Qualitativen Inhaltsanalyse handelt es sich um eine Auswertungsmethode für in sprachlicher Form vorliegende Daten. Vorgaben für die Erhebung von Daten gibt es keine, es handelt sich um eine reine Analysemethode. Insofern unterscheidet sich die Qualitative Inhaltsanalyse etwa von der Grounded Theory, bei der es sich um ein kombiniertes Erhebungs- und Auswertungsverfahren handelt. Die Qualitative Inhaltsanalyse hingegen kann vielmehr als ergänzende Analysemethode innerhalb der Grounded Theory genutzt werden (z.B. bei Welzer 2002, methodische Beschreibung zu diesem Projekt in Jensen 2008). Jensen begründet dieses Vorgehen dabei auf die „vielfach diskutierten Schwächen der Grounded Theory“ bei Datenerhebung und -analyse, die „durch das regelgeleitete Vorgehen bei der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1997) kompensiert“ würden (Jensen 2008, S. 265). Andersherum betrachtet bietet die Tatsache, dass es sich bei der Qualitativen Inhaltsanalyse um eine reine Analysemethode handelt, die Möglichkeit, bei der Datenerhebung auf eine Vielfalt methodischer Ansätze zurückzugreifen.
Dennoch gibt es Vorgaben hinsichtlich der Erhebung von Daten. Während bei der Grounded Theory Datenerhebung, -kodierung und -interpretation im Forschungsprozess parallel stattfinden und aus eben diesem Prozess neue Aspekte und Kategorien generiert werden, soll der zu interpretierende Textkorpus bei der Qualitativen Inhaltsanalyse vor der Auswertung der Daten feststehen und „nur unter bestimmt begründbaren Notwendigkeiten während der Analyse erweitert oder verändert werden. Damit treten Probleme der Stichprobenziehung in den Vordergrund.“ (Mayring 2015:55, Hervorhebung im Original). Dennoch ist auch die Qualitative Inhaltsanalyse nicht als unveränderbares und starr abzuarbeitendes Regelwerk aufzufassen: „Inhaltliche Argumente sollten in der qualitativen Inhaltsanalyse immer Vorrang vor Verfahrensargumenten haben; Validität geht vor Reliabilität“ (Mayring 2015:53).
Die Datenerhebungsphase dieser Untersuchung erstreckte sich von Oktober 2013 bis September 2014. Die Band Just Fun probt wöchentlich in den Räumen der Musikschule Bochum, Gespräche konnte ich größtenteils vor oder nach der Probe führen, zum Teil sind die Gespräche auch während der Probe in einem Nebenraum geführt worden. Aufgrund der langen Datenerhebungsphase haben sich durch die Interviews neue Aspekte und Fragestellungen eröffnet (vgl. Abschnitt 4.3). Interviewdurchführung, Kodieren und Entscheidungen über den Forschungsprozess und die damit verbundenen methodischen Entscheidungen lagen bei dieser Untersuchung in einer Hand. Ein neutrales Herangehen an ein weiteres Interview ist aus diesem Grunde nicht realisierbar: Jedes Interview und jedes Nachdenken darüber ändert den Zugang des Forschers zum Forschungsgegenstand. Die Auswirkungen dieses Phänomens lassen sich nur durch eine personelle Trennung der jeweiligen Arbeitsschritte reduzieren.
Die vorliegenden Daten werden mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Da für die von mir bearbeitete Forschungsfrage noch keine hinreichenden empirisch herausgearbeiteten deduktiven Strukturen vorliegen, habe ich mich bei der Bearbeitung des Materials und der Herausarbeitung von Kategorien für ein induktives Vorgehen entschieden (Mayring 2015:67ff).
Reinhoffer weist darauf hin, dass trotz induktiver Kategorienbildung deduktive Elemente dennoch nicht vollkommen auszuschließen sind (Reinhoffer 2008:127ff). Diese deduktiven Elemente können durchaus auch unbewusst vorhanden sein. In der vorliegenden Untersuchung habe ich die Vorannahme, dass das musikalische Arrangement ein Faktor ist. Dennoch möchte ich diesen Faktor an dieser Stelle nicht im Detail untersuchen. Arrangementtechniken werden in musikalisch-praktischer Literatur bereits ausgeführt (vgl. Abschnitt 2). Diese Untersuchung geht in erster Linie der Frage nach, welche Bedingungen ein gelingendes inklusives Musizieren im Fall der Band Just Fun ausmachen.
Um ein möglichst umfassendes Bild der sozialen Struktur, musikalischen Arbeitsweise, Interessen und Motive aller Beteiligten zu erhalten, habe ich zwischen Oktober 2013 und September 2014 Interviews mit Beteiligten aus verschiedenen Bereichen der Band geführt. So habe ich Teilnehmer mit und ohne geistige Behinderung, ehemalige und aktuelle Ensembleleiterin sowie eine externe Unterstützerin (keine Musikerin, sie unterstützt die Band z.B. bei Konzerten und Reisen) befragt. Ein Elterninterview ist in Form des Paarinterviews ebenfalls mit in das Datenmaterial eingeflossen (siehe *). Darüber hinaus sind auch Feldnotizen von Proben und Konzerten und Interviewnotizen in das Datenmaterial eingegangen. Diese Daten sind allerdings zumeist quantitativer Art, sie wurden nicht mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse bearbeitet.
