Yvonne Kuhnke & Jana York: Service Learning – Hochschuldidaktik für eine inklusive Gesellschaft?

Abstract: In der aktuellen Debatte um eine inklusive Gesellschaft kommt auch den deutschen Hochschulen eine zentrale Bedeutung zu. Der vorliegende Artikel fokussiert die Fragestellung inwieweit Studierende als zukünftige Multiplikator_innen für eine inklusive Gesellschaft eingesetzt werden können und inwiefern Hochschulen einen Beitrag zur Ausbildung eben dieser Multiplikatoren_innen über das Lehrformat des Service Learnings bieten können. In diesem Zusammenhang wird das Projekt StudiumEngagiert an der Technischen Universität Dortmund vorgestellt und analysiert, was das Hochschuldidaktische Konzept des Service Learning hinsichtlich der Entwicklung einer inkludierenden Gesellschaft leisten kann.

Stichworte: Service Learning; Hochschulentwicklung; Hochschuldidaktik; Lehre; Bürgerschaftliches Engagement; Inklusion; Multiplikatoren; Studierende; Gesellschaft

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Studierende - zukünftige Multiplikator_innen für Inklusion?
  3. Hochschulen – Lernorte für Inklusion?
  4. Service Learning – Methode zur Förderung von Inklusion?
  5. Fazit
  6. Literatur

 

1. Einleitung

Im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen wird die Vision einer inklusiven Gesellschaft gezeichnet:
„Inklusion heißt Gemeinsamkeit von Anfang an. Sie beendet das aufwendige Wechselspiel von Exklusion (= ausgrenzen) und Integration (= wieder hereinholen). Wenn wir unsere Welt so organisieren, dass sie für alle Menschen offen, zugänglich und verständlich ist, ändert sich unsere Alltagskul­tur – angefangen bei der Gestaltung und Be­schaffenheit von Alltagsgegenständen über veränderte Vorschriften und Normen bei der Gestaltung unserer Infrastruktur und unserer Medien bis hin zu strukturellen Änderungen etwa im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- oder Verkehrswesen. Noch gravierender aber wird die Weiterentwicklung unserer Vorstellung von Normalität sein: Wir werden im Alltag, in Geschäften und Straßen, im Kindergarten, in der Schule und im Hörsaal, in der Straßenbahn und bei der Arbeit, im Fernsehen, im Kran­kenhaus, im Restaurant und im Schwimmbad Menschen begegnen, die ihr Leben auf der Grundlage unterschiedlichster körperlicher, intellektueller und mentaler Voraussetzungen mit großer Selbstverständlichkeit neben- und miteinander organisieren. Und wir werden dies kaum wahrnehmen, weil es Normalität ge­worden ist. Unser Bild vom Menschen und vom Leben wandelt sich. Auch unsere Vorstellung davon, was ein geglücktes Leben ausmacht. Diese Sicht basiert auf der unverwechselba­ren Würde jedes Einzelnen. Sie reduziert Men­schen nicht auf Defizite, sondern würdigt und wertschätzt ihre unterschiedlichen Begabun­gen, Möglichkeiten und Fähigkeiten“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011, 11).
Die im Nationalen Aktionsplan gezeichnete Vision erfordert Arbeit und Anstrengung, um sich dem erwünschten Zustand der Normalität zu nähern. Diese Vision ist darauf angewiesen, dass sich Menschen in den verschiedensten gesellschaftlichen Positionen für sie einsetzen und auf diese Weise ihre staatsbürgerliche Verantwortung erfüllen. Neben Änderungen in der Gesetzgebung und professionellen Gestaltungsspielräumen ist nach Einschätzung der Autorinnen die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements unabdingbar. Besonders hervorzuheben ist die zentrale Rolle des Bildungssektors bei der Umsetzung der Vision der Ausgestaltung einer inklusiven Gesellschaft. Im Fokus der folgenden Betrachtung stehen insbesondere Studierende. Studierende stellen eine Gruppe mit besonders hohem Potenzial für bürgergesellschaftliches Engagement dar, welche es für die Vision einer inklusiveren Gesellschaft zu mobilisieren und für ihre Ausgestaltung zu befähigen gilt.

