Susanne Quinten & Heike Schwiertz:Fähigkeitsgemischter Tanz – Der aktuelle Forschungsstand

Abstract: Fähigkeitsgemischte (mixed-abled) Tanzensembles sind inzwischen nicht nur auf den Bühnen der Tanzkultur, sondern auch in den Foren der Wissenschaft angekommen, und ihnen kann der Status eines eigenen Tanzgenres zugesprochen werden. Allerdings fehlt bisher eine einheitliche, übergreifende Bezeichnung. Der Beitrag gibt auf der Grundlage einer systematischen Literaturrecherche einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand im Bereich des fähigkeitsgemischten Tanzens. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den gefundenen empirischen Forschungsstudien zum Thema „Fähigkeitsgemischtes Tanzen“. Deren Spektrum reicht von Untersuchungen zur Konstruktion fähigkeitsgemischter Settings über Talentförderung und professionelle Entwicklung behinderter Tänzer bis hin zur Frage, ob und inwieweit durch produktive und rezeptive Tanzaktivitäten Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen verändert werden können.

Stichwörter: Tanz, Inklusion, Behinderung, fähigkeitsgemischter Tanz (mixed-abled), Einstellung, Bewusstseinswandel, inklusive Settings, Talentförderung, professionelle Weiterbildung, Forschung

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung
  2. Systematische Literaturrecherche
  3. Aktueller Stand der empirischen Forschung zum Thema „Fähigkeitsgemischtes Tanzen“
  4. Fazit und Ausblick
  5. Literatur

1. Einführung

Der folgende Beitrag widmet sich dem Genre des fähigkeitsgemischten Tanzes und gründet auf einer systematischen Literaturrecherche zum allgemeinen Thema „Tanz und Behinderung“.
Bis zum Jahr 1966 – also bis vor der Gründung der American Dance Therapy Association (ADTA) – wurden Tanzaktivitäten mit behinderten Menschen typischerweise als „Dance Therapy“ (Tanztherapie) bezeichnet (Sherrill & Delaney 2004). Die anschließende berufspolitische Entwicklung in den USA hat dazu geführt, dass eine Person ihre Aktivität nur noch dann als Tanztherapie bezeichnen darf, wenn sie in der ADTA registriert, d.h. in Tanztherapie ausgebildet ist. Unter Tanztherapie wird seitdem die psychotherapeutische Verwendung von Tanz zur Förderung der emotionalen, sozialen, kognitiven und physischen Integration des Individuums verstanden (www.adta.org). Folglich bedurfte es einer neuen Bezeichnung für die Arbeitsweise von Tanzspezialisten, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten. Da hier die tänzerischen Maßnahmen auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt und ggf. modifiziert werden müssen, wurde der Begriff “Adapted Dance” eingeführt. „Adapted dance is a term appropriate to denote rhythmic movement instruction and/or experiences that are modified to meet the needs of persons who have significant learning, behavioral or psychomotor problems that interfere with successful participation in programs of regular dance in education and art.“ (Sherrill & Delaney 2004, S. 442)
Hilde Holger (1905 – 2001), eine Schülerin der Ausdruckstänzerin Gertrud Bodenwieser (1890 – 1959), arbeitete sowohl als Tanztherapeutin, als auch als Tanzkünstlerin. Ihr Sohn kam mit Down Syndrom zur Welt. Im Jahr 1969 fand unter Leitung von Hilde Holger mit „Towards the Light” im Sadlers Wells Theater in London die erste Aufführung eines Tanzensembles statt, in dem junge Erwachsene mit schwerer Lernbehinderung in der Öffentlichkeit tanzten. Zwei Schüler von Hilde Holger, Wolfgang Stange und Royston Maldoom, waren in den 1970er und 1980er Jahren maßgeblich an der Weiterentwicklung der tanzkünstlerischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung beteiligt. Wolfgang Stange gründete im Jahr 1981 in London die Tanzkompanie AMICI, eine der ersten Ensembles, die Tänzer mit Behinderung und Tänzer ohne Behinderung (able bodied dancers) integrierte (http://www.amicidance.org). Royston Maldoom gehört zu den Pionieren des Community Dance, dem „‘Dance for everyone‘ (Tanzen für alle)“ (Carley 2010, S. 15), dessen zentrale Idee darin besteht „Menschen einer beliebigen ‚Community‘ (…) einen Zugang zum Tanz zu ermöglichen“ (Carley 2010, S. 15-16). So richtet sich Community Dance auch an Menschen mit Behinderung. Ende der 1980er Jahre begannen Alito Alessi und Karen Nelson den “mixed-abilites dance” (DanceAbility) genauer zu erforschen, und sie entwickelten 1987 das Projekt “DanceAbility“ (www.danceability.com; Begle 2003). Ab 1989 leitete Alito Alessi das Projekt alleine. Zusammen mit Emery Blackwell, einem von Geburt an mit spastischer Lähmung lebenden Tänzer, entwickelte Alessi die Kontaktimprovisation im Kontext von Behinderung und Inklusion weiter (Begle 2003). Im Jahr 1991 gründeten Celeste Dandeker-Arnold und Adam Benjamin die CondoCo Dance Company, die ebenfalls mit zu den mixed-abled Tanzgruppen der ersten Stunde zählt. In Deutschland gründete Gerda König 1995 die DIN A 13 Tanzkompanie, „deren Mitglieder sich aus Tänzern mit unterschiedlichen Körperlichkeiten zusammensetzt.“(DIN A 13)
Inzwischen haben sich international viele weitere Tanzensembles etabliert, von denen manche sich ausschließlich aus Tänzer*innen mit einer Behinderung zusammensetzen und andere, in denen Tänzer*innen mit und ohne Behinderung gemeinsam tanzkünstlerisch tätig sind. Der folgende Beitrag widmet sich vorrangig den fähigkeitsgemischten Ensembles. Es liegt nahe, diesen besonderen Tanzensembles den Status eines eigenen Genres zuzusprechen (vgl. Paxton 1991, S. 14), allerdings fehlt bisher eine einheitliche, übergreifende Bezeichnung. Seit Mitte der 1990er Jahre wird das neue Tanzgenre in verschiedenen Publikationen als Gegenstand thematisiert (vgl. Cheesman 2011). Auffällig ist dabei, dass teilweise sehr unterschiedliche Begriffe zur Kennzeichnung genutzt werden. So ist beispielsweise die Rede von „community dance / tanzen für alle“ (Carley 2010), „DanceAbility“ (Alessi & Zolbrod 2003), „Diverse Dance“ (Nelson 1995), „Freies Tanzen mit behinderten und nichtbehinderten Menschen“ (Heinrichs 1998), „Integrativer Tanz“ (Begle 2003),„integrated dance“ (Cheesman 2011; Zitomer & Reid 2011; Zitomer 2010), „mixed-abilities dance“ (Alessi & Zolbrod 2003), „mixed-abled dance“ (www.din-a13.de) oder „inclusive dance“ (Benjamin 2002, S. 13; Kaufmann 2006).
Der vorliegende Beitrag möchte einen Überblick über den Forschungsstand auf dem Gebiet des fähigkeitsgemischten Tanzes geben. Dabei wird bei den folgenden Ausführungen der Begriff „fähigkeitsgemischt“ bzw. im Englischen „mixed-abled“ verwendet, um das Tanzgenre, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam tanzen, zu benennen. Somit wird eine bereits in den frühen Jahren bis heute verwendete Bezeichnung übernommen, die wertneutral und eindeutiger als die Begriffe „inklusiv“ oder „community dance“ ist, die sich beide auch auf die Einbindung beispielsweise von Menschen mit Migrationshintergrund beziehen.