Insgesamt habe ich 19 Interviews geführt. Nach methodenkritischer Analyse sind folgende Interviews in meine ausgewerteten Daten eingeflossen:
Interviews mit Ensembleleitung und ehemaliger Ensembleleitung
Interviews mit Teilnehmern mit Behinderung
Interviews mit Teilnehmern ohne Behinderung
Interviews, sonstige
Das Vorgehen der Qualitativen Inhaltsanalyse bei der Zusammenfassung bei induktiver Kategorienbildung wird von Phillip Mayring (2015:72) sehr ausführlich beschrieben. Auch in verschiedenen Lehrbüchern zur qualitativen Forschungsmethodik werden diese Prozessschritte ausführlich dargestellt (bspw. Lamnek 2010:473; Flick 2014:412). Aus diesem Grund gehe ich im Folgenden auf die einzelnen Schritte der Zusammenfassung an dieser Stelle nur knapp ein.
Die für die Qualitative Inhaltsanalyse ausgewählten Interviewtranskriptionen habe ich zunächst durchgearbeitet, interessante Textabschnitte habe ich dabei für die weiteren Arbeitsschritte (Paraphrasierung → Generalisierung → Reduktion 1 → Reduktion 2) der Qualitativen Inhaltsanalyse markiert. (1.) Die markierten Textausschnitte wurden dann zunächst paraphrasiert. Dabei wurden alle ausschmückenden Wendungen weggelassen und der Inhalt auf eine einheitliche Sprachebene in grammatischer Kurzform übertragen. (2.) Im nächsten Schritt, der Generalisierung, werden die Gegenstände Paraphrasen auf eine definierte Abstraktionsebene übertragen. (3.) Die erste Reduktion erfolgt, in dem bedeutungsgleiche Paraphrasen und auf dem Generalisierungsniveau nicht wesentlich sinntragende Paraphrasen gestrichen werden. Paraphrasen, die weiterhin als zentral und sinntragen erachtet werden, sollen übernommen werden. (4.) Bei der zweiten Reduktion werden Paraphrasen mit gleichem oder ähnlichem Gegenstand und ähnlicher Aussage zu einer Paraphrase gebündelt, Paraphrasen mit unterschiedlichen Aussagen zu einem Gegenstand werden dann zu einer Paraphrase zusammengefasst. Zu den Schritten (2.) bis (4.) sollen in Zweifelsfällen theoretische Vorannahmen zur Hilfe genommen werden (Mayring 2015: 72).
Aus den so durchgeführten Schritten entsteht nach und nach das Kategoriensystem. Im Arbeitsprozess werden alle Aspekte sorgfältig herausgearbeitet, Quantifizierungen verschwinden bei den Reduktionsschritten durch die Zusammenführung der Generalisierungen in der Reduktion. Übrig bleibt ein auf die verschiedenen thematisierten Aspekte reduziertes System verschiedener Kategorien.
Aufgrund des Umfangs der im Rahmen der Qualitativen Inhaltsanalyse angefertigten Bearbeitungstabelle stelle ich hier nur einen Teil zur Verdeutlichung meiner Arbeitsweise dar. Zunächst habe ich die Textausschnitte paraphrasiert, generalisiert und reduziert. Die Schritte der ersten und zweiten Reduktion habe ich in einer Tabellenspalte bearbeitet, sichtbar ist hier also der Zustand nach der zweiten Reduktion. In den Bearbeitungsschritten der Reduktion werden die Kategoriebäume mit ihren Aspektverästelungen deutlich sichtbar. Die so gefundenen Kategorien habe ich schließlich sortiert, so dass die Kategorien und die zugrunde liegenden Textausschnitte hier jeweils untereinander stehen. Der Kategoriebaum ergibt sich aus den verschiedenen in der Reduktion gefundenen Aspekten eines Themas.
Für die Kategorie Musikalische und/oder methodische Voraussetzungen stellen sich die Schritte zur Herausarbeitung der Kategorie und der damit verbundenen Aspekte folgendermaßen dar:
Zitat |
Paraphrase |
Generalisierung |
Reduktion |
„Wo jeder einzelne seinen Part kriegt um sich zu zeigen, um zu zeigen was er so was er kann. Und das ist halt bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger. Aber das ist trotzdem so, find ich, so die Leitlinie in fast jedem Stück. Dass das nicht bei jedem Stück klappt aber ist klar, aber wenn man das gesamt, son gesamtes Konzert sieht, das gesamte Konzept, dann find ich immer gut und beeindruckend, das jeder die Chance hat zu zeigen was er kann. Das begeistert mich immer wieder bei der Band“ (Christian) |
Jeder bekommt einen Part, den er erfüllen kann. |
Jeder bekommt seinen erfüllbaren Part |
Musikalische und/oder methodische Voraussetzungen |
„I: Was ist das was es ausmacht, dass Inklusion da gelingt? |
Inklusion gelingt wegen des Plans der Bandleitung |
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„Ich hab dies ganze Improvisieren, spielen und sowas, diese Art von Musik auch (.) auf Flöte vorher nie gespielt. ich hab hier improvisieren gelernt“ (Nadine) |
Ich habe hier improvisieren gelernt. |
Musikalisches Lernen: Improvisation |
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„Ich spiele ja nicht professionell Trompete, aber ich glaub´ auf jeden Fall, dass mich das so im musikalischen Bereich auch geprägt hat, und dass ich da viel, oder eigentlich das meiste gelernt hab“ (Christian) |
Ich habe musikalisch bei Just Fun das meiste gelernt |
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Und dann habe dem J. natürlich auch einen Solopart gegeben, sodass er eben auch eine Herausforderung hatte. Das ist immer wichtig, dass alle was finden, was sie herausfordert. (C.Sch.) |
Ich habe J einen Solopart als Herausforderung gegeben |
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I: also umgestiegen, ich verstehe. Was findest du an dem E-Bass so toll, dass du denkst, ich spiele lieber E-Bass als Cello? |
Bass spielen macht Spaß. |
Spaß |
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TN: was da funktioniert ist, dass alle selbstverständlich miteinander irgendwie Musik machen, an einem Gegenstand arbeiten, sozusagen an einem Produkt arbeiten und Spaß haben und sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und keiner über- oder unterfordert ist und keiner irgendwie den anderen doof finden muss oder sich besonders beweisen muss und sich besonders in Mittelpunkt stellen muss, sondern das ist einfach ganz selbstverständlich ist, dass dass jeder dabei dabei ist, und alle zusammen wichtig sind für ein gemeinsames Ergebnis. (Vera) |
Alle machen Musik. |
Musik machen |
Der herausgearbeitete Kategoriebaum stellt sich schließlich folgendermaßen dar:
Zur Illustration der Befunde in den einzelnen Kategorien greife ich in dieser Darstellung noch einmal auf die im ersten Schritt ausgewählten Textstellen zurück.