2. Studierende - zukünftige Multiplikator_innen für Inklusion?

Hochschulabsolvent_innen bilden zum einen die Gruppe zukünftiger Führungskräfte und zum anderen stellen sie den größten Teil der gewählten oder angestellten Amtsträger im Staat. Akademiker_innen beteiligen sich darüber hinaus häufiger an Wahlen und haben insgesamt größeren Einfluss auf politische Prozesse als andere Gruppen (Bok 2006, 177).
Der „Wunsch danach, durch eigenes Handeln konstruktiv an der Lösung gesellschaftlicher Probleme mitzuwirken und damit einen eigenen Beitrag zur Überwindung gesellschaftlicher Stagnation leisten zu können“ (Sliwka 2007, 30) wird von Studierenden artikuliert und schlägt sich auch in empirischen Ergebnissen nieder. Daten aus den so genannten Freiwilligensurveys (Gensicke & Geiss 2009; Gensicke, Picot & Geiss 2004) belegen, dass das Potenzial für bürgerschaftliches Engagement und somit auch das Engagement für eine inklusive(re) Gesellschaft noch nicht ausgeschöpft ist.
Aktuelle Forschungsergebnisse belegen ein hohes, langfristig steigendes Niveau der Engagementquote, d.h. des Anteils freiwillig Engagierter an der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Zunahme lässt sich vor allem im sozialen Bereich verzeichnen. Dabei hat sich jedoch die Form der Einsatzbereitschaft gewandelt. Viele Freiwillige engagieren sich häufig kurzfristiger und unregelmäßiger (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2009, 34). Junge Menschen stellen jedoch eine aktive Bevölkerungsgruppe mit einer stabilen Engagementquote dar. In den Altersgruppen, die Studierende hauptsächlich betreffen, 14- bis 19-Jährige, 20- bis 24-Jährige bzw. 25- bis 30-Jährige, ist jeweils mehr als ein Drittel freiwillig aktiv (Gensicke & Geiss 2009, 149). Nach Erwerbsstatus betrachtet, gehören Schüler und Studierende zu einer der drei Gruppen mit einer besonders hohen Engagementquote von 38,2% (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2009, 43).
Insbesondere das Engagementpotenzial, also das Interesse bisher noch nicht Engagierter an einer freiwilligen Tätigkeit (Gensicke, Picot & Geiss 2006, 80), ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Zusätzlich zu den bereits Engagierten könnten sich fast die Hälfte der Befragten in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen vorstellen, eine freiwillige Tätigkeit aufzunehmen (Gensicke & Geiss 2009, 151). Bei bereits bestehendem Engagement halten 62% der 14- bis 30-Jährigen eine Ausweitung ihres Engagements für möglich (Gensicke, Picot & Geiss 2006, 19).
„Der Haupttrend der Periode ist somit eine immer aufgeschlossenere Einstellung der Bevölkerung zum Engagement und weniger eine Zunahme des tatsächlichen Engagements. Besonders auf eine freiwillige Tätigkeit hin ansprechbar sind jene 11 % der Bevölkerung, die sich bestimmt engagieren wollen. Junge und kürzerfristig regional mobile Menschen sind für diese Gruppe besonders typisch“ (Gensicke & Geiss 2009, 8).
Eben diese Mobilität geht bei jüngeren Menschen jedoch häufig mit einer Reduktion ihres freiwilligen Engagements einher, vor allem, wenn sie ihren Aufenthalt am Wohnort nur als Durchgangsphase definieren (Gensicke & Geiss 2009, 9). Vor dem Hintergrund einer gestiegenen Mobilität belegen die Freiwilligensurveys eine „säkulare Verschiebung des Sozialen vom Privaten zum Öffentlichen“ (Gensicke & Geiss 2009, 81). Das impliziert eine Veränderung des Lebensstils vieler Menschen, bei der die Intensität der sozialen Einbindung in private Beziehungen eher abgenommen hat, wohingegen die Einbindung in Organisationen der Zivilgesellschaft wächst und in diesem Zusammenhang vermehrt Aktivitäten sowie sozialer Zusammenhalt berichtet werden (Gensicke & Geiss 2009, 81f.).
Als wichtigste Maßnahme der staatlichen Engagementförderung bewerten Engagierte die „öffentliche[…] Information und Beratung über Möglichkeiten des freiwilligen Engagements“ (Gensicke & Geiss 2009, 290). Diese Engagementmöglichkeiten sind meist an Organisationen der Zivilgesellschaft gebunden.
„Je mehr Menschen Kontakt und Zugang zur zivilgesellschaftlichen Infrastruktur haben, desto mehr können auf freiwillige oder ehrenamtliche Tätigkeiten angesprochen werden. Direkte Übergänge aus dem privaten Leben in freiwilliges Engagement sind dagegen weiterhin eher selten“ (Gensicke & Geiss 2009, 5).
Ein zentrales Motiv für das freiwillige Engagement ist die Mitgestaltung der Gesellschaft. Weitere Motive der freiwillig Tätigen sind die Suche nach Gemeinschaft und Kontakt zu anderen Menschen (Gensicke, Picot & Geiss 2006, 96ff.). Obwohl eine ausgeprägte Gemeinwohlorientierung festgestellt werden kann, werden zunehmend auch eigene bzw. berufliche Interessen und Problemlagen an das Engagement herangetragen, besonders von jüngeren Menschen, d.h. Schüler_innen, Auszubildenden und Studierenden (Gensicke & Geiss 2009, 153). 59% der 14- bis 30-Jährigen bewerten ihre freiwillige Tätigkeit als wichtiges, informelles Lernfeld (Gensicke & Geiss 2009, 35). Diese Gruppe nimmt also die Chance zur Initiierung von Lernprozessen, die sich durch bürgerschaftliches Engagement bieten, in verstärktem Maße wahr. Dabei schließen persönliche Motive eine Gemeinwohlorientierung nicht aus, besonders junge Menschen lassen sich häufig als moderat gemeinwohlorientierte Aktive charakterisieren, welche sowohl private als auch gemeinwohlorientierte Interessen mit ihrem Engagement verknüpfen. Die gemeinwohlorientierten Erwartungen an eine ausgeübte freiwillige Tätigkeit nehmen laut aktuellen Studien gerade in der Altersgruppe der 14- bis 30-Jährigen wieder zu (Gensicke & Geiss, 122ff.).
Die hohe Motivation von Studierenden zur Übernahme eines bürgerschaftlichen Engagements bietet die Chance dieses Potenzial hinsichtlich einer Sensibilisierung für gesellschaftliche Inklusionsprozesse nutzbar zu machen. Studierende, als zukünftige Entscheidungsträger_innen einer inklusiven Gesellschaft, gilt es in ihrer hohen Motivation zur Übernahme eines Engagements sowie bei der Entwicklung inklusiver Denk- und Handlungsweisen zu unterstützen.

