Manfred Gerspach, Thilo Naumann: Besorgte Nachfragen zur Debatte um die Elementarpädagogik

Abstract: Die aktuellen Neuformulierungen von elementarpädagogischen Zielen, Inhalten und Methoden werden einer kritischen Prüfung unterzogen. Die gegenwärtige Bildungsdebatte im Vorschulbereich läuft Gefahr, Kindheit mit reinen Wissensansprüchen und Verhaltensnormen zu überfrachten, die den kindlichen Entwicklungsprozessen dieses Lebensabschnitts zuwider laufen. Kinder mit Beeinträchtigungen emotionaler, geistiger oder körperlicher Art finden darin gar keine, bzw. nur mehr eine –  politisch korrekte – randständige Erwähnung. Die Autoren zeichnen die Konturen einer den unterschiedlichen kindlichen Entwicklungsbedürfnissen angemessenen Praxis.

Stichworte: elementarpädagogische Ziele – kindliche Entwicklung – kindliche Bildung – Bildungsbegriff – Bildungs- und Erziehungspläne – Kinder mit Beeinträchtigungen – Integration und Inklusion – Postfordismus – pädagogisches Setting – pädagogische Haltung

Ausgabe: 3/2010

Inhaltsverzeichnis
  1. Einführung
  2. Anmerkungen zur kindlichen Entwicklung
  3. Selbstbildung und Verständigung
  4. Pädagogisches Setting
  5. Pädagogische Haltung
  6. Resümee
  7. Literatur

1. Einführung

Ist der Zug endgültig abgefahren? Ein Blick in die aktuelle Forschungslandschaft zeigt, dass es bei der Neuformulierung von elementarpädagogischen Zielen, Inhalten und Methoden nur mehr um die ‚neuen’ bildungs- und familienpolitischen Anforderungen geht. Das heißt im Klartext:

 

Die Trias von Erziehung, Bildung und Betreuung wird hier eindeutig zugunsten der Bildung aufgegeben, wobei Bildung nun, anders als noch bei Humboldt konzipiert, verkürzt erscheint auf die Aneignung verwend- und abfragbarer Wissensbestände. Ein kritischer und vor allem mehrperspektivischer Anspruch an Bildung, wie ihn Schäfer (2005b) formuliert hat, findet nur mehr randständig Erwähnung und ist nahezu durchgängig von der Vorstellung von der Ko-Konstruktion der Aneignung von Welt unter Führung des Erwachsenen abgelöst worden (vgl. Fthenakis 2003). Ein solcherart einseitig verkürzter Bildungsbegriff negiert:

 

Das Kind muss doch vor allem Sicherheit finden, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Es muss Sicherheit im denkenden und handelnden Umgang mit der Welt haben. Ein Kind braucht emotionale Stabilität, um angemessen lernen zu können. Das gilt besonders für kleine Kinder. Sie benötigen eine sichere Basis in belastbaren Beziehungen, um sich noch unbekannten Aufgaben zu stellen. Denn neue Herausforderungen schaffen Verunsicherungen, mit denen man sich nur konfrontiert, wenn man sich gehalten fühlt, um sein inneres Gleichgewicht auf einem jetzt höheren Niveau wiederfinden zu können (vgl. Gerspach 2006, S.86)

Die erste Aufgabe des Kindergartens ist es daher, diese Sicherheit zu vermitteln, damit ein Kind das oft quälende Wagnis auf sich nimmt, Neues lernen zu wollen. Ein Kind baut sich nur dann auf, „wenn es dies auch selbst will“. Diese Formulierung Milani Comparettis erwuchs aus seiner reichhaltigen Erfahrung als Kinderarzt, Kinderneurologe und -psychiater in der Begegnung mit Kindern mit Behinderung. Sie lehrte ihn, dass auch und gerade ein solches Kind der Hauptakteur seiner eigenen Entwicklung ist, mit der Konsequenz, auf jedwede Stimulation mit „’nackten’, d.h. aus dem Beziehungskontext herausgerissenen Reizen“ total zu verzichten. An die Stelle isolierten Übens – die sicherste Methode, „den Wunsch des Kindes , sich selbst aufzubauen, zu zerstören“ – tritt die dialogisch herzustellende Erfahrung (vgl. Milani Comparetti 1996, S.24f.).

Dass man ein Kind nicht antreiben kann, gilt unisono, unabhängig von möglichen Entwicklungsretardierungen. Seitdem in den aktuell aufgelegten Lernprogrammen diese grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen emotionaler und kognitiver Entwicklung wieder verleugnet werden, tragen wir effektiv dazu bei, Lernunlust erneut zu zementieren.

Die gegenwärtige Bildungsdebatte im Vorschulbereich läuft jedoch Gefahr, Kindheit frühzeitig und über Gebühr mit reinen Wissensansprüchen und Verhaltensnormen zu überfrachten, die den kindlichen Entwicklungsprozessen dieses Lebensabschnitts zuwider laufen. Kinder mit Beeinträchtigungen emotionaler, geistiger oder körperlicher Art finden darin gar keine, bzw. nur mehr eine –  politisch korrekte – randständige Erwähnung. Nicht zufällig kommen die vorherrschenden Standpunkte eigentümlich freudlos daher. So greift ein Förderwahn um sich, der „abweichendes“ Verhalten abtrainieren und erwünschte Kompetenzen antrainieren will. Prominente Akteure, wie etwa Bueb und Winterhoff, plädieren für eine Renaissance unhinterfragbarer pädagogischer Autorität, für ein „Lob der Disziplin“, auf dass die Kinder wieder fähig sind, sich der Mühsal des Lernens und den Anweisungen der Erwachsenen zu unterwerfen. Und nicht zuletzt betonen etwa die Bildungspläne Bayerns und Hessens die Bedeutung der Ko-Konstruktion für kindliche Selbstbildungsprozesse, doch es sind letztlich, wie oben bemerkt, die Erwachsenen, die zu entscheiden haben, welche Kompetenzen die Kinder im Dienste ihrer Selbständigkeit zu erwerben haben (vgl. Naumann 2010, S.9).

Allerdings schütten auch kritische Stimmen gegenüber den ko-konstruktivistischen Konzepten oft das Kind mit dem Bade aus und verfremden den Anspruch an die Selbstbildung dahingehend, dass sich der Erwachsene hier gleichsam komplett zurücknähme und von der Wirksamkeit naturhaft bedingter Entwicklungstendenzen ausgehe. Vielmehr seien geeignete pädagogische Arrangements durch die strukturierende und ordnende Tätigkeit des Erwachsenen anzuregen. Die Rede geht von Bautätigkeit, Gegenständen und von dem dadurch affizierten sensorischen Apparat des Kindes – Bilder einer mechanischen Welt, in der Gefühle, Fantasien und Beziehung keinen Platz finden (vgl. Grell 2010).