Eltern
Eltern spielten und spielen offensichtlich eine große Rolle bei der Existenz von Just Fun. Zunächst sorgten sie mit ihrem Engagement für ein musikalisches Angebot für ihre behinderten Kinder überhaupt erst dafür, dass diese einen Zugang zur Musikschule erhalten. Zum anderen wird auch heute noch der Fahrdienst von der Werkstatt oder der Wohngruppe zur Musikschule von den Eltern organisiert und/oder finanziert. Ein Teilnehmer mit Behinderung berichtet von einem gemeinsamen Konzertbesuch mit seiner Mutter. Auch das kann als Hinweis auf elterliches musikalisches Engagement aufgefasst werden. Auf der anderen Seite können Eltern aber auch störend wirken. Auf Konzertreisen hat behütendes Elternverhalten dazu geführt, dass die behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zum Teil der Gruppe werden konnten.
„Also, die Eltern sollen bei den Konzerten dabei sein. Dagegen habe ich nichts. Nur diese Fahrten, das war häufig so, dass die Tochter neben ihrer Tochter saß und du bleibst hier sitzen und Du gehst nicht und dann diese Kommunikation untereinander, die fand dann gar nicht statt wie die Eltern in der Eins-zu-Eins-Betreuung neben ihren Kindern saßen.“ (C. Sch.)
Außermusikalisches Lernen
In der Kategorie Außermusikalisches Lernen wurden drei Bereiche von Lernen genannt. Teilnehmer ohne Behinderung berichten davon, dass sie durch die Begegnung mit Menschen mit Behinderung bei Just Fun den Umgang mit diesen gelernt haben und ihre Vorurteile und Ängste abbauen konnten.
„Da bin ich froh drum, dass ich da die Chance bekommen hab´, mich eines besseren belehren zu lassen und einfach zu lernen wie man, wie das dann geht so, zusammen leben“ (Christian)
Die Ensembleleiterin berichtet/stellt fest, dass die inklusive Gruppe eine wichtige Funktion bei der Einübung von Probendisziplin hat. Soziale Erwartungen (Wir wollen jetzt Proben!) gelten für alle Teilnehmer eines Ensembles, gemeinsames Ziel ist schließlich das gemeinsame Musizieren. In Gruppen mit ausschließlich Teilnehmern mit geistiger Behinderung berichtet sie von weniger disziplinierter Probenarbeit.
„Und sobald Leute im Raum waren die sagten ´wollen wir denn jetzt spielen oder nicht?´ war das ne andere Atmosphäre, da musste ich das nicht mehr selber machen.“ (C.Sch.)
Darüber hinaus berichtet ein Teilnehmer mit Behinderung davon, dass es ihm durch Just Fun erst möglich gewesen sei, neue, interessante Orte kennenzulernen. Dies wäre ihm ohne Just Fun nicht so ohne weiteres möglich gewesen.
„Die Konzerte sind gut, wo wir waren. Richtig gut war es in Berlin beim Bundespräsidenten, durfte ich endlich mal Berlin kennenlernen. Und in der Dortmunder Westfalenhalle wo ich war, das war richtig geil. Da hatte ich endlich mal die Gelegenheit dazu, das Innenleben von der Westfalenhalle kennenzulernen.“ (Nils)
Freunde/Soziale Beziehungen
Der Aufbau eines Gruppengefühls ist ein wichtiges Element für Just Fun. Die Ensembleleitung bemüht sich aktiv, alle Teilnehmer in die Gruppe aufzunehmen (vgl. Kategorie Eltern). Dennoch ist das gemeinsame Musizieren nicht unbedingt mit Freundschaft gleichzusetzen, ein Teilnehmer spricht von einem „freundschaftlichen“ Verhältnis zu anderen Teilnehmern bei dem er sich durchaus interessiert nach dem Befinden und nach Neuigkeiten erkundigt, jedoch nicht enger befreundet ist. Andere Teilnehmer sprechen das Thema Freundschaft etwas direkter an. Interessant sind dabei die zur Gruppenbildung gemachten Aussagen: Es scheint so, als ob sich durchaus gemischte Gruppen (behinderte und nicht behinderte Teilnehmer) innerhalb von Just Fun bilden. Kriterien für die Gruppenbildung sind scheinbar gemeinsame Interessen. Dies wird von Teilnehmern mit und Teilnehmern ohne Behinderung so geäußert.
