Abstract: Inklusive Bildung und Erziehung, die durch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN 2006) eine normativ-rechtliche Setzung erfahren hat, kann als umfassende und ambivalente Schulentwicklungsaufgabe verstanden werden, die neue Anforderungen an die in Schule und Unterricht tätigen Akteur/-innen stellt. Dieser Beitrag nimmt Schulleitende als eine Akteursgruppe in den Blick. Am Beispiel einer explorativen Studie zu Handlungspraktiken Schulleitender im Kontext inklusiver Schulentwicklung in der Nordwestschweiz werden dabei mittels einer exemplarisch dargestellten komparativen Sequenzanalyse im Rahmen der Dokumentarischen Methode Orientierungen vorgestellt, wie Schulleitende die an sie gestellten Anforderungen handlungspraktisch bearbeiten.
Stichworte: Inklusive Schulentwicklung; Schulleitungen; Dokumentarische Methode
Inhaltsverzeichnis
Inklusion stellt einen rechtlich gestützten Reformauftrag an Schule und Unterricht (vgl. UN 2006) dar, der auf den deutschsprachigen Kontext bezogen bundesland-/kantonspezifisch auf unterschiedliche Weise und mit differenter Ausprägung bearbeitet wird. Nicht nur die derzeitigen Rekontextualisierungstendenzen des Auftrages in das bzw. innerhalb des Systems Schule (vgl. Dlugosch & Langner 2015), sondern auch die (bisweilen ambivalente) Gleichzeitigkeit von top-down gesteuerten, de-segregativen Maßnahmen (vgl. Hinz 2013) und einer in der Schullandschaft sich bereits seit Jahrzehnten entwickelnden bottom-up Bewegung integrativer bzw. an Inklusion orientierter Schul- und Unterrichtsgestaltung, deuten darauf hin, dass der tranformatorische Reformprozess – mit Werning (2014, 604) ausgedrückt – als „komplexe Schulentwicklungsaufgabe“ bezeichnet werden kann.
In terminologischer wie konzeptioneller Hinsicht wird dem Inklusionsbegriff seit jeher eine enorme Spannweite unterschiedlicher Konnotationen attestiert (Kozleski et al. 2011): „Inclusive education has meant anything from physical integration of students with disabilities in general education classrooms to the transformation of curricula, classrooms, and pedagogies, and even the transformation of entire educational systems.” Der Unterscheidung von Slee und Weiner (2011) folgend – auf welche im späteren Verlauf zurückgegriffen wird – wird Inklusion hier als grundlegende und umfassende Veränderung von Schul- und Unterrichtskultur (inclusion as ‚cultural politics‘) in Abgrenzung zu technisch-formalen, „kosmetischen“ Systemadjustierungen (inclusion as a ‚technical problem‘) verstanden. Begriffen als ganzheitlicher Transformationsprozess, dessen Fokusperspektive auf systemische Benachteiligungspotenziale gerichtet ist, bedeutet dies, dass schulstrukturelle, professionalitätsspezifische oder auch unterrichtlich-didaktische Strukturen, Kulturen und Praktiken (vgl. Booth & Ainscow 2011) entsprechend ihrer Exklusions- und Marginalisierungspotenziale in den Blick genommen werden. Dies macht erforderlich, dass neben schulstrukturellen Veränderungen auch die Ausgestaltung von formalen Aufgaben im Rahmen professioneller Rollen zu verhandeln sowie deren Praktiken zu untersuchen sind (vgl. Köpfer 2016, im Ersch.). Der Begriff „Rolle“ wird hier also verstanden als soziologische Kategorie, die zunächst eine formale Erwartungshaltung und soziale Position bzgl. der betreffenden Akteur/-innen ausdrückt (vgl. Dahrendorf 1974, 61; Goffman 2010), welche handlungspraktisch auf unterschiedliche Weise erfüllt werden kann.
Eine Akteur/-innenrolle, der gemeinhin eine „Schlüsselaufgabe“ im Kontext von Inklusion zugeschrieben wird (vgl. u.a. Scheer et al. 2014; Sturm et al. 2015) und die als „Change Agent“ (Huber 2009, 503) für schulische Veränderungsprozesse bezeichnet wird, ist die der Schulleitung. Ohne an dieser Stelle dezidiert auf den Forschungsstand und die insbesondere für den deutschsprachigen Kontext bestehenden, weitreichenden Forschungsdesiderate bzgl. Schulleitungen im Kontext von Inklusion eingehen zu können (vgl. hierzu zsf. Sturm et al. 2015; Scheer et al. 2014; Amrhein et al. 2016, in Vorb.), kann resümiert werden, dass ein Forschungsdesiderat bzgl. grundständiger empirischer Untersuchungen hinsichtlich der Schulleitungsformen oder Aufgaben, Praktiken, Haltungen etc. von Schulleitungen bezogen auf den Reformantrag Inklusion besteht. Der Fachdiskurs bezieht sich derweil überwiegend auf Erkenntnisse aus anglo-amerikanischen Untersuchungen (vgl. z.B. Waldron 2012; Ryan 2011, Ainscow et al. 2013), welche auf Grund unterschiedlicher länderspezifischer sozialer, politischer, kultureller und/oder schulstruktureller Gegebenheiten mögliche Verzerrungspotenziale bei der deutschsprachigen Rezeption beinhalten.