Mit all diesen herrschenden Tendenzen geht eine Vorstellung kindlicher Entwicklung einher, die die Kinder als kleine, gut funktionierende Erwachsene erscheinen lässt (vgl. Winterhager-Schmid 2002, S.28). Die implizit durchscheinenden Normalitätserwartungen machen um die Begegnung mit dem „Anderen der Normalität“ (vgl. Mattner 1997, 16) einen großen Bogen. Körperliche Beschädigung und soziale Ausgrenzung lösen Angst aus und fallen dementsprechend der Verleugnung anheim.  

Zudem ist zu vermuten, dass die Erwachsenen gerade in der Auseinandersetzung mit den offenen Glücksansprüchen von Kindern all jene Regungen verdrängen müssen, die ihrem eigenen Funktionieren in einer zunehmend durchökonomisierten Welt entgegenstehen. Doch Erwachsene, die ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle kaum spüren, können Bedürfnisse und Gefühle auch bei den Kindern kaum wahrnehmen. Besonders die in der frühen Kindheit so drängenden kindlichen Gefühle zwischen Lust und Angst, zwischen Ohnmacht und Größenfantasien, sowie die Entwicklungsbedürfnisse nach Autonomie und Bindung drohen so aus dem pädagogischen Blick zu geraten (vgl. Naumann 2010, S.12).

Auf diese Weise wird der Alltag pädagogischer Praxis allzu häufig von der mehr oder minder wohlgemeinten Disziplinierung und Steuerung kindlichen Verhaltens bestimmt. Damit aber wird nicht nur Selbstbildung verhindert, sondern zudem eine pathogene Entwicklung begünstigt (vgl. Figdor 2006a, S.119). Denn all jene unbewältigten Gefühle und Konflikte eines Kindes, die quer zu den Verhaltensnormen der Kita liegen, können somit nicht bearbeitet werden. Stattdessen erscheinen dem Kind diese unsagbaren Gefühle, Bedürfnisse und Fantasien als bedrohlich, „was es vor die Wahl stellt, solche bedrohlichen Selbstanteile abzuwehren oder auf eine gute Beziehung, in welcher sich das Kind vorwiegend geliebt erleben kann, zu verzichten“ (ebd., S.109).

Vor diesem Hintergrund wollen wir in diesem Beitrag die Aufmerksamkeit auf jene Aspekte kindlicher Bildung und Entwicklung richten, die in der herrschenden elementarpädagogischen Debatte kaum beachtet werden (vertiefend hierzu: Gerspach 2006; Naumann 2010). Dies beinhaltet zwingend die Selbstverpflichtung, den Umgang mit Differenz selbstreflexiv in den Blick zu nehmen. Im Sinne der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben alle Kinder im Vorschulalter das Recht auf einen wohnortnahen Betreuungsplatz. Allerdings wäre sicherzustellen, das das Verhältnis von allgemeiner Elementarpädagogik und heilpädagogischen Hilfen vor dem Hintergrund unterschiedlicher kindlicher Entwicklungsbedingungen dialektisch so gestaltet wird, dass die bislang geübte Ausgrenzung nicht unter der Hand zurückkehrt. Der gesellschaftspolitische Anspruch auf Integration bzw. Inklusion kassiert ja weder die besonderen didaktischen und methodischen Kenntnisse der Heilpädagogik, noch kann er der Verleugnung des Unterschieds das Wort reden.

Ohne an dieser Stelle in eine vertiefte Debatte um die Begriffe Integration und Inklusion einsteigen zu wollen, sei darauf verwiesen, dass gute Gründe für den Begriff der Integration sprechen. Auf einer theoretischen Ebene erscheint er umfassender und tiefer als der Begriff der Inklusion, auch wenn er auf der Ebene gesellschaftlicher Praxis nachhaltig deformiert wurde. Vor allem aber ist ein ganz entscheidendes Moment durch den Begriffswechsel unsichtbar geworden. Das Konzept der Integration war von Anfang an eng mit jenem der integrativen Prozesse verbunden. In Anlehnung an die Psychoanalyse ist damit der innerpsychische Vorgang gemeint, Widerstände in der Wahrnehmung von Fremdartigkeit zu erleben, zu reflektieren, auszuhalten und wenn möglich überwinden zu lernen. Nur auf diese Weise einer allmählichen Annäherung, das Anders-sein weder bekämpfen noch verleugnen zu müssen, sondern im Gleichklang mit der eigenen Entwicklung zu respektieren, lässt sich eine frühzeitige Ausgrenzung vermeiden (vgl. Gerspach 2009, S.16 ff.; Klein et al. 1987).

 

2. Anmerkungen zur kindlichen Entwicklung

Nicht von ungefähr ist in den aktuellen Bildungs- und Erziehungsplänen viel von Hochbegabtenförderung zu lesen – dagegen tauchen Kinder mit Behinderung nur am Rande auf, und ihre Förderwürdigkeit wird beiläufig und völlig undifferenziert gestreift. Zu den gängigen Vorstellungen der pädagogischen Psychologie zur Begabung wäre allgemein anzumerken: Hier regiert eine statische Vorstellung von genetisch vorgestanzten Potentialen, die es möglichst frühzeitig und umfassend zu aktivieren gelte.

Die bereits gebildeten und noch zu bildenden neuronalen Verschaltungen und Erregungsmuster werden indessen über die sensorischen Eingänge zunehmend von außen beeinflussbar (vgl. Hüther 2002, S.462ff.). Allen deterministischen Vorstellungen einer Hirnentwicklung, die primär durch genetische Programme gesteuert wird, ist durch den Nachweis der Nutzungsabhängigkeit des Gehirns eine klare Absage zu erteilen. Das genetische Programm versetzt die sich entwickelnden Nervenzellen lediglich in die Lage, sich zu teilen, solange die äußeren und inneren Bedingungen dafür günstig sind. „Es handelt sich also um ein Programm von Optionen, das lediglich festlegt, was unter gewissen Bedingungen möglich ist“ (vgl. Hüther 2006, S.225).

Unter dem Einfluss dieser Umweltfaktoren kommt es darauf an, wann und wie ein Gen aktiviert wird. „Beinahe alles, was das Immunsystem zur Infekt- und Krebsabwehr leistet, hängt nicht vom ‚Text’, sondern von der Regulation von Genen ab (...) Der Aspekt der Genregulation ist größtenteils nicht genetisch vererbbar“ (vgl. Bauer 2005, S.222f.). Die innerhalb der ersten Lebensjahre stattfindende Ausdifferenzierung des Gehirns ist also nicht nur von genetischen Informationen, sondern auch von adäquaten Erfahrungen mit anderen Menschen abhängig. Diese Erfahrung aktiviert spezifische neuronale Verbindungen, so dass darüber neue Synapsen gebildet und bereits vorhandene verstärkt werden.

