Alexander Bahr, Anne Liebeck:»In meiner Klasse würde ich mich nicht outen!« – Wider der Heteronorm(alis)ierung am Beispiel des Schulaufklärungsprojekts LiebesLeben

Abstract: Tagein, tagaus begegnen wir Menschen, die wir nach – oft dichotomen – Kategorisierungen differenzieren: nach dick oder dünn, nach Mann oder Frau, nach jung oder alt, nach homo- oder heterosexuell, nach schwarz oder weiß, nach gesund oder krank etc. Und nicht nur andere, auch uns selbst positionieren wir vermeintlich »eindeutig«. Wir alle wissen, dass dies geschieht, auch wenn es unbewusst abläuft, und empfinden beziehungsweise verstehen es all zu oft als Selbstverständlichkeit.

Dass solche In-Differenz-Setzungen und Kategorisierungen allerdings weder Selbstverständlichkeiten, noch ahistorisch und_oder existenzialistisch sind, dass mit diesen gleichsam Ungleichbehandlungen, Hierarchisierungen und Marginalisierungen ent- und bestehen, unter anderem damit werden wir uns auf den folgenden Zeilen auseinandersetzen. Dabei liegt unsere Konzentration auf den Kategorisierungen von Geschlechtlichkeiten und der Sexualitäten, die sich mittels des Herrschaftsverhältnisses der Heteronorm(alis)ierung re_strukturieren und die wir einer Diskussion und Kritik unterziehen. Um dies »plastisch(er)« und praxisnah zu tun, beziehen wir uns auf das Schulaufklärungsprojekt »LiebesLeben«[1] des Gerede – homo, bi und trans e.V. [2]
Dabei entwickeln und sehen wir »keinen Gegensatz […] zwischen Kritik und Veränderung, zwischen ›ideeller‹ Kritik und ›realer‹ Veränderung. Kritik heißt nicht, dass m[ensch] lediglich sagt, die Dinge seien nicht gut so, wie sie sind. Kritik heißt herauszufinden, auf welchen Erkenntnissen, Gewohnheiten und erworbenen, aber nicht reflektierten Denkweisen die akzeptierte Praxis beruht«[3]. Diesen Weg wollen wir gemeinsam beschreiten.

Folgende thematische Etappen erreichen wir auf unserem Weg:

  1. Beginnen wollen wir mit einem kurzen Einblick in die Arbeitsfelder des Gerede e.V. und insbesondere in das Schulaufklärungsprojekt »LiebesLeben«.
  2. Wir werfen einen beispielhaften Blick auf Formen von Gewalt, die Menschen erleiden (müssen), die sich nicht den Positionierungen der Heteronorm(alität)en entsprechen wollen und_oder können.
  3. Danach widmen wir uns dem Herrschaftsverhältnis der Heteronorm(alis)ierung ausführlicher. Dabei führt uns der Weg vom Konzept der Heteronormativität zum Herrschaftsverhältnis der Heteronorm(alis)ierung. Ausführlicher gehen wir dabei zum einen auf Beziehungsformen und zum anderen auf das Konstrukt der Identität/en.

Stichworte: Diversity, Inklusion,  Sexualität, sexuelle Identität, Geschlecht, Homosexualität, Vielfältige Lebensweisen, Heteronormativität

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Gerede e.V. und sein Schulaufklärungsprojekt »LiebesLeben«
  2. Dimensionierungen und Symptomatisierungen
  3. Von der Heteronormativität zur Heteronorm(alis)ierung
  4. LiebesLeben
  5. Fazit zu sexualpädagogischer Aufklärungsarbeit
  6. Literatur

1. Der Gerede e.V. und sein Schulaufklärungsprojekt »LiebesLeben«

Wie wir sehen, widmen wir uns sowohl theoretischen als auch praktischen Aspekten der Heteronorm(alis)ierung und versuchen gleichsam zu erörtern, welche Strategien es gibt, in das Herrschaftsverhältnis einzugreifen und es zu verändern. Als Praxisbeispiel dient uns, wie schon erwähnt, das »LiebesLeben« des Gerede e.V. Der Verein  wurde 1990 ins Vereinsregister eingetragen und hat seinen Sitz in Dresden. Innerhalb der Jugend(sozial)arbeit ist er seit 1995 als anerkannter freier Träger der Jugendhilfe tätig. Insbesondere im Rahmen des § 13 SGB VIII[4] ist der Gerede e.V. Anlauf- und Beratungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene. Die Adressat_innen setzen sich im Wesentlichen aus jungen Menschen, die durch ihre Geschlechtlichkeiten und_oder Sexualitäten der Heteronorm(alis)ierung nicht nachkommen wollen und_oder können, und deren Freund_innen und Familien zusammen. Neben dieser sozialpädagogischen Beratungs- und Begleitungsarbeit und soziokulturellen Angeboten liegt ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des Vereins auf Erwachsenen- und im besonderen Maße auf Jugendbildung. Innerhalb des letzteren Tätigkeitsbereichs ist das »LiebesLeben« zu verorten, das es nunmehr schon seit elf Jahren gibt.

Im Rahmen der Aufklärungsarbeit bietet der gemeinnützige Verein seit 1989 Schulen und Jugendeinrichtungen sexualpädagogische Projekte an, in denen mit Schüler_innen beziehungsweise Jugendlichen und jungen Erwachsenen über das Thema vielfältige Lebensweisen (lsbth: lesbisch, schwul, bi, trans* und hetero, aber auch zu den Themen Asexualität, Intersex* und Polyamorie) gesprochen wird. Das Interesse an den Veranstaltungen ist sehr groß. Einladungen in die Schule entstehen oftmals aus dem Lehrplaninhalt des Ethik-, Religions- oder Biologieunterrichtes heraus oder wir bekommen direkte Anfragen von Schüler_innen.

In die Vorabsprachen und den Projektablauf werden die jeweiligen Lehrer_innen aktiv mit einbezogen. Die Inhalte, Rahmenbedingungen und Methoden des Projektes werden durch die Lehrer_innen mit den Schulleiter_innen abgestimmt und - auf Wunsch mit uns gemeinsam - mit den Eltern besprochen (gem. §36 Abs. 2 SchulG[5]).

Unsere Besuche in den Schulklassen und Jugendgruppen sind für die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft die erste und einzige Gelegenheit, in offener Atmosphäre Frauen_ und Männer_ mit verschiedensten Lebensentwürfen kennen zu lernen und ihnen Fragen stellen zu können. Da Liebe und Sexualitäten eine zentrale Bedeutung beim Heranwachsen bekommen (haben), sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen meist sehr interessiert und offen für das Thema.[6]

Zu Beginn der Veranstaltungen werden gemeinsam Gruppenregeln vereinbart, die die Freiwilligkeit und die Anonymität der_des Einzelnen gewährleisten.
Die Funktion des Klassenverbandes ermöglicht es, Jugendliche aller sozialen Schichten respektive Klassen zu erreichen und ihnen bei Bedarf weitergehende Informationen über Beratungs- und Hilfsangebote des Vereines und anderer Institutionen zu geben.

