Abstract:Dieser Text stellt keine Rezension des Beitrages „Inklusive Diagnostik“ von Holger Schäfer und Christel Rittmeyer (2015) dar. Er ist vielmehr als Replik bzw. eine kritische Kommentierung zentraler Aussagen von Schäfer und Rittmeyer zu ihrem Vorschlag des Wesens einer inklusiven Diagnostik zu verstehen. Aus diesem Grund werden im Beitrag nur ausgewählte und aus Perspektive des Autors besonders widersprüchliche oder diskussionswürdige Passagen des Beitrages von Schäfer und Rittmeyer herangezogen, kritisch hinterfragt und zur Diskussion gestellt.
Stichworte: Diagnostik, Förderdiagnostik, Inklusion, Kritik
Inhaltsverzeichnis
Diskussionen und Forschungen der letzten Jahre zum Thema Inklusion in Bildungsinstitutionen (und darüber hinaus) haben deutlich gemacht, dass keinesfalls von einem Konsens gesprochen werden kann, was das Verständnis und die damit implizierte ‚Reichweite‘ von Inklusion angeht. Mittlerweile hat sich die polare Gegenüberstellung und Unterscheidung eines „engen“ (deskriptiven, sonderpädagogischen) und „breiten“ (normativen, radikalen) Inklusionsverständnisses etabliert (exemplarisch Hinz 2013, Boban et al. 2013), welche in der jüngeren Vergangenheit auch für die Praxis im englischsprachigen Raum nachgewiesen wurde (vgl. Köpfer 2013, Johnson 2013). Dabei kann angenommen werden, dass eine solche Gegenüberstellung die tatsächliche Sachlage der erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Inklusion eher simplifizierend abbildet. Da allerdings bisher keine empirisch fundierte Beschreibung des/der Inklusionsdiskurse/s existiert, ist die bis dato gängige Differenzierung zwischen dem engen und breiten Inklusionsverständnis zumindest genauer, als von ‚dem‘ Inklusionsdiskurs an sich zu reden bzw. zu schreiben. Die polare Unterscheidung hat also einen funktionalen Wert, um innerhalb der Diskussionen um Inklusion Standpunkte zu beschreiben oder voneinander abzugrenzen. Im Sinne einer solchen und einer unmissverständlichen Positionierung sei darauf verwiesen, dass dieser Beitrag explizit auf der von u.a. stellvertretend von Andreas Hinz (2004, 2009, 2013) vertretenen Perspektive auf Inklusion in Bildungsinstitution basiert. Dieses Verständnis von Inklusion impliziert eine Abgrenzung von der historisch zuvor entstandenen Integrationsbewegung[2] (vgl. Hinz 2002), die allerdings weder eine Abwertung der Integration bedeutet (vgl. Wocken 2010) noch eine grundsätzlich differente Intention impliziert. Vielmehr meint Inklusion in dieser Lesart deutlich mehr als die „Umorganisation der sonderpädagogischen Förderung in die allgemeine Schule hinein“ (Hinz 2014: 7), geht über die Vorstellungen der tradierten (Sonder-)Pädagogik als auch über Integration hinaus und erweitert damit den Fokus und die Ansprüche an pädagogische Strukturen, Kulturen und Praktiken – also auch an die Theorie und Praxis von Diagnostik in Schule.
Im April dieses Jahres ist bei Beltz das von Holger Schäfer und Christel Rittmeyer herausgegebene „Handbuch Inklusive Diagnostik“ (Schäfer & Rittmeyer 2015) erschienen. Es ist das erste Handbuch zum Thema inklusive Diagnostik und versammelt auf etwas mehr als 600 Seiten insgesamt 32 Beiträge mit dem Ziel einen „Entwurf einer Inklusiven Diagnostik“ abzuliefern (Schäfer & Rittmeyer 2015a: 12). Auch wenn demnächst bei Klinkhardt der von Bettina Amrhein und Kerstin Ziemen herausgegebene Band „Diagnostik im Kontext inklusiver Bildung – Theorien, Ambivalenzen, Akteure, Konzepte“ erscheinen wird, ist der von Schäfer und Rittmeyer herausgegebene Sammelband das derzeit einzige umfassende Werk zur Frage einer inklusiven Diagnostik (bzw. mit dem Anspruch eine inklusive Diagnostik umfassend zu darzustellen). Im Rahmen der Einleitung des Bandes wird unmissverständlich expliziert, aus welcher Perspektive heraus der Band entstanden ist: „Gegenstand der Zusammenstellung ist demnach die bisher so bezeichnete pädagogische Diagnostik im schulischen Kontext (Primarstufe, Sekundarstufe I und II an Regel- und Förderschulen) mit Blick auf die Beeinträchtigungen von Schülern mit vermutetem und festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf unter den Gesichtspunkten der Prävention und Rehabilitation“ (Schäfer & Rittmeyer 2015a: 13). Das hier zitierte Fragment der Einleitung des Bandes macht eines deutlich: Das „Handbuch Inklusive Diagnostik“ bezieht sich exklusiv auf die Kategorie „sonderpädagogischer Förderbedarf“ und dessen Prävention oder Rehabilitation. Mit Blick auf das u.a. von Hinz (z.B. 2004, 2009, 2013) vertretene Inklusionsverständnis kann damit festgestellt werden, dass zumindest der Titel und die Konzeption des Handbuches scheinbar nicht mit diesem Inklusionsverständnis zusammen passen. Holger Schäfer und Christel Rittmeyer haben im von ihnen herausgegebenen Handbuch einen der fünf Grundlagenbeiträge des Handbuches verfasst. Im Rahmen dieses Beitrages, der nachfolgend Gegenstand der Auseinandersetzungen ist, legen sie ihren Entwurf einer „Inklusiven Diagnostik“ dar (Schäfer & Rittmeyer 2015b). Bei der folgenden Auseinandersetzung mit diesem Entwurf soll es weniger um eine systematische, akribische Analyse des Beitrages gehen, sondern vielmehr um das Aufzeigen von ausgewählten Aspekten, die im offenkundigem Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien einer inklusiven Pädagogik stehen, wie sie u.a. von Andreas Hinz, Hans Wocken, Simone Seitz u.v.m.[3] beschrieben wird.