Dass die Genexpression von einer dynamischen Wechselwirkung mit gedeihlichen Umweltfaktoren abhängt, dabei das in Beziehungskontexte eingebundene Erfahrungslernen die cerebralen Prozesse steuert und dementsprechend keine monokausalen Ableitungen Begabung – operationalisierte Einwirkung – kognitiver Erfolg zulässig sind, wird aus der vorherrschenden behaviouristischen Perspektive Sicht komplett ausgeblendet. Entwicklung, und darin die Bildung eingeschlossen, vermittelt sich indessen über Beziehung, genauer: über das eigene Erleben, sich in seinen Wünschen nach Nähe und Geborgenheit wie dem unaufhaltsamen Drängen nach Autonomie empathisch verstanden und unterstützt zu sehen (vgl. Gerspach 2009, S.77ff.).

Die Untersuchungsergebnisse einer Langzeitstudie der Uniklinik Gießen zu In­teraktion und Dy­na­mik bei Familien mit geistig behinderten Säuglingen belegen im übrigen, dass diese Prämissen allgemein gelten. Jede mentale Schädigung, unabhängig vom zugrundegelegten Pa­rameter und ihrer klinischen Erscheinungsform, ist eingebettet in einen Rahmen, der durch das Erleben der Interaktionserfahrungen mit den primären Objekten beeinflusst wird (vgl. Neu­häuser u.a. 1989, 1990).

Hier erscheint Katzenbachs Hinweis von großer Tragweite, wonach es sich bei Kindern mit Beeinträchtigungen ihres Lernvermögens nicht um eine wie immer zu begreifende kognitive Abweichung, sondern um eine verlangsamte Entwicklung handelt. Inzwischen geht man zwar davon aus, dass Piagets Vorstellung aufeinander folgender Stufen der Intelligenzentwicklung dahingehend zu überdenken sei, dass es hier nicht um eine gleichförmig voranschreitende Entwicklung geht und sich Kinder im Hinblick auf Sprache, räumliche Vorstellung, Zahlenbegriff usf. „durchaus auf unterschiedlichen Entwicklungsniveaus befinden“ (vgl. Katzenbach 2004, S.88f.). Aber der Versuch, Kinder mit Behinderung schlichtweg als anders zu definieren und sie somit einer abgespaltenen Sonderpädagogik zu überstellen, muss damit als theoretisch unhaltbar angesehen werden.

Das Wissen von den entwicklungspsychologischen Grundlagen, wie es uns von Säuglings-, Kleinkind- und Bindungsforschung, aber auch Teilen der Neurowissenschaften nahe gebracht worden ist, verflüchtigt sich leider zusehends. Die Bedeutung früher Affektspiegelungserfahrungen für eine später gelingende Impulskontrolle und den Aufbau genügender Frustrationstoleranz – die Voraussetzungen glückender Lernprozesse – müsste gerade in der Frühpädagogik bekannt sein. Affekte sind die zentralen Organisatoren der Psyche, um die innere wie äußere Wirklichkeit zu erkunden. Man kann sie definieren als psychische Strukturen, die sich aus motivationalen, somatischen, expressiven, kommunikativen sowie emotionalen Komponenten zusammensetzen (vgl. Tyson, Tyson 1997, S.141). Von Anfang an bilden sie die Grundlage der Entwicklung von Objektbeziehungen eines Kindes mit seinen primären Beziehungspartnern. Die Art und Weise, wie ein Kind sich und seine Umgebung wahrnimmt, wird in einem wechselseitigen affektiven Dialog entfaltet (vgl. Moré 1998, S.237). Dieser Dialog bildet das Fundament seines Persönlichkeitsaufbaus.

Dem Schicksal der Affekte aber geht man beinahe systematisch aus dem Weg. Zurück bleibt allein die adultomorphistisch verkopfte Vorstellung kognitiv gesteuerter Aneignungsprozesse. Weil aber die affektive Orientierung des Kindes entwicklungsgeschichtlich vor der kognitiven liegt, dürfen affektive und kognitive Momente nicht auseinanderdividiert werden, ja gehört dem ersten vor dem zweiten die ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Schon René Spitz hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Fähigkeit zur kognitiven Steuerung von Handlungsvollzügen die Orientierung über die Affekte vorausgeht. Auf der ersten Stufe der „coenästhetischen Organisation“ liegt der Schwer­punkt der Wahrnehmung in ex­tensiven Empfindungen, sie hat ihr Zentrum im autonomen Nervensystem und manife­stiert sich in Affekten. Auf der zweiten Stufe der „diakritischen Organi­sa­tion“ findet die Wahrnehmung vermittels peripherer Sinnesorgane statt. Sie hat ihr Zen­trum in der Hirnrinde und manifestiert sich in bewussten Denkprozessen. Die diakritische, nach draußen gerichtete, kogni­tive Wahrnehmung geht aus der coenästhetischen, nach innen gerichteten, emo­tionalen Wahrnehmung hervor, und je intensiver ein Kind seine coenäs­thetische Rezeption ausbilden kann, desto günstiger sind die Voraussetzun­gen, dass die diakritische Perzeption differenziert gelingen kann (vgl. Spitz 1972, S.61ff.).

Umgekehrt bringen Kinder mit besonderen Entwicklungsbedürfnissen auf Grund sich aus ihrer Perspektive schwierig ausnehmender Aufwachsbedingungen – ausgelöst durch eine Melange aus ökonomischen, psychosozialen, oft auch migrationsbedingten Risiken bzw. der somato-psycho-sozialen Erfahrung von Behinderung – ein emotional belastendes Moment in den pädagogischen Berufsalltag ein, weil ihnen meist von Anfang an die gedeihliche Erfahrung gelingender Affektabstimmung erschwert oder gänzlich versagt war. Dies macht eine erhöhte professionelle Kompetenz und eine bessere strukturelle Ausstattung der Einrichtungen erforderlich, was nach mehr Entlastung durch kinderfreie Zeit oder systematisch verankerte Unterstützungsangebote wie Supervision verlangt. Auch dieser Tatbestand wird in der aktuellen Debatte nicht genügend gewürdigt.

Völlig übersehen wird die Eigenheit des kindlichen Wesens mit seiner noch sehr egozentrischen Sichtweise auf alles Geschehen umher. Darin eingeschlossen ist die Bedeutsamkeit seiner affektiven Erfahrungen im Zusammenspiel mit seinen primären Objekten. Die Güte dieser frühen Passung ist für jede weitere Entwicklung auf allen Ebenen richtungsweisend. Und da spielt natürlich auch und besonders die frühkindliche Sexualität eine entscheidende Rolle. Die körperbetonten lustvollen Sensationen im oralen, analen und genitalen Bereich sind ja ein zentrales entwicklungspsychologisches Moment. Eingebettet ist das Maß ihrer Akzeptanz in die Interaktionserfahrungen mit den Elternfiguren, was sich notabene mit vielerlei narzisstischen und ödipalen Fantasien, Wünschen und Ängsten verknüpft. Nicht von ungefähr werden Kinder erst dann eingeschult, wenn diese hitzige Phase weitestgehend abgeklungen ist und sie ihre Impulsivität soweit zu zügeln verstehen, dass sie sich auf schulische Herausforderungen einzulassen bereit sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Missbrauchsdebatte darf dieses Thema nicht erneut tabuiert werden. Es gilt, die kindliche Sexualität zu erkennen wie anzuerkennen, gerade, um die entscheidenden Unterschiede zu den erwachsenen Formen nicht zu verleugnen, was unseres Erachtens die effektivste Form der Prävention darstellt.