Inhalte:

Ziele:

Arbeitsweise:
-     zielgruppenorientiert (bspw. benachteiligte Jugendliche)
-     Empowerment
-     Arbeit in hetero- bzw. homogenen Gruppen
-     alters- und  geschlechtsspezifische Ansätze
-     situationsorientierte Konzepte und Methoden

Die Moderatoren_innen:
Unsere jungen, pädagogisch geschulten Moderatoren_innen bilden einen bunten Querschnitt aus homo-, trans*-, bi- und_oder heterosexuellen Menschen. Sie stehen offen allen Fragen zu ihren verschiedenen Lebensentwürfen und Liebesweisen gegenüber.
Unsere Moderatoren_innen erhalten eine dreistufige Ausbildung für ihre persönlichen pädagogischen Kompetenzen.
Grundlegende Themenkomplexe sind Konfliktmanagement/Intervention, Leitung von Gruppen, Kommunikation, verschiedene Lebensweisen, die Funktion als Moderator_in sowie die Planung sexualpädagogischer Methoden. Dazu werden neben inhaltlichen Diskussionen und Reflexionen diese Methoden und Ansätze erprobt und gefestigt.

Angemerkt sei, dass alltägliche Diskriminierungen und Benachteiligungen sowie unterschiedlichste Formen von Ungerechtigkeit und Gewalt, die bis zum Tode führen, entlang der Herrschaftsverhältnisse von Rassifizierung[8], Klassismus[9], Bodyismus[10] und Heteronorm(alis)ierung und über diese hinaus geschehen. Deshalb ist es auch ein Anliegen des »LiebesLebens«, intersektionale Ansätze und Methoden[11] zum Einsatz zu bringen. Wir sind in dieser Hinsicht noch im Aufbau begriffen.

2. Dimensionierungen und Symptomatisierungen

Zu Beginn machen, beziehungsweise positionieren wir – leider – Menschen als von Heteronorm(alis)ierung Betroffene mittels einiger empirischer Untersuchungen. Dies ist insoweit von Nöten, dass wir Ausmaße und Folgen von Ungerechtigkeiten aufgrund von Heteronorm(alis)ierung aufzeigen wollen.

Die bundesweite und repräsentative Studie »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld[12] hat zwischen 2002 und 2011 Mechanismen der Abwertung von verschiedenen sozialen Gruppenkonstruktionen untersucht. Unter anderem waren dies Sexismus[13] und Homophobie[14], die beide in den Kontext von Heteronorm(alis)ierung gesetzt und als deren mögliche Ausprägungen interpretiert werden können[15]. Bezogen auf Sachsen zeigt sich, dass 14,3 % der Bewohner_innen des Freistaats zwischen 2002 und 2011 sexistisch eingestellt sind. Tendenziell ist diese Einstellung jedoch abnehmend und im bundesdeutschen Vergleich um 2,4 Prozentpunkte geringer ausgeprägt. Homophobie hingegen ist als Einstellung bei 29,1 % der sächsischen Bevölkerung verbreitet, was 4,8 Prozentpunkte über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt. Auch hier ist das Ausmaß der Einstellung tendenziell fallend, wenn auch auf einem sehr viel höherem Niveau.[16]

Sachsen an sich schneidet im Bundesvergleich am schlechtesten ab, was die Umsetzung der Gleichstellung auf rechtlicher und politischer Ebene betrifft. 28 Gesetze und Verordnungen sind noch immer nicht gleichgestellt[17]. Und auch die Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt  der Bertelsmann Stiftung resümiert: »In absoluten Werten ebenfalls positiv, allerdings unterhalb des gesamtdeutschen Niveaus hat sich die Akzeptanz der Sachsen gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen entwickelt. So stieg die Zustimmung zu der Aussage ›Schwule und Lesben sollten so leben dürfen, wie sie wollen‹ von 0,69 im zweiten auf 0,75 im vierten Untersuchungszeitraum (1 = stimme voll zu, 0 = stimme gar nicht zu). Der Wert für Deutschland insgesamt stieg währenddessen von 0,71 auf 0,77«[18].

Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland meist im Mittelfeld. So glauben 36% der Deutschen, dass Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung weit verbreitet ist[19]. Auf die Frage, wie sie sich fühlen würden, wenn eine homo- oder bisexuelle Person in die höchste politische Position gewählt würde (auf einer Skala von 1 bis 10, 1 als »totally uncomfortable« und 10 als »totally comfortable«) lag Deutschland mit 6,4 Punkten unter dem EU Durchschnitt von 6,6. Bezüglich der Geschlechtsidentität und trans* Menschen sind die Gefühle der Deutschen noch gemischter: mit 5,3 Punkten macht sich eher Unbehagen bemerkbar bei dem Gedanken, eine Trans*Person könnte die Staatsgeschicke leiten.

Der jährlich erscheinende Report von ILGA (International Lesbian and Gay Association)[20] konstatiert für 2013, dass Deutschland 54% bei der Gleichstellung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Trans*- und Inter*Menschen erreicht hat. Das Fazit: »Germany maintained its status quo regarding LGBTI equality and no further substantial legal and policy changed were made. On the contrary, a number of negative court rulings and public statements by political leaders demonstrated that achieving equality in practice remains a challenge.« [21]

Homo- und Trans*phobie hat weitreichende Folgen nicht nur für LSBTI-Menschen, sondern auch für diejenigen, die für lesbisch, schwul, bi, trans* gehalten werden oder sich mit ihnen solidarisieren: »Verbal and physical abuse is commonly experienced by LGBT persons across schools in EU Member States«[22]. Übrigens werden Schätzungen zufolge nur 20% der Hassverbrechen gegen Homo-, Bisexuelle und Trans* gemeldet, obwohl die Mehrheit homo- oder biphob und trans*phob motivierte Gewalt erfahren haben.[23] Obwohl in der Studie nicht explizit aufgeführt, ist auch stark anzunehmen, dass Inter*Personen Opfer von Hassverbrechen und Gewalt sind.

3. Von der Heteronormativität zur Heteronorm(alis)ierung

Michael Warner nutzte Heteronormativität 1991 erstmals »mit dem Ziel ›Sexualität zu einer Grundkategorie der Gesellschaftsanalyse zu machen‹ und dabei ›nicht einfach Lesben und Schwule in eine ansonsten unveränderte Theorie einzubinden‹ […], auch nicht Toleranz für Minderheiten zu fordern, sondern ›einen aggressiven Impuls der Verallgemeinerung‹ durch ›umfassenderen Widerstand gegen die Regime der Normalität‹[…] zu geben, in denen ›die Hetero-Kultur sich selbst als die Grundform menschlichen Zusammenlebens‹ denkt ›und als das Mittel der Reproduktion, ohne das die Gesellschaft nicht existieren würde‹«[24]. Dabei knüpft Michael Warner an feministische Debatten ab den 1970er Jahren an[25].