3. Hochschulen – Lernorte für Inklusion?

Lehre und Studium an Hochschulen sollen nach § 58 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalens folgende Ziele verfolgen:
„Lehre und Studium vermitteln den Studierenden unter Berücksichtigung der Anforderungen und Veränderungen in der Berufswelt und der fachübergreifenden Bezüge die erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studiengang entsprechend so, dass sie zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit, zur Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in der beruflichen Praxis, zur kritischen Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnis und zu verantwortlichem Handeln befähigt werden.“
Gesetzliches Ziel von Hochschulen, als Orte von Forschung, Bildung und Innovation, ist somit die Befähigung Studierender zu verantwortlichem und kritischem Handeln. Hochschulen bilden zukünftige gesellschaftliche Multiplikatoren_innen aus - beeinflussen sie doch durch Lehrinhalte sowie universitäre Strukturen die Entwicklung studentischer Haltungen und Einstellung hinsichtlich eines gelungenen gesellschaftlichen Zusammenlebens maßgeblich. Welche Möglichkeiten aber haben Hochschulen, Studierende auf das Leben in einer inklusiven Gesellschaft und ihre Rolle als künftige Multiplikator_innen einer inklusiven Gesellschaft vorzubereiten?
Hochschulbildung für eine inklusive Gesellschaft betrifft zum einen die Professionalisierung von Berufsgruppen wie beispielsweise Lehrer_innen, welche im Rahmen ihrer Ausbildung inhaltliche wie methodische Kompetenzen für die Gestaltung inklusiver Prozesse in ihrem späteren beruflichen Setting erwerben sollten. Zum anderen können Hochschulen als Ort von Inklusion konkrete Erfahrungen in einem inklusiven Setting vermitteln. Letzterer Aspekt bezieht sich auf die hochschuldidaktische Ermöglichung inklusiver Lern- und Bildungsprozesse und ebenfalls auf die Gestaltung inklusiver Kulturen und Strukturen (Platte & Schultz 2011, 246). „Hochschulen als Institutionen der akademischen Aus- und Weiterbildung sind vor diesem Hintergrund mehrfach gefordert, denn Inklusion kann als Konzept nicht nur theoretisch vermittelt, sondern muss als Bewusstseinshaltung erlebt werden“ (Platte & Schultz 2011, 245).
Dass Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland (noch) keine Orte gelebter Inklusion sind, zeigt die Studie „beeinträchtigt studieren“ des Deutschen Studentenwerks (2012). Erheblicher Verbesserungsbedarf bezüglich baulicher wie hochschuldidaktischer Barrieren, der Finanzierung beeinträchtigungsbedingter Zusatzkosten sowie der Bereitstellung von kompensatorischen Angeboten und Regelungen wie beispielsweise von Nachteilsausgleichen ist offenkundig. Die Nichtinanspruchnahme von spezifischen Beratungsangeboten sowie Nachteilsausgleichen durch Studierende, deren Beeinträchtigungen sich zwar in ihrer Selbsteinschätzung studienerschwerend auswirken, für Dritte aber nicht ohne weiteres sichtbar sind, zeigt deutlich, dass an deutschen Hochschulen kein Klima der Inklusion herrscht (Platte & Schulz 2011, 19). Knapp die Hälfte der anspruchsberechtigten Studierenden verzichten auf eine notwendige, spezifische Beratung, weil sie ihre Beeinträchtigung nicht äußern wollen und über ein Drittel der Studierenden erleben einschlägige universitäre Informations- und Beratungsangebote zum Thema Studium mit Behinderung oder chronischer Krankheit als wenig ansprechend (Deutsches Studentenwerk 2012, 15). Und mehr noch:
„43% der Studierenden, die auf Beantragung von Nachteilsausgleichen verzichtet haben, glaubten, nicht anspruchsberechtigt zu sein, und 44% wollten keine ‚Sonderbehandlung‘. 33% wollten nicht, dass ihre Beeinträchtigung bekannt wird und je rund 35% der Studierenden hatten Hemmungen, sich an den Prüfungsausschuss oder Lehrende mit Bitte um Nachteilsausgleich zu wenden“ (Deutsches Studentenwerk 2012, 17).
Der Einsatz für eine inklusive Entwicklung der Gesellschaft kann jedoch nur in einem inklusiven Setting glaubwürdig vermittelt werden (Bok 2006, 189f). Übergeordnetes Ziel von Hochschule muss somit die Ermittlung und Beseitigung der erwähnten exkludierenden Faktoren sein.
Auch die gezielte Förderung von Studierenden im Hinblick auf Inklusion sowie die Chance Studierende über entsprechende Angebote für die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung zu begeistern, wird aktuell kaum genutzt. „Derzeit richtet sich das Seminarangebot in vielen Studienfächern deutscher Hochschulen vor allem nach den individuellen Interessen und Wünschen einzelner Hochschullehrer. Oft entscheiden sie auf Grundlage aktueller Forschungsinteressen, welche Lehrveranstaltungen sie anbieten“ (Sliwka 2007, 31).
Derek Bok (2006), der ehemalige langjährige Präsident der Harvard Universität, definiert grundsätzliche Ziele von Hochschulbildung, darunter die Vorbereitung auf eine aktive Teilhabe an demokratischen Prozessen („citizenship“) und auf das Leben in einer von Diversität geprägten Gesellschaft. Die Verpflichtung, gesamtgesellschaftliche Ziele zu erfüllen, ergibt sich für Bok (2006, 184f.) aus den öffentlichen Subventionen bzw. (Teil-)Finanzierungen von Hochschulbildung. Daher fordert er aktive Handlungsbereitschaft der Hochschulen, um gesellschaftlich wichtige Ziele zu erfüllen (Bok 2006, 189).
Politische Bildung bzw. Staatsbürgerkunde an der Hochschule kann hier eine intellektuelle Basis legen, indem sie beispielsweise Grundlagenwissen über politische Institutionen und Prozesse vermittelt. Sie sollte nicht indoktrinieren und demnach mehr Fragen als Antworten aufwerfen, die sich beispielsweise aus den Postulaten der Chancengleichheit oder sozialen Gerechtigkeit ergeben. Wenn „Verantwortung lernen“ für die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft als zentrales Ziel an Hochschulen implementiert werden soll, reicht eine derartige über fachliche Inhalte hinausreichende Allgemeinbildung jedoch nicht aus (Bok 2006, 185ff.). „Civic responsibility must be learned, for it is neither natural nor effortless” (Bok 2006, 172).
Auf welche Weise können Hochschulen Studierende dabei unterstützen die Übernahme von Verantwortung zu erlernen und sich darüber hinaus zu Multiplikator_innen zu entwickeln, die sich für die Vision einer inklusiven Gesellschaft einsetzen? Derek Bok (2006, 189) betont die Vorbildfunktion von Hochschullehrer_innen, die Anerkennung von bürgerschaftlichem Engagement durch die Hochschulleitung sowie die Stärkung der studentischen Selbstverwaltung. Darüber hinaus führt er das hochschuldidaktische Konzept des Service Learnings als Möglichkeit an, Studierende für zivilgesellschaftliches Engagement zu befähigen. Inwieweit sich die hochschuldidaktische Methode des Service Learnings hinsichtlich der Umsetzung der Vision einer inklusiven Gesellschaft nutzen lässt, wird nachfolgend beschrieben.