Dieser Text stellt keine Rezension des Beitrages „Inklusive Diagnostik“ von Holger Schäfer und Christel Rittmeyer (2015b) dar, sondern ist als Replik bzw. kritische Kommentierung ausgewählter, zentraler Aussagen von Schäfers und Rittmeyers Vorschlag, Diagnostik inklusiv zu denken, zu verstehen. Aus diesem Grund werden im Beitrag nur einzelne und aus Perspektive des Autors besonders widersprüchliche oder diskussionswürdige Passagen des Beitrages von Schäfer und Rittmeyer herangezogen, kritisch hinterfragt bzw. zur Diskussion gestellt. Diese Passagen werden dabei in der Regel unmittelbar angeführt und dann kritisch kommentiert, sodass der Beitrag nicht mit einem eigenständigen roten Faden aufwartet.
Die zentrale Frage des Beitrages ist es, inwiefern sich Unvereinbarkeiten zwischen den Ansprüchen an eine inklusive (Schul-)Pädagogik (dem breiten Inklusionsverständnis nach) und den im Beitrag von Schäfer und Rittmeyer angeführten Merkmalen ihrer „Inklusiven Diagnostik“ ergeben. Solche Unvereinbarkeiten exemplarisch aufzuzeigen und im Ansatz zu diskutieren ist die Hauptintention, die an diesen Beitrag geknüpft ist.
In den letzten mindestens zehn Jahren und bis dato lässt sich der wissenschaftliche, pädagogische Diskurs um Inklusion als „bunt und kontrovers“ charakterisieren (Wocken 2010). Dabei wird auch immer wieder auf die inflationäre, unscharfe und z.T. unangemessene Verwendung des Begriffes Inklusion hingewiesen (vgl. z.B. Frühauf 2008, Hinz 2013). Davon ausgehend, dass Inklusion sich tatsächlich von Integration, vor allem aber von der tradierten (Sonder-)Pädagogik unterscheidet, sollte rein theoretisch angenommen werden können, dass da, wo Inklusion drauf steht, auch Inklusion drin ist. Dass dem nicht so ist, hat Andreas Hinz (2013: o.S.) kritisch thematisiert, indem er in seinen Anmerkungen zu einem Jahrzehnt Diskurs über schulische Inklusion in Deutschland darauf verweist, dass „inzwischen nahezu alles als Inklusion deklariert wird, was sich positiv und fortschrittlich darstellen möchte. Das ist logisch und gleichzeitig dramatisch, weil damit die inhaltliche Klarheit dessen, was Inklusion ursprünglich als Innovationsperspektive bedeutet, immer mehr verloren geht“ (vgl. auch Hinz 2014). Ob dieser Umstand auch auf Schäfers und Rittmeyers Entwurf einer „Inklusiven Diagnostik“ zutrifft, ist eine weitere Frage, die mit diesem Beitrag aufgegriffen wird.
Unter „Inklusive Diagnostik“ verstehen Schäfer und Rittmeyer die „Verbindung von Gutachtendiagnostik und Förderplanung“ mit dem Ziel „den individuellen Bedürfnissen von Schülern mit Förderbedarf bedarfsgerecht und bildungswirksam zu begegnen“ (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 103). Ihr Entwurf einer die beiden Aspekte „Gutachtendiagnostik und Förderplanung“ verbindenden Diagnostik impliziere, so der Anspruch, „ein erweitertes Verständnis von Diagnostik“ (ebd.: 106), weil diese über eine „reine[.] Statusdiagnostik“ hinausgehe. Wesentlich für Schäfers und Rittmeyers Entwurf ist das Plädoyer für die Verbindung qualitativer diagnostischer Verfahren (z.B. Beobachtung) und quantitativer Verfahren (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 106 ff.), für die interdisziplinäre Kooperation von Sonder- und Regelpädagog_innen im Kontext diagnostischen Handelns in Schule (109 ff.) sowie für das „Bewahren sonderpädagogischer Kompetenzen“ (ebd.: 109). Dabei halten Schäfer und Rittmeyer insgesamt auch an der klassischen sonderpädagogischen und testtheoretischen Diagnostik wie zum Beispiel der Intelligenzdiagnostik fest (ebd.: 103). Diese gilt es nach ihnen in eine inklusive Diagnostik zu integrieren.
Hinter diesem Ansatz verbirgt sich nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine sonderpädagogische Diagnostik, die mit dem Verständnis inklusiver Pädagogik, das diesem Text zugrunde liegt, wenig bis nichts zu tun hat. Vielmehr zeigt sich hier deutlich und eindeutig, dass ein grundlegender Aspekt inklusiver Pädagogik ignoriert wird, nämlich dass sich die inklusive Pädagogik gegen Zwei-Gruppen-Theorien jedweder Art wendet: „Charakteristisch ist [.], dass Inklusion sich gegen dichotome Vorstellungen wendet, die jeweils zwei Kategorien konstruieren: Deutsche und Ausländer, Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte, Reiche und Arme usw. – diese dichotomen Kategorisierungen werden einzelnen Personen wenig gerecht“ (Hinz 2008: 33). Für Schäfer und Rittmeyer hingegen ist die Annahme zweier Gruppen, nämlich einer von Lernenden mit und einer von Lernenden ohne Förderbedarf, die Basis der Überlegungen zu ihrer „Inklusiven Diagnostik“. Ein Widerspruch in sich, mit dem ignoriert wird, dass Diagnostik im Kontext des breiten Inklusionsverständnisses als eine „Serviceleistung“ für alle Lernenden gilt (vgl. Wocken 2013, Simon & Simon 2013, Simon 2014). Weiterhin ist weder die Idee qualitative und quantitative diagnostische Verfahren zu verbinden, was von Schäfer und Rittmeyer als „horizontale Dimension“ ihrer „Inklusiven Diagnostik“ bezeichnet wird, noch die Idee der Kooperation von Förder- und Regelschullehrkräften (von ihnen als „vertikale Dimension“ bezeichnet) neu. Bereits in den frühen integrationspädagogischen Diskussionen um Diagnostik wurden diese Perspektivergänzungen thematisiert, sodass sich diese Forderungen als nicht neu und wenig innovativ herausstellen. Während sie auf den ersten Blick logisch erscheinen, zeigt sich bei näherem Hinsehen zudem, dass der Modus der von Schäfer und Rittmeyer geforderten und dargelegten Verbindungen z.T. widersprüchlich zu weiteren Anliegen inklusiver Pädagogik und damit als Kennzeichen einer inklusiven Diagnostik, die dem breiten Inklusionsverständnis folgt, bedingt geeignet ist. Dies soll jedoch weiter unten dargelegt bzw. zur Diskussion gestellt werden. In Bezug auf den Versuch von Schäfer und Rittmeyer an klassischer sonderpädagogischer und testtheoretischer Diagnostik festzuhalten und diese für inklusive Pädagogik passfähig zu machen, muss festgestellt werden, dass es zu keinerlei Auseinandersetzung mit integrations- und inklusionspädagogischer Kritik an Diagnostik im Kontext von Schule kommt (exemplarisch dazu. z.B. Wocken 2013 oder auch Simon & Simon 2013). So scheinen Jahrzehnte kritischer Diskussionen um Diagnostik und ihre Wirkungen schlichtweg ausgeblendet (oder bewusst ausgespart?). Ferner wurde die Überwindung der reinen Statusdiagnostik und die Balance von Gutachtendiagnostik und Förderplanung bereits mit der Förderdiagnostik (vgl. z.B. Eggert 1997) und der ökosystemisch fundierten Diagnostik (vgl. Hildeschmidt & Sander 1987, Sander 1993) in den Blick genommen, sodass diesbezüglich längst entsprechend ausgearbeitete Konzeptionen existieren. Auch die KMK (1994: 8) orientiert auf die Nutzung sonderpädagogischer Diagnostik zur Förderplanung, sodass Schäfers und Rittmeyers „erweitertes Verständnis von Diagnostik“ (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 106) wenig Innovationspotenzial in sich trägt – bzw. im Vergleich zur langjährigen diagnostischen Tradition doch keine Erweiterung mit sich zu bringen scheint.