Heteronormativität meint somit »Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse, die Subjektivität, Lebenspraxis, symbolische Ordnung und das Gefüge der gesellschaftlichen Organisation strukturiert. Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist«[26]. Mit diesem und durch dieses Herrschaftsverhältnis verweben sich Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten; ein ganzes Bündel an Normen, die diese umgeben und durchziehen, re_produzieren sich und regulieren hegemoniale Macht-Wissenskomplexe.[27] Dieses machtvoll re_produzierte Macht‑Wissen gibt vor, was »angemessenes« Sozialverhalten, »gesunde« (Geschlechts)Körper und »normale« Identitäten seien. Dies schafft und fundiert zugleich »den Glauben an die Natürlichkeit, Eindeutigkeit und Unveränderbarkeit von Geschlecht und sexueller Orientierung«[28]. Gleichsam wird mittels der »normative[n] Heterosexualität […, die] zugleich Bedingung und Effekt einer exklusiv binären Geschlechterordnung«[29] ist, eine Hierarchisierung in die heteronormative Geschlechterordnung eingeführt[30].

Das bisher dargestellte Heteronormativitätskonzept bleibt allerdings einem juridisch-rechtlichen bzw. disziplinierenden Verständnis von Normativität verhaftet, das »als rigide binäre Kategorie [wiederum] zu essenzialisieren«[31] sucht. Dies hat schwerwiegende Folgen, werden gerade flexibilisierte respektive flexibilisierende Formen von Normalitätsvorstellungen und Normalisierungsprozessen im Neoliberalismus seit den 1970er Jahren betrachtet. Oft werden so Dynamiken, Diskontinuitäten und_oder Heterogenitäten aber auch Gleichzeitigkeiten ausgeblendet. Was bleibt, sind die scheinbar unvereinbaren Oppositionierungen von disziplinierender, repressiver Heteronormativität und einer offensichtlich zunehmenden Toleranz gegenüber einigen Formen nicht-heteronorm(alis)ierter Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten. Dass jedoch letzteres innerhalb neoliberaler Regierungsweisen eher Logiken verführender Normalisierung folgt, bleibt all zu oft verdeckt.[32]

Rigide Heteronormierung + flexible Heteronormalisierung = Heteronorm(alis)ierung

Um diese Komplexität von Normierung und Normalisierung fassen zu können und diese zu verknüpfen, soll Antke Engel herangezogen werden. Ihre Leistung besteht darin, dass sie »den Begriff der Normalitätsregime [einführt], um das Ineinandergreifen von rigider Normativität [respektive Normierung] und flexibler Normalisierung zu benennen«[33]. Heteronormativität verdeutlicht sich »zum einen in der Identitätsforderung, die Menschen abverlangt[,] eine eindeutige, stabile und kohärente Geschlechtsidentität sowie eine Kongruenz von Identität, Körper und Begehren auszubilden. Zum anderen […verweist Heteronormativität auf] Wahrheitsregime, Disziplinartechniken und Sanktionen, mittels derer die Dominanz einer naturalisierten Heterosexualität durchgesetzt wird, und nicht zuletzt auch [auf] die Gewalt homophober Verwerfung«[34]. Prozesse flexibler Heteronormalisierung hingegen »sind darüber gekennzeichnet, dass sie den Einzelnen Handlungsspielräume zugestehen und ihnen abverlangen, sich selbst zum Subjekt zu machen, um an legitimierten Formen sozialer Existenz teilzuhaben, für deren Gestaltung sie (selbst-)verantwortlich einzustehen haben. Legitimierte Formen sozialer Existenz werden somit nicht als autoritär verfügte Anordnung konstruiert[, besser: wahrgenommen], sondern unmittelbar mit der Entscheidungs- und Gestaltungsmacht der Individuen verknüpft«[35].

Es verdeutlicht sich, dass sich verschiedene Regierungsrationalitäten und Herrschaftsverhältnisse wie das der Heteronorm(alis)ierung, die sich der beiden Norm-Funktionen bedienen, in ihren Zugriffen auf Subjekte und (An)Ordnungen von Subjekten ergänzen und_oder ineinandergreifen, sie also gemeinsam und_oder gleichzeitig Wirkungen re/produzieren. Das »Ineinandergreifen von rigider Normativität und flexibler Normalisierung […zeitigt somit] keine Periodisierung, also Ablösung des einen durch den anderen Mechanismus, sondern das Fortbestehen eines (ständig drohenden) Umschlagens zwischen Ausschließung und Normalisierung«[36]. Gerade auch mit der Heterogenität, Widerständigkeit und Produktivität von Machtbeziehungen[37] wird klarer, dass »[i]n diesem hochkomplexen Netz von Relationen wandelbarer, vielfältiger und widersprüchlicher Konstitutionen des Anormalen/Normalen […] Subjekte zugleich in Normalität ein- und aus ihr ausgeschlossen«[38] werden. Die »Macht als Spiel von sich verändernden und vielfältigen Kräfteverhältnissen bedingt, dass kein Individuum und keine soziale Gruppe komplett in das Unnormale/Normale eingeschlossen sein kann«[39]. Denn eben aufgrund der Heterogenität der Macht- und Kräfteverhältnisse gibt es nicht die eine Normierung und_oder Normalisierung, womit »die Kompliziertheit der Situation genau darin [besteht], dass […alle] Menschen gleichzeitig in beide Mechanismen eingebunden sind«[40].

Deshalb nutzen wir statt den Begriffen der rigiden Normierung respektive Heteronormativität und der flexiblen Normalisierung vorwiegend den Begriff der Heteronorm(alis)ierung, der semantisch beide Terme mit- und ineinander vereint und auf die Tatsache verweißt, dass beide Prozesse gleichzeitig, sich gegenseitig bedingend und gemeinsam ablaufen (können).

Heteronorm(alis)ierung und Beziehungsformen

Mit den bisherigen Ausführungen zur Heteronorm(alis)ierung und Problematisierungen zu Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten rückt auch die Notwendigkeit in den Fokus, einen Blick auf Beziehungsformen zu werfen, denn  Heteronorm(alis)ierung wirkt zweifelsfrei auf die Organisation »sozialer Beziehungen und Existenzweisen«[41], womit eine heterosexuelle, gegengeschlechtliche Paarbeziehung zum Ideal, zur Norm(alität) erklärt wird. Denn Heteronorm(alis)ierung schlägt sich zum Beispiel »in der Selbstverständlichkeit [nieder], mit der heterosexuelle Paarbildung als Ursprung und Grundlage aller sozialen Beziehungen angesehen und in Diskursen über Körper, Familie, Reife, Gesundheit, Generativität, Erziehung und Nation eingeschrieben ist«[42].