2. Systematische Literaturrecherche

Zur Eruierung des aktuellen Forschungsstandes wurde von Oktober bis Dezember 2014 eine umfassende Datenbankrecherche und Durchsicht einschlägiger Fachzeitschriften vorgenommen (s. Tabelle 1a und b). Die jeweiligen Treffer wurden zunächst mittels Lesen der Abstracts auf ihren thematischen Bezug geprüft, in einem zweiten Schritt erfolgte die Sortierung nach dem vollständigen Lesen aller bestellten und kopierten Artikel. Folgende Auswahlkriterien wurden definiert: Englisch- oder deutschsprachig, bestellbar über deutschen Leihverkehr, Inklusion/Integration unter dem Fokus Behinderung (nicht Migration, etc.); Tanz unter der Perspektive: Erfahrung, Vermittlung, Ästhetik, Bildung, Erziehung, Methoden, Produktion (künstlerisch-pädagogische Perspektive). Da durch die Suchwörter Inklusion und Tanz oder andere „enge“ Begriffe wenig Treffer erzielt wurden, erfolgte die Suche letztlich im Wesentlichen durch die Begriffskombinationen Tanz AND Behinderung bzw. Dance AND Disability. Abweichungen hiervon ergaben sich logisch aus den jeweils recherchierten Datenbanken und Datenbankkombinationen, und sind der zweiten Spalte in Tabelle 1a und 1b zu entnehmen. Eine vollständige Literaturliste kann bei den Autorinnen angefordert werden.
Tab. 1a. Rechercheergebnisse Datenbanken (Stand Okt./Nov. 2014)


Datenbank

Schlagwörter

Treffer (Datum)

Auswahl

Autor_innen

FIS

Tanz AND Behinderung

Dance AND Disability

45 (18.11.2014)

 

0 (18.11.2014)

11

McCall 2012, Schmitt 1999, Begle 2003, Dinold & Zanin 2013, Görcks 2000, Katzer 2011, Katzer 2014, Keller 2003, Seidler 2003, Levete 1982, Hermanns-Schneider 1992

Psyndex, PsycInfo, PsycArticles, ERIC, educational sources

Tanz NOT Tanzania AND Behinderung

Dance AND Disability

33 (30.10.2014)

 

57 (30.10.2014)

2

 

21

Loy 1997, Boban 2000

 

Aujla&Redding 2013 und 2014, Band et al 2011, Bates et al 2012, Bell, Terry & Edelson 2012, Birkett 2005, Block&Johnson 2011, Church 1993, Coldicott 2014, Crabtree 2011, DSQ 2007, Grace 2009, Hargrave 2009, Houston-Wilson et al. 1997, Kupper 2009, Sironen 1980, Verdi-Fletcher 1995, Wallin 2013, Whatley 2007, Zitomer & Reid 2011, Walker 2012

Web of science Core Collection

Dance AND Disability

93 (26.11.2014)