Schäfer und Rittmeyer führen zwar aus, dass „Diagnostik im klassischen Sinne [.] sich als Status- und Selektionsdiagnostik“ verstand, die zu Feststellung von Defiziten bis hin zu „Umschulungen“ führte (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 104). Den selektiven Charakter von (klassischer) Diagnostik scheinen Schäfer und Rittmeyer jedoch kurz angebunden relativieren zu wollen, wenn sie darauf verweisen, dass „sich der Blick auf den Förderort, der nach dem Feststellungsverfahren des Förderbedarfs sowohl die Förderschule wie die Regelschule sein kann“, verändert hat (ebd.). Prinzipiell bzw. theoretisch trifft dies zwar zu, dennoch war und ist Integration in Deutschland statistisch betrachtet beständig die Ausnahme – und nicht die Regel (vgl. z.B. Dietze 2013, Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014), auch wenn dies rein formal möglich wäre. Zudem entfaltet das Etikett „sonderpädagogischer Förderbedarf“ seine potenziell diskreditierende Wirkung auch in integrativen Settings. Damit ist und bleibt Diagnostik im schulischen Kontext schlichtweg eine Status- und Selektions- und Zuweisungsdiagnostik. Noch dazu unterstreichen Schäfer und Rittmeyer die Notwendigkeit des Terminus „sonderpädagogischer Förderbedarf“ sowie entsprechender Feststellungsverfahren mit Verweis auf „[d]ie derzeitige formalrechtliche Praxis in Deutschland“ und die „Gewährung und Sicherstellung von Nachteilsausgleichen“, die sie als „zwingend notwendig“ bezeichnen (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 105). Dabei geht es ihnen explizit um die „Praktikabilität“ ihres Entwurfes und um die „Abgrenzung von visionären Perspektiven“ (ebd.: 111), die jedoch eine grundsätzliche Veränderung und Kritik am bestehenden pädagogischen System ausschließt bzw. nicht notwendig macht.
Dass ein Nachteilsausgleich nur in einem System mit normativen Erwartungen an die Lernenden sinnvoll und notwendig ist und dies in einer inklusiven Schule, die sich explizit gegen normative (Leistungs-)Anforderung wendet, obsolet wird, wird weder diskutiert noch angedeutet, obgleich dies in inklusionspädagogischen Diskursen elementar ist. So bleiben grundlegende Annahmen und Ansprüche der inklusiven Pädagogik, die seit mehr als zehn Jahren diskutiert werden, zugunsten einer vermeintlich notwendigen Pragmatik unbeachtet. Dieses Phänomen lässt sich auch in fachdidaktischen Diskursen feststellen (exemplarisch dazu Kahlert 2014). Fragwürdig ist das Nicht-Eingehen auf grundlegende inklusionspädagogische Kritik und Diskussionen daher, da sich die Schäfer und Rittmeyer zum Teil auf bedeutende Texte der inklusiven Pädagogik beziehen – jedoch ohne die offenkundigen Widersprüche zwischen den eigenen Postulaten und den in der herangezogenen inklusionspädagogischen Literatur vertretenen Positionen aufzudecken (dazu weiter unten).