TN: „Also, es bilden sich Grüppchen wie es in ´nem ganz anderen sozialen Gefüge auch ist, und entweder ist das jetzt [lacht] – das klingt so blöd, aber: gemischt von Menschen mit und ohne Behinderung, oder auch mal nicht gemischt. Aber das liegt dann meistens an den Interessen.“ (Nadine)
I: „Wer sind deine Freunde in der Band?
TN: Die Steffi, die Gitarristin, die sich auch sich für die Musik interessiert wie ich … auch mit der Antonia verstehe ich mich sehr gut, mit der Nina, nur mal so um einige zu nennen.“ (Nils)
Musikalische und/oder methodische Organisation
„Was da funktioniert ist, dass alle selbstverständlich miteinander irgendwie Musik machen, an einem Gegenstand arbeiten, sozusagen an einem Produkt arbeiten und Spaß haben und sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und keiner über- oder unterfordert ist und keiner irgendwie den anderen doof finden muss oder sich besonders beweisen muss und sich besonders in Mittelpunkt stellen muss, sondern das ist einfach ganz selbstverständlich ist, dass dass jeder dabei dabei ist, und alle zusammen wichtig sind für ein gemeinsames Ergebnis.“ (Vera)
Vera beschreibt hier in einem Satz nahezu alle wesentlichen Elemente (pädagogischen) gemeinsamen Musizierens: (1) Alle machen Musik, (2) alle arbeiten an einem (gemeinsamen) Gegenstand, (3) alle haben Spaß, (4) jeder kann seine Fähigkeiten einbringen, (5) jeder wird gefordert, (6) selbstverständlich ist jeder dabei, (7) alle sind wichtig für das gemeinsame Ergebnis.
Viele der hier genannten Aspekte scheinen zentral für das Gelingen inklusiven Musizierens bei Just Fun zu sein. In der Tat gibt die Ensembleleiterin auch selber an, dass es wichtig sei, „dass alle was finden, was sie herausfordert.“ In der Umsetzung sind diese Herausforderungen individuell verschieden. Es können lange Instrumental-, Tanz- oder Rapsoli sein, genau so wie es auch explizite Lernaufgaben sein können. Eine Teilnehmerin berichtet etwa davon, dass sie bei Just Fun erst Improvisieren gelernt habe (Julia), ein anderer Teilnehmer berichtet gar, dass Just Fun ihn „im musikalischen Bereich auch geprägt hat, und dass ich da viel, oder eigentlich das meiste gelernt hab“ (Christian). Aber auch die Freude am Musizieren wird auch von anderen Teilnehmern mit und Behinderung genannt (Nils, Thomas, Christian).
Bedingungen für Konzerte
Die Bandleiterin Claudia Schmidt wünscht sich, dass die Band aus musikalischen Gründen angehört wird und nicht etwa aus sozialen Gründen. Aus diesem Grund bevorzugt sie „professionelle Spielorte“, in Dortmund beispielsweise den Jazzclub domicil oder das Freizeitzentrum West. Diese Orte haben ihr eigenes Publikum, wer ins domicil geht erwartet eine Jazzband, auch wenn ihm die Band aus der Programmankündigung nicht bekannt ist.
Zu den Bedingungen für Konzerte hat sich nur die Bandleitung geäußert. Die Teilnehmer berichten eher von den Konzerten, diese Berichte sind in die Kategorie Motivation eingegangen.
Motivation
Teilnehmer mit und ohne Behinderung äußern gleichermaßen, dass sie gerne Konzerte geben auch gerne Bestätigung von Publikum erhalten.
„I: Gibt es etwas was dir bei den Konzerten etwas, das dir richtig gut gefällt?
TN: Bei den Konzerten finde ich... eher gesagt meine Ansage fand ich gut, das kam richtig rüber, das hat mir richtig gut gefallen. Das Lied für meine Freundin habe ich angesagt, fand ich sehr gut und die Leute haben geklatscht und meinen Namen gerufen. Das fand ich total sehr gut.“ (Justin)„Das ist natürlich macht natürlich auch Riesenspaß, wenn wir dann Konzerte haben, wo wirklich viele Zuschauer da sind und die alle begeistert sind.“ (Christian)
Dabei wird der Anspruch geäußert, gemeinsam eine sehr gute Leistung zu erbringen („das ist total beeindruckend, wie jeder Einzelne da Gas gibt“ (Christian).
Eine weitere Motivation wird im Leitungsstil genannt. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Ensembleleiterin ohne Druck arbeitet, dies hebt sich offensichtlich von anderen Ensembles, in denen diese Teilnehmerin zuvor gespielt hat, positiv ab (Julia).