Beziehungsformen – insbesondere Familien – sind seit jeher umkämpftes, politisches Terrain[43] und werden aus den Perspektiven »sowohl konservativ-bürgerlichem Diktum […] als ›Keimzelle des Staates‹ wie auch von dessen neoliberaler Aktualisierung […] als ›d[ie] grundlegende[…] Einheit der Zivilgesellschaft‹«[44] definiert. »Familie scheint dabei als die heteronormative Institution. Insbesondere die enge Verknüpfung mit der Ehe als legaler Absicherung definierte Familie als heterosexuelle Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau mit dem primären Zweck, Nachwuchs zu zeugen. Damit wurde diese auf biologische Verwandtschaftskonzepte reduziert und zu einer ›Sache des Blutes‹«[45] und damit auch der Fortpflanzung erklärt. Diese »betrifft [allerdings] nur einige Menschen in der jetzigen Gesellschaft. Zwar setzen wir – aus unserem gesellschaftlich Erlernten heraus – bei der Betrachtung und Einordnung von Menschen auch deren Fortpflanzungsfähigkeit voraus, nicht selten ist diese aber nicht einmal organisch gegeben«[46]. Das verdeutlicht, dass zwar Fortpflanzung erforderlich ist, soll sich die Art Mensch erhalten, jedoch kann keineswegs von dieser Gattungseigenschaft auf den einzelnen Menschen geschlossen werden. »So muss sich ein Mensch keineswegs fortpflanzen können und wollen. Der Genitaltrakt des Menschen muss nicht auf Fortpflanzungsfähigkeit ausgelegt sein, und der Mensch muss keine Kinder haben wollen«[47].

Auch wenn wir Sozialwissenschaften wie die Pädagogik betrachten, wird uns Heteronorm(alis)ierung auch und gerade über Beziehungs- und Familienkonstruktionen vermittelt. So stellt beispielsweise Jutta Hartmann in einer Betrachtung kritischer Pädagogik zu Emanzipation und Vielfalt von Lebensweisen fest, dass auch in diesen oft ein heteronorm(alis)ierendes Familienideal als Norm und Bezugspunkt herangezogen wird und Alternativen schlussendlich so undenkbar bleiben[48]. »Vielfältige Beziehungslandschaften mit Freund[_]Innen, Partner[_]Innen, Geschwistern etc., Varianten des Alleinerziehens, Lebensgemeinschaften, in denen Liebesbeziehungen und biologische Elternschaft auseinanderfallen, aber auch Wahlverwandtschaften, d.h. auf Dauer ausgerichtete emotionale Bindungen mit hoher subjektiver Bedeutung bleiben [in] dieser Perspektive ausgespart«[49]. Ausgespart werden mithin vor allem auch bisexuelle, nicht-monogame, asexuelle und_oder polyamoröse Praxen[50]. So könnte schlussendlich eine alternative Familiedefinition, die als eine von vielen möglichen Beziehungsformen gilt, wie folgt lauten: Familie »›ist im wirklichen Leben das Netzwerk an zwischenmenschlichen Beziehungen, in dem m[ensch] Geborgenheit, Fürsorge, Unterstützung, Zusammengehörigkeit und Austausch erfährt. Wer zu dieser ›Wohlfühlgemeinschaft‹ gehört, bestimmt […] jede[_]r für sich selbst‹«[51].

Vergessen oder ausgeblendet werden darf allerdings dabei nicht, dass auch nicht-heterosexuelle (vor allem Paar-)Beziehungen mittlerweile in den Fokus der sozialen Anerkennung gelangen, dank – etwas schematisch ausgedrückt – nicht zuletzt der flexiblen Normalisierung. Gerade neoliberale Diskurse von Eigenverantwortung und Individualisierung »unterstützen eine Pluralisierung sexueller [und geschlechtlicher] Subjektivitäten und Lebensformen deshalb, weil diese eine Ideologie der freien Gestaltbarkeit des eigenen Lebens versinnbildlichen können«[52]. Einhergehend mit der Destruktion sozial- beziehungsweise wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme kommt es nicht ungelegen, wenn Care-Relationen privat(wirtschaftlich) abgesichert werden. So gelangen auch gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften immer mehr in die Aufmerksamkeit, ehemals sozial- respektive wohlfahrtsstaatlicher Absicherung.[53]

Heteronorm(alis)ierung und Identitäten

Betrachten wir Heteronorm(alis)ierung, kommen wir nicht umhin, einen – wenn auch kurzen – Blick auf Identitäten zu werfen. Immer noch treffen wir häufig auf einen sex-gender-Dualismus[54] oder auf Vorstellungen einer Identität als positive Entität, »auf die sich der Status des modernen Subjekts begründet«[55]. Identität erscheint selbst-identisch, einheitlich, innerlich koheränt und_oder stabil, wobei diese als Charakterisierung dienliche Beschreibung von Identität den Status einer Norm erlangt[56]. Gleichsam ist die Identität nicht zu trennen – auch im spezifisch historischen Kontext – von der Entstehung moderner Subjektivierung, womit das »Konzept essenzialistisch gedachter […] Identitäten«[57] entsteht. Wie auch das Subjekt ist die Identität als materialisierte Wirkung von diskursiven Herrschaftsverhältnissen und Hegemonien zu fassen, die somit nicht als gegebene Entitäten oder Positivitäten begriffen werden darf[58]. Um dies verständlicher zu machen, braucht es einen Blick auf die Konstitution und Konstruktion von Identität: deren Re/Produktion mit einhergehender Kohärenz, Stabilität et cetera gelingt nur, indem ein konstitutives Außen erzeugt wird. »Dieses Außen erst kann das Selbst, das Innen, durch die Abgrenzung und In-Differenz-Setzung konstituieren. In der Geste der Abgrenzung vom Anderen liegt die Möglichkeit der eigenen Identität«[59]. In-Differenz-Setzung und Abgrenzung zwischen Identität und konstitutivem Außen als das Andere meint Differenzierung, wobei somit »Differenz nicht als eine feste Kategorie begriffen werden [darf], sondern als ein bestimmtes Verhältnis«[60]. »Da aber [so] die Identitäten rein relational sind, ist dies nur eine andere Art und Weise zu sagen, daß[!] es keine Identität gibt, die vollkommen konstituiert werden kann«[61]. »Identitäten und Differenzen werden demgemäß nicht als Positivitäten oder soziale Entitäten, sondern als vorläufige Schließungen oder Fixierungen in einem dynamischen und kontingenten Diskursfeld differenzieller Relationen gefasst«[62], die nicht von einer vermeintlichen Natur vorgegeben werden (können), sondern Ausdruck von Machtverhältnissen und Hegemonien sind. So wird norm(alis)iert und stabilisiert, welche Differenzierungen vorgenommen werden dürfen und_oder müssen, um intelligible Identitäten zu erzeugen. Gleichzeitig mit der Identitätskonstruktion erfolgt eine Homogenisierung der Differenzierung in Identität und konstitutives Außen, die hierarchisiert, privilegiert und »somit auf die unausweichliche Gewalt [jeglicher] Identitätspolitiken hinweist«[63]. Diese Prozesse aufzudecken, zu problematisieren und zu dekonstruieren, auch um damit Alternativen anzuregen und_oder vorzustellen, kann eines der Hauptanliegen des »LiebesLeben« sein. Denn »›Anders‹ zu sein, ist die ›Natur‹ des Anderen. Wie Andersheit konstruiert und definiert wird, ist jedoch keineswegs naturgegeben«[64].