11

Quinlan&Harter 2010; Kuppers&Marcus 2009; Davies 2008; Gregory 1998; McGarry&Aubeeluck 2013; Aujla&Redding 2014; Lobel 2012; Grace 2009; Felciano 2002; Steeg 1993; Sherill&McBride 1984

OLC-SSg Film und Theater

Dance AND Disability
Tanz AND Behinderung
Integration
Behinderung
Inklusion

4 (5.11.2014)

0

54
10
0

3

 

1
1

Zitomer and Reid 2011, Whatley 2007, Walker 2012

 

Goyal 2008
Kuppers 2003

Tab. 1b: Rechercheergebnisse Durchsicht Fachzeitschriften/Jahrbücher (Okt./Nov. 2014)


Zeitschrift

Datum

Auswahl

Autor_innen

Contact Quarterly (1983-2014)

22.10.2014

13

Lusterman 1983; Giebink 1991; Paxton 1992; Nelson 1995; Marx 1995; Olender 1995; Daly 1998; Horwitz 1998a; Horwitz 1998b; Neldon 1998; Nelson 2000; Den Boeft 2000; Alessi & Zolbrod 2003

Research in Dance Education
(2000-2014)

25.10.2014

5

Aujla & Redding 2014; Zitomer&Reid 2011; Cheesman 2011; Whatley 2007, Kuppers 2000

Animated

29.10.2014

5

 

sowie 1 Themenheft
“Focus on disability – Dancing differently” (Summer 2002)

Charnley 2011; Portlock 2010; Cockburn 2010; Campbell 2009; Katerega 2005;

Themenheft (Summer 2002): Scott; Gosling; Ashba; Blackwell & Blackwell; Thomson & Barber; Russ; Dandeker; Benjamin; Williams; Toole; Scholey; Burns & Akroyd; Prime; Gould

Jahrbücher der Gesellschaft für Tanzforschung (1990-2014)

30.10.2014

2

Kuppers 2003; Dinold 2008

Tanz (vormals Ballettanz und Tanzjournal)

05.11.2014

3

Suchy 2012; T´Jonck 2012; Hahn 2010

Zusätzlich fanden wir diverse Referenzartikel oder Literaturempfehlungen von den Webseiten fähigkeitsgemischter Ensembles. Aufgrund häufiger Zitationen können Bücher wie Benjamin 2002, Albright 1998, Kaufmann 2006 oder Kuppers 2004 als „Standardwerke“ bezeichnet werden. Insgesamt betrachtet finden sich zahlreiche didaktisch-methodische Abhandlungen, Leitfäden und Manuale für das Unterrichten fähigkeitsgemischter Tanzgruppen (z.B. Benjamin 2002; Cheesman 2011; Cone & Cone 2011; Heinrichs 1998; Kaufmann 2006; Skoning 2010) sowie Arbeiten, die sich mit der besonderen Bewegungs- und Körperästhetik des Genres bzw. deren Wahrnehmung beschäftigen (z.B. Albright 1997; Kuppers 2003; Elin & Boswell 2004). Inzwischen liegen auch einige Texte vor, die sich dem Thema empirisch forschend genähert haben (s. Tabelle 2a-c). Im anschließenden Fließtext werden die wichtigsten Befunde dazu erläutert.

3. Aktueller Stand der empirischen Forschung zum Thema „Fähigkeitsgemischtes Tanzen“

Das Spektrum der untersuchten Forschungsthemen reicht von der Konstruktion fähigkeitsgemischter Settings, über Talentförderung und professionelle Entwicklung behinderter Tänzer bis hin zu Möglichkeiten der Einstellungsänderung durch produktive und rezeptive Tanzaktivitäten.

3.1 Konstruktion fähigkeitsgemischter Tanzsettings

Tabelle 2a: Konstruktion fähigkeitsgemischter Tanzsettings


Autor*in; Jahr

Stichprobe

Gegenstand der Untersuchung

Methodisches Vorgehen/ Messinstrumente

Ergebnisse

Becker & Dusing, UK (2010)

Fallstudie (11jähriges Mädchen mit Down-Syndrom)

Untersuchung der Partizipationsmöglichkeit an einem 14-wöchigen community performing arts-Programm mit Aufführung (Gesang und Tanz)

Veränderung der Lebensqualität

Prä-Post-Testung der Lebensqualität mittels PedsQL sowie Erfassung der Bewegungsfähigkeit

Regelmäßige Teilnahme war möglich; steigendes Wohlbefinden; Assistenz konnte im Verlauf zunehmend „entprofessionalisiert“ werden

PedsQL-Werte: prä 51, post 57

Verbesserungen der motorischen, sozial-emotionale und schulbezogenen Fähigkeiten

Die Teilnahme an einem Community Arts Programm ist mithilfe individueller Modifikationen möglich.