4. Service Learning – Methode zur Förderung von Inklusion?

Nachfolgend wird das hochschuldidaktische Konzept des Service Learnings auf seinen Nutzen hinsichtlich der Ausbildung zukünftiger Muliplikator_innen für Inklusion geprüft. Service Learning wird dabei zunächst definitorisch von anderen Formen des gemeinnützigen Engagements abgegrenzt. Anschließend werden das hochschuldidaktische Potenzial sowie der Mehrwert von Service Learning für die Weiterentwicklung universitärer Strukturen aufgezeigt.

4.1 Das hochschuldidaktische Konzept Service Learning

Service Learning, ein innovativer Ansatz der Hochschulbildung, meint „Verantwortungslernen“ oder „Lernen durch Engagement“ und versucht Synergieeffekte von didaktischen Prozessen des Hochschullernens mit ehrenamtlicher Tätigkeit, mehr noch mit bürgergesellschaftlichem Engagement, zu generieren (Jaeger, Smitten & Grützmachen 2009, 33).
Bürgerschaftliches Engagement im weiteren Begriffsverständnis „fungiert als eine Art von Sammel- und Oberbegriff für ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen und Spielarten unbezahlter, freiwilliger und gemeinwohlorientierten Aktivitäten“ (Heinze & Olk 2001, 15). Dabei sehen traditionelle Formen des Engagements keine formalisierte Verzahnung mit theoretischen Konzepten vor – beispielsweise mit Theorien der Inklusion. Diese inhaltliche Verknüpfung bildet den Kern von Service Learning und dient als Grundlage für eine kontinuierliche kritische Reflexion des eigenen Handelns im Rahmen des Engagements.
Service Learning, ein in den USA weit verbreitetes Konzept (Sliwka 2007, 31), wurde auch an deutschen Hochschulen wie zum Beispiel an den Universitäten Mannheim, Lüneburg, Würzburg oder Duisburg-Essen mit großem Erfolg umgesetzt (Jaeger, Smitten & Grützmacher 2009, 44ff.). Hassan-Beik, Saß und Hofer (2006, 211) definieren Realität, Reziprozität und Reflexion als Eckpfeiler der Konzeption von Service Learning Seminaren. In diesen Seminaren sollen Studierende als Lernende im Bildungssystem und Handelnde in der Zivilgesellschaft (Altenschmidt & Roth 2011, 45) zu staatsbürgerlicher Kompetenz befähigt werden (Hassan-Beik et al. 2006, 209). Service Learning will die „Partizipation von Studierenden an der demokratischen Gestaltung des öffentlichen Lebens fördern“ (Reinmuth, Saß & Lauble 2007, 17).
Das Konzept des Service Learnings versucht Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung der Studierenden mit bürgerschaftlichem Engagement zu verbinden und „zusätzlich die theoretische Anbindung an das jeweilige Studienfach zu gewährleisten. Service Learning erreicht damit im Idealfall eine wesentlich stärkere Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis als andere Konzepte“ (Reinmuth, Saß & Lauble 2007, 19). Konkret setzen sich Service Learning Veranstaltungen aus folgenden Komponenten zusammen: Studierende besuchen ein Seminar an der Hochschule (Learning) und stellen ihr erworbenes Wissen gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung (Service).
Nachfolgend wird ein aktuelles Beispiel für ein Service Learning Seminar ohne inklusionsspezifische Ausrichtung angeführt: Studierende der Rehabilitationspädagogik der Technischen Universität Dortmund beschäftigen sich im Seminar „Kompetenzanalyse: Erfragen, verstehen und analysieren von Kompetenzen in der betrieblichen Praxis“ mit dem Konstrukt Kompetenzen sowie Instrumenten der Kompetenzanalyse und Mitarbeiter_innenbefragung. Anschließend interviewen Studierende Mitarbeiter_innen einer psychiatrischen Einrichtung in Dortmund zu ihren Kompetenzen und leiten Handlungsfelder betrieblicher Gesundheitsförderung ab.
Service Learning als besondere Form des bürgergesellschaftlichen Engagements bildet eine Schnittstelle zwischen dem Bildungswesen und der Zivilgesellschaft (Altenschmidt & Roth 2011, 43) und zeichnet sich durch eine enge Theorie-Praxis-Verknüpfung aus: Studierende arbeiten direkt mit einem externen Partner in der Kommune zusammen, einer gemeinnützigen Einrichtung jeglicher Art, die einen real existierenden Bedarf formuliert, der ohne das Engagement der Studierenden nicht bearbeitet werden könnte. Studierende können somit ihr theoretisch erworbenes Wissen anwenden, sowie ihre Sach-, Methoden, Selbst- und Sozialkompetenz weiter entwickeln (Heinze & Olk, 33).
Service Learning Veranstaltungen folgen dabei einer anderen Logik als herkömmliche Veranstaltungsangebote, sie
„orientieren sich [...] an den Bedürfnissen der 'Klienten' in der Lebenswelt, für die Hochschullehrer und Studierende gemeinsam arbeiten. Die Aufgabe entsteht also nicht im Kopf der Dozenten oder Studierenden, sie ist die Antwort auf ein reales Problem oder Bedürfnis, sie reagiert auf ein Defizit und schließt eine Handlungslücke, die ohne die Arbeit der Studierenden nicht geschlossen würde. Genau daraus resultiert ein Gefühl von Relevanz des eigenen Handelns“ (Sliwka 2007, 31).