Die Funktionalität von Diagnostik im administrativen Zusammenhang, welche zum Beispiel von Boban & Hinz (1998) und Boban (2007) grundlegend kritisiert wurde, wird ferner von Schäfer und Rittmeyer aufrechterhalten und in ihrer Bedeutung bestätigt (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 106). Eine Kritik daran, so führen sie aus, müsse „an anderer Stelle geführt und denkbare, pragmatische Alternativen aufgezeigt werden“ (ebd.: 106). Auch hier scheint die Pragmatik Vorrang vor der kritischen Reflexion zu haben. Schäfer und Rittmeyer merken zwar an, dass Diagnostik – zumal wenn sie explizit der Feststellung vermeintlichen sonderpädagogischen Förderbedarfs gilt – stigmatisierend wirkt, sie plädieren jedoch auch in diesem Zusammenhang für pragmatische Lösungen: So sollte schlichtweg „von Stigmatisierungen und Zuschreibungsprozessen abgesehen werden“ (ebd.: 116). Ein Vorschlag, der fast zynisch wirkt, mehr als visionär erscheint und damit dem eigenen Anliegen von Schäfer und Rittmeyer nicht-visionäre Annäherungen an eine ‚neue‘ diagnostische Praxis liefern zu wollen, entgegensteht. Da sich die stigmatisierende Wirkung des Labels „sonderpädagogischer Förderbedarf“ potenziell auf allen Ebenen des Lebens und Lernens entfalten kann, fragt sich, wie sich Schäfer und Rittmeyer das „Absehen“ von Stigmatisierungsprozessen rein praktisch vorstellen. Alleine innerhalb der Schulklasse eines Kindes richtet sich dieser Anspruch an etwa zwanzig oder mehr Schüler_innen und mindestens eine Lehrkraft. Dazu kommen weitere Akteur_innen der Schule, Freund_innen, Nachbar_innen etc. pp. Der mögliche Kreis potenziell diskreditierender Personen ist also alles andere als klein. Zudem wirkt insbesondere die in den meisten Fällen mit einem akkreditierten sonderpädagogischen Förderbedarf verbundene Beschulung an einer Förderschule „weit über die Schulzeit hinaus und hat lebenslängliche Nachwirkungen auf das Berufs- und Privatleben“ (Wocken 2013a: o.S.). Schäfer und Rittmeyer suggerieren, dass Stigmatisierungsprozesse stets aktiv und bewusst von Akteur_innen ausgehen oder von denselben wie durch Umlegen eines Schalters abgestellt werden könnten. Wäre dies so einfach, wären Diskussionen zur stigmatisierenden Wirkung des Labels sonderpädagogischer Förderbedarf unnötig. Sie sind es jedoch nicht. Aus diesem Grund wäre zumindest eine kritische Auseinandersetzung mit Alternativen zum Label des sonderpädagogischen Förderbedarfs oder zu dessen Verwendung – vor allem aufgrund der Forderung das Label sonderpädagogischer Förderbedarf beizubehalten und stattdessen von Stigmatisierungen abzusehen – denkbar, notwendig und gewinnbringend gewesen. Sie fehlt dem Beitrag jedoch völlig, was mit Blick auf die Wirkungen, die das Label sonderpädagogischer Förderbedarf insbesondere in Deutschland entfaltet, sehr fragwürdig ist. Denn: „In Deutschland führt das Label sonderpädagogischer Förderbedarf i.d.R. zu einer Beschulung an einer Förderschule (im Schuljahr 2011/2012 in 75,2 % aller Fälle) (vgl. Dietze, 2013, 37), was für 76,25 % aller Absolventinnen und Absolventen von Förderschulen im Schuljahr 2008/2009 damit einherging, keinen Schulabschluss zu erlangen (vgl. Klemm, 2010, 44) – ein Ergebnis, das angesichts der negativen Auswirkungen von Sonderbeschulung auf die Lernentwicklung von Schülerinnen und Schülern (vgl. Wocken, 2005) nicht verwundert, aber alarmiert“ (Geiling & Simon 2014: 65). Der fünfte Bildungsbericht zeigte jüngst, dass sich an diesen Daten wenig geändert hat: So besuchten im Schuljahr 2012/2013 immer noch 72 % aller Schüler_innen mit akkreditiertem sonderpädagogischen Förderbedarf eine Förderschule (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 178). Unter Bezug auf die Ergebnisse der PISA-Zusatzerhebung und des IQB-Ländervergleichs 2011 verweist die Autorengruppe zudem auf die deutlichen Leistungsrückstände von Schüler_innen der Förderschule im Vergleich zu Schüler_innen mit akkreditiertem sonderpädagogischen Förderbedarf, die im Gemeinsamen Unterricht lernen (womit Erkenntnisse zur Effektivität der Förderschulen, die es seit den 1960er Jahren gibt (vgl. Böhm 1967, Basler 1972, Zikowsky 1975, Merz 1982, Haeberlin, et al. 1990, Tent et al. 1991, Wocken 2000 und 2005, vgl. auch Schnell et al. 2011) erneut bestätigt werden). Zudem verließen auch im Jahr 2012 etwa 75 % der Absolvent_innen der Förderschule dieselbe ohne Hauptschulabschluss (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 181). Dennoch wenden Schäfer und Rittmeyer relativierend ein, dass Zuschreibungsprozesse zugunsten der Sicherung von Bildungsansprüchen und Förderplanungen „unverzichtbar“ seien (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 116). Es scheint offenkundig zu sein, dass die seit langem bekannten und vielfach kritisch diskutierten an die Zuschreibung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs geknüpften negativen Folgen für Kinder und Jugendliche weder thematisiert noch kritisch reflektiert werden.
Im Zuge ihrer Erläuterungen der „horizontalen“ Dimension wägen Schäfer und Rittmeyer Argumente pro und contra quantitative und qualitative Verfahren im diagnostischen Kontext ab (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 106 ff.), wobei sie u.a. kritisch auf die Dominanz quantitativ-diagnostischer Zugänge verweisen (ebd.: 107). Ihr Fazit: „Durch das Ausblenden jeweils eines Pols können die jeweiligen Vorzüge keinen Eingang finden in eine kindorientierte Diagnostik“ (ebd.: 108). So weit so gut. Doch während ein Mixed-Method-Ansatz aus methodologischer Sicht nachvollziehbar und logisch ist, ergeben sich aus den Ausführungen zur „horizontalen Dimension“ (und auch aus dem, was mit den Ausführungen nicht weiter detailliert wird) mindestens zwei Probleme respektive Frag(würdigkeit)en:
Erstens lässt sich kritisch hinterfragen, warum qualitative Verfahren von Schäfer und Rittmeyer als „informelle Perspektive“ (ebd.) bezeichnet und quantitativen Verfahren als standardisierter Perspektive simplifizierend gegenübergestellt werden. Dabei wird jedoch auch nicht zweifelsfrei deutlich, was genau Schäfer und Rittmeyer unter diesen qualitativen Verfahren bzw. der qualitativen Diagnostik verstanden wissen wollen. So könnten qualitative Verfahren bzw. die qualitative Diagnostik sich auf Förderdiagnostik, die zum Teil mit qualitativer Diagnostik synonym gesetzt wird (vgl. z.B. Heimlich & Schrader 2007: 346, Mand 2008: 128), oder auf strukturbezogene, qualitative Ansätze einer didaktisch orientierten Diagnostik beziehen, wie sie Bundschuh (2007: 57 ff.) beschreibt. Oder aber Schäfer und Rittmeyer meinen mit qualitativen Verfahren bzw. qualitativer Diagnostik generell diagnostische Ansätze, die sich qualitativer Methoden der Sozialforschung bedienen. In jedem Fall wird die qualitative Diagnostik scheinbar auf informelle Prozesse der Erkenntnisgewinnung reduziert, sowie als generell nicht standardisiert dargestellt. Dies ist fragwürdig, da die qualitative Diagnostik im Sinne Bundschuhs (2007: 57 ff.) nicht rein informell ist und da auch im Rahmen qualitativer (förder)diagnostischer Ansätze Standards für die Diagnostik formuliert wurden (hierzu exemplarisch Eggert 1996, 1998). Mit Blick auf die allgemeine Theorie qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte lässt sich ebenfalls ohne weiteres feststellen, dass natürlich auch qualitative Forschungen (und somit auch eine sich qualitativer Forschung bedienende Diagnostik) wissenschaftlichen Kriterien und Systematiken folgen und daher nicht einfach informeller Natur sind. Zudem gibt es, wenngleich der Standardisierungsgrad bei qualitativen Methoden möglichst gering gehalten wird, in der qualitativen Sozialforschungsmethodik auch halbstandardisierte Verfahren wie halbstandardisierte qualitative Befragungen (exemplarisch siehe Bortz & Döring 2003: 307 ff., Hussy et al. 2013: 222 ff.). Und selbst bei nichtstandardisierten Verfahren gibt es Vorgaben, die einen gewissen Standardisierungsgrad (meist bezogen auf das Verhalten der Forschenden) evozieren, sodass von „teilstandardisierten“ Verfahren gesprochen wird (bezogen auf Interviews vgl. z.B. Gläser & Laudel 2006: 39). So kann „aus Sicht der qualitativen Forschungstradition mit Nachdruck darauf verwiesen werden, dass qualitative Methoden als Verfahren methodisch kontrollierten Fremdverstehens keineswegs impressionistisch durchgeführt werden dürfen, sondern ein systematisches, aufwändiges Vorgehen erfordern“ (Kelle 2014: 161, Hervorhebung T.S.).