Eine Aussage deutet auf die bewusste Nutzung des Musizierens zur Selbstregulation hin:
„Selbst wenn ich vorher immer müde kaputt oder schlecht drauf bin komme ich hier hin und nach ´ner Probe geht´s mir eigentlich immer besser und ich freue mich total, wenn ich dann da bin. Und wenn man ne Stunde gespielt hat und – auch egal ob da jetzt alles geklappt hat oder nicht – aber meistens, durch die Musik und durch das ganze Zusammensein der Band, fühle ich mich danach deutlich besser. Und deswegen ist mir das echt wichtig.“ (Christian)
„Kein inklusives Projekt“
Das Konzept Kein inklusives Projekt liegt teilweise sehr eng bei dem Konzept Motivation. Einige Aussagen überschneiden sich deutlich, an einigen Stellen weisen die Teilnehmer jedoch explizit darauf hin, dass sie Just Fun nicht als inklusives Projekt betrachten, sondern dass es für sie bei der Mitwirkung bei Just Fun um das Musizieren geht. Insofern sind Aussagen, die in ebensolchem Maße eine Motivation implizieren (Aspekte Spaß am Musizieren/Gemeinschaft; Musik machen) hier eher als Abgrenzung gegenüber einem der Band vermeintlich zugeschriebenen „Inklusiven Projekt“ (Julia) aufzufassen. Bei thematischer Nähe einer Aussage zur Kategorie Motivation ist die Kategorie Kein inklusives Projekt dann zum Tragen gekommen, wenn aus dem Kontext eine dementsprechende Abgrenzung oder Betonung hervorgeht.
„Ich glaube, uns geht´s nicht darum, irgendwie als ein primäres Ziel ein inklusives Projekt mitzugestalten, sondern primär ist: wir wollen Musik machen.“ (Julia)
Die Abgrenzung zu einem eventuell im Vordergrund stehenden „inklusiven Projekt“ ist Beteiligten verschiedener Ebenen klar: Eine Mutter äußert, „dass Just Fun nicht die „typische Behindertenmusik macht, sondern einen ganz eigenen Sound hat“ (Frau Müller). Die Ensembleleiterin sieht die Gefahr, dass potentielle Teilnehmer befürchten, sie würden aus „sozialen Gründen gecasht“ werden (C.Sch.). Aus diesem Grund richtete sie in der Anfangsphase Workshops als Einstiegsmöglichkeit aus. Gleichzeitig spricht aus diesem Workshopkonzept auch das Selbstbewusstsein, dass es tatsächlich die Musik ist, die ein Mitwirken bei Just Fun interessant macht.
In einem Fall habe ich einen Hinweis darauf gefunden, dass das inklusive Konzept durchaus das Interesse eines Teilnehmers geweckt hat:
„Ich habe, als es hier darum ging [wer] denn zu Just Fun [geht], sofort hier geschrien und hab´ dann da eben mitgemacht. Es macht einfach Spaß ohne Ende da mitzuspielen, weil es einfach ein Konzept ist, das ich so vorher noch nicht kannte.“ (Zitat zur Anonymisierung gekürzt) (Markus)
Bei den meisten von mir befragten Teilnehmern von Just Fun scheinen das Musizieren und die damit verbundenen Effekte (Spaß, Lernen, Selbstregulation, Sozialkontakte) im Vordergrund zu stehen. Gleichzeitig weisen viele Teilnehmer darauf hin, dass der inklusive Gedanke für sie der Musik nachgeordnet ist. Es mag aber auch sein, dass auch das inklusive Konzept das Interesse einiger Teilnehmer geweckt hat.
Ein meines Erachtens besonders interessanter Befund dieser Untersuchung findet sich in der Kategorie Kein inklusives Projekt. Viele Teilnehmer haben von sich aus Just Fun als inklusive Band thematisiert. Dies mag damit zusammenhängen, dass des öfteren interessierte Menschen an einer Just Fun Probe teilnehmen. Es mag sich dabei um Studierende handeln, die im Rahmen eines Praktikums bei Just Fun mitspielen oder auch um andere Musiklehrer, die einen Einblick in das inklusive Musizieren bei Just Fun erhalten wollen. Den Teilnehmern ist aufgrund der Ausgangslage (Just Fun ist eine inklusive Band) selbstverständlich klar, dass ich als Forscher ebenfalls aufgrund eben dieser Tatsache an den Proben teilnehme und Interviews führe. Möglicherweise sind die Teilnehmer bereits an ein gewisses Maß an Interesse und der damit verbundenen Beobachtung gewöhnt und sind sich der Besonderheit des Ensembles auch durchaus bewusst.
Interessant ist dabei die Tatsache, dass der Großteil der nichtbehinderten Teilnehmer ohne Nachfrage angibt, eben nicht wegen des inklusiven Aspekts von Just Fun an der Band teilzunehmen. Vielmehr werden die Motive Musik machen und Spaß an der Gemeinschaft in den Vordergrund gestellt. Zum einen kann ich als Beobachter diese Motive in der Beobachtung vollkommen nachvollziehen: Freude am Musizieren ist in der Tat offensichtlich und auch mir hat das Musizieren mit Just Fun große Freude bereitet, ebenso bin ich auf freundliche und offene Gemeinschaft gestoßen. Zum anderen stellt sich die Frage, warum der inklusive Aspekt auf die Motive der einzelnen Teilnehmer bezogen verdeckt wird.