Die Schweizer Schullandschaft ist bereits seit mehreren Dekaden in einen Reformprozess integrativer Schulentwicklung inbegriffen. Im Jahr 1999 formulierten Bless und Kronig (1999) die Frage: „Wie integrationsfähig ist die Schweizer Schule?“ und fokussierten dabei auf die Rahmenbedingungen für Integration in der schweizerischen Volksschule. In bildungspolitisch-rechtlicher Hinsicht kann bzgl. der Differenzlinie „Behinderung“ von einem sukzessiven Transformationsprozess in Richtung des Beschulungsauftrages aller Schüler/-innen innerhalb der Volksschule gesprochen werden, zunächst festgesetzt durch das Behindertengleichstellungsgesetz (BeHig 2002), durch das darauf folgende Sonderpädagogik-Konkordat (EDK 2007) mit der Maßgabe der „Integration vor Separation“ und nun der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN 2006) im Jahr 2014, die ein „inclusive education system at all levels“ (Art. 24) von den ratifizierenden Staaten erforderlich macht. Wie Bless (2007) dokumentiert, haben sich über die vergangenen Dekaden unterschiedliche Formen der Integration von Kindern mit besonderem Bildungsbedarf herausgebildet, von denen das Setting der sog. „Kleinklassen“ – d.h. Klassen von Kindern mit Lernschwierigkeiten innerhalb der Volksschule – prädominant ist, die nun zunehmend in einen regulären Klassenverband überführt werden – ohne die via Abklärungsverfahren attestierte Zuschreibung des „besonderen Bildungsbedarfs“ für einzelne Kinder aufzuheben.
Gleichzeitig ist die Schule in deutschschweizer Kantonen in einen Reformprozess der Standardisierung eingebunden, der sich insbesondere als Ziel der Harmonisierung der Kantone in Bildungsfragen definiert, z.B. der Zusammenarbeit in der Sonderpädagogik (vgl. EDK 2007) oder die Harmonisierung des Curriculums (Lehrplan 21) (vgl. Harmos 2007), was potenziell mit Inklusion in Konflikt stehende Massnahmen vorsieht.
Schulleitungen nehmen eine zentrale Stellung ein und verfügen über sukzessive ansteigende Verantwortung in Schule; d.h., ihre Entscheidungsbefugnisse haben sich vergrößert. Zugleich sind die Aufgabenbereiche, z.B. administrative Tätigkeiten, komplexer geworden (vgl. Huber & Schneider 2007). Schulen sind mit einer Vielzahl von Reformaufträgen konfroniert, die auf formaler Ebene möglicherweise ambivalente oder sich ergänzende Handlungsanforderungen an Schulleitende stellen. Vor diesem Hintergrund formaler Anforderungen stellt sich die Frage, wie Schulleitende die bildungspolitischen Anforderungen der Umsetzung integrativer Schulentwicklung auf Basis der bisherigen Entwicklungen und Voraussetzungen innerhalb ihrer jeweiligen Schule bearbeiten, welche kulturell-habituellen, d.h. milieuspezifischen Handlungspraktiken durch sie rekonstruiert werden.
Zusammenfassend kann also folgende Forschungsfrage abgeleitet und ins Zentrum gerückt werden:
Wie bearbeiten Schulleitende die Anforderung schulischer Integration, welche Orientierungen sind hierbei leitend?
Diesem Desiderat versucht eine explorative Studie Rechnung zu tragen, die in diesem Artikel unter Darstellung einer exemplarischen komparativen Sequenzanalyse vorgestellt wird. Sie wurde in der Nordwestschweiz durchgeführt und untersucht die Handlungspraktiken Schulleitender im Kontext schulischer Integration.
Im Rahmen einer Auswahl von drei Schulen unterschiedlicher Schulstufen und Schulformen aus verschiedenen Kantonen der Nordwestschweiz wurden problemzentrierte (Expert/-innen-)Interviews (vgl. Witzel 2000; Nohl 2012, 13ff.; Meuser & Nagel 2010) mit Schulleitenden durchgeführt. Ziel war es, mittels erzählgenerierender Fragen die handlungspraktische Bearbeitung der an sie gestellten Schulentwicklungsanforderungen durch Integration zu erheben. Die Entscheidung für das Experteninterview als geeignete Form rührt insbesondere aus der Möglichkeit, Schulleitende als Expert/-innen für ihr eigenes Schulleitungshandeln zu Wort kommen zu lassen und hierdurch die Möglichkeit der Rekonstruktion ihres Handlungswissen zu erlangen.
Das dem methodischen Vorgehen zugrundeliegende methodologische Verständnis der Untersuchung richtet sich nach den Prämissen der Dokumentarischen Methode der Textinterpretation (Bohnsack 2014, Nohl 2012). Ohne an dieser Stelle in Ausführlichkeit auf das qualitative Forschungsparadigma der Dokumentarischen Methode (vgl. u.a. Bohnsack 2014, 2009) und ihrer Relevanz für die Erforschung inklusionsbezogener Fragestellungen und Zusammenhänge (vgl. hierzu insbes. Sturm 2015, in diesem Heft; Sturm 2012; Sturm & Wagner-Willi 2012) eingehen zu können, werden kurz die zentralen methodologischen Prämissen, die für die explorative Studie eine Rolle gespielt haben, skizziert.