Wo dies alles nachrangig behandelt oder in Gänze ausgeschlossen wird, bleibt vom Kind nichts als ein ebenso folg- wie gelehrsames kleines Etwas, das widerspruchslos bestrebt ist, seinen Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen beständig Freude zu bereiten. Alles andere wird schnell pathologisiert und etwa, wie im DSM-IV zum Oppositionellen Trotzverhalten erklärt – wo doch Trotz das altersgemäße Resultat aufkommender Autonomiebestrebungen ist und richtig gelesen sein will. Offenbar ist uns die Fähigkeit abhanden gekommen, Trotz noch zu empfinden bzw. zu erinnern oder einen angemessenen Weg zu finden, Kinder mit den dazugehörenden Spitzenaffekten so zu versöhnen, dass sie reifere Formen der Realisierung von Wirklichkeit finden können. Eine aktuelle Studie geht der Frage nach, ob moderne Bildschirmmedien einen Risikofaktor zur Ausbildung von AD(H)S darstellen (vgl. Maaß et al. 2010). Abgesehen davon, dass innerfamiliär und sozialisationsspezifisch gesehen ein erhöhter Bildschirmmedienkonsum vielleicht einen Indikator für wenig reife Verkehrsformen in risikobehafteten Umwelten darstellt und somit nicht die Ursache, sondern nur einen Teil der Misere markiert, wird hier statistisch festgehalten, dass das Durchschnittsalter der untersuchten Kinder, die verstärkt  Oppositionelles Trotzverhalten zeigten, bei 3,9 Jahren lag. Wohlgemerkt: Es geht hier um Kinder im Vorschulalter und eine Altersspanne, die landläufig als Trotzphase bezeichnet wird.

Die Einbindung der Erwachsenenwelt in die mehr und mehr rigiden Verkehrsformen neoliberaler Vermarktungsstrategien hinterlassen zunehmend eine Pathologie der Normalität, wie es bereits bei Erich Fromm zu lesen war, der alles Aufmüpfige politisch suspekt erscheint. „Die Kranken, das sind die Gesunden. Und die Gesunden, das sind in Wirklichkeit die Kranken“ heißt es da lapidar (vgl. Fromm 2009). Kurzum: Wir befürchten die Rückkehr zu einer Zeit der Betrachtung von Kindern als kleinen Erwachsenen, die vor der Aufklärung lag.

Die Distanzierung von Kindheit als Periode einer noch mangelnden Triebbeherrschung und der Auflehnung gegen Autorität steht in diesem Sinne für die Selbstdistanzierung von einer ebenso libidinös eingefärbten wie gefährlichen Erinnerung. Sie repräsentiert einen massiven unbewussten Widerstand. Und hernach wäre zu fragen, ob die Fokussierung der empirischen Forschung auf Kindheit unter rein didaktischen Aspekten der optimierten Vermittlung von oftmals sinnentstellt erscheinenden Bildungsinhalten nicht aus Angst vor dem eigenen Nichtidentischen im Adornoschen Sinne und Unterwerfung unter die Anpassungsanforderungen der postfordistischen Marktgesetzlichkeiten erfolgt.

Bei Adorno sieht sich das Subjekt in innere wie äußere Widersprüche verstrickt, die die Gebrochenheit seiner Identität hervorbringen. Hierfür verwendet er den Begriff des Nichtidentischen (vgl. Adorno 1990, S.149ff.). Dieses von konfligierenden Kräften bestimmte Verhältnis des Subjekts zu seiner inneren Natur, zu seiner Leiblichkeit und seinen Mitmenschen verlangt danach, das Unbegriffliche daran in Begriffe zu fassen, ohne es dabei „in Begriffe aufzulösen“ (vgl. Wiggershaus 1993, S.673). Immer bleibt ein unauflösbarer Rest. Der Mensch als im letzten unbestimmbares Wesen verlangt geradezu nach Erklärungen für etwas, das nicht erklärt werden kann (Brunkhorst 1990, S.263). Im Nichtidentischen ist der Mensch von sich selbst verschieden, wie er mit sich identisch ist. In diesem Sinne mag es pädagogisch gesehen Sinn machen, sich des Begriffes der Verhaltensstörung zu bedienen, um eine bestimmte psychosoziale Problemsituation zu umschreiben. Gleichzeitig ist er wieder in Zweifel zu ziehen, um einer falschen und individualisierenden Etikettierung vorzubeugen. Identität kennt also die Steuerung durch ein festes Ich – aufgehoben im vernunftgeleiteten Handeln – wie den archaischen „vor-ichlichen Impuls“ (vgl. Adorno 1990, S.221) – nicht zuletzt aufgehoben in der Störung. Identität kann also mit vernunftgeleitetem Handeln nicht in eins gesetzt werden Selbst wenn ein Mensch als weitgehend störungsfrei erscheint, bleibt er mit sich selbst in Teilbereichen immer entzweit.

Postfordismus wiederum bezeichnet die krisenhafte Entwicklung von Massenproduktion und Massenkonsum auf nationalstaatlicher Ebene hin zur rationalisierenden Nutzung unterschiedlicher Standortvorteile auf der Basis neuer Informations- und Datenverarbeitungstechnologien. In ihrem Gefolge finden wir die massenhafte Freisetzung von Lohnabhängigen und den schrittweisen Abschied von einer wohlfahrtsstaatlichen Vollbeschäftigungs- und Verteilungspolitik (vgl. Naumann 2003, S.273). Jetzt, da die kapitalistische Wirtschaft auf unmittelbare Leistung und kurzfristige, auf die Bilanz durchschlagende Resultate abgestellt ist, entsteht die Nachfrage nach dem flexiblen Menschen (vgl. Sennett 1998). Wer sich diesem Tempo nicht anpasst, der droht abgehängt zu werden. Eltern haben Angst, dass dies einmal ihren Kindern passieren wird und unterwerfen sie ziemlich kritiklos diesen neuen Bedingungen des Arbeitsmarktes. Zum einen nimmt nicht wunder, dass mit einer dergestalt beschleunigten Kindheit in der Tempogesellschaft Hyperaktivität zum Normalzustand wird. Zum andern sind die neuen Bildungskonzepte der Elementarpädagogik nur vor diesem Hintergrund richtig zu deuten. Schließlich findet die Entwicklung kindlicher Lernprozesse unter dergestalt veränderten gesellschaftlichen Lebens- und vor allem Beschäftigungsanforderungen in der postindustriellen Gesellschaft statt.