In der Kategorie Eltern wird deutlich, dass Eltern eine wichtige Funktion für die Existenz von Just Fun haben. Das Elternengagement hat erst dazu beigetragen, dass Kinder mit Behinderungen den Zugang zur Musikschule gefunden haben. Sie engagieren sich bis heute mit der Organisation sowie auch der Bezahlung der Fahrdienste von der Wohngruppe zur Musikschule. Dieses ideelle und finanzielle Engagement der Eltern deutet darauf hin, dass sich die Teilnehmer mit Behinderungen in ihrer sozialen Herkunft einem bildungsaffinen Milieu entstammen (Grgic & Züchner 2013:132). Dieser Punkt war allerdings nicht Teil der Untersuchung, die Annahme bedarf daher noch eines Belegs.
Meier und Weber (2014: 145) haben darauf hingewiesen, dass die bei Just Fun beobachtete Praxis der Ensemblearbeit „tatsächlich gelingende gemeinsame und gleichwürdige Interaktionen und Momente positiver Abhängigkeits- und Ergänzungserfahrungen generieren kann“. Diese Ergebnisse kann ich in meiner Untersuchung nachvollziehen: Teilnehmer berichten beispielsweise von Freundschaften bzw. freundschaftlichen Beziehungen zwischen Teilnehmern mit und ohne Behinderungen, Grundlage dieser Beziehungen sind nach eigener Aussage gemeinsame Interessen. Aber auch die Aussage, dass jeder seinen Fähigkeiten entsprechend gefordert wird und explizit seinen Teil des musikalischen Arrangements hat weist darauf hin, dass vielen Teilnehmern die Bedeutung der einzelnen Menschen mit all ihren Fähigkeiten, Eigenschaften und Besonderheiten durchaus bewusst ist und oft als bereichernd für das Ensemble aufgefasst werden. Weitere Belege dafür finden sich insbesondere in den Kategorien Musikalische und/oder methodische Voraussetzungen, Außermusikalisches Lernen und Freundschaften/Soziale Beziehungen. Insofern kann ich auf der Grundlage meiner Untersuchung die Feststellung Webers an dieser Stelle empirisch stützen.
Bemerkenswert ist sicherlich auch, dass viele von mir herausgearbeitete Bedingungen denen in einem nicht-inklusiven Ensemble sehr ähnlich sind: Claudia Kayser-Kadereit (2002) hat in ihrer Studie über Laiensinfonieorchester zum Teil sehr ähnliche Wünsche der Laienorchestermusiker herausgefunden wie sie auch von den Teilnehmern von Just Fun geäußert werden. Sie belegt sie eine Bildungserwartung der Laienorchestermusiker (S. 144) (vgl. Kategorie Musikalische und/oder methodische Voraussetzungen, Aspekt Musikalisches Lernen) und findet in einigen Orchestern den Wunsch nach einer „Verknüpfung eines Konzertauftritts mit außermusikalischen Ereignissen (z.B. Reise)“ (S. 150) (vgl. Kategorie Außermusikalisches Lernen, Aspekte Neue Erfahrungen machen und Neue Orte kennenlernen). Sie findet ebenfalls heraus, dass „Geselligkeit und persönliche Kontakte unter den Orchestermitgliedern […] vielfach als unzureichend bezeichnet [werden]“ (S. 150, Herv. im Original) – dieses Motiv lässt sich auch in der vorliegenden Studie erkennen, allerdings scheint Just Fun an dieser Stelle vielen Laienorchestern durchaus etwas voraus zu haben (vgl. Kategorie Freundschaft/Soziale Beziehungen). Allerdings steht trotz des Wunsches aus musikalischen Gründen gehört zu werden der inklusive Aspekt bei Just Fun noch immer vor dem Leistungsaspekt. Aber auch bei Laienorchestern hat Kayser-Kadereit solche mit „ziel- und freizeitorientiertem Verhalten“ sowie Orchester mit dem Ziel einer „qualitativen Leistungssteigerung“ ausgemacht (S. 150, Herv. im Original).
Astrid Reimers (1996) hat in ihrer Studie insgesamt 535 Laienmusiker nach ihren Motiven für das Musizieren befragt. Sie konnte die Faktoren „Musikalische Leistung und Bildung“, „Geselligkeit“ (bspw. Gemeinsachaft im Ensemble ist wichtig), „Auftritt“ (bereitet Freude), „Soziale Aufgaben“ (bspw. Funktion eines Kirchenchores innerhalb einer Gemeinde), und „Freizeit“ (dieses Motiv schließt beispielsweise Musik als Ausgleich mit ein) herausarbeiten (S. 505ff.). Auch an dieser Stelle ist zu erkennen, dass sich hier große Überschneidungen zu den von mir gefundenen bei Just Fun Kategorien ergeben.
Für die in der vorliegenden Studie herausgearbeiteten Kategorien Freunde/Soziale Beziehungen, Außermusikalisches Lernen (hier vornehmlich der Aspekt Neue Orte), Musikalische und/oder methodisches Voraussetzungen und Motivation gibt es starke Übereinstimmungen zu den in den o.g. Studien herausgefundenen Motiven zum Musizieren im Ensemble. Insofern scheinen im Falle von Just Fun an dieser Stelle zumindest mindestens sehr ähnliche Bedingungen für ein gelingendes gemeinsames Musizieren zu gelten wie in anderen (nicht-inklusiven) Ensembles auch.
Von den o.g. Studien nicht berührt werden die von mir herausgearbeiteten Kategorien Bedingungen für Konzerte, Eltern und Kein inklusives Projekt. Eine Besonderheit stellt ein Aspekt der Kategorie Außermusikalisches Lernen dar.