Cheesman,
Neuseeland (2010)

 

Lehrerin der Tanzklasse

Struktur und Inhalt einer integrativen community danceclass (Basis: tänzerische Improvisation), pädagogisches Vorgehen der Lehrerin, Resonanz der Teilnehmer_innen

Analyse von
Reflexivem Lehrer-Journal, Video-Aufnahmen und Fotografien

Gleichberechtigte Teilnahme aller Kinder ist gelungen; Ursache u.a. Lernstrategien, Rituale und Motivation der Teilnehmer_innen

Kinder mit Behinderung nehmen deutlich seltener an kommunalen Aktivitäten als Regelkinder teil. Dadurch ist auch der Austausch und Kontakt zwischen Kindern mit und ohne Behinderung eingeschränkt. Becker und Dusing (2010) betrachten die Möglichkeiten für die Partizipation behinderter Kinder an bestehenden Community Performance Arts Programmen. Die Autorinnen vermuten, dass integrative Community Programme helfen können funktionierende soziale Beziehungen herzustellen, die bis ins Erwachsenenalter andauern. In ihrer Fallstudie untersuchen sie die Umsetzbarkeit der Integration eines elfjährigen Mädchens mit Down-Syndrom in ein 14 wöchiges Projekt, in dem getanzt (Jazz und Ballett) und gesungen, und das Ergebnis am Ende öffentlich als Mini-Musical aufgeführt wird. Der Probandin wurden einige Modifikationen des bestehenden Programms offeriert: Es wurde ein Ruhebereich eingerichtet, den sie selbstständig bei Bedarf aufsuchen konnte. Aufnahmen der von den Teilnehmerinnen gesungenen Liedern wurden für zuhause angefertigt. Eine Eins-zu-Eins-Assistenz unterstützte das Mädchen, bis es sich an die neue Situation und die anderen Teilnehmerinnen gewöhnt hatte, und unterrichtete sie einzeln bei komplexeren choreografischen Einheiten. Drei Peer-Helferinnen, die ungefähr im selben Alter waren und guten Kontakt zu dem Mädchen hatten, übernahmen vor allem in den letzten zwei Stunden intensiv die Begleitung; sie waren die einzige Hilfestellung während des abschließenden Auftritts, der ohne sichtbare Irritationen verlief. Neben der Zufriedenheit der Probandin konnten auch folgende Ergebnisse festgehalten werden: Mittels des PedsQL (Pediatric Quality of Life Inventory Parent Report Questionnaire version 4.0) wurde eine Prä- und Post-Testung der Lebensqualität durchgeführt. Der Gesamt-Score verbesserte sich um sechs Punkte von 51 auf insgesamt 57 Punkte. Verbesserungen traten in den Teilbereichen physische (Koordination, Geschwindigkeit, Balance), soziale (verringerte soziale Angst, gesteigertes Selbstbewusstsein, vermehrt eigeninitiierte Peer-Interaktionen)und schulische Faktoren (Informationsaufnahme, Ausdauer bei den Hausaufgaben) auf. Die beobachteten Auswirkungen auf die gesteigerte Lebensqualität sind durch ähnliche Programme auch bei Regelkindern festgestellt worden. Die Öffnung kommunaler Kunstprogramme ist unter Hinzunahme von Modifikationen bzw. direkt ins Konzept eingearbeiteten Modifikationen möglich.
Cheesman (2011) geht der Frage nach, was in einer „community dance“ Klasse (u.a. zwei Kindern, die einen Rollstuhl benutzen) die gleichberechtigte Teilnahme aller Kinder dieser Klasse ermöglicht. Hierzu beschreibt sie Strukturen, Inhalte, pädagogisches Vorgehen und die Reaktionen der Kinder im Rahmen eines Journals. Dieses Journal sowie Fotos und Videoaufnahmen der Arbeit in der Klasse bilden die Datenbasis, die analysiert und in Bezug zur Ausgangsfragestellung diskutiert wurden. Cheesman berichtet, dass die von ihr gewählten Lernstrategien helfen, Vertrauen und Selbstwertschätzung aufzubauen. Ihre Vorgehensweise ist überwiegend spielerisch, mit strukturierter Improvisation, offenen Bewegungs- bzw. Problemlöseaufgaben. Die Einführung eines supportiven Partnersystems, das Schaffen von Ritualen, die Etablierung einer alle Beiträge wertschätzenden Lernkultur und die Bildung eines Gemeinschaftssinns sind weitere wirksame Bedingungen, die zum Gelingen einer gleichberechtigen Teilnahme aller Kinder beitragen. Schließlich spielt die eigene Motivation der Kinder, gerne zum Tanzen zu kommen und Improvisation zu genießen, eine wichtige Rolle.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass fähigkeitsgemischter Tanz umsetzbar ist. Dies gilt zum einen für adaptierte Methoden als auch für grundsätzlich offenere Arbeitsweisen wie Improvisation oder spielerische Zugänge.

3.2 Talente – entdecken und fördern: professionelle Weiterentwicklung behinderter Tänzer*innen

Einige behinderte Tanzkünstler*innen haben ihren Weg gemacht, z.T. in der inklusiven Szene, einige sind auch im Mainstream angekommen. Doch wie kann Talent erkannt und gefördert werden, gibt es bereits professionelle Ausbildungen an etablierten Hochschulen und wie muss sich die Ausbildung verändern, um inklusiv und erfolgreich zu sein?
Tabelle 2b: Talente – entdecken und fördern: professionelle Weiterentwicklung behinderter Tänzer*innen


Autor*in; Jahr

Stichprobe

Gegenstand der Untersuchung

Methodisches Vorgehen/ Messinstrumente

Ergebnisse

Aujla & Redding, UK (2014)

18 Tanzexperten (Lehrer und Choreografen)

Auswahlkriterien zur Identifikation talentierter junger Tänzer_innen mit Behinderung

Praxis der Talententwicklung und Training

Halbstrukturierte Tiefeninterviews; Inhaltsanalyse (induktive Kategorienbildung)