Gerade diejenigen, die sich als kommunikativ und selbstgestaltend wähnen, verleugnen die damit gesetzte Erfahrung von Hierarchie und Zwang und mobilisieren stattdessen ihr narzisstisches Größenselbst, weil sie die Gefühle von Bedrohung und Erniedrigung vermeiden wollen (vgl. Naumann 2003, S.285). Indem sie in die elementarpädagogischen Bildungsziele eben jene jetzt verlangten Kompetenzen von Kommunikation, und Selbstgestaltung vollkommen affirmativ hineinformulieren, verlagern sie die Beschädigung des eigenen Selbst projektiv auf die Kindheit. Dies aber verhindert Bildung in einem emphatischen Sinne, unterminiert die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und schadet in erster Linie den Kindern. Demgegenüber möchten wir in den folgenden Abschnitten skizzieren, wie eine an den kindlichen Entwicklungsbedürfnissen orientierte Elementarpädagogik praktisch gestaltet werden kann.

 

3. Selbstbildung und Verständigung

Selbstbildung und Verständigung
Zurecht wird in der aktuellen pädagogischen Debatte betont, dass Kinder nicht gebildet werden können, sondern dass kindliche Bildung nur als Selbstbildung gelingen kann. Dabei aber sind die Kinder auf einen förderlichen Rahmen angewiesen. Hier stehen die Erwachsenen in der Verantwortung zur Erziehung, zur Bereitstellung von Zeit, Raum und Material einerseits und von verlässlichen, dialogischen Beziehungen andererseits (vgl. Laewen 2002, S.72). „Da der Mensch nur als erzogener die Möglichkeit der (Selbst-)Bildung hat, ist Erziehung zwar eine Antithese von Bildung, zugleich auch ihre Voraussetzung“ (Eggert-Schmid Noerr 2009, S.187). Erziehung will den Kindern ein selbstbestimmtes Hineinwachsen in die Gesellschaft eröffnen, und muss sich zugleich Schritt für Schritt überflüssig machen.

Gerd E. Schäfer hat für die frühkindliche Entwicklung den unabdingbaren Zusammenhang von Selbstbildung und Verständigung herausgearbeitet. Verständigung meint die szenische, emotionale und sprachliche Einigung zwischen Menschen über den gemeinsamen Sinn einer geteilten Erfahrung. Verständigung gelingt durch die Freude am kindlichen Erleben, durch Empathie dem besonderen Kind gegenüber und durch das Zumuten einer äußeren Realität, die an die innere Realität des Kindes Anschluss findet: Wenn ein dreijähriges Kind über die Sonne philosophiert, ist diese vielleicht wie die Mama oder der Papa, und später wird sie Schritt für Schritt auch zu einem naturwissenschaftlichen Phänomen (vgl. Naumann 2010, S.120). Im Rahmen genügend guter Verständigung kann dann Selbstbildung voranschreiten, und zwar als innere Dynamik der Bewertung, Verarbeitung und Verinnerlichung der Interaktionserfahrungen, die immer differenziertere Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten eröffnet (vgl. Schäfer 2005a, S.52ff.).

Bildung der Sinnlichkeit
Die Begleitung von Selbstbildung fordert demnach die Berücksichtigung der Eigenlogik kindlicher Entwicklungsprozesse. „Frühkindliche Bildung scheint in den ersten Lebensjahren vornehmlich ‚ästhetische Bildung’ zu sein, also Bildung des Handelns und Denkens mithilfe der Sinne, des Körpers, der Emotionen und der daraus entstehenden repräsentativen Welt“ (Schäfer 2006, S.65). Diese Bildung der Sinnlichkeit ist deshalb so wichtig für die kindliche Entwicklung, weil die Kinder nur solche Erfahrungen mit Bedeutung besetzen können, die sie auch wahrnehmen. Die sinnliche Wahrnehmung ist damit Vorläufer und Begleiter der Fantasieentwicklung und des sprachlichen Denkens (vgl. Schäfer 2005a, S.138f.). Wenn die sinnlichen Eindrücke vielfältig und nicht allzu beängstigend sind, kann sich auch eine reichhaltige und kreative Fantasietätigkeit bilden. Sodann kann auch ein sprachliches Denken wachsen, das sowohl die inneren Zustände und Bedürfnisse als auch die äußere Wirklichkeit zu benennen vermag.[1]

Spielen
Mit diesem Fundus von sinnlicher Wahrnehmung, Fantasie und Sprache ausgestattet, treten die Kinder in immer weitere Interaktionen mit der sozialen und dinglichen Welt, konstruieren Sinn und betreiben forschendes Lernen. Das zentrale Medium der frühkindlichen Selbstbildung ist das Spiel – ob als Explorationsspiel, Konstruktionsspiel, Als-ob-Spiel oder später als anspruchsvolles Rollen- und Regelspiel (vgl. Riemann/Wüstenberg 2004, S.44ff.). Im Spiel wird geforscht, ausprobiert und Wirklichkeit vergegenwärtigt; im Spiel machen die Kinder die Erfahrung von Absprachen, Reziprozität und Verständigung; und im Spiel sind auch Selbstheilungskräfte in Form der Verarbeitung emotionaler Themen angelegt (vgl. Schäfer 2005a, S.104). Das Spiel ist „die Externalisierung eines Gefühlszustandes und dessen Verankerung in einer Spielfigur, mit der das Kind sich identifiziert. Dieser Vorgang wirkt schon als solcher ein Stück weit beruhigend“ (Dornes 2000, S.204). Darüber hinaus erhält das Kind von seinen kindlichen oder erwachsenen Spielgefährten Antworten auf die Spielfigur, die dann als bedeutsame Interaktionserfahrung verinnerlicht werden können (vgl. ebd.). Es entsteht ein „Übergangsraum“ (Winnicott), in dem das Kind seine Themen, Wünsche und Ängste in Szene setzen und mit der Wirklichkeit abgleichen kann, ohne die Überwältigung durch innere destruktive Impulse oder äußere Sanktionen befürchten zu müssen. „Weil die Kinder die Gesetze der Wirklichkeit noch nicht kennen, weil für sie aber auch wichtig ist, ihre eigenen Wünsche und Hoffnungen in die Wirklichkeit hineinzutragen, um ein Leben zu leben, das als sinnvoll und erfüllt erlebt werden kann, brauchen sie einen Spielraum, in dem sie ausprobieren können, wie viel Wunschwelt die Wirklichkeit verträgt und wie viel Wirklichkeit notwendig ist, damit die Wünsche nicht nur Fantasie bleiben. Kinder brauchen Spiel, um Utopie und Wirklichkeit miteinander zu versöhnen“ (Schäfer 2005a, S.108). Besonders die Kindergruppe bietet hier einen „Übergangsraum“, in dem die Kinder ihre persönlichen Dramen, ihre familialen Konstellationen, ihre Fragen nach geschlechtlichen und kulturellen Differenzen und ihren Forschungsdrang spielerisch inszenieren können, um damit Lust, Erkenntnis und erweiterte Handlungsfähigkeit zu gewinnen (vertiefend dazu: Brandes 2009).