Die Kategorie Bedingungen für Konzerte umfasst in der vorliegenden Studie in erster Linie die Wünsche, Ideen und die Ergebnisse reflektierten Nachdenkens über Inklusion der Ensembleleiterin. Insofern äußert nur diese konkrete Vorstellungen, wo und in welchem Rahme Konzerte idealerweise stattfinden sollten. Äußerungen der Musiker beziehen sich auf die Freude am Konzertieren als solche, insofern fallen diese dann in die Kategorie Motivation. Bedingungen dieser Art für Konzerte standen bei den anderen Studien nicht im Interesse der Untersuchung, daher ist ein Vergleich an dieser Stelle nur schwer möglich.
Ähnlich verhält es sich mit der von mir ausgemachten Kategorie Eltern. Ich habe festgestellt, dass Eltern durchaus engagiert sind und damit ihren Teil zum Gelingen beitragen (Fahrdienst), ebenso aber störend sein können. Menschen mit geistiger Behinderung sind häufig länger an die Eltern gebunden und Autonomisierungsprozesse finden später, langsamer oder gar nie so statt, wie es bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Behinderung passiert (Klauß 2005:227ff). Eltern sind also vermutlich gar nicht in den Fokus o.g. Untersuchungen geraten.
Auch die Kategorie Kein inklusives Projekt ist in Studien, die sich nicht explizit mit inklusiven Settings beschäftigen, sicherlich nicht auffindbar.
Anders verhält es sich mit dem Aspekt Soziales Lernen: Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung in der Kategorie Außermusikalisches Lernen. Ein solches Lernen ist sicherlich nur in inklusiven Ensembles möglich.
Zu erkennen ist an dieser Stelle, dass die Motive von Musikern bei Just Fun und in anderen Amateurensembles sehr ähnlich sind. Die Bedingungen, unter denen inklusives Musizieren im Fall der Band Just Fun stattfindet, scheinen sich, was die Motivation der Musiker angeht, nicht deutlich von den Motivationen von Amateurmusikern in anderen Ensembles zu unterschieden. Allerdings scheint es unterschiedliche Ausprägungen hinsichtlich des Leistungungsinteresses der Amateurmusiker in unterschiedlicher Ensembles zu geben. Musikalisches Lernen als Motivation der Musiker von Just Fun habe ich ausmachen können, wie stark dieses Motiv ausgeprägt ist und wo an dieser Stelle Unterschiede zu anderen Amateurensembles bestehen, bleibt allerdings offen.
Es ist allerdings zu erkennen, dass das inklusive Ensemble Just Fun eine musikalische und soziale „Normalität“ bewusst anstrebt: Die Ensembleleiterin bemüht sich um Konzerte an etablierten Jazz- oder Rockspielorten, insofern muss die dargebotene Musik für Musiker und Publikum gleichermaßen künstlerisch überzeugend sein. Eltern wurden nicht nur als Unterstützer, sondern auch als Störfaktor bezüglich der Autonomieentwicklung von Musikern ausgemacht, Teilnehmer ohne Behinderung äußern von sich aus, dass sich die Band nicht als „inklusives Projekt“ verstehen, sondern dass das gemeinsame Musizieren für sie im Vordergrund steht.
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Band Just Fun. Ich habe diese Band ausgewählt, da es sich bei Just Fun (wie bereits in Abschnitt 4.1 dargelegt) um eine in der Szene etablierte und sehr bekannte inklusive Band handelt. Dieser Schritt der bewussten Auswahl des Falles nach Kriterien der Repräsentativität kann es zulassen, allgemeine Schlüsse zuzulassen. Dennoch ist dabei zu bedenken, dass es sich bei der vorliegenden Untersuchung in erster Linie um eine Fallstudie handelt. Selbst eine Auswahl nach Repräsentativitäskriterien bietet eine Vielzahl möglicher Repräsentativitäskriterien: Die Auswahl und/oder Gewichtung von Kriterien beeinflusst die Auswahl des dann in irgendeiner Form als repräsentativ bestimmten Forschungssubjekts und damit auch das jeweilige Ergebnis.
Ich lenke meinen Blick auf das Ensemble Just Fun und nehme die Aussagen verschiedener Personen aus dem Ensemble und aus dem Umfeld des Ensembles in meine auszuwertenden Daten auf. Daraus lassen sich zunächst nur sehr begrenzt (und nur über den Umweg der Legitimation der Fallauswahl als in irgendeiner Art repräsentativen Fall) allgemeine Schlüsse ableiten. Idealerweise müssten noch andere derartige Ensembles in ähnlicher Form untersucht werden, nur so ließe sich das Fallstudienproblem auffangen und allgemeinere Schlüsse könnten gezogen werden (Flick 2014:177ff). Die hier festgestellten Bedingungen können zunächst einmal nur als gültig für dieses eine Ensemble angesehen werden. Erst in der Zusammenschau mit anderen Studien lassen die Befunde allgemeinere Schlüsse zu. Andere Studien dieser Art stehen in der Musikpädagogik bislang noch aus.