Beobachtung spezieller Tanztechnik-Klassen

Wichtige Auswahlkriterien: Bewegungsqualität, kreatives Potenzial, Leidenschaft und starke Arbeitsmoral,
Unterstützungsbedarfe regeln

Wichtige Praxisempfehlungen: Flexibilität in der Lehre, „Mitgehen“ (Pacing), Methodenadaption

Band, Lindsay, Neelands & Freakley, UK (2011)

14 Tutoren, 9 Lehrende, 21 Projektstudent_innen
(davon 5 im Tanzprogramm)

6 „Mainstream“- Student_innen

Konzeption und Evaluation zweier Theater- und eines Tanzprojektstudiums

Charakteristika erfolgreicher inklusiver Praxis

Teilstrukturierte Interviews

17 Diskussionen mit den Tutor_innen

Gefundene Charakteristika erfolgreicher inklusiver Praxis: Vorabplanung der Bedarfe und Lernunterstützung, Adaptiver Lehr- und Lernansatz (Flexibilität), hohe Standards erhalten, aber erfolgreiche Umsetzung beachten (im Nachhinein Wunsch mancher Teilnehmer_innen ihre Fähigkeiten mehr unter Beweis stellen zu können)

Whatley, UK (2007)

15 Tanzstudentinnen, davon 2 Rollstuhlfahrerinnen (18-26 Jahre)

Entwicklung eines inklusiven good-practice Modells einer 9-monatigen Tanztechnikklasse an einer englischen Hochschule

Fragebögen;
Offene Diskussionen

Toolbox/Rahmenbedingungen für inklusive Tanztechnikklassen: Unterstützungsmechanismen für Assistenten, Inhalte, Methoden, Struktur

Herausforderungen und Lerninhalte für Studenten mit und ohne Behinderungen z.T. verschieden

Aujla und Redding (2014) stellen grundsätzlich fest, dass es einen Mangel an (professionellen) Weiterentwicklungsmöglichkeiten für behinderte Tänzer gibt. Vielen, der im Tanz arbeitenden fehlt es zudem an Kenntnis darüber, wie Talent bei jungen behinderten Tänzern zu erfassen ist. In 18 Tiefeninterviews mit Lehrenden und Choreografen, die größtenteils über langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit Tänzern mit einer Behinderung verfügen, kristallisierten sich folgende Auswahlkriterien für Auditions (Vortanzen) heraus:
a)            Physische Performance-Fähigkeiten (z.B. physisches Potenzial, Embodiment, Koordination)
b)           Kreatives Potenzial (z.B. Improvisationsfähigkeit, Problemlösefähigkeit)
c)            Psychologische Charakteristika (z.B. Leidenschaft, Engagement)
d)           Herangehensweise an das Arbeiten im Tanz (z.B. Fokus, Nutzen von Feedback)
e)           Unterstützungssystem (z.B. Eltern, Pflege, Transportbedarf)

Eine Kombination einiger dieser Faktoren deutet auf Talent bzw. Potenzial hin, wobei die Bewegungsqualität beispielsweise entscheidender als technische Fähigkeiten sind (z.B. können traditionelle physische Faktoren wie Flexibilität und Stärke später trainiert werden; behinderte Menschen haben oft weniger Tanzerfahrung, und haben demnach oft „Nachholbedarf“).
Für die erfolgreiche Talent(weiter-)entwicklung und das Training scheinen folgende Faktoren wichtig zu sein:

Darüber hinaus diskutieren die Autorinnen, ob integratives Training effektiver ist als spezielles oder Solotraining. Zum einen könnte sich im separaten Training eine vertiefte Technikentwicklung vollziehen, zum anderen scheinen integrative Settings sinnvoller in der Entwicklung der sozialen Interaktion und in der kreativen, sich gegenseitig befeuernden Bewegungsentwicklung und Steigerung des Bewegungsrepertoires. Vor allem größere Gruppen könnten auf behinderte Studenten einschüchternd wirken. Letztlich ist dies aber noch weiter zu untersuchen. Die Autorinnen regen an, integrative Settings anzubieten mit Kleingruppenarbeiten, sog. „Skills-Gruppen“. Diese folgen nicht zwingend der Einteilung behindert-nicht behindert, sondern fokussieren den jeweiligen Kenntnisstand.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Band et al. (2011), die der Frage nach Charakteristika von inklusiven Methoden in der professionellen Theater-/Tanzausbildung nachgehen. Bei den Performing Arts Schulen geht es (im Gegensatz zu den Regelschulen) nicht um die Umsetzung einer inklusiven Philosophie, sondern zuvorderst um die Güte der Performance, und um die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, in dieser hochkompetitiven Branche beruflich Fuß fassen zu können. Die Autoren untersuchen drei von staatlicher Seite initiierte Partnerprogramme zwischen diesen Schulen mit Theater-/Tanzensembles, um Wege für die Weiterentwicklung behinderter Schüler anzubieten. Lehren und Lernen folgen einem adaptiven Ansatz, und auch in dieser Studie stellt sich heraus, dass eine gute Vorabplanung der Unterstützungsbedarfe in Lehre und Aufnahmeprüfung notwendig ist. Es stellt sich die Frage nach angemessenen Standards in inklusiven Settings, im Vergleich zu den etablierten Ausbildungen: Manche Teilnehmenden hatten das Gefühl, nicht angemessen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können. Zusammenfassend stellen die Autoren fest, dass ein neues Behinderungsmodell bzw. neues ästhetisches Modell in den Performing Arts ein Ideal bleibt, und dass es für die Gesellschaft eine Herausforderung darstellt, Exzellenz behinderter Künstler anzuerkennen. Die Studie zeigt zwar auf, dass sorgfältig geplante und finanzierte Initiativen positive Erfahrungen für behinderte Schüler und Tutoren bringen können. Dennoch besteht großer Bedarf daran, „Regelangebote“ nicht nur zu adaptieren, sondern Methoden für die Arbeit in fähigkeitsgemischten Gruppen systematisch und speziell zu konzeptionalisieren.
Whatley (2007) geht der Frage nach, wie inklusive Hochschulbildung im Bereich professionelle Tanzausbildung gelingen kann (zweite Forschungsfrage zu Strategien des Zuschauens s.u.).
Ein Ziel des beforschten, neun Monate dauernden Tanztechnikkurses, der für Tänzer*innen mit Körperbehinderung geöffnet wurde, war die Entwicklung eines good-practice Modells für inklusive Tanztechnik-Klassen. Mittels offenen Diskussionen und Fragebogenauswertungen wurden Rahmenbedingungen hierzu identifiziert. In diesen Diskussionen sollte eine Infragestellung und Exploration traditioneller Herangehensweisen im Erwerb von Tanztechnik an der Universität angeregt werden, zudem konnten Vorurteile und stereotypische Verhaltensweisen abgebaut werden.
Während alle Studenten keinen speziellen Lernweg priorisierten, wurde die Methode Imagination als am effektivsten empfunden. Lernen wurde von den Student*innen ohne Behinderung als Weg der Fehleridentifikation gesehen, dagegen nahmen die Student*innen mit Behinderung Lernen als Weg der Befreiung und des Skill-Aufbaus wahr. Weitere Unterschiede konnten festgestellt werden: Student*innen mit Behinderung bewerten (aufgrund ihrer Vorerfahrungen) körperliche Symptome wie Muskelkater und Schwitzen und Atemlosigkeit deutlich negativer, Student*innen ohne Behinderung empfinden diese Symptome als positiv und notwendig. Während eine große Gruppengröße Student*innen ohne Behinderung Sicherheit vermittelt (sich auch mal verstecken können), produziert sie bei Student*innen mit Behinderung Unsicherheit, und das Gefühl kämpfen zu müssen um irgendwie mitzuhalten. Alle Student*innen bevorzugen persönliches Feedback vor keinem Feedback, auch wenn es nicht professionell oder unglücklich formuliert ist. Im Ergebnis wurde eine Toolbox für Schüler und Lehrer von Techniktraining entwickelt, die Strategien u.a. zur Rolle von Assistenten, Strukturen im Unterricht, Unterrichtsinhalt und Methoden und Aufgabenbeispiele bereithält.

3.3 Bewusstseinswandel/ Einstellungsänderungen

Tabelle 2c: Bewusstseinswandel/Einstellungsänderungen


Autor*in; Jahr

Stichprobe

Gegenstand der Untersuchung

Methodisches Vorgehen/ Messinstrumente

Ergebnisse

Gregory, Florida/USA (1998)

96 Schüler*innen/ Student*innen,
3 Altersgruppen a 32 Personen,

zu gleichen Teilen männlich und weiblich

Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung

Erfassung der emotionalen Reaktion mittels CRDI bei der Betrachtung zweier kurzer Videos (klassische Ballettaufführung; fähigkeitsgemischte Ballett-Aufführung)

Post: Fragebögen

Signifikant positivere Bewertung der fähigkeitsgemischten Aufführung

Bewertung des klassischen Balletts mit abnehmendem Alter der Probanden negativer bewertet

Kein Zusammenhang zwischen positiven Reaktionen auf die fähigkeitsgemischte Ballettaufführung und Reaktionen auf klassisches Ballett

McGarry & Aubeeluck, UK (2013)

45 Krankenpflegeschüler*innen

Veränderung der Wahrnehmung durch Teilnahme an einem 1-Tages-Tanz- und Theater-Workshop zusammen mit Menschen mit Lernbehinderung

Evaluationsbögen (Sicht der Auszubildenden auf das Erlebte)

Workshop wurde herausfordernd erlebt, da Komfortzone Klassenraum verlassen werden musste.

Gestiegenes Verständnis der Kernkonzepte Empathie, Würde, Stigma, soziale Exklusion

gestiegenes Verständnis für Kommunikationsprobleme von Menschen mit Lernbehinderungen

Kommunikationsbegriff wird weiter gefasst als zuvor

Whatley, UK (2007)

15 Tanzstudent*innen, davon 2 Rollstuhlfahrerinnen (18-26 Jahre)

Wie wird „disability performance“ betrachtet bzw. beurteilt?
Frage nach den Strategien des Zuschauens

Fragebögen
Offene Diskussionen

5 Strategien des Zuschauens:

passive oppressive, passive conservative, post-passive, Active Witness, Immersion

Zitomer & Reid, Kanada (2011)

14 Kinder im Alter von 6-9 Jahren, 5 mit und 9 ohne Behinderung

Veränderung der Wahrnehmung von Tanz (fähigkeit) und Behinderung durch Teilnahme an 10 wöchigem Tanzprogramm

Halbstrukturierte Fokus-Gruppen-Interviews

Auswertung anhand interpretativer phänomenologischer Analyse (IPA)