Pädagogische Beziehung
Um nun diese Selbstbildungspotenziale zu entfalten, brauchen die Kinder keine Instruktionen und keinen Unterricht, sondern einen Spielraum mit einer anregungsreichen Umwelt, mit einer stabilen Kindergruppe und mit erwachsenen Bezugspersonen, die konstant verfügbar sind und ihnen mit der Bereitschaft zur Verständigung begegnen (vgl. Schäfer 2006, S.65; Trescher 2001, S.185). Psychoanalytisch betrachtet ist Verständigung nichts anderes als die pädagogisch fundierte Spiegelung und Markierung der Affekte der Kinder, eine symbolisierende Antwort auf die kindlichen Themen, Bedürfnisse und Fragen. In der pädagogischen Beziehungsarbeit sollte der Aufbau guter innerer Objekte und Ich-stärkender Identifizierungen unterstützt werden. Sie sollte zur Milderung narzisstischer Kränkungen infolge der Wiederannäherungskrise, zu einigermaßen angstfreien Vorstellungen geschlechtlicher und kultureller Differenz sowie zur Bildung eines freundlichen Über-Ichs beitragen. Und in diesem Sinne sollte sie den Kindern Erfahrungen der Triangulierung ermöglichen, in denen das „Dritte“ in Gestalt anderer Kinder oder der Bezugspersonen erlebt und verinnerlicht werden kann (vgl. Figdor 2006a, S.104; Leuzinger-Bohleber et al. 2006, S.243). Sind auf diese Weise die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder genügend gut befriedigt, können sie die Verunsicherungen und Herausforderungen des Selbstbildungsprozesses, den Kontakt mit Neuem und Fremdem, bewältigen (vgl. Krebs 2009, S.210). Wenn dieser Verständigungsprozess scheitert, erscheint die Welt als bedrohlicher Ort, vor dem sich das Kind schützen muss. Gelingt er aber, kann das Kind die Welt, ihre Menschen und Dinge libidinös und narzisstisch besetzen und immer weiter neugierig erforschen.[2]

Hier kommt auch noch einmal der Aspekt von Integration bzw. Inklusion zum Tragen. Die Einigungsvorgänge in der konflikthaften Dynamik von Annäherung und Abgrenzung in der Auseinandersetzung mit dem Thema Umgang mit Kindern mit Behinderung spielen sich auf der innerpsychischen, der interaktionellen, der institutionellen und der kulturell-gesellschaftlichen Ebene ab. Auf die pädagogische Beziehungspraxis bezogen heißt dies, dass zwischen den Pädagog/innen und dem Kind Einigungen zustande kommen sollen, bei welchen keiner den anderen dominiert oder von diesem dominiert wird. Diese Einigungen beziehen sich auf das, was als zuträglich für das soziale Klima einer Einrichtung erachtet wird, aber auch auf Einigungen zwischen den eigenen „widersprüchlichen innerpsychischen Anteilen“ (vgl. Kron 1994, S.124; Klein et al. 1987). Das Lernziel ist, die Differenz als Teil menschlicher Realität anzuerkennen, ohne auf die Verfolgung der Andersartigkeit zurückzufallen. Wechselseitige Annäherung und Abgrenzung sind den integrativen Prozessen konstitutiv. Damit sind pädagogische Prozesse im letzten als innere gekennzeichnet. Genau dieser Aspekt wird von den neuen Begrifflichkeiten innerhalb des elementarpädagogischen Diskurses nicht mehr erfasst.

 

4. Pädagogisches Setting

Eingewöhnung
Damit die Kindertageseinrichtung als Entwicklungs- und Bildungsraum genutzt werden kann, müssen die Kinder zunächst die Trennung von ihren primären Bezugspersonen bewältigen. Dies ist vor allem für Kinder schwierig, die neu in eine Kindergruppe kommen, doch bleibt die allmorgendliche Trennung für alle Kinder eine Situation, die potenziell mit Angst, Wut oder Trauer verknüpft ist. Dabei ist es wichtig, auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Kinder einzugehen. Bindungstheoretisch betrachtet, zeigen manche Kinder ihre Trauer, lassen sich aber gut trösten, andere werden von der Ambivalenz zwischen Angst und Wut überwältigt und wieder andere scheinen von der Trennung unbeeindruckt, stehen innerlich aber unter starkem Stress. Doch nicht nur die Persönlichkeiten der Kinder, sondern auch ihre aktuelle Lebenssituation muss beachtet werden, weil diese dazu beiträgt, dass sich die Kinder mal leichter und mal schwerer trennen können. Es braucht demnach an jedem Tag und für jedes Kind eine verlässliche, empathische, herzliche und ritualisierte Begrüßung.

Über diese Begrüßung hinaus erweisen sich die folgenden Ideen für den Umgang mit Trennung als hilfreich. So kann für Kinder, die neu in die Kindergruppe kommen, das Bedrohlich-Fremde der Situation durch einen mit der Gruppe vorbereiteten, interessierten und freundlichen Empfang sowie durch einen freiwilligen Mentor abgemildert werden (vgl. Figdor 2006a, S.111). Des Weiteren kann die morgendliche Verlustangst aufgefangen werden, indem das Kind gemeinsam mit der elterlichen Bezugsperson konkrete Bilder zu ihrem getrennten Tagesablauf und ihrem Wiedersehen entwerfen (vgl. ebd., S.111f.). Daran anknüpfend kann die Konstanz der guten Objekte durch die symbolische Repräsentation der primären Bezugspersonen in der Kindertageseinrichtung gestützt werden. Diese symbolische Präsenz verleiht dem Kind Sicherheit und erleichtert triangulierende Erfahrungen mit „Dritten“, mit anderen Kindern und pädagogischen Bezugspersonen hin zu neuen Formen des Selbsterlebens und des Welterforschens (vgl. ebd., S.112f.).[3]

Raumgestaltung
Die Reggio-Pädagogik spricht aus gutem Grund vom „Raum als drittem Erzieher“, weil jede räumliche Gestaltung bestimmte Erfahrungen eröffnet, die die Kinder dann verinnerlichen (vgl. Knauf 2000, S.195ff.). Deshalb sollten für jede Gruppe verschiedene Räume mit vielfältigen Materialien offen stehen, in denen die Kinder ihre Bedürfnisse und Themen in Szene setzen können und die zugleich neue Erfahrungen ermöglichen. Dazu braucht es zunächst Räume und Materialien, in denen die Kinder ihre Fragen geschlechtlicher, sozialer und kultureller Identität gemeinsam mit den anderen Kindern als Erfahrung der Vielfalt bearbeiten können (vgl. Figdor 2006a, S.117). Darüber hinaus braucht es Räume und Materialien, die den sinnlichen Reichtum kindlicher Wahrnehmung spürbar machen. Mit ihren Fernsinnen erleben die Kinder die Unterschiede zwischen laut und leise, Farben und Klängen, fern und nah, oben und unten, hell und dunkel, wohlriechend oder eher stinkend. Ebenso erleben sie mit ihren Körperwahrnehmungen sich selbst in der Welt, wenn sie etwa ein Podest zunächst mit mulmigem Gefühl erklimmen, das sich beim Herunterspringen in ein eigenartig großartiges Ziehen und schließlich in Stolz verwandelt, wenn sie beim Versteck spielen ihren Herzschlag spüren, oder wenn sie Materialien ertasten und spüren, wie sie diese Materialien wirksam gestalten können. Nicht zuletzt erleben die Kinder ihre fernsinnlichen und körperlichen Erfahrungen im Zusammenspiel mit emotionaler Wahrnehmung, also der Bedeutung der im Raum erlebten Beziehungen zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu den Dingen. Kurzum, die Kinder benötigen Räume für wilde Abenteuer ebenso wie für besinnlichen Rückzug (vgl. Franz/Vollmert 2005, S.11ff.). Wenn die Gruppenräume eine zentrale Basis sind, können Schritt für Schritt jene Räume erobert werden, die in konzentrischen Kreisen um die Gruppe herum liegen. Dazu zählen die Räume anderer Gruppen, die Kindertageseinrichtung als Ganzes, das Außengelände, bis hin zur sozialräumlichen Umgebung und der Entdeckung natürlicher und kultureller Umwelten.