Letztendlich zeigt die vorliegende Studie einen möglichen Zugang zu gelingendem Inklusiven Musizieren und den damit verbundenen Rahmenbedingungen auf. Denkbar sind selbstverständlich auch noch andere Zugänge. Just Fun ist eine Bigband, das Repertoire besteht aus eigens für dieses Ensemble arrangierten Rock- und Jazzstücken. Andere Ensembles nutzen beispielsweise an zeitgenössischer Musik orientierte Klang- und Improvisationstechniken. Beispiele dafür sind die Gruppe Hier wie da mit dem Kontrabassisten Tetsu Saitoh und Ute Völker und den Tänzern Jean Sasportes und Ryotaro Yahagi sowie das Programm Der langsame Pfeil der Schönheit mit Carl Ludwig Hübsch und dem Theater Hora aus Zürich, beide Ensembles sind auf dem Dortmunder Inklusiven Soundfestival 2014 aufgetreten (kultur integrativ e.V. 2014).
In der vorliegenden Studie habe ich versucht, kommunikationseingeschränkte Teilnehmer durch Kommunikationsassistenz zu Wort kommen zu lassen. Als „Übersetzer“ haben dabei etwa andere (nichtbehinderte) Teilnehmer, die mit den nichtsprechenden Teilnehmer vertraut waren, fungiert. Bei der Analyse des Transkripts habe ich festgestellt, dass es schnell zu einem Gesprächsverlauf kommt, in dem eher vermeintlich für oder gar über den kommunikationseingeschränkten Menschen gesprochen wird (ähnlich festgestellt von Laga (1982:234f)). Diese Daten habe ich aus diesem Grund nicht in den Pool der auszuwertenden Daten aufgenommen. Anders verhielt es sich mit einem Gespräch mit einem kommunikationseingeschränkten Teilnehmer und seiner Mutter. In diesem Fall wurde die kommunikative Assistenzleistung von der Mutter erbracht. Diese hatte offensichtlich eine Kommunikationstechnik entwickelt, die ihrem Sohn Raum gab und Missverständnisse durch Nachfragen, Wiederholungen und Paraphrasierungen möglichst zu vermeiden und dabei auch nicht in ein Für-den-behinderten-Menschen-sprechen zu verfallen (vgl. Abschnitt 4.5).
Offensichtlich habe ich die Fähigkeit der nichtbehinderten Teilnehmer zu kommunikativer Assistenz falsch eingeschätzt. Erfolgreiche kommunikative Assistenz setzt scheinbar nicht allein Vertrautheit mit dem kommunikationseingeschränkten Menschen voraus, vielmehr müssen möglicherweise auch Gesprächstechniken erlernt werden und es muss ein hohes Maß an Sensibilität für den Ablauf des Kommunikationsprozesses vorhanden sein.
Ich habe mich als Auswertungsinstrument für die Qualitative Inhaltsanalyse entschieden. In Abschnitt 4.6 habe ich darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass es sich bei der Qualitativen Inhaltsanalyse um eine reine Analysemethode handelt, gewisse Freiheiten beim Sammeln der Daten mit sich bringt. Für diese Studie hat sich dieser vermeintliche Vorteil aber wiederum als Schwäche erwiesen. Die Qualitative Inhaltsanalyse ist ein sprachbasiertes Analyseinstrument. Die Kommunikation mit nichtsprechende Teilnehmern kann, sofern sich sie sich nicht in sprachliche Daten transformieren lässt, nicht ausgewertet werden.
Um nichtsprechende Teilnehmer dennoch zu Wort kommen zu lassen, scheinen Mixed-Methods-Ansätze vielversprechender zu sein: Hier können gleichzeitig eher quantitative Ansätze, etwa die von Gromann (1998:254ff) vorgeschlagene Befragung mit Antwortmöglichkeiten durch Smiley-Skalen, zum Einsatz kommen. Auch der Einsatz von Videographie kann sinnvoll zu sein, muss allerdings auch methodisch an die Spezifika einer sehr heterogenen Untersuchungsgruppe angepasst werden. Eine videografische Dokumentation eines Interviews mit kommunikationseingeschränkten Menschen, etwa zur Umgehung eines Interviews mit Kommunikationsassitenz, stellt den Forscher erneut vor das Problem der Interpretation und Transformation der videografierten Daten in einen dann auf der nächsten Untersuchungsebene erst methodisch zu interpretierenden Datensatz. Wenn die Absicht besteht, die Sichtweisen wirklich aller Menschen in einer Studie zu erheben und erkennbar zu machen, lässt sich das Problem der Interpretation bei der Transformation vor der methodischen Auswertung nicht umgehen. Zur Absicherung der Validität von Untersuchungsergebnissen bleibt in diesem Fall nur der Vergleich der Ergebnisse verschiedener qualitativer und/oder quantitativer Verfahren bei der Datenerhebung.
Dieser Beitrag soll darstellen, welche Bedingungen zu einem inklusiven Musizieren im Fall der Band Just Fun beitragen. Es handelt sich um qualitative Untersuchung an einem Ensemble. Vor- und Nachteile der Methodenauswahl habe ich ausführlich diskutiert. Studien mit inklusiven Fragestellungen sind trotz der Aktualität des Themas in der Musikpädagogik bislang selten anzutreffen. Die hier vorliegende Untersuchung wirft ein Licht auf außerschulisches inklusives Musizieren. Unbedingt wünschenswert wären weitere Untersuchungen in diesem Bereich, es existieren noch eine Vielzahl weiterer inklusiver Ensembles mit durchaus auch musikalisch anderen Schwerpunkten. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass die Herangehensweise und die damit verbundenen Bedingungen als allgemeingültig für das inklusive Musizieren anzusehen wären. Einen Überblick über die Szene inklusiver Ensembles bieten die im Text genannten inklusiven Soundfestivals.
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