4. LiebesLeben

Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die Praxisarbeit des Schulaufklärungsprojekts »LiebesLeben«.

Ursachenannahme

Schulische Sexualerziehung wird in den meisten Fällen auf die Thematisierung von Heterosexualität reduziert. Nur weniger als die Hälfte aller Befragten gaben an, einmal oder öfter das Thema Homosexualität im Unterricht behandelt zu haben (vgl. Biechele, 2001: 18). Ein Blick auf die sächsischen Lehrpläne und Richtlinien zur Sexualaufklärung in Schulen zeigt, dass im Unterricht sächsischer Schulen normative Denkmuster von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität re/produziert und unhinterfragt stehen gelassen werden. Die sächsischen Richtlinien haben zwar das Ziel, »die Schüler und Schülerinnen mit den biologischen, ethischen, kulturellen und sozialen Bezügen der Geschlechtlichkeit vertraut zu machen« (Hilgers, 2004: 136). Dabei soll jedoch die grundrechtlich geschützte Stellung von Ehe und Familie besonders hervorgehoben werden (ebd.). Andere Lebensweisen sollen zwar gleichermaßen benannt werden, doch Homosexualität wird nur als unverbindliches Unterrichtsthema unter dem Begriff »Sexualverhalten« und bei den Hinweisen zu infektionsvermeidendem Verhalten im Zusammenhang mit HIV genannt (a.a.O.: 139, vgl. Bittner 2012). Wenn überhaupt, werden andere Sexualitäten additiv behandelt, was wiederum Konstruktionen einer heterosexuellen Normalität und homo-/bi-/transsexuellen Spezifität bestätigt. Regenbogenfamilien und Patchworkfamilien kommen kaum in Schulbüchern vor, sodass »Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien im schulischen Alltag potentielle Adressat_innen von Diskriminierung« werden.[65]

Die Erfahrung aus den Projekten untermauert die oben genannten wissenschaftlichen Befunde.

Um Niedrigschwelligkeit zu gewährleisten, verfolgt das Projekt den Peer-to-Peer-Ansatz und arbeitet mit jungen Ehrenamtlichen, die sich auf ungefähre Augenhöhe mit den Jugendlichen begeben. Das heißt auch, dass sich die ehrenamtlichen Moderator_innen und die Schüler_innen im Projekt duzen dürfen. Statt Frontalunterricht arbeiten wir mit einem Stuhlkreis und sexualpädagogischen Methoden, die den Schüler_innen wie »Spiele« vorkommen. Ein typischer 90minütiger Projektablauf besteht aus folgenden Bausteinen:

  1. Begrüßung der Schüler_innen und Anbieten des »Du«

 

  1. Vorstellen der Moderator_innen, Gäste[66] und des Vereins
  1. Gemeinsame Vereinbarung von Projektregeln, Hinweis auf unsere Schweigepflicht

 

  1. Einstiegsmethode zur Auflockerung, Kennenlernen und erster Begriffsklärung (»Was ist überhaupt homo-, hetero-, bisexuell, trans* und inter*?«)
  1. Hauptmethode zur Vertiefung, Diskussion, Dekonstruktion und Reflektion von Vorurteilen, Wissen, Stereotypen und Berührungsängsten rund um vielfältige Lebensweisen
  2. Fragerunde mit Blackbox: die Moderator_innen verlassen den Raum während die Jugendlichen alle Fragen anonym auf Zettel schreiben und in eine Box werfen dürfen. Anschließend werden die Fragen vorgelesen und beantwortet. Wichtig dabei ist, dass die Moderator_innen auch Fragen zu ihren eigenen Lebensweisen beantworten (typische Fragen von Schüler_innen sind zum Beispiel: »Seid ihr selbst homosexuell?«, »Wie war euer Coming Out?«, »Wann habt ihr gemerkt, dass ihr schwul_lesbisch_bi_trans* seid?«)
  3. Feedback (anonym auf vorbereiteten Zetteln) und Verabschiedung

 

Nicht nur bei Schüler_innen sondern auch bei Lehrkräften und Multiplikator_innen herrscht oft ein erschreckendes Nichtwissen – allerdings auch große Neugier und Wissensdurst. Die Projekte zeigen, dass nicht-heterosexuelle Lebensweisen so gut wie nie in der Schule thematisiert werden, obwohl oft Interesse besteht. Vor allem Lehrkräfte haben in ihrer Laufbahn als Lehrer_in häufig Erfahrungen und Kontakte mit lesbischen, schwulen, bisexuellen und_oder trans*Schüler_innen bzw. Kolleg_innen. In den allermeisten Fällen berichten sie von schlichter Überforderung und dem Wunsch nach mehr Wissen und Unterstützung beim Umgang mit LSBTI-Menschen. Die Schüler_innen in den Projekten stehen dem Thema meist offen und neugierig gegenüber und nutzen die Gelegenheit, auch persönliche Fragen an die ehrenamtlichen Schulaufklärer_innen zu stellen. Zunehmend gibt es in den Klassen schon geoutete Schüler_innen und aus den Erfahrungen der letzten Jahre lässt sich festhalten, dass sich die Einstellung zu LSBTI-Menschen in einigen Bereichen verbessert hat. Gerade in den ländlichen Gegenden jedoch kommt es gleichzeitig zu einer Radikalisierung homophober und transphober Einstellungen (Homosexualität wird zum Beispiel gesehen als etwas, dass es »nur in der Stadt gibt«, »bei uns auf dem Land« aber nicht vorkomme).