Basierend auf der wissenssoziologischen Annahme, dass sich handlungsleitendes Wissen in erster Linie „konjunktiv“, d.h. „in die Alltagspraxis eingelassen“ (Bohnsack 2009, 321) abbildet und sich demnach „atheoretisch“ (vgl. Mannheim 1980, 74ff.) äußert, gilt es, dieses implizite Wissen offenzulegen und für wissenschaftliche Analysen fruchtbar zu machen. Es eröffnet, so Bohnsack, „im Sinne von Mannheim […] einen Zugang zur Praxis“ (Bohnsack 2009, 322). Es geht dabei nicht um die Rekonstruktion formal-geäußerter Theorien im Sinne „kommunikativen Wissens“, sondern um die Rekonstruktion der inhärenten „praktischen Logik“ (Bohnsack 2009, 321), die Personen im alltäglichen Handeln anwenden, sozusagen ihrer handlungsleitenden Orientierung – ähnlich zu Bourdieus (vgl. 1997) Konzept des „Habitus“ –, vor deren Hintergrund sie an sie gestellte formale Anforderungen bearbeiten bzw. konstruieren.
Die auf Mannheim basierende und von Ralf Bohnsack weiterentwickelte Dokumentarische Methode intendiert eine Rekonstruktion des impliziten Wissens mittels feinanalysierenden, methodisch-kontrollierten Schritten (vgl. Bohnsack 2014). „Kennzeichnend für diese Methode“ – wie Fritzsche und Wagner-Willi (2015, 134) explizieren – „ist die auf die Prozessstrukturen der Praxis gerichtete genetische Analyseeinstellung und der damit verbundene Fokus auf implizite […] Wissensbestände“. Diese kann mit unterschiedlichen Methoden empirisch erfasst werden, die sich für diese Analyseeinstellung adäquat erweisen, u.a. Gruppendiskussionen, Videografien, (Experten-)Interviews.
Ziel ist es folglich, den für die impliziten Wissenstrukturen handlungsleitenden „modus operandi“ (Bohnsack 2014, 256) zu erheben, d.h. zu rekonstruieren, mit welcher Orientierung Schulleitende ihre formale Rolle handlungspraktisch erfüllen. Ein Orientierungsrahmen besteht dabei aus ihn begrenzenden Horizonten: „Als positiver Horizont [Hervorheb. im Orig.] wird jener Teil des Rahmens bezeichnet, auf den eine Orientierung zustrebt. Der negative Horizont ist das Ideal eines Sinnzusammenhangs, von dem sich die Beteiligten abgrenzen.“ (Sturm 2015, in diesem Heft)
Die Auswertung der (Experten)Interviews erfolgte entlang der von Nohl (2012, 39ff.; hierzu auch: Bohnsack & Schäffer 2007; Bohnsack & Nohl 2007) für die Interpretation von Interviews vorgeschlagenen und exemplifizierten Analyseschritte der Formulierenden Feininterpretation (FI), Reflektierenden Interpretation (RI) und Komparativen Sequenzanalyse:
Eine Narrationsstrukturanalyse im Rahmen der RI ermöglicht die Differenzierung von Textsorten, z.B. zur Identifikation von verdichteten Erzählpassagen oder von formal-thematischen Übergängen. Die Komparative Sequenzanalyse dient dann der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Orientierung innerhalb eines Falles – oder auch zwischen unterschiedlichen Fällen, wie im nachfolgenden Beispiel exemplifiziert.
Im Folgenden wird beispielhaft eine Kontrastierung zweier Interviewpassagen aus den Interviews mit den Schulleitenden aufgeführt. Den Interviewten wurde derselbe erzählgenerierende Einstiegsimpuls gestellt, indem gefragt wurde, wie es an ihrer Schule zur Integration gekommen sei und was sich bis heute wie entwickelt und möglicherweise in diesem Prozess auch verändert habe. Der Erzählimpuls bezieht sich also auf den Beginn und auf mögliche Entwicklungen von Integration in der entsprechenden Schule. Im Rahmen des Auswertungsprozesses kann die Fragestellung rückblickend allerdings insofern kritisch reflektiert werden, da durch die Implikation, dass Integration in der Schule der interviewten Schulleiter vorhanden sei, bereits eine latente Unterstellung vorgegeben wird.