4.2 Vom Mehrwert des Service Learnings

Wie genau lässt sich das besondere Potenzial von Service Learning Seminaren beschreiben? Was weiß man über die Effekte von Service Learning?
Die Kombination aus akademischen Lehrinhalten und lokalen Aktivitäten des bürgerschaftlichen Engagements in Service Learning Seminaren kann bei angemessener Durchführung die akademische, persönliche, gesellschaftliche und berufliche Entwicklung der Studierenden fördern (Furco, 2009, 48). Positive Wirkungen auf die persönliche und soziale Entwicklung von Studierenden betreffen zum einen Einstellungen zu sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Toleranz sowie die Reduzierung von Stereotypen. Zum anderen betreffen sie zwischenmenschliche Kompetenzen wie kommunikative Fähigkeiten oder die Fähigkeit zur Übernahme der Perspektiven Anderer (Reinmuth, Saß & Lauble 2007, 22f.).
Die Rückkopplung des Engagements in den akademischen Kontext ist dabei von zentraler Bedeutung. Lehre sollte über (Selbst-)Reflexionen von Beobachtungen und die Verknüpfung mit theoretischen Konzeptualisierungen Erklärungsmodelle anbieten. Den ansonsten droht das Gegenteil: Ohne eine geeignete Begleitung können Vorurteile sogar verstärkt werden, wenn Lernende beispielsweise auf irritierende oder emotional aufwühlende Situationen treffen (Jay 2008, 262). Studierende, die sich in ihrer Freizeit freiwillig engagieren, entwickeln grundsätzlich eine stärkere Überzeugung, dass sie selbst durch eigenes Handeln Einfluss auf soziale Wandlungsprozesse ausüben können (Bok 2006, 180). Allerdings sehen diese Freiwilligen ihr Engagement häufig als Alternative zu einem als aussichtslos bewerteten politischen Engagement. Dass freiwillig engagierte Studierende keine Verbindung von sozialen Problemen zu gesamtgesellschaftlichen Prozessen wahrnehmen, bewertet Bok (2006, 183) als Versäumnis von (Hochschul-)Bildung und fordert eine stärkere Verknüpfung zwischen bürgerschaftlichem Engagement mit affinen Inhalten von Hochschullehre (Bok 2006, 189f.). Er beschreibt damit die Grundidee des hochschuldidaktischen Konzeptes Service Learning. „Service Learning hat also das Potential Vertrauen zu stiften - in die eigenen Fähigkeiten, Probleme zu lösen und in die gesellschaftliche Kraft, mit Hilfe gemeinsamen Handelns die Dinge zum Besseren zu wenden“ (Sliwka 2007, 31).
Viele Lehrende, die sich mit gesellschaftlichen Exklusionstendenzen befassen, zielen mit ihrer Lehre auf eine Befähigung der Studierenden sozialen Wandel zu begleiten und auszugestalten. Dabei geben klassische hochschuldidaktische Konzepte den Studierenden meist keine Strategien an die Hand, wie sie praktisch zu diesem sozialen Wandel beitragen können (Jay 2008, 258). Service Learning hat das Potenzial diese Lücke teilweise zu schließen.
„Teachers of courses in multiculturalism or women's studies or other disciplines focused on inequality and social injustice know that, at some point, students are going to ask: ‘What can I do?’ Having been brought to a realization that something should be done, the rightly feel frustrated and logically look to the teacher for an answer. After all, you were the one who raised their consciousness in the first place. This moment can be a very frustrating one, but if students have been doing service learning all semester they are likely already to have begun to learn the answers” (Jay 2008, 279).
Gregory Jay (2008) beschreibt, wie Service Learning für den Bereich der multikulturellen Erziehung nutzbar gemacht werden kann. Service Learning Seminare können Studierende durch neue und irritierende Lernerfahrungen (Jay 2008, 268) zum einen die Notwendigkeit bewusst machen, ihre persönlichen Vorstellungen und Konzepte in ihrer Auswirkung auf andere zu reflektieren. Zum anderen können sie die Komplexität realer Situationen erfahren, die durch theoretische Konzepte nicht immer einfach erklärt werden können, und diese Konzepte so kritisch hinterfragen (Jay 2008, 260f.). Studierende beschrieben einen Zuwachs an Wissen über und Wertschätzung von Diversität in ihrer Stadt. Außerdem dokumentierten sie ein Potential zur Selbstreflexion über eigene Privilegien bei einer thematischen Aufbereitung im Rahmen der zugrunde liegenden Lehrveranstaltung (Jay 2008, 278f).