Kompetenzwahrnehmung steigt;
Tanzverständnis erweitert sich;
Tanzfähigkeit nicht an Gehfähigkeit gekoppelt;

Kinder mit Behinderungen werden weiterhin als anders wahrgenommen

Im Zusammenhang mit der professionellen Ausbildung von Tänzer*innen mit Behinderung stellt sich die Frage nach möglichen Berufswegen und Karrierechancen. Die professionellen Chancen von Tänzern mit einer Behinderung sind auch davon abhängig, wie Zuschauer, als potentielle Kunden, Tanzdarbietungen mit behinderten Tänzern sehen und interpretieren. Mit dieser Frage beschäftigt sich Whatley (2007) im Rahmen einer empirisch-qualitativen Studie. Konkret untersuchte sie, wie Studierende auf eine Aufführung mit behinderten Tänzern (disability performance) reagieren. Aus dem Datenmaterial kristallisierte sie insgesamt fünf Strategien heraus, wie Zuschauer Tanzaufführungen mit behinderten Tänzern anschauen: eine voyeuristische Grundhaltung liegt der ersten Strategie – „passive oppressive“ – zugrunde. Hier werden Menschen mit einer Behinderung ähnlich angestarrt wie in den ehemaligen „Freakshows“ oder dem „medizinischen Theater“, in denen Menschen mit einer Behinderung quasi „ausgestellt“ und als minderwertig betrachtet werden. Werden Stücke gedeutet, so überwiegt eine bedrückende, eher beklemmende Interpretation vor. Bei der zweiten Strategie – „passive conservative“ – werden Tänzer mit einer Behinderung diskriminierend angestarrt, ohne dass es zu einem direkten Kontakt oder zur Konfrontation kommt. Stückinterpretationen basieren in der Regel auf dem klassischen ästhetischen Ideal. Die dritte Strategie – „post-passive“ – versucht, die Behinderung des Tänzers als Beurteilungskategorie komplett zu streichen. Bei der vierten Strategie – „active witness“ – ist der Zuschauer beim Beobachten aktiv engagiert, die Behinderung wird als „normal“ gedeutet und die Interpretation der Aufführung ist recht offen und mit einer stark veränderten Sichtweise von Ästhetik verbunden. Schließlich werden bei der letzten Strategie – „immersion“ – die eigenen verkörperten Erfahrungen der Zuschauer aktiviert (embodiment) und auf dieser Basis werden die Stücke interpretiert. Ein weiterer Befund war, dass sich ästhetische Prioritäten und das ideale Bild eines Tänzers mit der Häufigkeit des Anschauens von „disability performances“ verändern können.
Weitere drei Artikel beschäftigen sich mit dem Thema Einstellungsänderung und fähigkeitsgemischte Tanzensembles. Gregory (1998) lässt 32 Schüler einer Mittelschule, 32 Schüler einer höheren Schule und 32 Student*innen im Hauptfach Musik, mit jeweils gleicher Geschlechtsverteilung zwei Tanzvideos anschauen. Eines zeigt Ausschnitte einer klassischen Ballettaufführung (die letzten zwei Minuten von Strawinskys Symphonie in C, von Balanchin choreographiert). Das andere Video zeigte eine 2,5 Minuten lange Tanzaufführung, die gemeinsam vom Jeoffrey Ballet und einer Tanzgruppe, die Rollstühle nutzt, aufgeführt worden ist. Um Effekte durch die Reihenfolge der Darbietung zu kontrollieren, wurden der Hälfte der Probanden die Videos in umgedrehter Reihenfolge präsentiert. Während der Betrachtung der Videos gaben die Proband*innen Auskunft über ihre Gestimmtheit mittels CRDI (Selbsteinschätzungs-Skala zur Erfassung der Emotionalität). Die Reaktionen der jüngeren Probanden lassen, unabhängig vom Geschlecht, vermuten, dass die wiederholte Darbietung von fähigkeitsgemischten Tanzaufführungen zu positiveren Einstellungen gegenüber weniger bevorzugter Kunstform zu führen scheint. Die Ratings der fähigkeitsgemischten Tanzaufführung waren positiver als die Ratings der Ballettaufführung. Darbietungsreihenfolge und Geschlecht übten keinen signifikanten Einfluss aus. Lediglich das Alter führte zu signifikanten Unterschieden bei der Bewertung des klassischen Balletts, und zwar je jünger die Probanden, umso negativer das Rating.
Der Artikel von McGarry & Aubeeluck (2013) beschreibt den Hintergrund und die Entwicklung einer (tanz-)theaterbasierten, pädagogischen Initiative für Auszubildende im Krankenpflegebereich. Die Auszubildenden nehmen an einem Ein-Tages-Workshop mit Menschen mit Lernbehinderung teil und tanzen / spielen Theater zusammen. Durch Fragebögen wird hinterher die Sicht der Auszubildenden auf das Erlebte untersucht. Der Workshop wurde als Herausforderung erlebt, da die Komfortzone Klassenraum verlassen werden musste. Die Auszubildenden geben ein gestiegenes Verständnis für die Kernkonzepte: Empathie, Würde, Stigma und soziale Exklusion an. Sie entwickelten außerdem ein Verständnis für die Kommunikationsprobleme lernbehinderter Menschen und erweiterten ihr Kommunikationsmodell.
Die Studie von Zitomer & Reid (2011) untersucht die Wahrnehmung von Tanz, Tanzfähigkeit und Behinderung, sowie die durch ein zehnwöchiges integratives Tanzprogramm hervorgerufenen Wahrnehmungsveränderungen bei Kindern im Alter von sechs bis neun Jahren. An dem Programm nahmen fünf Kinder mit und neun Kinder ohne Behinderungen teil. Theoretisch eingebettet wurde die Auswertung zum einen in dem Ableismus nach Davis 1995, zum anderen in die Kontakthypothese von Allport 1954, und dem Situationsansatz zur Wissensbildung von Greeno 2006. Stark verkürzt könnte man sagen, dass Ableismus und Kontakthypothese auf die Neigung der Gesellschaft Menschen anhand der kognitiven und physischen Norm zu vergleichen und zu kategorisieren verweisen. So können Beurteilungen entstehen, die zu Exklusion führen können. In Kontakthypothese und Situationsansatz kommt der sozialen Interaktion eine wichtige Rolle für die Erkenntnisbildung zu; dies böte Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Inklusion.
Die Anwendung von Prinzipien der Kontakthypothese (gleicher Status, gemeinsame Ziele, kooperatives Arbeiten, Unterstützung von einer Autorität) in der Gestaltung des Tanzangebotes und das Handeln mit konzeptionellen Mitteln des Situationsansatzes (verschiedene Wege zu tanzen, nicht notwendig auf Füßen zu stehen, etc.) haben zu mehr Verständnis geführt, welches die Partizipation aller Teilnehmer im Tanzkontext gesteigert hat.
Vor dem Tanzprogramm deuten die teilnehmenden Kinder Tanz als „alle möglichen Bewegungen“. Ballett ist der bekannteste und von einigen bereits praktizierte Tanzstil. Bewegungen wie Drehen und Springen werden als Tanzfähigkeit definiert.
Zusätzlich finden sich drei Themen der Kinder ohne Behinderung: für sie bedeutet nicht gehen können = nicht tanzen zu können, Behinderung bedeute Passivität (Kinder mit Behinderung müssen bewegt werden, und treffen keine eigenständigen Entscheidungen), und Kinder mit Behinderung werden als anders empfunden, ohne dass dies genauer definiert werden kann.
Nach dem Tanzprogramm empfinden alle Kinder Tanz sowohl als physische als auch als emotionale Aktivität, die Spaß macht und Möglichkeiten bietet, sich auszudrücken. In der eigenen Tanzaktivität werden verschiedene Levels genutzt, und auch verschiedene Körperteile können zum Tanzen genutzt werden (Beine sind somit nicht mehr existentiell für das Tanzen). Für die Kinder ohne Behinderung bleiben die „anderen“ Kinder aber auch weiterhin „anders“: Die Distinktion wird nun begründet über den Hilfsmittelgebrauch. Kinder mit Behinderung nehmen sich abschließend kompetenter wahr; dies basiert auf einem gewachsenen Wissen über Tanz oder was Tanz sein kann, u.a. wie sie Aufgaben modifizieren können, tänzerisch variieren können.
Die Teilnahme an einem fähigkeitsgemischten Tanzprogramm kann demnach die Wahrnehmung der eigenen Tanzfähigkeit und die Wahrnehmung der Tanzfähigkeit von anderen Kindern verändern. Auch die Einstellung dazu, was Tanz ist und wie sich Tanz vollzieht, ist in diesem Kontext wandelbar. Dennoch ist jedoch kaum eine Veränderung der Wahrnehmung von Behinderung an sich erkennbar, gleichwohl bietet Tanz eine Umgebung um Vorurteile abzubauen und neue Perspektiven kennenzulernen. Dies hat sich auch in neuen erworbenen Konzepten der Kommunikation und Problemlösung widergespiegelt, sowie darin, dass die Kinder durch ihre gemeinsamen Tanzerfahrungen in der Lage waren zu reflektieren, wie Kinder mit Behinderung tanzen.