Aus kapazitären Gründen werden die Formulierende Interpretation im Detail ausgespart und lediglich die Ober- und Unterthemen aufgeführt, die den „immanenten Sinngehalt“ des Interviewausschnitts verdeutlichen. Die dann explizit aufgeführte Reflektierende Interpretation bezieht sich auf den „dokumentarischen Sinngehalt“, indem die Orientierungen der Schulleitenden auf das Thema herausgestellt werden. Die Komparative Sequenzanalyse vergleicht dann die Orientierungen der beiden Schulleitenden.
a) Sequenz 1 (SCHII) – Oberthema: Idee der Integration wird vom Volksschulleiter in die Schule gebracht (Z. 6-36)[1]
In der Sequenz I (SCHII) handelt sich um einen Schulleiter einer Sekundarschule aus der Nordwestschweiz. Der ausgewählte Transkriptausschnitt stellt die Einstiegssequenz des Interviews dar. Dem Schulleiter wurde freigestellt, ob er das Interview in Schweizer Mundart oder hochdeutsch führen will, um der ihm präferierten Konversationsform zu entsprechen, und er hat sich für Mundart entschieden. Eine Arbeitsübersetzung des Transkriptausschnitts ins Hochdeutsche ist im Anhang beigefügt. Im weiteren Gesprächsverlauf wurden Team- und Unterrichtsentwicklung sowie Fragen der bildungspolitischen Unterstützung von Integration thematisiert. Das Interview schloss mit einer Frage nach einem prognostizierten Entwicklungsverlauf von Integration an der Schule.
Entlang des in der Formulierenden Interpretation identifizierten Oberthemas wurden der Passage zwei Unterthemen (UT) zugeordnet, die im Folgenden gesamthaft in die Reflektierende Interpretation einbezogen werden: UT 1 – Frage nach der Entwicklung von Integration; „hemdsärmliger“ (Z. 17) Volksschulleiter schlägt Integration vor (Z. 6-24) / UT 2 – Abwägung des Nutzens und der Machbarkeit des Vorschlags (Z. 24-36).
Auf die gesprächseinleitende, erzählanregende Proposition zur Entwicklung von Integration in seiner Schule und zu möglichen Veränderungsprozessen, reagiert Herr Weber, indem er eine repetierende Anschlussproposition ausführt, die die Eingangsproposition validiert. Sie wird durch eine antithetische Proposition („ganz eifachi Gschi“; Z. 12-13) evaluiert – wodurch sich latent ein negativer Horizont eines zeitlich andauernden Entstehungsprozesses von Integration gegenüber dem Erzählimpuls andeutet. Im Modus der Erzählung führt Herr Weber eine personenbezogene Beschreibung der Initiierung der Idee von Integration durch den Volksschulleiter aus und beschreibt exemplarisch die – tonal emphasierte – „Coachingsitzig“ (Z. 15) als stets hilfreich. Als Orientierung wird hier deutlich, dass Herr Weber primär die Initiative bzw. den Auslöser für Integration in einer pragmatischen Person, dem Volksschulleiter, verortet. In der dialogisch dargestellten Gesprächssituation mit dem als „hemdsärmlig“ (Z. 17) bewerteten Volksschulleiter wird somit dem – implizit angedeuteten – negativen Horizont komplexer Schulentwicklungsprozesse ein pragmatisch initiierter Einführungsauftakt von Integration positiv gegenübergestellt – exaggeriert durch die Proposition „swär doch mol luschtig“ (Z. 18-19).
Im elaborierten Vorschlag des Volksschulleiters, der die Initiierung von Integration inhaltlich von sich abgehend auf eine aktuell vorherrschende Idee bezieht, dass „Behindertii ihbaut“ (Z. 23) werden, wird begrifflich zudem ein pragmatisch-additives, vergegenständlichendes Verständnis von ‚Behinderten‘ im Kontext von Integration deutlich. Herr Weber emphasiert die Pragmatik des Volksschulleiters durch eine repetierte, die Erzählung konkludierende „Fokussierungsmetapher“ einer „hemdsärmligen“ (Z. 24) Art und Weise, worin die Orientierung einer unkonventionell-pragmatischen Vorgehensweise zum Ausdruck gebracht und ein pragmatisches Entscheidungs- und Leitungshandelns als positiver Horizont deutlich wird.
Die Reaktion von Herrn Weber auf die vom Volksschulleiter gestellte Proposition resultiert in einer Abwägung des Nutzens oder Nicht-Nutzens der Integration durch die Schule. Im Modus der Erzählung unterstreicht Herr Weber die forcierte und mit implizitem Druck verbundene Aufforderung des Volksschulleiters, Integration auszuprobieren, da es kein komplexes Unterfangen sei. Äußerungen wie z.B. „mir han gseit jo was hammer davo? Oder was han mir [räuspert] (.) nit davo? Und er het gfunde dass dass (.) dass das sie kei Sach? Und darum müsse mir eifach mal ihstiege“ (Z. 25-28, SCHII) dokumentieren eine pragmatische Haltung, die eine spontane und experimentelle Entscheidugung des Ausprobierens nach sich zieht und mit keiner pädagogisch-konzeptuellen Bedingung oder Planung verknüpft wird.
In der ressourcen- und nutzenorientierten Argumentation, z.B. in der Reflexion von möglichem Profit durch Integrationsmaßnahmen („mir han gseit jo was hammer davo? Oder was han mir [räuspert] (.) nit davo?“; SCHII, Z. 25-26), verbindet sich der positive Horizont einer pragmatischen und zeitlich unaufwändigen Einführung mit einer ökonomische Orientierung.