Jay (2008) beschreibt ein Phasenmodell der Entwicklung der Einstellungen der Studierenden. Zunächst entdecken Studierende Gemeinsamkeiten mit den Menschen, die sie über Service Learning Projekte kennen gelernt haben, obwohl sie im Einklang mit vorherrschenden Stereotypen sehr verschieden von ihnen sein müssten (Jay 2008, 264). Diese Entdeckung geht oft mit der Leugnung von Differenz einher, einem Phänomen, welches Jay auf den Bereich der multikulturellen Bildung bezogen als Ideologie der Farbenblindheit (Jay 2008, 268) bezeichnet. Das Lernziel von Service Learning Seminaren geht über diese Phase hinaus und zielt auf ein kritisches Hinterfragen der sozialen Konstruktion von Unterschieden und Ungleichheiten sowie auf eine Reflexion der eigenen Position in dieser gesellschaftlichen Hierarchie (Jay 2008, 266).
Wie ist es nun aber um die akademische Qualität des Service Learning Konzeptes bestellt? Service Learning „ist die Form von Erfahrungslernen, die die doppelte Zielsetzung erreicht, zivilgesellschaftsfördernde Bildungszwecke und qualitativ hohes Lehrniveau zu ermöglichen“ (Furco 2009, 51). Es konnte gezeigt werden, dass Service Learning Seminare sich positiv auf fachliche und akademische Kompetenzen auswirken können, „jedoch weniger auf Ebene des Inhaltswissens und mehr auf der Ebene kognitiver Komplexität, analytischem und kritischem Denken, komplexem Problemlösen, strategischer Planung und Wissenstransfer“ (Reinmuth, Saß & Lauble 2007, 26). Diese Aspekte, die Identifikation und Lösung von Problemen mit wissenschaftlichen Methoden, bewertet Sliwka (2007, 32) als Merkmale wissenschaftlicher Exzellenz. Darüber hinaus lässt sich ein stärkerer Anstieg des subjektiv erlebten Lernerfolgs der Studierenden mit Abschluss der Veranstaltung verzeichnen. Aktuelle Forschungsergebnisse geben Anlass zu der begründeten Annahme, dass Service Learning das Sozialklima als moderierende Variable positiv beeinflussen kann (Reinders 2010, 542).
Die Qualität der zugrunde liegenden Lehrveranstaltung, und zwar insbesondere die effektive Verknüpfung zwischen Service und Learning, ist als Schlüsselfaktor für positive Auswirkungen auf akademische Leistungen zu bewerten (Reinmuth, Saß & Lauble 2007, 25). Schriftliche Reflexionen und Diskussionen im Seminar werden von Studierenden als effektivste Methoden bewertet, um persönliche Erfahrungen zu reflektieren (Jay 2008, 277). Thematisch sollten derartige Reflexionen eigene Erwartungen und Vorurteile aber auch die eigene Rolle im gesamtgesellschaftlichen Kontext umfassen (Sliwka 2007, 17). Lernen gelingt dann am besten, wenn Studierende partizipativ in den Lernprozess eingebunden werden und eine Verbindung zwischen gelehrter Theorie und der eigenen Lebenswirklichkeit herstellen können (Furco, 2009, 50). Die sorgfältige Auswahl von Praxispartnern_innen ist ebenfalls von Bedeutung. So sollten die Studierenden von diesen lernen können, damit ein Austausch realisiert werden kann (Jay 2008, 261).
Analog zu Jays (2008) Konzeption kann ein gesteigertes Bewusstsein für Ressourcen und Hindernisse für inklusive Prozesse als Ziel von Service Learning im Dienste einer Hochschulbildung für Inklusion definiert werden. Service Learning für Inklusion sollte einen Fokus auf „inklusive“ Themenfelder setzen. So könnten beispielsweise Studierende der Rehabilitationswissenschaften und affiner Studiengänge ihre fachliche Expertise zum Thema Inklusion zur Verfügung stellen, Erfahrungen in inklusiven Settings sammeln sowie Praxispartner bei der Weiterentwicklung ihrer Strukturen in eine inklusivere Richtung begleiten. So zeigen die ersten Erfahrungen hinsichtlich einer inklusiven Schulentwicklung derzeit, dass die praktische Umsetzung kein Selbstläufer ist und einer fachlichen Begleitung dringend bedarf. Mehr noch ist mit zunehmender Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen mit einer Verstärkung der Unterstützungsbedarfe hinsichtlich der praktischen Umsetzung zu rechnen. In diesem Zusammenhang steigt die Bedeutung studentischer Inklusionsmultiplikatoren.
In der Konfrontation mit zivilgesellschaftlichen Perspektiven und Problemlagen - der Aussicht, den „Elfenbeinturm“ (Altenschmidt, Miller & Stark, 2009, 11) zu verlassen - liegt die unmittelbare Chance inklusiver Austauschprozesse begründet, welche sich in zwei Perspektiven denken lassen: Studierende eröffnen der Gesellschaft partizipative Zugänge zu aktuellen wissenschaftlichen Diskursen und Lösungsideen (Altenschmidt, Miller & Stark, 2009, 11) und können des Weiteren durch Service Learning Einblick in gesellschaftliche Bedarfs- und Problemlagen erhalten, Kontakte zu Akteuren der Zivilgesellschaft knüpfen (Altenschmidt & Roth 2011, 45) und darüber hinaus Institutionen bei der praktischen Umsetzung inklusiver Prozesse unterstützen.