4. Fazit und Ausblick

Grundsätzlich findet sich eine überraschend vielfältige und bunte Mischung an Veröffentlichungen zum fähigkeitsgemischten Tanz. Forschungsaktivitäten finden sich diesbezüglich im Wesentlichen im englischsprachigen Raum.
Insgesamt lässt sich aus allen eingeflossenen Studien herauslesen, dass Interaktion als wesentlicher Faktor für Abbau von Ängsten und Vorurteilen gelten kann, und somit im direkten Erleben die Quelle von Bewusstseinswandel und Einstellungsveränderung liegt. Weiterführend benötigt Tanzkultur nicht nur zugängliche Techniken, Arbeitsplätze, Trainingseinrichtungen und Bühnen, sondern auch weitläufige pädagogische Arbeit, die ihren Edukanden „dance literacy“ – die Fähigkeit (besonderen) Tanz zu verstehen – vermittelt (vgl. Kuppers 2003). Das gemeinsame Tanzen erweitert (zumindest in geeigneten Settings) das eigene Bewegungsrepertoire und das Verständnis von Tanz, es kann helfen Vorurteile gegenüber den Fähigkeiten von Menschen mit und ohne Behinderung abzubauen.
Somit könnte das Genre fähigkeitsgemischter Tanz auch ein wichtiges Modell für gesamtgesellschaftliche Inklusionsprozesse darstellen.

5. Literatur

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