Nachhaltigkeit

Allgemein lässt sich feststellen, dass vor allem das Schulaufklärungsprojekt »LiebesLeben« sehr gut nachgefragt wird. Seit Jahren ist die Zahl der durchgeführten Projekte stabil und zunehmend werden auch längere Projekte angefragt. Zudem steigt die Nachfrage auch in ländlichen Gebieten, hauptsächlich durch interne Empfehlungen von Lehrkräften und steigenden Bedarfen an den Schulen. Mit vielen Schulen arbeitet das Projekt schon seit vielen Jahren zusammen. Seit Beginn der Aufklärungsprojekte 1989 konnten nunmehr 25.000 Schüler_innen in Dresden und Umgebung erreicht werden. Eine neue Vergleichsstudie aus Merseburg[67], die Jugendliche aus Sachsen befragte, zeigt das die Akzeptanz von Homosexualität gestiegen ist. Konnten sich 1990 nur 27% der Jungen und 56% der Mädchen vorstellen, mit einem schwulen Jungen befreundet zu sein sind dies 2013 nun 65% der männlichen und 91% der weiblichen Befragten.
Ein weiterer Indikator für die Nachhaltigkeit von »LiebesLeben« sind die (anonymen) Selbstaussagen von Lehrer_innen und Lernenden. Nach jedem durchgeführten Projekt werden die Teilnehmer_innen gebeten, anonym und schriftlich ein Feedback zur Veranstaltung zu geben. Dies fällt durchweg positiv aus. Gerade Schüler_innen melden oft zurück, dass sich ihre Einstellung zu Homosexualität zum positiven geändert hätte. Viele wünschen sich, dass mehr Zeit für das Projekt zur Verfügung steht. Wenn es schwule, lesbische, bisexuelle und_oder inter* sowie trans*Schüler_innen in den Klassen gibt, kommen diese teilweise auch zu anderen Angeboten des Vereins (z.B. den wöchentlich stattfindenden Jugendgruppen). Einige Schüler_innen gehen später als ehrenamtliche Schulprojektaufklärer_innen selbst an Schulen, weil ihnen »LiebesLeben« unter anderem durch empowernde Ansätze den Mut gegeben hat, sich zu outen, ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtlichkeit für sich anzunehmen und diese Erfahrung an Andere weitergeben möchten.
Darüber hinaus wurde das Projekt nun bereits vielfach und kontinuierlich ausgezeichnet, u.a. mit dem »Demokratiepreis« (2007), dem sächsischen Förderpreis für Demokratie (2008), als »Ausgewählter Ort« des Wettbewerbs »365 Orte im Land der Ideen« (2011). Das Projekt war bereits zweifach Preisträger der »Ideen Initiative Zukunft« (2011 und 2012). 2013 wurde das Projekt »LiebesLeben« vom »Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt« als »vorbildlich« ausgezeichnet.

5. Fazit zu sexualpädagogischer Aufklärungsarbeit

Jugendbildungsarbeit, in der wir das »LiebesLeben« situieren, befindet sich in einem Dilemma, denn die In-Differenz-Setzung gehört seit jeher zu ihren Grundsteinen. Ohne die machtvollen Konstruktionen des A/Normalen innerhalb des kapitalistischen Systems gäbe es Jugendbildungsarbeit in ihrer modernen Gestalt nicht. Dabei greift sie nicht nur schon bestehende Herrschaftsverhältnisse und deren Differenzierungen sowie Marginalisierungen auf (Reproduktion), sondern sie erzeugt diese gleichsam durch Positionierungen und Markierungen als konstitutives Außen von scheinbarer Normalität (Produktion).[68] So lässt sich nicht unter den Tisch reden, dass Jugendarbeit »[a]ls Instanz zur Bearbeitung von Differenz und Andersheit […] Gesellschaftsmitgliedern oder Bevölkerungsgruppen im Falle einer erfolgreichen Intervention helfen [soll], in Relation zur Gesamtbevölkerung weniger ›anders‹ zu sein (Integration)«[69] oder bestimmte Gesellschaftsmitglieder oder Bevölkerungsgruppen als weniger »anders« wahrzunehmen. Eine aufklärende Jugendbildungsarbeit kann sich allerdings mit einer solchen ausschließlichen Funktions- und Aufgabenbestimmung nicht zufrieden geben, denn was da als fixe Entitäten und Positivitäten, als Normalitäten daherkommt[70], ist Effekt und in Macht-Wissenskomplexe eingebettet, die es zu hinterfragen, zu problematisieren und denen es zu widerstehen gilt.

Die Praxis der Jugendbildungsarbeit stellt sich somit als höchst ambivalent dar: »die [konstitutive] Fokussierung von [und auf] Differenzen [erweisen sich] auf der einen Seite als notwendige Voraussetzung für die Bearbeitung differenzbedingter Benachteiligungen und zum anderen als problematischer Bezugsrahmen, durch den Andersheiten[, Herrschaftsverhältnisse] und Normierungen immer auch erst (re-)produziert werden«[71]. Zwar lassen sich Differenzierungen und daraus abgeleitete Kategorisierungen allgemein nicht vermeiden. Sie sind notwendig, um uns in und mit der Welt zu Recht zu finden und um diese zu verstehen. Sie sind auch wichtig, um uns miteinander auseinanderzusetzen, um uns zu einander zu verhalten – daran besteht kein Zweifel[72]. Jedoch ist es von überaus großer Bedeutung, wie die Praxen der Differenzierung aussehen, wie aufklärende Jugendbildungsarbeit also differenziert. »Die Herausforderung besteht darin, Differenzen als Begründung von Ausgrenzung oder Unterordnung zurückzuweisen, aber Differenz als Anfechtung der Norm stark zu machen. Es geht darum, Artikulationen von Differenz zu finden, die weder universalistische Vereinheitlichungen noch normative Ausgrenzungen forcieren«[73].

Letztendlich soll mit dem Projekt »LiebesLeben« Wissen geschaffen und dem heteronorm(alis)ierten Schul- und Weltbild eine Alternative entgegengesetzt werden.

6. Literatur

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013). Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Im Internet abrufbar unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Gemeinsamer_Bericht_2013.pdf;jsessionid=46E56FD09DB16943D108D09A93EDF662.2_cid332?__blob=publicationFile
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[1] Aus Gründen der Vereinfachung nutzen wir im Folgenden die Kurzform »LiebesLeben«.

[2] Zur Vereinfachung wird von Gerede e.V. die Rede sein.

[3] Foucault, 2005, 221.

[4] Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe.

[5] Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG).

[6] Innerhalb von Jugendsozial- und_oder -bildungarbeit erscheint der hegemoniale Diskurs rund um Sexualitäten und Jugend beispielhaft wie folgt: »[d]ie Formulierung abgrenzbarer und ›evidenter [sexueller] Identitäten‹ bereits im frühen Jugendalter ist Voraussetzung, um im gesellschaftlichen Kampf um Anerkennung und Beteiligung passende Positionen besetzen zu können« (Schütte-Bäumner, 2007, 100; zur kurzen Kritik daran aus queer_feministischer Perspektive siehe Bahr, 2014, 8 Fn. 14.

[7] Vgl. Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen Berlin, 2012, 12 & Netzwerk Trans*-Inter*-Sektionalität, 2013.

[8] Rassismus meint ein Herrschaftsverhältnis, das »auf strukturellen Machtasymmetrien ›zwischen durch symbolische Klassifikationen zu ›Rassen‹ gewordenen Menschengruppen‹ beruhen« (Weiß, zitiert nach Winker & Degele, 2009, 48 & vgl. Arndt, 2011).

[9] Klassismus meint das Herrschaftsverhältnis, das »auf der Grundlage von sozialer Herkunft, Bildung und Beruf deutliche Einkommens- und Reichtumsunterschiede aufrechterh[ält]« (Winker & Degele, 2009, 44).