Zweitens werden Noten in der grafischen, modellhaften Abbildung von Schäfer und Rittmeyer dem Bereich quantitativen Diagnostik zugeordnet. Wenngleich sie nicht weiter ausführen, was sie damit ausdrücken wollen, so kann dennoch darauf verwiesen werden, dass – neben genereller Kritik an der Notengebung in Schule (exemplarisch Gomolla 2012) – die inklusive Pädagogik die (tradierte) Notengebung in Schule und Prozesse des Vergleichs von Lernenden sehr kritisch infrage stellt (vgl. z.B. Reich 2015, Prengel 2015).
Wie genau die Synthese qualitativer und quantitativer diagnostischer Zugänge/ Perspektiven zustande kommen soll, skizzieren Schäfer und Rittmeyer nur vage. Ihre Forderung nach der Synthese quali- und quantitativer Verfahren relativieren sie jedoch zugleich, wenn sie in Anlehnung an Jogschies betonen: „Ausgang für den methodologischen Entscheidungsprozess sind die diagnostischen Fragestellungen und die damit verbundene Sachangemessenheit der Erhebungsstrategie“ (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 109). Die Auswahl von diagnostischen Methoden erfolgt also letztlich in klassischer Weise sachlogisch (exemplarisch: das Wohlbefinden des Kindes scheint also keinerlei Auswirkungen auf die Methodenwahl zu haben), was den konservierenden, explizit nicht-visionären Pragmatismus von Schäfer und Rittmeyer verdeutlicht. Ferner ergibt sich daraus folgendes Problem: Da für Schäfer und Rittmeyer schlussendlich doch die sonderpädagogische Profession das oberste Primat diagnostischen Handelns besitzt (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 118), liegt die Entscheidung über die „Sachangemessenheit“ zumindest theoretisch (ganz klassisch) primär bei sonderpädagogischen Lehrkräften. Die potenzielle Gefahr der Delegation der therapeutischen Dimension professionellen pädagogischen Handelns von der Regel- an die Sonderpädagogik, respektive die Übernahme derselben im umgekehrten Sinne, (vgl. Oevermann 1996, vgl. auch Reiser 1998) und die Aufrechterhaltung der tradierten Dichotomie pädagogischer Profession(en) im deutschen Schulwesen wird damit grundlegend erhalten. Zudem behält zum Beispiel ein Intelligenztest durch die Hintertür der von Sonderpädagog_innen zu entscheidenden „Sachangemessenheit“ trotz etwaiger methodischer Kritik an Intelligenztests und der Infragestellung ihrer pädagogischen Brauchbarkeit potenziell seine volle Berechtigung (inklusive der Gefahr des Abrufens von personenzentriert-defizitorientierten Zuschreibung à la das Scheitern an schulbezogenen Normen lässt sich durch (einen Mangel an) Intelligenz erklären).
Im Zuge der Ausführungen zur „vertikalen“ Dimension plädieren Schäfer und Rittmeyer nun wie bereits angedeutet zunächst für die Annäherung von Regel- und Förderschule (bzw. der Lehrkräfte beider Systeme im Rahmen integrativen Unterrichts). Das Ziel: eine maßgebliche Perspektivenerweiterung und der Gewinn an „Daten in Bezug auf das System Schüler“[4] (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 109, Hervorhebung i.O.). Andererseits geht es ihnen explizit um die „Bewahrung“ (ebd.), das Festhalten an der Spezialisierung (ebd.: 111) und um „die Schärfung des Berufsbildes“ (ebd.) der Sonder- und Regelpädagog_innen, die mit der drohenden Überforderung der Lehrkräfte und der Komplexität des Handlungsfeldes Diagnostik (ebd.) sowie der Gefahr des Verlustes des professionsspezifischen Handlungswissens (ebd.: 112) begründet und pragmatisch, das heißt an tradierte Strukturen anknüpfend respektive solche konservierend, als notwendig dargestellt wird (ebd.: 111)[5].