4.3 Service Learning am Beispiel des Projektes StudiumEngagiert

Die Projektidee StudiumEngagiert zielte auf die Erstellung eines Konzeptes zur Implementierung von Service Learning an der Technischen Universität Dortmund. Angestrebt war eine Analyse vorhandener universitärer Strukturen, Curricula, Einrichtungen, bestehender Projekte und einzelner Lehrveranstaltungen mit Service Learning Charakter, um diese für den Aufbau einer zentralen Service Learning Anlaufstelle nutzbar zu machen. Weiterhin wurde die Kontaktaufnahme zu externen und universitätsinternen Kooperationspartnern forciert, um vorhandene Expertisen zu nutzen. StudiumEngagiert sollte zunächst als Anlaufstelle für die Koordination von Service Learning Angeboten in der Vermittlerrolle zwischen interessierten Lehrenden und gemeinnützigen Organisationen im Raum Dortmund, mit konkreten Problem- und Bedarfslagen, implementiert werden.
StudiumEngagiert wurde vom Juni 2010 bis zum August 2011 durch Mittel zur Verwendung von Studienbeiträgen für Maßnahmen zur fakultätsübergreifenden Verbesserung von Lehre und Studienbedingungen an der Technischen Universität Dortmund gefördert. Die Fakultät Rehabilitationswissenschaften stellte als Kooperationspartner auf organisatorischer Ebene strukturelle Rahmenbedingungen sowie fachliche Expertise zur Verfügung. Neben einer langjährigen ehrenamtlichen Mitarbeiterin der FreiwilligenAgentur Dortmund koordinierten drei Mitarbeiter_innen aus der Studierendenschaft das Projekt StudiumEngagiert. Die FreiwilligenAgentur Dortmund, als kompetenter Ansprechpartner in Bezug auf bürgergesellschaftliches Engagement im Raum Dortmund, unterstützte StudiumEngagiert als Kooperationspartner auf konzeptioneller Ebene.
Auf Grund struktureller Barrieren, worauf in diesem Kontext nicht näher eingegangen wird, musste die Idee des Projektes StudiumEngagiert modifiziert werden, wobei die übergeordnete Zielsetzung der fakultätsübergreifenden Förderung des studentischen, bürgerschaftlichen Engagements weiter verfolgt werden konnte. Initiiert wurden zum einen interdisziplinäre Studierendenprojekte mit Service Learning Charakter und zum anderen Strukturen für die individuelle Beratung von Studierenden hinsichtlich eines passgenauen bürgergesellschaftlichen Engagements. Diese beiden integralen Säulen des Projektes werden nachfolgend beschrieben.
StudiumEngagiert leistete den Aufbau und die Betreuung interdisziplinärer, gemeinnütziger Projekte, in denen sich Studierende aller Fakultäten gemäß ihrer fachlichen und persönlichen Kompetenzen bürgerschaftlich engagieren konnten. Aus den erhobenen Bedarfen von gemeinnützigen Einrichtungen aus dem Non-Profit-Bereich wurden von Mitarbeiter_innen von StudiumEngagiert Projektthemen und mögliche Tätigkeitsfelder generiert. Die engagierten Studierenden wurden ab dem Projektstart an projektbezogenen Entscheidungen beteiligt und konnten sich aktiv mit eigenen Ideen und Kompetenzen einbringen. In Projektform wurden mögliche Lösungsoptionen für die artikulierten Bedarfe der Einrichtungen erarbeitet und ausgewählte Lösungen anschließend praktisch umgesetzt. Der Projektprozess wurde durch die Mitarbeiter_innen von StudiumEngagiert angeleitet und sowohl mit den Einrichtungen als auch mit den Studierenden kontinuierlich reflektiert. Beispielsweise wurde in Kooperation mit der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung e. V. mit Studentinnen aus den Fakultäten Raumplanung, Rehabilitationswissenschaften und Kulturwissenschaften der Aufbau einer inklusiven Wohngemeinschaft für Studierende und Menschen mit einer geistigen Behinderung geplant und erfolgreich umgesetzt. Der Aufbau weiterer Wohngemeinschaften nach diesem Vorbild ist aktuell geplant.
Neben der Umsetzung von Studierendenprojekten erfolgte eine passgenaue und auf die speziellen Bedürfnisse der Studierenden abgestimmte Beratung und Vermittlung von Freiwilligen durch StudiumEngagiert als Zweigstelle der FreiwilligenAgentur Dortmund. In allen Fragen rund um die Thematik des ehrenamtlichen Engagements stand die ehrenamtliche Mitarbeiterin der FreiwilligenAgentur Dortmund für eine Klärung zur Verfügung.
StudiumEngagiert, als studentische Bottom-up-Initiative, erfuhr positives Feedback sowie großen Zulauf aus der Studierendenschaft. Die angestrebte Anbindung an eine zentrale Einrichtung der Universität konnte nicht realisiert werden. Eine institutionelle Implementierung von StudiumEngagiert scheiterte bedingt durch universitäre Umstrukturierungsprozesse an einer ungenügenden Anschlussfinanzierung.
Reflexion des Projektes StudiumEngagiert
An der Technischen Universität Dortmund konnten die Autorinnen die Erfahrung machen, dass die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements Studierender wie auch das hochschuldidaktische Konzept des Service Learnings auf positive Resonanz verschiedenster Stellen stößt. Eine Finanzierung des Projektes konnte, durfte oder wollte aber keiner dieser interessierten Akteure übernehmen.
Zum einen ergibt sich aus dieser Tatsache ein praktisches Problem in Kombination mit der Befristung von Stellen im akademischen Mittelbau. Da die Möglichkeiten über eine Anschub- oder Teilfinanzierung nicht hinausgehen, findet sich kein_e Mitarbeiter_in, die eine derartige, verwaltungslastige Tätigkeit dauerhaft unbezahlt übernimmt. Eine kompetente Initiierung und Begleitung von Service Learning Projekten erfordert ein gewisses Maß an Professionalität der Mitarbeiter_innen. Der Aufbau und die Etablierung von Netzwerken sind ebenfalls auf eine kontinuierliche Arbeit sowie eine Kontinuität des Personals angewiesen.
Zum anderen ergibt sich aus einer Nicht-Finanzierung auch ein Legitimationsproblem. Mit welchem Auftrag können ehrenamtliche Mitarbeiter im Namen der Universität Netzwerke und Kontakte zu Non-Profit-Organisationen vor Ort knüpfen, welche in der Hochschullehre wirksam werden sollen? Diese Legitimationsproblematik spiegelt sich des Weiteren im Bereich universitärer Curricula. Ehrenamtlich engagierte Studierende haben keinen Zugriff auf die Entwicklung von Curricula, eine Implementierung des hochschuldidaktischen Konzepts Service Learning konnte in Dortmund nur vereinzelt durch persönliche Kontakte zu Lehrenden angeregt werden.

4.4 Empfehlungen aus Projekten an anderen Universitäten

Aus Erfahrungen, welche an der Universität Mannheim mit Service Learning Veranstaltungen gemacht wurden, leitet sich die Empfehlung ab, die Theorie-Praxis-Verknüpfung innerhalb der Lehrveranstaltungen besonders hervorzuheben, um dieses komplexe Zusammenspiel zu verknüpfen. Darüber hinaus sollte ein Netzwerk aufgebaut werden, um interessierten Lehrenden den Kontakt zu Praxispartnern zu erleichtern. Service Learning Kurse bieten sich ebenfalls als fachübergreifende, allgemeinbildende Bereiche des Studiums an, in denen soziale Kompetenzen erworben werden (Hassan-Beik, Saß & Hofer 2006, 220f.).
Praxispartner müssen in der Lage sein, eigene Bedarfe und gewünschte Ergebnisse einer potentiellen Service Learning Veranstaltung klar zu definieren. Darüber hinaus müssen Praxispartner auch eigene Ressourcen zur Verfügung stellen in der Form einer inhaltlichen Einführung und Ansprechbarkeit für die Lernenden (Altenschmidt & Roth 2011, 47).
„Weil Service Learning eigene Strukturen braucht, führt seine Einführung ab einem gewissen Punkt notwendigerweise zu einer organisationalen Veränderung auch innerhalb der anbietenden Bildungsorganisation“ (Altenschmidt & Roth 2011, 49). Diese Neuorganisation betrifft Schnittstellen zu anderen beteiligten Akteuren (Praxispartnern), um die Zusammenarbeit effektiv koordinieren zu können, wie auch die Einbindung der Hochschulleitungen (Altenschmidt & Roth 2011, 49).