Affektfreundlichkeit
Begünstigt wird dieses gleichermaßen wichtige wie lebendige Geschehen, wenn das gesamte Setting affektfreundlich gestaltet ist und alle Gefühle, nicht nur die üblicherweise geschätzten prosozialen zum Ausdruck kommen dürfen, denn nur dann können sich auch Wut, Angst oder Traurigkeit weiter differenzieren. Dazu dienen, neben dem Spielraum, eine gute Ausstattung mit Schminke, Verkleidungsutensilien und weiteren kreativen Materialien, die zu freiem Ausdruck und szenischem Spiel einladen (vgl. Figdor 2006a, S.114f.). Aber auch von den pädagogischen Bezugspersonen begrenzte und moderierte Situationen, in denen die Selbstverständlichkeit, angstfrei Gefühle zu entdecken, mitzuteilen und darüber zu kommunizieren, erfahrbar wird. Hier bieten sich zum Beispiel Sitz- oder Liegekreise an, in denen die Kinder von ihren Erlebnissen und Gefühlen erzählen, aber auch eine sinnverstehende Psychomotorik. Entscheidend dabei ist, dass die behandelten Gefühle aus dem gemeinsamen Gruppenprozess heraus entstehen, dass keine Themen aufgezwungen werden und dass sich alle, inklusive der Bezugspersonen, an diesem Austausch beteiligen können.

Partizipation
Die Voraussetzung dafür, dass die Kinder Spielräume nutzen können, ist ihre alltägliche Partizipation an den Belangen der Kindertageseinrichtung. Dies betrifft zunächst ganz schlicht die selbstverständliche Nutzung von Räumen und Materialien. Diese sollten für alle Kinder so weit als möglich frei zugänglich sein, damit sie im Sinne des Ausdrucks und der Bearbeitung ihrer Themen überhaupt verwendet werden können. Ebenso sollten die Räume nicht nur frei zugänglich sein, sondern die Möglichkeit der Umgestaltung bieten, sodass eine Höhle, eine Burg oder eine Bewegungsbaustelle entstehen kann. Hier kann der bewährte Morgenkreis dazu dienen, die Wünsche für die Tagesgestaltung mitzuteilen und abzustimmen. Doch nicht nur im Hinblick auf das tägliche Spiel gilt es, die Kinder mit einzubeziehen, sondern auch bei Fragen der Gestaltung des gemeinsamen Raums und der gemeinsamen Regeln. Dabei können die Kinder in Kinderkonferenzen die selbstverständliche Erfahrung der Mitsprache machen, die für die Entwicklung der Kinder von unschätzbarem Wert ist. Im Hinblick auf die Regeln heißt es etwa bei Leuzinger-Bohleber: „Das sukzessive Entwickeln eines sozialen Regelsystems, das dem Kind nicht autoritär aufgesetzt, sondern in einem emotional tragenden, sicheren Beziehungsgefüge mit dem Kind ‚ausgehandelt’ und dem Entwicklungsalter entsprechend gemeinsam ›gelernt‹ und ‚reflektiert’ wird, ist die Voraussetzung für Internalisierungsprozesse, die nicht durch eine Unterwerfung, sondern durch eine Stabilisierung von Selbst und Autonomie gekennzeichnet sind“ (Leuzinger-Bohleber et al. 2006, S.243).
In einer wunderbaren Formulierung der Freinet-Pädagogik wird es auf den Punkt gebracht: »Den Kindern das Wort geben« (vgl. Klein 2002, S.27ff.). Einerseits kommen die Kinder von ihren Bedürfnissen aus zum Sprechen, sie bringen ihre Wünsche, Interessen und Ideen in die Gruppe ein, stimmen sie miteinander ab und erleben ihre Selbstwirksamkeit, indem ihr Wort sich in der Alltagspraxis, in den Tätigkeiten, Räumen und Regeln materialisiert.[4] Andererseits erhalten sie aber auch Antwort, nicht nur von anderen Kindern, sondern natürlich auch von den Bezugspersonen, die den Kindern mit ihrer Empathie ebenso wie mit ihren eigenen Vorschlägen zur Gestaltung des Alltags, des Raums und der Regeln begegnen.

 

5. Pädagogische Haltung

Holding und Containing
»Der Versuch zur wechselseitigen Verständigung bildet die Basis jeder Pädagogik der frühen Kindheit« (Schäfer et al. 2005, S.203). Psychoanalytisch gesprochen umfasst die Verständigung auch das „Holding“ (Winnicott) durch die Bezugspersonen, die den Kindern die Sicherheit und Geborgenheit spenden, von der aus die Kinder die (Nach-)Entwicklung ihrer inneren Regulationssysteme und die Exploration der Welt wagen können (vgl. Leuzinger-Bohleber et al. 2006, S.243). Darüber hinaus brauchen die Bezugspersonen die Fähigkeit des „Containing“ (Bion), damit sie auch die unbewältigten Affekte der Kinder, wie etwa überbordende Angst oder Wut, in sich aufnehmen und den Kindern in „verdauter“, symbolisierter Form zurückgeben (vgl. Steinhardt 2006, S.10). Dies gilt freilich auch für das Gruppengeschehen. Zum Beispiel bietet es sich bei wiederkehrender heftiger Wut in der Gruppe an, zunächst dem bloßen Pochen auf Einhalten der Regeln zu widerstehen, und stattdessen den Kindern den Raum für Gespräche oder für kreative Projekte zu geben, in dem die verschiedenen Erfahrungen und Fantasien zum Thema Wut zum Ausdruck kommen und in einen Verständigungsprozess eingebracht werden können. Dieses Containing der Gruppenaffekte und ihre symbolisierende Verarbeitung, ermöglicht nicht nur ein positives Lebensgefühl, sondern fördert obendrein Empathie und reflektierendes Denken der Kinder (vgl. Hayne 2004, S.102).

