Niko von Glasow bezeichnet sich selbst als den „einzigen kurzarmigen Regisseur Deutschlands“ und nimmt damit einen ironischen Bezug auf seine Contergan-Schädigung. Als Filmregisseur wurde er bekannt durch seine Trilogie von Filmen, die das Thema Behinderung auf unterschiedliche Weise zum Gegenstand haben: NoBody´s Perfect (2008, Deutscher Filmpreis 2009: Bester Dokumentarfilm) schildert die Suche nach zwölf durch Contergan geschädigte Menschen, die bereit sind, sich für einen Aktfoto-Kalender nackt fotografieren zu lassen. In diesem persönlichen Film geht es viel um die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen, um das Anstarren, das Sehen und Gesehen werden, auch um politische Verantwortung. Vor allem thematisiert der Film eine gerechte Entschädigung der Contergan-Betroffenen in Deutschland.
Alles wird gut (2012) ist ein Dokumentarfilm über das gleichnamige Theaterstück, das 2011 in Köln beim Sommerblut-Festival auf die Bühne gebracht wurde. Wir sehen das Ensemble von Schauspieler*innen unter der Leitung von Regisseur Niko von Glasow bei der Entwicklung eines eindrücklichen Bühnenstückes: Im Theaterstück werden alle behinderten Kandidaten bei einer Casting-Show in einen separaten Raum gebracht und dort vergessen. Dieser Plot nimmt – wie in NoBody´s Perfect – nochmals Bezug auf die gesellschaftliche Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen. Dennoch wird im Film sehr viel gelacht, auch viel geweint und auf diese Weise ein unterhaltsamer und nachdenklicher Theaterprozess im Film anschaulich gemacht.
Der letzte Film aus der Trilogie Mein Weg nach Olympia (2013, als einer von zehn Dokumentarfilmen des Jahrgangs 2013/2014 vornominiert zum Deutschen Filmpreis) portraitiert vier Sportler und Sportlerinnen – Matt Stutzman, Greg Polychronidis, Christiane Reppe und Aida Husic Dahlen – sowie ein Sitzvolleyball-Team aus Ruanda bei ihren Vorbereitungen und der Teilnahme an den Paralympics in London 2012. Aus seiner Abneigung gegen Sport macht der Regisseur gleich zu Anfang des Films kein Geheimnis. So kann er sich direkt und provokativ, zugleich aber auch sehr einfühlsam den Menschen in den Sportlerinnen und Sportlern nähern, die alles wollen, nur keine Bewunderung dafür, wie sie ihr „Schicksal“ der Behinderung meistern.
In Vorbereitung ist der Film Das Mädchen aus Tibet, ein Remake von „Heidi“. Diesmal kommt allerdings ein tibetischer Teenager zu einer neurotischen, superreichen New Yorker Familie. Ein verwickeltes Road-Movie, das den Weg zurück in den Himalaya zeigt, nimmt seinen Lauf.
Neben seinen Arbeiten als Regisseur, Filmproduzent und Dozent an der von ihm gegründeten Tibetan Film School arbeitet Niko von Glasow auch als Fotokünstler (http://www.nikovonglasow.com/) in der ganzen Welt: Aktuelle Projekte aus dem Jahr 2014 waren beispielsweise ein Fotoshooting auf den Philippinen mit taubblinden Kindern oder ein Film- und Fotoworkshop in einem Hochsicherheits-Gefängnis in Russland.
Kunst ist Kunst ist Kunst ist Kunst…:
Im Interview präsentiert sich Niko von Glasow als Künstler, der den Eigensinn und die Autonomie seiner Kunst über jegliche Versuche der Vereinnahmung stellt. Auch setzt er sich erfolgreich gegen sozialromantische Vorstellungen von Inklusion zur Wehr und macht bei vielen Gelegenheiten deutlich, dass er mit seiner Kunst keine Sozialprojekte durchführt. Zugleich zeigt er sich auch als vom Buddhismus inspirierter Mensch, der die Frage nach dem sinnvollen und schönen Leben als wichtige Kraft- und Inspirationsquelle nutzt. Die Lebenskunst bekommt dadurch eine ästhetische Dimension.
1) Gibt es ein besonderes Ereignis, eine persönliche Erfahrung, einen bestimmbaren Zeitpunkt, einen Anlass, der Dich dazu gebracht hat, künstlerisch zu arbeiten?
Ich weiß es noch genau: Es war in der Zeit, da konnte ich noch nicht auf den Frühstückstisch gucken. Aber unter dem Frühstückstisch standen die leeren Weinflaschen von der Nacht davor. Ich wusste, mein Vater war Kunstbuch-Verleger. Ich stellte mir immer vor, dass er die dicken großen Bücher irgendwo verlieren würde und deswegen ein Verleger wäre. Nun so kam es, dass viele Künstler in unserem Haus nicht nur soffen sondern auch malten. Also stellte ich mich neben ihre Staffelei (mit meinen kurzen Armen) und erklärte ihnen, wie sie ihr Bild verbessern können. Besonders einer kleckste furchtbar herum. Und somit wurde ich Regisseur. Übrigens erfuhr ich viele Jahre später, dass der Kleckser Jackson Pollock hieß.
2) Was denkst Du, weshalb Du dabei Dein spezifisches Medium (Film und Foto) gewählt hast?
Ich kann nicht tanzen, ich kann nicht singen, ich kann nicht malen, ich kann nur das Beste im Menschen sehen und es zu Tage fördern.
3) Was sind für Dich die wesentlichsten Eigenarten, Potentiale und Herausforderungen bei der künstlerischen Arbeit in und mit Deinem Medium (Film und Foto)?
Die drei wichtigsten und zugleich auch schwersten Herausforderung beim Film sind: Erstens das Drehbuch, zweitens das Drehbuch, und drittens das Drehbuch.
4) Wie würdest Du Deinen künstlerischen Ansatz beschreiben?
Ehrlichkeit.
5) Was sind die wesentlichen Ziele Deiner künstlerischen Arbeit?
Reich zu werden, berühmt zu werden und möglichst viele Blondinen auf mein Sofa zu locken.
6) Welche Art von Bewusstseinswandel braucht unsere Gesellschaft aus Deiner Sicht?
Die Gesellschaft braucht überhaupt keinen Bewusstseinswandel. Ich brauche endlich einen Bewusstseinswandel.
7) Spielt ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft für Deine künstlerische Arbeit eine Rolle?
Nö.
8) Was ist – aus Deiner Sicht – die Aufgabe von Kunst heute?
Kunst wird immer mehr inflationär und sich in der Masse in Nichts auflösen. Somit wird es die größte Kunst sein, ein sinnvolles und schönes Leben zu leben.