5. Fazit

Der vorliegende Artikel betrachtet Studierende als potentielle Multiplikator_innen für die Entwicklung einer inklusiveren Gesellschaft. Für diese Gruppe konnte ein hohes, noch nicht ausgeschöpftes, Potenzial für bürgerschaftliches Engagement nachgewiesen werden. Dabei werden Gemeinwohlorientierung und die persönliche wie berufliche Weiterentwicklung von dieser Gruppe besonders häufig zusammengedacht. Aus diesem Grunde stellt sich die Frage, wie Studierende als zukünftige Führungskräfte bei der Entwicklung inklusiver Denk- und Handlungsweisen unterstützt werden können. Dabei wurde vor allem bei der kurzfristig mobilen und an Qualifizierung interessierten Gruppe, zu der auch Studierende gezählt werden können, ein Unterstützungsbedarf in Form von Information, Orientierung und Beratung hinsichtlich eines passgenauen Engagements deutlich.
Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland nehmen diese Orientierungsfunktion, die Verantwortung für die Vorbereitung der Studierenden auf ihre staatsbürgerliche Rolle und auf das Leben in einer von Diversität geprägten Gesellschaft (Bok 2006) gegenwärtig (noch) nicht als Kernaufgabe wahr. Als Orte von Inklusion können sie ebenfalls nicht bezeichnet werden, wie die Studie „beeinträchtigt studieren“ eindrücklich belegt (Deutsches Studentenwerk 2012).
Bezogen auf die Vermittlung des Inklusionsgedankens stellt der vorliegende Artikel das hochschuldidaktische Konzept des Service Learnings vor, welches Studierende aufgrund der Verknüpfung von Bildungsprozessen und zivilgesellschaftlichem Engagement zur Begleitung eines gesellschaftlichen Wandels befähigen möchte und hinsichtlich einer partizipativen Gestaltung von Gesellschaft proaktiv fördern kann. Positive Effekte auf der Einstellungs- wie auf der Kompetenzebene sind dabei vor allem auf eine Rückkopplung und Reflexion der Erfahrungen angewiesen, also auf die Qualität der Begleitung durch die zugrunde liegende Lehrveranstaltung. Beispielsweise könnten Studierende sich mit Gedanken von Inklusion auseinandersetzen, Erfahrungen in inklusiven Settings sammeln sowie Praxispartner_innen bei der Entwicklung und Implementierung inklusiverer Strukturen begleiten. Ein Lernziel könnte das Hinterfragen der sozialen Konstruktion von Unterschieden und Ungleichheiten darstellen. Die hochschuldidaktische Methode Service Learning erscheint somit gerade in Bezug auf die Verbreitung und Ausgestaltung der Vision von Inklusion als gewinnbringend und an deutschen Hochschulen implementierenswert.
Service Learning stellt jedoch nicht nur ein Lehrformat dar, sondern wirkt auch auf institutionelle Prozesse. Im Rahmen des Projektes StudiumEngagiert an der TU Dortmund konnte die Erfahrung gemacht werden, dass eine studentische Bottom-up-Initiative auf positive Resonanz stößt und als besonders glaubwürdig erlebt wird. Andererseits zieht eine derartige Verortung strukturelle Barrieren in der hierarchischen Organisation der Universität sowie eine Legitimationsproblematik nach sich. Sowohl das Knüpfen von Kontakten zu Praxispartnern als auch die Entwicklung von Curricula können auf diese Weise letztlich nicht geleistet werden. Eine wirksame Initiierung von Service Learning erfordert Professionalität, sowohl was die Qualität der Lehre und insbesondere die komplexe Theorie-Praxis-Verschränkung von Service Learning Veranstaltungen angeht als auch bezogen auf eine Schnittstelle zur effektiven Koordination der Zusammenarbeit mit Praxispartnern.
Vor diesem Hintergrund sollte von einer ausschließlich ehrenamtlich geleisteten Implementierung von Service Learning durch bürgerschaftliche engagierte Studierende und Lehrende abgeraten werden. Eine umfassende und effiziente Implementierung von Service Learning an Universitäten bedarf einer Unterstützung durch die Hochschulleitung, einer etablierten, dauerhaft finanzierten Anlaufstelle für Lehrende, Studierende und Organisationen sowie einer curricularen Verankerung von Service Learning – beispielsweise in allgemein bildende Anteile des Studiums.

6. Literatur

Altenschmidt, Karsten; Miller, Jörg & Stark, Wolfgang (2009): Entwicklungen in Service Learning und bürgerschaftlichem Engagement an deutschen Hochschulen. In Karsten Altenschmidt, Jörg Miller & Wolfgang Stark (Hrsg.), Raus aus dem Elfenbeinturm? Entwicklungen in Service Learning und bürgerschaftlichem Engagement an deutschen Hochschulen (11-14). Weinheim: Beltz.
Altenschmidt, Karsten & Roth, Christiane (2011): An der Schnittstelle von Bildung und Gemeinwesen. Auswirkungen von Service Learning auf Bildung und Gesellschaft. In Aktive Bürgerschaft e.V. (Hrsg.), Diskurs Service Learning: Unterricht und Bürgerengagement verbinden (43-53). Berlin: Selbstverlag.
Bok, Derek Curtis (2006): Our Underachieving Colleges: A Candid Look at How Much Students Learn and Why They Should Be Learning More. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
Deutsches Studentenwerk (2012): Beeinträchtigt studieren. Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011. Online: http://www.studentenwerke.de/pdf/Beeintraechtigt_Studieren_Datenerhebung_01062012.pdf [03.08.2013]
Furco, Andrew (2009). Die Rolle des Service Learning im Aufbau einer gesellschaftlich engagierten Universität. In Karsten Altenschmidt, Jörg Miller & Wolfgang Stark (Hrsg.), Raus aus dem Elfenbeinturm? Entwicklungen in Service Learning und bürgerschaftlichem Engagement an deutschen Hochschulen (47-59). Weinheim: Beltz.
Gensicke, Thomas & Geiss, Sabine (2009): Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Zivilgesellschaft, soziales Kapital und freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004 – 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement. München: TNS Infratest Sozialforschung.
Gensicke, Thomas; Picot, Sibylle & Geiss, Sabine (2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Repräsentative Erhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. München: TNS Infratest Sozialforschung.
Hassan-Beik, Schima; Saß, Christina & Hofer, Manfred (2006): Service Learning at a German university: a case study. In Sliwka, Anne; Diedrich, Martina & Hofer, Manfred: Citizenship Education. Theory – Research – Practice (209-221). Münster: Waxmann.
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