[10] Bodyismus bezeichnet das Herrschaftsverhältnis »zwischen Menschengruppen aufgrund körperlicher Merkmale wie Alter, Attraktivität, Generativität und körperlicher Verfasstheit« (ebd., 51). Weitere (Neben)Begrifflichkeiten sind unter anderem ageism (Alter, -sstereotypisierung), lookism (Aussehen, äußeres Erscheinungsbild), Behindertenfeindlichkeit, ableism  oder able-bodyism (Körper-/Befähigung).

[11] Vgl. Winker & Degele, 2009 & Walgenbach u.a., 2012.

[12] Im Folgenden als IKG bezeichnet.

[13] »Sexismus betont die Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Sinne einer Demonstration der Überlegenheit des Mannes[_] und die Befürwortung einer traditionellen Rollenverteilung zu Lasten der Gleichwertigkeit von Frauen[_ …]. Wie auch beim Rassismus, tritt Sexismus nicht nur in seiner klassischen Variante auf, sondern in vielen modernen Spielarten. Dazu gehört etwa die Verleugnung bestehender Ungleichheiten und die Überbetonung individueller Möglichkeiten bei einer gleichzeitigen Ignoranz gegenüber strukturellen Gegebenheiten zugunsten von Frauen« (IKG, o.J., 7).

[14] »Homophobie bezeichnet feindselige Einstellungen gegenüber Homosexuellen aufgrund eines ›normabweichenden‹ sexuellen verhaltens und die Verweigerung gleicher Rechte« (ebd., 8). Kritisch anzumerken ist die pathologisierende Konnotation des Phobie-Konzeptes, die gesellschaftliche Ursachen verdeckt und diese auf individuelle Ursachen zurückführt.

[15] Vgl. Klesse, 2004a & 2004b.

[16] Vgl. IKG, 2012 & 2014.

[17] Initiative 2=2, 2012.

[18] Dragolov u.a., 2014, 46.

[19] Special Eurobarometer 393, 2013.

[20] ILGA Europe, 2014.

[21] ILGA, 2014, 106.

[22] FRAU, 2011, 14.

[23] Vgl. ebd.

[24] Wagenknecht, 2007, 18.

[25] Vgl. quaestio, 2000 & Schlichter, 2005.

[26] Wagenknecht, 2007, 17.

[27] Hier können unter anderem das Sexualitäts- und das Geschlechtlerdispositiv genannt werden (vgl. Foucault, 1983; Ludwig, 2011 & Raab, 2011).

[28] Hartmann & Klesse, 2007, 9.

[29] Engel, 2002, 12; Kursivierung i.O.

[30] Butler, 2012, 219 f. Fn. 6.

[31] Mesquita, 2012, 43.

[32] Vgl. Bahr, 2014; Engel, 2008 & 2009b; Mesquita, 2012 & Raab, 2011.

[33] Engel, 2002, 76. Wir nutzen eher den Begriff der Normierung denn der Normativität, um das Prozesshafte zu betonen, was Antke Engels Anliegen unterstreicht, »die alles umfassende, totalisierende Macht der Normalitätsregime in Zweifel zu ziehen« (Ebd., 76 Fn. 97).

[34] Engel, 2002, 75 & vgl. Mesquita, 2012, 48 ff. Es seien mögliche Beispiele angeführt: die Hetero-/Normativität »tritt in Form juridischer Gesetze (das Personenstands- oder das Transsexuellengesetz), religiöser Dogmen (von der Kanzel verkündete Verbote von Homosexualität), bürokratischer Akte (Geschlechts- und Personenstandsmarkierungen auf Formularen) oder ethischer Generalisierungen eines ›Guten Lebens‹ oder des ›Gemeinwohls‹ (materialisiert in Verfassungen, politischen Entscheidungen, Verwaltungspraktiken oder Alltagshandlungen) in Kraft« (Engel, 2002, 75; Einfügung i.O.).

[35] Engel, 2002, 75; Einfügung i.O. Gerade letztere Technik hat im Neoliberalismus seit den 1970er Jahren massiv zugenommen – sozusagen als Zwang zur Freiheit und Selbstführung mittels flexibler Normalisierung.

[36] Engel, 2002, 76 f; Einfügung i.O.

[37] Wir schlagen vor, »die Wirkungen der Macht [nicht] immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ›ausschließen‹, ›unterdrücken‹, ›verdrängen‹, ›zensieren‹, ›abstrahieren‹, ›maskieren‹, ›verschleiern‹ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion« (Foucault, 1977, 250 & vgl. Ludwig, 2011, 87). Unter Macht ist somit »die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren« (Focault, 1983, 93) zu verstehen. Sie ist gekennzeichnet durch einen nicht endenden Kampf von unterschiedlichsten Kräfteverhältnissen, die sich stetig verschieben, sich aufeinander beziehen, sich ergänzen, aber auch kollidieren, sich verkehren und sich widersprechen. Ihre jeweiligen Strategien und Wirkungen verdeutlichen sich und nehmen Gestalt an durch »institutionelle Kristallisierungen […] in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien« (ebd.).

[38] Brunnett & Jagow, 2001, 195.

[39] Ebd.; vgl. Engel, 2002, 79 & Mesquita, 2012, 50.

[40] Engel, 2002, 78 & vgl. Castro Varela & Gutiérrez Rodríguez, 2000. »Angesichts dieser widersprüchlichen Verwicklung von Normalisierung und Selbstnormalisierung sei es […] entscheidend, zum einen der Dethematisierung sozialer Kontexte und struktureller Bedingungen entgegen zu treten, des [W]eiteren die machtpolitischen Strategien herauszuarbeiten, die in bestimmten Subjektivierungsweisen und Selbstverhältnissen wirksam werden, und dennoch zugleich die Entscheidungsfreiheiten und Freiheitsgewinne der Individuen anzuerkennen« (Engel, 2002, 79 Fn. 100).

[41] Engel, 2002, 45.

[42] Hartmann & Klesse, 2007, 9.

[43] Hier brauchen wir uns nur an die Debatten zum sexualpädagogischen Aufklärungsunterricht in Baden-Württembergischen Schulen Anfang des Jahres erinnern.

[44] Hajek, 2013, 512. Nicht zu verwechseln ist allerdings der neoliberal geprägte Begriff der Zivilgesellschaft mit dem von Antonio Gramcsis neomarxistischen.