Eine der Entscheidung zur Integration vorangestellte Auskunft über die offene Beziehung zum damaligen Schulleiter und die konkludierende Einordnung der Sachlage bezogen auf die Darstellung des Schulleiters („so wie das tönt“, Z. 30) führen zu einer abschließenden positiven Bewertung der Machbarkeit, entschieden durch Herrn Weber selbst („>und=da=hab=i=gfunde ja<“; Z. 30). Zentral für die Begründung erscheint für ihn die Tatsache, dass es ohnehin die bildungspolitischen Entwicklungen verlangen werden, Integration einzuführen und dies bald flächendeckend in allen Schulen Alltag sein wird. Es zeigt sich also im Prozess der Entscheidungsfindung eine pragmatische Orientierung seinerseits, die allgemein bevorstehende Aufgabe schulischer Integration bereits anzufangen und die nicht aufzuhaltende Entwicklung zu antizipieren. Hier steht eine zurückhaltende Befürwortung des Ausprobierens von Integration („so wie=s sowieso vo witer her tönt wird das der Alltag werde wenn mir jetzt scho könne damit afoh dann probiere mir doch das<.“; SCHII, Z. 31-33), die darauf hindeutet, dass ein nicht weiter ausgeführter, top-down verordneter formaler Rahmen den Entwicklungszusammenhalt markiert und primär bestimmt. Es dokumentiert sich eine ambivalente Entscheidungssituation für Herrn Weber, die durch die Rahmen bildenden Entscheidungsfaktoren einen passiven, vorgegebenen bzw. als rhetorisch zu bezeichnenden Charakter aufweist. Die Passivität findet sich auch in begrifflicher Hinsicht im Transfer der adjektivischen Zuschreibung „hemdsärmlig“ vom Volksschulleiter auf die nun personifizierte „hemdsärmlige […]Entscheidig“ (Z. 34-36) wieder.
Es zeigen sich in dieser Passage somit erste Orientierungen als Elemente eines Orientierungsrahmens von Herrn Weber hinsichtlich der bildungspolitischen Anforderung schulischer Integration. Diese wird als hierarchisch gesteuerte und an den Schulleiter herangetragene, „einfache“ Aufgabe kommuniziert, auf die ein pragmatisch-ökonomischer Abwägungsprozess und die latent fremdbestimmte Befürwortung der Idee als positiver Horizont erfolgt. Es zeigt sich dabei auf konjunktiver Ebene ein pragmatisch-passiver Umgang mit von außen herangetragenen, ggf. hierarchisch gesteuerten Veränderungsmaßnahmen ab. Die Orientierung wird durch die Fokussierungsmetaphern einer „hemdsärmeligen Entscheidung“ und des „Einbauens von Behinderten“ in bestehende Strukturen verstärkt, die keine grundlegende Umstrukturierung der schulischen Tätigkeiten bzw. Organisation umfassen.
b) Sequenz 2 (SCHIII) – Oberthema 1: Einführung von Integration als organisatorische Maßnahme (Z. 23-50) / Oberthema 2: Öffnung des Unterrichts und die „heikle“ Rolle der Schulischen Heilpädagogin (Z. 50-65)
In der Sequenz 2 (SCHIII) wird ein Ausschnitt eines Interviews mit einem Schulleiter einer Primarschule aus der Nordwestschweiz aufgeführt. Wiederum stellt der ausgewählte Transkriptausschnitt die Eingangssequenz der. Die Wahl, das Interview in Schweizer Mundart oder hochdeutsch zu führen, hat er zugunsten von hochdeutsch entschieden. Im weiteren Verlauf werden im Gespräch nach dem zentralen Eingangsimpuls Nachfragen zu Team- und Unterrichtsentwicklung, zum Umgang mit Ressourcen und zu zukünftigen Vorstellungen des Entwicklungsverlaufs von Integration gestellt, die an dieser Stelle nicht aufgeführt werden können.
Oberthema 1: Einführung von Integration als organisatorische Maßnahme (Z. 23-50; SCHIII)
UT 1: „Äußerlicher“ Grund für die Einführung von Integration – Pension von zwei Heilpädagoginnen einer Kleinklasse (Z. 23-39) / UT 2: Abwägung des Nutzens und der Machbarkeit des Vorschlags (Z. 39-50): Die erzählgenerierende Einstiegsproposition des Interviewenden, wie es zur Integration gekommen sei und was sich möglicherweise in diesem Prozess verändert habe, wird von Herrn Halder implizit validiert, indem er eine Rückblende initiiert, die – zeitlich datiert auf 2007 – die Einführung von Integration als organisatorische Maßnahme der Schule beschreibt. Im Modus der Evaluation führt der Schulleiter daraufhin aus, dass ein „organisatorischer äußerlicher Grund“ (Z. 29-30) für die Einführung von Integration verantwortlich gewesen sei. Durch das „eigentlich“ (Z. 29) wird auf einen positiven Horizont eines gewünschten ‚innerlichen‘ (i.S.v. inhaltlichen), ideen- bzw. wertegeleiteten Einführungsprozess hingewiesen.