Schäfer und Rittmeyer thematisieren offen und unmissverständlich, dass ihr Entwurf einer „Inklusiven Diagnostik“ auch ein Versuch ist sonderpädagogische Kompetenzen (und damit aber letztlich auch (Nicht-)Zuständigkeiten) zu bewahren und die Regelpädagogik in diagnostische Prozesse mit einzubeziehen (ebd.: 109). Der Einbezug der regelpädagogischen Lehrkräfte erfolgt jedoch nicht mit gleichem Gewicht, obgleich dies in den grafischen Darstellungen zu Schäfers und Rittmeyers Entwurf ebenso zu sein scheint wie in den anfänglichen Ausführungen zur Kooperation von Regel- und Sonderschullehrkräften im diagnostischen Prozess. Im Verlauf der Ausführungen wird dann aber deutlich gemacht, dass die sonderpädagogischen Lehrkräfte intensive und die regelpädagogischen lediglich grundlegende Kenntnisse der Diagnostik erlangen sollen (ebd.: 119), sodass – und dies ist die logische Folge – letztlich die klassischen professionellen Rollen mehr erhalten bleiben können, als dass sie sich ändern müssten. Schäfer und Rittmeyer unterbreiten ihren Vorschlag als wären die Diskussionen der letzten Jahre und Jahrzehnte um mögliche und nötige Veränderungen im professionellen Handeln und Selbstbild vor allem der Regel- und Sonderpädagog_innen (aber eben nicht nur, da es bei Inklusion ja um multiprofessionelles Arbeiten geht und nicht lediglich um interprofessionelles, vgl. exemplarisch Reich 2014) ganz leicht aufzulösen. Nach Schäfer und Rittmeyer muss sich zumindest – so scheint es – kaum etwas ändern: An den wesentlichen Strukturen und rechtlich-formalen Vorgaben im Schulwesen wird nichts geändert, vielmehr macht die Sonderpädagogik das, was sie schon immer gemacht hat und lässt die Regelpädagogik sich ein wenig beteiligen – alles ganz pragmatisch. Das Verständnis der professionellen Rollen bzw. vom Verhältnis zwischen Sonder- und Regelpädagogik, das Schäfer und Rittmeyer ihrem Entwurf zugrunde legen, ist traditionell. Es impliziert letztlich „die primäre Verantwortlichkeit der Regelpädagoginnen für Unterrichtsplanung und ‚normale‘ Kinder und der Sonderpädagoginnen für Diagnostik und ‚Problemfälle‘, die sich bis heute reproduziert hat (vgl. Wocken, 1988, 1996; Haeberlin et al., 1992; Reiser, 1998; Wessel, 2005; Katzenbach et al., 2006; Chilla 2012)“ (Geiling & Simon 2014: 67). In ihrem Versuch des Bewahrens der tradierten professionellen Rollen erliegen Schäfer und Rittmeyer dabei einem Widerspruch ihrer eigenen Argumentation. So betonen sie einerseits, dass die Regelpädagogik nur ein bisschen diagnostische Kompetenz brauche (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 119), da die „Diagnosekompetenz zunächst eine primär sonderpädagogische Kompetenz“ sei (ebd.: 118). Andererseits verweisen sie in Anlehnung an Weinert selber darauf, dass die diagnostische Kompetenz eine Schlüsselkompetenz pädagogischer (und nicht (nur) sonderpädagogischer) Professionalität insgesamt ist (ebd.: 116). Der Anspruch, dass die Diagnosekompetenz eine Schlüsselkompetenz aller pädagogischen Lehrkräfte ist, lässt sich jedoch nicht mit der Argumentation einer graduellen Zuständigkeit vereinbaren. Mit ihren Beschreibungen der Rollen der Regel- und Sonderschullehrkräfte im diagnostischen Prozess (re)produzieren Schäfer und Rittmeyer klientelspezifische Zuständigkeiten, die sich mit inklusiver Pädagogik, die von einer gemeinsamen Verantwortlichkeit für alle Kinder und aufgaben- statt klientelspezifischen Rollenverteilungen ausgeht (vgl. Moser et al. 2012: 157), nicht vereinbaren lassen.
Diagnostik bezieht sich nach Schäfer und Rittmeyer primär auf Kinder mit akkreditiertem oder vermutetem sonderpädagogischen Förderbedarf und die Zuständigkeit für Diagnostik liegt primär bei sonderpädagogischen Lehrkräften. „Die sich darin widerspiegelnde spezifische Art der klientelbezogenen Aufgabenteilung in integrativen (und auch desintegrativen) Settings wird seit den 1980er Jahren mit dem Begriffspaar der „Generalisten und Spezialisten“ beschrieben“ (Geiling & Simon 2014: 67). Problematisch erscheint an den Ausführungen zur „vertikalen“ Dimension insgesamt, dass trotz aller Diskussionen um multiprofessionelle Kooperation im Kontext inklusiver Bildungsprozesse (exemplarisch Reich 2014) Inklusion hier reduzierend als Aufgabe von Regel- und Sonderpädagogik beschrieben wird. Dies ist insofern logisch nachvollziehbar, als dass sich die Diskussionen um schulische Inklusion an diesen beiden Berufsgruppen prominent entfachen. Inklusion ist jedoch Aufgabe aller an Schule Beteiligter, was u.a. weitere schulische wie außerschulische Kooperationspartner_innen, vor allem aber auch die Lernenden und ihre Familien mit einschließt. Was Schäfer und Rittmeyer thematisieren, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Kooperation von Sonder- und Regelschullehrkräften innerhalb integrativen Unterrichts, die seit der Integrationsbewegung (vgl. z.B. Wocken 1988, Haeberlin et al. 1992) und auch in den letzten Jahren thematisiert und erforscht wurde (vgl. z.B. Wessel 2005, Katzenbach et al. 2006, Chilla 2012).
Auf einen weiteren, letzten Aspekt sei nur bündig verwiesen: Während Schäfer und Rittmeyer unter Bezug auf Speck zumindest andeuten, dass auch die Eltern in diagnostische Prozesse mit einzubeziehen seien (Schäfer & Rittmeyer2015b: 109) und auch an späterer Stelle zumindest indirekt die Partizipation von Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern thematisieren, wenn sie sich auf Wocken (2011) beziehen, spielt eine echte, tiefgreifende Beteiligung anderer Akteur_innen neben den beiden Professionsgruppen der Sonder- und Regelpädagog_innen für ihren Entwurf einer „Inklusiven Diagnostik“ keine Rolle. Respektive wird dieser Aspekt weder ausgeführt noch in den grafischen Darstellungen des Entwurfes abgebildet. Es wird lediglich erwähnt, dass aufgrund des grundsätzlich dialogischen Charakters von Diagnostik der Austausch mit den Eltern und (unter Umständen) mit dem Kind oder Jugendlichen selber infrage komme (Schäfer & Rittmeyer2015b: 120). Im Rahmen anderer Arbeiten zu einer inklusiven Diagnostik (vgl. z.B. Boban 2007, Wocken 2011, Boban & Kruschel 2012, Simon & Simon 2013, Simon 2014) ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen am diagnostischen Prozess dagegen von besonderer Bedeutung. Bei Zukunftsplanungen, die Hans Wocken (2013) als besonders anschlussfähig an Ansprüche an eine inklusive Diagnostik bezeichnet, ist sie ein zentraler Bestandteil. Und auch in ökosystemischen Ansätzen wurde und wird die Perspektive aller Akteur_innen im Kontext der Kind-Umfeld-Analyse stark gemacht, so schreibt zum Beispiel Sander (2002: 16) von „Teamdiagnosen“.