[45] Ebd., 526; Kursivierung i.O. Die »Sache des Blutes« stellt im bundesdeutschen Kontext, gerade auch mit einer historischen Vergewisserung, eine gewisse Problematik dar, verknüpfte und verknüpft sie noch immer »Deutsch-Sein« mit »Weiß-Sein«, was sich auch nicht zuletzt in der Kontinuität der Unmenschlichkeit rassifizierender Logiken des Kapitalismus niederschlägt (vgl. Ha, 2012 & Voß & Wolter, 2013). Doch kommen wir noch einmal zur »Sache des Blutes« und dessen Rassifizierung im deutschen Kontext zurück: »Mit Hannah Arendt lässt sich […] zusammenfassen, dass das völkische Denken in Deutschland auf die ›politische Verlegenheit‹ zurückzuführen ist, dass es historisch keine Idee davon gab, was Deutschland ausmachen sollte. Weder historisch noch geographisch gab es eine eindeutige Definition, wo die Grenzen der deutschen Nation verlaufen sollten, auch hatte sich auf dem deutschsprachigen Territorium kein nationales Gedächtnis herausgebildet. Das Bewusstsein einer gemeinsamen, biologisch begründeten Herkunft sollte daher der inneren Kohäsion dienen und die französische Fremdherrschaft abwehren. […] Zusammengefasst wurden seit dem 19. Jahrhundert biologische Konzepte wie ›Blutverwandtschaft‹, ›Stammeszugehörigkeit‹ oder ›Volkstum‹ dazu genutzt, zu einem Verständnis einer homogenen deutschen Nation zu gelangen. Dieses Verständnis gewann durch politische, philosophische, literarische und juristische Interventionen an Hegemonie. Mit der Reichsgründung setzte sich im deutschen Staatsbürger[_innen]recht zudem eine Praxis durch, welche das Prinzip des ius sanguinis [,des Blutprinzips ,]privilegierte. Mit diesen Prozessen wurde quasi der Grundstein für eine rassifizierte nationale Identität gelegt« (Walgenbach, 2009, 380 f.; Kursivierung i.O.)

[46] Voß, 2011a, 130.

[47] Ebd., 132. So merkt Heinz-Jürgen Voß trocken an, dass es »allerdings wohl ausreichend [ist], wenn sich, bei guter Gesundheitsversorgung und guten Möglichkeiten gesellschaftlicher Betreuung, sagen wir zehn bis 20 Prozent der Menschen zuweilen fortpflanzen, damit sich die Größe der Population erhält (sofern dies überhaupt als Maßstab gelten kann)« (ebd., 131; Einfügung i.O.).

[48] Vgl. Hartmann, 2007.

[49] Ebd., 102.

[50] Vgl. Klesse, 2007 & Schoedter & Vetter, 2010. Zu einer Darstellung emanzipatorischer Lebensformenpolitik siehe unter anderem Ganz, 2007 & Voß, 2013. Zu Verortung von Familie im Neoliberalismus siehe unter anderem Ganz, 2007; Haberler u.a., 2012 & Winker, 2007 – zur Jugendarbeit in diesem Kontext siehe Oelkers & Richter, 2009.

[51] Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS, heute DIE LINKE) im deutschen Bundestag, zitiert nach Voß, 2013, 619.

[52] Engel, 2009, 106.

[53] Vgl. Engel, 2009 & Ganz, 2007.

[54] Dieses Modell entstammt den Kreisen des »kulturellen Feminismus« der 1980er Jahre, dem eine starke Geschlechterpolarisierung zueigen war (und ist). Dem ursprünglichen emanzipativen Anliegen, der »Formel ›Biologie ist Schicksal‹« (Butler, 2012, 22) zu entkommen, verkehrte sich seine Wirkung jedoch: obwohl oder gerade weil gender als kulturelle Formung wahrgenommen wurde, bleibt sex als konstruierte Identitätskomponente unhinterfragt und naturalisiert denn je stehen, es verliert sich aus dem ehemalig feministischen Blick. Die im Dualismus angelegte Binarität verlagert sich ins Vordiskursive und entzieht sich so der kritischen Thematisierung. Zudem bleiben »Diskontinuitäten zwischen Sex und Gender nur als Devianzen benennbar« (Engel, 2002,12)  (ausführlicher vgl. Bahr, 2014, 15 f.; Butler, 2012; Engel, 2002 & Schlichter, 2005).

[55] Engel, 2002, 90.

[56] Vgl. Butler, 2012, 37 f. & Engel, 2002, 41.

[57] Engel, 2002, 74.

[58] Vgl. ebd., 90.

[59] Groß, 2008, 55 & vgl. Jain, 2012.

[60] Jain, 2012, 260.

[61] Laclau & Mouffe, 2012, 148.

[62] Engel, 2002, 90.

[63] Jagose, 2005, 165; vgl. Engel, 2002, 43 Fn. 34 & Groß, 2008, 56. »Mit anderen Worten: ›Kohärenz‹ und ›Kontinuität‹ der ›Person‹ sind keine logischen oder analytischen Merkmale der Persönlichkeit, sondern eher gesellschaftlich instituierte und aufrechterhaltene Normen der Intelligibilität. Da aber die ›Identität‹ durch die stabilisierenden Konzepte ›Geschlecht‹ (sex), ›Geschlechtsidentität‹ (gender) und ›Sexualität‹ abgesichert wird, sieht sich umgekehrt der Begriff der ›Person‹ selbst in Frage gestellt, sobald in der Kultur ›inkohärent‹ oder ›diskontinuierlich‹ geschlechtlich bestimmte Wesen auftauchen, die Personen zu sein scheinen, ohne den gesellschaftlich hervorgebrachten Geschlechter-Normen (gendered normes) kultureller Intelligibilität zu entsprechen, durch die die Personen definiert sind« (Butler, 2012, 38; Einfügung & Kursivierung i.O.)

[64] Jain, 2012, 260.

[65] ebd., S.33f.

[66] Gäste sind Menschen, die interessiert sind an einer Moderator_innenausbildung und sich die Projekte zunächst anschauen.

[67] Weller, 2013.

[68] Vgl. Bührmann, 2007; Kessl & Otto, 2012 & Kessl & Plößer, 2010.

[69] Kessl & Plößer, 2010, 8.

[70] Damit sind nicht nur die offensichtlichen Bedeutungen gemeint, sondern gleichsam auch die Ausdrucksform von Fabian Kessl und Melanie Plößer. Sie verwenden in diesem Falle eine Sprache, die fixiert, essentialisiert, was es nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern gleichsam abzulehnen gilt. Mit Michel Foucault bleibt einzuwenden, dass »[j]ene Positivitäten […] Ensembles [sind], die sich nicht von selbst verstehen. Durch welche Gewohnheiten oder durch welche Abnutzung sie uns auch vertraut geworden sind, welche Verblendungen auch von ihren Machtmechanismen ausgehen mögen oder welche Rechtfertigungen sie auch hervorgebracht haben mögen: sie sind nicht kraft irgendeines ursprünglichen Rechtes akzeptabel gemacht worden. Um zu erfassen, was sie akzeptabel gemacht hat, muß m[ensch] hervortreten lassen, daß das gerade nicht selbstverständlich war, daß es durch kein Apriori vorgeschrieben war, daß es in keiner alterwürdigen Tradition festgeschrieben war« (Foucault, 1992, 34 f.).

[71] Plößer, 2010, 218; Einfügung i.O.

[72] Vgl. Laclau & Mouffe, 2012 & Mouffe, 2007 & 2010.

[73] Engel, 2002, 96.

[74] Wir danken ganz herzlich Daniela Krause vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung für die für uns zusammengetragenen und zusammengefassten Daten und Erläuterungen.

[75] Siehe Fn. 74.