Herr Halder elaboriert daraufhin die Entstehungshintergründe, indem er eine Umstrukturierung der Klassenstrukturen aufgrund von Pensionen zweier Heilpädagoginnen als Grund anführt. Er gibt dem von den Lehrpersonen geäußerten Wunsch der Nichtaussonderung einzelner Schüler/-innen statt. Vor diesem Hintergrund werden auf expliziter Ebene die Veränderung der Klassengrößen und die damit zusammenhängende Umstrukturierungsnotwendigkeit als Auslöser für integrative Schulung herausgestellt, auf impliziter Ebene konturiert sich ein positiver Horizont der Unterstützung von Nichtaussonderung und eines Verständnisses von Schule als wohnortnahen Lernort auch für Schüler/-innen mit besonderem Bildungsbedarf.
Herr Halder differenziert die Situation im Modus der Erzählung weiter aus, indem er die Initiative der Akteursgruppe der Lehrpersonen ins Zentrum der Erzählung rückt, die sich für den Verbleib der von ‚Aussonderung bedrohten Kinder‘ aussprachen und dies mit dem sonst zu langen Schulweg der Kinder begründeten. In der Erzählung „Das (1) Team der Lehrpersonen hat vorgeschlagen sie würden diese Kinder ähm=äh einfach in der Klasse mit(.)führen“ (Z. 36-37, SCHIII) dokumentiert sich eine Reaktionspraxis des Schulleitenden, die einen Vorschlag der Lehrpersonen aufnimmt, und hierin auf ein tendenziell horizontal angelegtes Schulleitungshandeln hindeutet.
Die aktive und haltungs- bzw. wertegeleitete Rolle der Lehrpersonen wird im Folgenden weiter emphasiert, indem der Schulleiter seinen Aufgabenbereich auf die strukturelle und ressourcengesicherte Einführung von Integration fokussiert und die Aushandlung von struktureller Integration im Sinne eines Umsetzungsrealismus anstößt: „Und da habe ich mich als Schulleiter (.) nur dazu bereit erklärt wenn wir (.) auf Integration umstellen. [Einatmen] Weil ich (.) dafür auch die (1) Ressourcen und die Fachpersonen haben wollte. Und wenn wir wirklich den Kindern gerecht werden wollten.“ (SCHIII, Z. 39-43). Er kontextualisiert also das Integrationsvorhaben bei gleichzeitiger Reflexion (und Abwägung) bzgl. der vorhandenen Strukturen, welche aus Schulleitungssicht bestimmt werden durch Ressourcen und Rahmenbedingungen, die Integration ihrer Einschätzung nach umsetzen oder nicht umsetzen lassen. Entlang des positiven Horizonts der Unterstützung von Nichtaussonderung leitet sich hierin seine Orientierung aus einer pädagogisch-unterstützenden und auf die Bedingungen umfassender Einführung von Integration pochenden – und auch mit vorbereitenden professionalisierenden Maßnahmen wie z.B. Weiterbildungen („Weiterbildungen vor allem für (1) individualisierenden selbsttätigen Unterricht haben stattgefunden; [Einatmen] und dann haben wir gestartet.; SCHIII, Z. 39-43) verbundenen – Argumentation ab.
Herr Halder resümiert bzw. evaluiert dies im Sinne eines Eingeständnisses: „Es war(.) >das geb ich zu< keine Umstellung aus der (.) tiefen Überzeugung dass die Integration der bessere Weg (.) sei.“ (Z. 45-47) Allerdings wird hier die Orientierung deutlich, dass der Schulleiter seinem Verständnis nach die Anforderung Integration umsetzungsrealistisch und mit struktureller Unterstützung sowie Professionalisierung zu bearbeiten intendiert. Im Gegenzug zur „fehlenden“ Überzeugung initiiert er flankierende Maßnahmen zur Professionalisierung des bestehenden Lehrpersonals, bevor „gestartet“ (Z. 50) wird, damit die materiellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Der auf organisatorischen und strukturellen Maßnahmen beruhenden Einführung von Integration führt Herr Halder also vorausgehende Weiterbildungsmaßnahmen für individualisierenden und selbsttätigen Unterricht an, was auf eine Orientierung hindeuten lässt, die die Aufgabe der Integration in Schule und Unterricht als langfristigen und planvoll zu gestaltenden, ganzheitlichen Entwicklungsprozess ansieht.