Um ihre Ausführungen zum Wesen einer inklusiven Diagnostik zu legitimieren, ziehen Schäfer und Rittmeyer verschiedene Arbeiten der Integrations- und Inklusionspädagogik als Referenzen heran. Dies geschieht an mancher Stelle scheinbar ohne, dass Schäfer und Rittmeyer die Nicht-Vereinbarkeit dieser Ansätze und Überlegungen mit den eigenen angestellten Postulaten reflektieren. So drängt sich die Frage auf, ob Schäfer und Rittmeyer sich der zum Teil starken Differenzen zwischen den eigenen Postulaten und den herangezogenen Referenzen nicht bewusst sind oder ob im Entwurf einer „Inklusiven Diagnostik“ ein eher konservativer Ansatz über den Bezug auf inklusionspädagogische Grundlagenliteratur salonfähig gemacht werden soll. Rein exemplarisch zwei Beispiele dazu: Schäfer und Rittmeyer lehnen sich an Seitz (2006) an (die sich wiederum u.a. stark an Prengel (2003) orientiert), um die Bedeutung (sonder)pädagogischer Diagnostik für inklusive Schulen zu betonen. Zwar schreibt Seitz (2006: o.S.) „Inklusive Didaktik konstituiert sich über einen diagnostischen Blick, der Gemeinsamkeit und Verschiedenheit sowie deren Verflochtenheit im sozialen Feld einer Lerngruppe zu erkunden sucht.“ Dabei geht es Simone Seitz jedoch ausdrücklich um ein pädagogisches Agieren, das sich von Identifizierungen, Festlegungen, Etikettierungen und schließlich Diskriminierungen distanziert. Dies steht im deutlichen Widerspruch zum Festhalten an Kategorien wie „sonderpädagogischer Förderbedarf“ oder „Schüler_innen mit Förderbedarf“, sodass die Positionen von Seitz an dieser Stelle schlichtweg nicht mit denen von Schäfer und Rittmeyer zu vereinbaren sind. Respektive ist es fragwürdig die Bedeutung einer über Etikettierung funktionierenden Diagnostik mit Bezügen zu Autor_innen zu belegen, die derartige Ansätze offen und seit vielen Jahren deutlich ablehnen. Ebenso verhält es sich nämlich, wenn Schäfer und Rittmeyer in der Zusammenfassung ihrer Darlegungen resümieren, dass Hans Wocken „vergleichbare Parameter zur Kennzeichnung einer solchen Inklusiven Diagnostik aufzeigt“ (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 122). Dabei distanziert sich Wocken im Gegensatz zu Schäfer und Rittmeyer beispielsweise mit deutlicher Kritik von Gutachtendiagnostik (vgl. Wocken 2011: 222) und Intelligenzdiagnostik, die für Schäfer und Rittmeyer jedoch ein Standbein ihres Entwurfes einer „Inklusiven Diagnostik“ sind. Dementgegen kann man bei Wocken pointiert lesen: „Der ‚Abschied vom IQ‘ (Gardner 1998) ist überfällig“ (ebd.: 219). Ferner macht auch Wocken den partizipatorischen Aspekt einer inklusiven Diagnostik stark, der von Schäfer und Rittmeyer weitgehend unbeachtet bleibt. Trotz dieser deutlichen Unterschiede und obgleich an weiteren Publikationen von Wocken zur Frage einer inklusiven Diagnostik (vgl. Wocken 2013) ersichtlich ist, dass Wockens Verständnis einer inklusiven Diagnostik nicht dem von Schäfer und Rittmeyer gleicht, konstatieren Schäfer und Rittmeyer Überschneidungsbereiche mit dem Ansatz von Wocken.
Holger Schäfer und Christel Rittmeyer haben einen Ansatz einer von ihnen so genannten „Inklusiven Diagnostik“ vorgelegt, der durch die „Annäherungen von qualitativen und quantitativen Methoden im Sinne einer Auslese der jeweiligen spezifischen Vorzüge für den Schüler und die Kooperation unterschiedlicher Berufsgruppen/ Professionen mit spezifischen Kompetenzen (tätig in aktuell unterschiedlichen Systemen)“ (Schäfer & Rittmeyer2015b: 114) gekennzeichnet ist. Abgesehen von Schäfers und Rittmeyers Plädoyer für ein konsequentes Zwei-Lehrkräfte-Prinzip (ebd.: 112) und ihrem Einstehen für eine konsequente Desegregation halten sie dabei an den existenten Strukturen im System Schule und allem voran an der Zwei-Gruppen-Theorie und pädagogischen Dichotomie fest, deren Überwindung jedoch „als wichtiges Merkmal inklusiver Pädagogik (vgl. Hinz 2002) und als Indikator für Inklusion und inklusive Entwicklungen (vgl. Schwager 2005: 19ff.) betrachtet wird“ (Simon & Simon 2013: o.S.). Widersprüche und Unvereinbarkeiten ihrer Ausführungen mit der grundständigen Diskussion um Inklusion in Schule – nach Maßgabe des so genannten breiten Inklusionsverständnisses – scheinen zum Teil hinter dem Anspruch pragmatische, nicht-visionäre Handlungsalternativen im Rahmen der aktuellen formal-rechtlichen Vorgaben liefern zu wollen, zurückzutreten. Schäfer und Rittmeyer betonen zudem, dass ideologische Positionen „im Interesse einer tatsächlichen Schülerorientierung zu vermeiden“ sind (Schäfer & Rittmeyer2015b: 118). Ob nun die Formulierung „tatsächliche“ bedeuten soll, dass bei so genannten ‚visionären‘ Ansätzen inklusiver (Schul-)Pädagogik anderes im Vordergrund steht als das Interesse der Kinder und Jugendlichen, um die es geht, bleibt dabei offen. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass hier das Kindeswohl als Argument gegen tiefgreifende Veränderungen im Zuge der Umsetzung eines inklusiven Bildungswesens angeführt wird. Ein Versuch, der seit Beginn der Diskussionen um Inklusion wahrzunehmen ist, in jüngerer Vergangenheit aber populär zu sein scheint (vgl. z.B. Speck 2014) und durchaus kritisch betrachtet wird (vgl. Wocken 2014, Simon 2015). Letztlich ist weder die Idee qualitative und quantitative diagnostische Verfahren zu verbinden (die „horizontale Dimension“) noch die Idee der Kooperation von Förder- und Regelschullehrkräften in Schule („vertikale Dimension“) ist im Kontext schulischer Diagnostik neu. Diese beiden Prinzipien werden von Schäfer und Rittmeyer auch nicht um neue Aspekte angereichert. Vielmehr scheinen sie zu versuchen die klassische sonderpädagogische (Förder-)Diagnostik zu bewahren und zu restaurieren, ohne dabei auf die lange Tradition der zum Teil scharfen integrations- und inklusionspädagogischen Kritik an Diagnostik im Kontext von Schule (insbesondere bezüglich diagnostisch legitimierter oder bedingter Selektion, Platzierung, Zuwendung und Ressourcenverteilung sowie der (Re)Produktion von Ungleichheit(en)) einzugehen.