Oberthema 2: Öffnung des Unterrichts und die „heikle“ Rolle der Schulischen Heilpädagogin (Z. 50-65; SCHIII)
UT 1: Schulische Heilpädagogin steuert den Prozess von Anfang an mit (Z. 50-53) / UT 2: Gefahr für Heilpädagogin, als pädagogischer Spion angesehen zu werden (Z. 53-65): Herr Halders Erzählung zur Einführung von Integration an der Schule konzentriert sich, nach der Auslösersituation, auf die prozesshafte Umgestaltung und Entwicklung von Unterricht – unmittelbar gekoppelt an die Präsenz der Heilpädagogin, die den Prozess aktiv „mitgesteuert hat“ (Z. 53). Er evaluiert ihre mitsteuernde Rolle in Bezug auf die Unterrichtsentwicklung als betont „schwiierige“ (Z. 54) und als „heikle Sache“ (Z. 54) – zunächst im Modus der Erzählvergangenheit, daraufhin wechselnd ins beschreibende Präsens. Im Modus der Beschreibung präzisiert er die konfliktevozierende Ursache als Aufgabenüberschneidung von Schulischer Heilpädagogin und eigentlicher Schulleitungsaufgabe. Den Konfliktherd sieht er allerdings nicht in der Aufgabenüberschneidung per se. In der exponierten Stellung einer mitsteuernden Rolle könne die Schulische Heilpädagogin als „pädagogischer Spion“ (Z. 59) oder „Stör(.)person“ (Z. 61) von ihren Kolleg/-innen wahrgenommen werden. In dieser Beschreibung wird deutlich, dass Herr Halder zwar eine aktive Steuerung bei der Einführung von Integration beschreibt, welche nicht von den Lehrpersonen aus geht. Die Erwartung an eine autoritäre und aktiv gestaltende Schulleitungsrolle wird jedoch durch den negativen Horizont einer ansonsten tendenziell horizontal zu den Lehrpersonen angelegten Akteursrolle – der Schulischen Heilpädagogin – gebrochen. Diese erhält eine exponierte Stellung, bekommt Verantwortung übertragen und tritt als nahezu stellvertretende Führungsrolle zur Transformation bzw. offenen Gestaltung des Unterrichts auf. Die prädominante Stellung der Heilpädagogin wird im Weiteren emphasiert, indem in der Erzählung von Herrn Halder die Begründung zur Umgestaltung des Unterrichts darauf bezogen wird, dass die Heilpädagogin dann „wirklich integrativ wirken“ (Z. 65) kann.
Es werden in der analysierten Sequenz aus SCHIII somit Elemente einer Orientierung deutlich, die Integration als Reformprozess validieren und als wertegeleitet einzuführende Reform idealisieren. So konturiert sich das Schulleitungshandeln – im Sinne eines positiven Horizonts – als auf Umsetzungsrealismus und Professionalisierung bedachtes Agieren – mit Fokus auf Ressourcierung, organisatorisch-administrative Rahmenbedingungen und Vorbereitungsmaßnahmen. Die Unterrichtsentwicklung wird als aktiver Handlungsrahmen zur Umsetzung von Integration angesehen, für den in erster Linie die Schulische Heilpädagogin zuständig ist.
c) Komparative Analyse
Dem übergeordneten Erkenntnisinteresse folgend wurde den beiden interviewten Schulleitenden (Herrn Weber, SCHII; Herrn Halder, SCHIII) derselbe erzählgenerierende Einstiegsimpuls dargelegt, wonach sie erzählen sollten, wie es in ihrer Schule zur Integration gekommen sei und was sich in diesem Prozess verändert habe. Im Vergleich ihrer Bearbeitung des Impulses dokumentieren sich dabei sowohl homologe als auch heterologe Orientierungen hinsichtlich der Gestaltung der Entwicklung von Integration in der Schule.
Zunächst ist eine Homologie der Orientierungen insofern erkennbar, als beide Schulleitenden den Erzählimpuls validierend bearbeiten und somit die Entstehungszusammenhänge vor dem Hintergrund der Auffassung erzählen, dass ihre Schule integrativ sei. Auch sind sie Orientierungen dahingehend homolog, dass die Entscheidungspraxis für die Einführung von Integration auf Basis eines äußeren Impulses stattfindet, d.h. als Reaktion. Im Vergleich der Orientierungen beider Schulleitenden bildet sich Schulleitungshandeln also in einem fremdbestimmten Rahmen ab, der sich nicht durch explizite rechtliche Vorgaben, Verpflichtungen oder Rahmenbedingungen offenbart, sondern in unterschiedlichen expliziten wie impliziten Erwartungshaltungen an Schule. Diese evozieren eine Reaktion der Schulleitenden. Die impulsgebenden Personengruppen sind dabei allerdings uneinheitlich und auf unterschiedlichen Hierarchieebenen angesiedelt (Volksschulleiter in SCHII; Lehrpersonen in SCHIII).
Wenngleich sich eine o.g. Reaktionspraxis auf den äußeren Impuls zur Einführung von Integration in beiden Einstiegssequenzen manifestierte, können die daraus abgeleiteten Konsequenzen als äußerst divergent bezeichnet werden. Den Orientierungen ist zwar zunächst noch gemeinsam, dass sie den herangetragenen Impuls für die Initiierung von Integration vor dem Hintergrund der Ressourcenakquirierung und -sicherung bearbeiten, die Schlussfolgerungen für Leitungshandeln und innerschulischen Entwicklungsprozess können allerdings als konträr bezeichnet werden: zum einen als pragmatisch-passiv im Sinne einer „hemdsärmeligen“ Entscheidung (Herr Weber) oder als Rahmenbedingungen für pädagogische Prozesse schaffend (Herr Halder). So wird der Impuls entweder vor dem Hintergrund eines Bestehenlassens vorhandener Strukturen und Integration des Integrationsanspruchs bearbeitet (Herr Weber) – oder er wird vom Schulleitenden proaktiv mit einer initiativen, wenngleich nicht erfahrungsbasierten Strategieentwicklung und einem Professionalisierungsanspruch verknüpft (Herr Halder), der Tendenzen einer kulturellen Schulentwicklung erkennbar macht. Der Vergleich der in der Reflektierenden Interpretation abgeleiteten positiven und negativen Horizonte zeichnet genau dieses Bild: Die Bearbeitung der Integrationsidee des Volksschulleiters durch Herrn Weber eröffnet einen positiven Horizont einer pragmatisch-ökonomischen, hemdsärmelig-spontanen Einführung und Umsetzung von Integration. Im Gegensatz dazu dokumentiert sich in der Orientierung von Herr Halder ein positiver Horizont eines gewünscht inhaltlichen, abgestimmten, wertegeleiteten und mit Ressourcierung und Professionalisierung verknüpften Prozesses der Nichtaussonderung bzw. Integration, der die dafür nötige Zeit braucht. Als negativer Horizont konturiert sich ein Einführungsverständnis von Integration, dass Integration nicht ressourciert und spontan umzusetzen versucht.
Als erste Ansätze für eine Typenbildung konturieren sich hierbei zwei latente Typen heraus: Einer, der als pragmatisch-passive Nutzenorientierung innerhalb eines latent fremdbestimmten Rahmens bezeichnet werden kann, aus dem als Konsequenz die möglichst konfliktlose Integration des Integrationsanspruchs in bestehende Strukturen verbunden wird. Und ein zweiter, der den von den Lehrpersonen eingebrachten Impuls der Nichtaussonderung mit einem umsetzungsrealistisch-strategischen Vorhaben kodiert, das mit Professionalisierungs- und Strukturierungsversuchen verbunden wird und erste Anzeichen eines kulturellen Schulentwicklungsprozesses aufzeigt.
Rückführend auf die Fragestellung kann somit konstatiert werden, dass sich in der Orientierung der Schulleitenden eine differente handlungspraktische Bearbeitung des bildungspolitischen Auftrags schulischer Integration dokumentiert. Mittels Komparativer Sequenzanalyse konnten erste Andeutungen zweier Typen herausgearbeitet werden, deren Bearbeitung des Auftrages vor dem Hintergrund differenter Orientierungen zu unterschiedlichen Ausprägungsformen und Konsequenzen hinsichtlich der Umsetzung von Integration führt.
Bezogen auf den erziehungswissenschaftlichen Fachdiskurs um Inklusion kann hier die eingangs angeführte Unterscheidung von Slee und Weiner (2011) (vgl. Kap. 1) herangezogen werden. Während Herr Weber die bildungspolitischen Anforderungen als „technical problems“ bearbeitet, d.h. im Sinne einer passiven Einpassung in bestehende Strukturen, lässt Herr Halder eine Orientuerung im Sinne einer „cultural politics“ erkennen, die schulstrukturelle und -kulturelle Transformationsprozesse mit sich bringen könnte (vgl. Booth & Ainscow 2011). Zudem deckt sich diese Unterscheidung mit den Ergebnissen einer Studie von Warwas (2012), die zwei Formen von Schulleitendentypen herausarbeitet, Schulleitende als aktiv Gestaltende oder als Verwaltende. Diese unterschiedlichen Formen können sich speziell vor dem Hintergrund zunehmender Übertragung von Führungsaufgaben und Handlungsspielräumen – und demnach auch Komplexität – an Einzelschulen entfalten (vgl. Huber & Schneider 2007).
Auch können die Ergebnisse der Komparativen Analyse in Bezug gesetzt werden zu dem in der US-amerikanischen Studie „Stuggeling for Inclusion“ (Ryan 2012) herausgearbeiteten professionellen Handlungsdilemma von Schulleitungen, inklusive Praktiken innerschulisch bei den beteiligten Personengruppen (Lehrpersonen, Schülern, Eltern etc.) zu fördern und gleichzeitig ihnen gegenüber exkludierende gesetzliche Richtlinien – bedingt durch eine neoliberale und kapitalistisch geprägte Gesellschaftsform – durchzusetzen. Die Analyse der Handlungspraktiken von Herrn Weber und Herrn Halder verdeutlicht, dass das von Ryan skizzierte Handlungsdilemma auf unterschiedliche Art und Weise bearbeitet werden kann – zum einen als ressourcenorientiertes, proaktives Abwägen und Steuern des Schulentwicklungsprozesses unter Reflexion des ambivalenten Handlungsrahmens zur Umsetzung von Inklusion, und zum anderen als pragmatische Entscheidung für und delegative Einführung von Inklusion – ohne zwangsweise den Handlungsrahmen als ambivalent wahrzunehmen.
Die vorgestellten Ergebnisse werden im weiteren Auswertungsprozess, der durch kritische Impulse einer Forschungswerkstatt begleitet wird, als Grundlage für daran ansetzende Suchstrategien betrachtet. So wird ein Schwerpunkt dahingehend gelegt, dass die latent herausgearbeiteten Typen von Schulleitungshandeln im Kontext von Inklusion mittels Suchstrategien wie z.B. der Freiwilligkeit der Einführung von Inklusion, der Schulform oder auch des innerschulischen Umgangs mit administrativen Differenzkategorien, wie z.B. der abklärungsbedingten Zuschreibung von „besonderem Bildungsbedarf“, weiter konturiert werden.
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[1] Transkription gemäß Dieth, Eugen (1986) und entlang des Transkriptionssystems TIQ in: Przyborski, Agjala & Wohlrab-Sahr, Monika (2009).