Das, was Holger Schäfer und Christel Rittmeyer als ihr Verständnis einer „Inklusiven Diagnostik“ darlegen, soll hier nicht als prinzipiell unangebracht oder gar ‚falsch‘ dargestellt bzw. abgetan werden. Eine solche Wertung wäre aus Perspektive des Anspruches anerkennend mit subjektiven Deutungen umzugehen fatal. Sie wäre zudem anmaßend, weil sie impliziert, dass es ‚die eine wahre‘ Position gibt, von der aus eine andere Position beurteilt werden kann und darf. Im Sinne dessen, was Wissenschaft ausmacht, ist es unabdingbar widerstreitende Positionen zuzulassen, um sich diskursiv mit diesen auseinanderzusetzen. Der Entwurf von Schäfer und Rittmeyer hat daher seine Berechtigung innerhalb der Diskurse um schulische Inklusion, die alles andere als homogen sind. Die Frage ist jedoch, inwiefern sich Unvereinbarkeiten zwischen den Ansprüchen an eine inklusive (Schul-)Pädagogik (i.S. des breiten Inklusionsverständnisses) und den im Beitrag von Schäfer und Rittmeyer zusammengefassten Ansprüchen der Idee einer vermeintlich inklusiven Diagnostik ergeben. Dass es solche Unvereinbarkeiten gibt und dass diese sich aus der von Schäfer und Rittmeyer selbst herangezogenen Literatur ergeben, sollte mit diesem Kommentar zumindest angedeutet werden. Aus Sicht des mit diesem Beitrag vertretenen Inklusionsverständnisses haben Schäfer und Rittmeyer keinen neuen Entwurf, sondern ein Plädoyer für die tradierte (sonderpädagogische) Diagnostik in Schule vorgelegt. Wie bereits oben für das „Handbuch Inklusive Diagnostik“ konstatiert, passt auch der Titel des Beitrages von Schäfer und Rittmeyer daher aus dieser Perspektive schlichtweg nicht zum Inhalt, sondern ist eine von unzähligen Publikationen, auf denen Inklusion draufsteht, in denen aber etwas anderes drin ist.
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[2] So wie derzeit nicht von ‚dem‘ Inklusionsverständnis gesprochen werden kann, kann auch nicht von ‚dem‘ Integrationsverständnis gesprochen werden. Auch im Kontext der Integrationsforschung gab und gibt es ein breites Spektrum an Positionen mit unterschiedlicher Reichweite bezüglich der implizierten Konsequenzen für die tradierte Theorie und Praxis von Schule.
[3] An dieser Stelle könnten bzw. müssten natürlich viele weitere Namen genannt werden. Die hier exemplarisch angeführten wurden u.a. deshalb gewählt, da sich Holger Schäfer und Christel Rittmeyer auf deren Arbeiten beziehen, was zum Teil kritisch zu sehen ist (siehe Fazit dieses Beitrages).
[4] Interessant ist hier die Wahl der sprachlichen Mittel, wenn Kinder und Jugendliche als „System“ bezeichnet werden. Vermutlich soll dies auf die Vielschichtigkeit jedes einzelnen Kindes verweisen (vgl. Heinzel & Prengel 2002). Dennoch erscheinen Lernende, wenn sie als „System“ bezeichnet werden, hier fast dinghaft, entpersonalisiert (zur Kritik am verdinglichenden Charakter von Diagnostik vgl. Simon & Simon 2013, Simon 2014).
[5] Schäfer und Rittmeyer distanzieren sich von den Ausführungen von Simon und Simon (2013), indem sie darauf verweisen, dass eine inklusive Diagnostik „nur mit professionell ausgebildeten und ausbildenden Disziplinen“ (Schäfer & Rittmeyer 2015b: 106) zu realisieren sei. Warum dies prinzipiell dem Anspruch an eine inklusive Diagnostik als „multiperspektivischer, ko-konstruktiv-dialogischer Prozess“ (Simon & Simon 2013: o.S.) entgegenstehen soll, wie sie anmerken, ist fraglich. Natürlich sollen die an Diagnostik beteiligten Professionen – unabhängig von ihrem konkreten Dasein und ihren jeweiligen Aufgaben im Rahmen einer inklusiven Schule – gut ausgebildet sein. Und dass die diagnostische Kompetenz eine grundlegende pädagogische Schlüsselkompetenz ist, haben Schäfer und Rittmeyer ja unter Bezug auf Weinert selbst festgestellt. Von anderen an diagnostischen Prozessen beteiligten nicht (schul-)pädagogischen Professionen oder Berufsgruppen oder gar von den Kindern und Jugendlichen oder ihren Eltern eine professionelle Ausbildung im Bereich Diagnostik einzufordern, oder diese zur Voraussetzung für Diagnostik als ko-konstruktiven Prozess zu machen, wäre widersinnig. Dies würde einerseits den Gewinn des Ergänzens ganz unterschiedlicher Perspektiven auf einen Prozess (hier Diagnostik) oder Phänomen verkennen und zweitens die Anerkennung der Perspektiven zum Beispiel von Kindern und Jugendlichen als professionell in Bezug auf die eigene Situation ausschließen.