Verantwortete Schuld
Eine an Bedürfnissen und Gefühlen orientierte Praxis eröffnet einen lebendigen Alltag und entlastet diesen zugleich von übermäßigen Eingriffen und Sanktionen. Gleichwohl kann nicht verleugnet werden, dass die Kinder jeden Tag mit einer Menge Einschränkungen, Frustrationen und Verboten konfrontiert sind. Hier bietet sich eine Haltung an, die Helmuth Figdor „verantwortete Schuld“ nennt. Es muss zunächst betont werden, dass die oben geforderte Haltefunktion der Pädagogen nicht mit der pädagogischen Illusion verwechselt werden darf, ein Pädagoge müsse in der Lage sein, die Kinder vor jedweder Frustration zu bewahren. Denn einerseits stellen Frustrationen auch eine Herausforderung dar, deren Bewältigung die Selbstbildung befördert. Andererseits ist die besagte Illusion meist entweder von der Größenfantasie gespeist, alle Bedürfnisse der Kinder erfüllen zu können, oder von der unbewussten Angst vor der Wut der Kinder im Falle ihrer Frustration. Dies führt schnell zur Willfährigkeit den spontanen Wünschen der Kinder gegenüber, bis hin zur drohenden Selbstaufopferung, oder, als Reaktionsbildung, zur Umdeutung kindlicher Bedürfnisse als Ausdruck purer Renitenz (vgl. Figdor 2006b, S.121).

Demgegenüber bietet die Haltung der verantworteten Schuld einen kreativen Ausweg. Denn selbstverständlich werden wir den Kindern gegenüber „schuldig“, wenn wir ihnen notwendige Versagungen und Frustrationen zumuten. Doch können wir diese Schuld verantworten, weil wir in bestimmten Situationen die Bedürfnisse der Kinder schlicht nicht befriedigen können oder weil wir die Kinder vor Gefahren schützen müssen. Entscheidend ist, mit den Kindern identifiziert zu bleiben, mit ihrem Bedürfnis ebenso wie mit ihrer Wut, wenn dieses nicht befriedigt werden kann, und vor allem mit ihren langfristigen Entwicklungsbedürfnissen nach Bindung und Autonomie, die durch situative Frustrationen nicht tangiert sein müssen. Auf diese Weise bleibt der empathische Kontakt zu den Kindern erhalten, Wiedergutmachungsimpulse werden spürbar und nicht zuletzt wird auch der Blick auf übermäßig schwierige, verbotsträchtige Arbeitsbedingungen geschärft (vgl. ebd., S.122).

Selbstreflexion
In der pädagogischen Praxis mit Kindern tauchen unweigerlich die erlebten und ersehnten Szenen der je eigenen Kindheitsgeschichte auf. Hier besteht die Gefahr, dass die Pädagogen ihre eigene unbewusste Konflikt- und Übertragungsbereitschaft an den Kindern ausagieren. So mag ein Pädagoge bei einem unsicheren und weinerlichen Kind auf der kognitiven Ebene zwar durchaus wissen, was es braucht, aber zugleich auf der affektiven Ebene, im Ton, in der Weise, das Kind zu halten und zu trösten, überwiegend Ablehnung zeigen, weil die Weinerlichkeit allzu sehr an eigene schmerzhafte Erfahrungen der Kleinheit und Bedürftigkeit erinnert, die durch die Lebensgeschichte bis hin zur Berufswahl mühsam überdeckt werden mussten. Ein anderer Pädagoge empfindet die aggressiven Anwürfe eines Kindes vielleicht ausschließlich als persönlichen Angriff, weil sie die Erfahrungen mit den eigenen übergriffigen Eltern triggern, die doch mit der Berufswahl, mit dem Selbstbild als verständnisvoller Pädagoge geheilt werden sollten. Die Folge ist entweder hilfloser Rückzug oder der persönliche Gegenangriff (vgl. Naumann 2010, S.153). Um solche Wirrungen zu vermeiden, ist die Auseinandersetzung mit den glücklichen und schmerzhaften Anteilen der eigenen Kindheit und Lebensgeschichte bis hin zur Berufswahl unerlässlich.

Szenisches Verstehen
Das szenische Verstehen ist eine wesentliche Ressource pädagogischer Praxis. Es richtet sich nicht auf isolierte Verhaltensweisen, sondern auf den Sinn von Szenen, die sich zwischen dem Kind und seinen Interaktionspartnern, ob andere Kinder oder erwachsene Bezugspersonen, in einem bestimmten institutionellen Rahmen ereignen (vgl. Lorenzer 1973, S.141ff.). Jedes Kind setzt in der Kindertageseinrichtung auch seine glücklichen und schmerzhaften, ersehnten oder erlebten Vorerfahrungen in Szene. Auf die Übertragung des Kindes folgt unweigerlich eine Gegenübertragung des Pädagogen. Während die glücklichen Anteile die vom Kind erlebte Liebe und den elterlichen Stolz spürbar machen, lösen die konflikthaften, kränkenden und unbewältigten Beziehungsmuster eine Gegenübertragung aus, die zunächst irritiert. Doch auch und gerade diese verstörenden Gefühle sind eine wichtige Erkenntnisquelle für den Pädagogen. Denn wenn diese Gegenübertragung verstanden wird, rücken entweder jene Selbstanteile des Kindes in die Wahrnehmung, die es nicht ertragen und symbolisieren kann, oder die Objektanteile, die Art und Weise, wie das Kind seine primären Bezugspersonen erlebt hat (vgl. Gerspach 2006, S.127). Wenn etwa ein überbordend aggressiv wirkendes Kind im Pädagogen eine massive Ohnmacht erzeugt, kann dies ein Hinweis auf die vom Kind erlebte Ohnmacht sein, die es eben mit seiner Aggression verzweifelt zu bannen versucht. Hier sind die Pädagogen aufgerufen, die Wut und die Ohnmacht zu halten, und dem Kind Beziehungsangebote zu machen, die zur symbolisierten Integration der heftigen Affekte beitragen. Nicht zuletzt sollten die Pädagogen im Sinne szenischen Verstehens auch untersuchen, inwiefern Konflikte weniger auf die biografischen Vorerfahrungen der Kinder als auf ängstigende oder spaltende Bedingungen in der Kindertageseinrichtung zurückzuführen sind (vgl. Naumann 2010, S.132).

                              
6. Resümee

Kindliche Entwicklung kann nicht als gelungen gelten, wenn die Kinder „selbstständig“ einem „angemessenen“ Verhalten folgen, sondern nur wenn sie widerspenstige Selbstbestimmung ebenso wie Bindungsfähigkeit und Solidarität im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten verwirklichen können. Kindliche Bildung ist keine Ansammlung von Kompetenzen, sondern die Fähigkeit zur Gestaltung der Welt im Sinne eigener und allgemeiner Bedürfnisse. Und Aufgabe der Erziehung ist nicht das Training oder die Disziplinierung der Kinder im Sinne vorgegebener Normen, sondern die Gestaltung eines Rahmens für Fantasie, Dialog, Partizipation und forschendes Lernen – dies gilt für alle Kinder!

Ein solches elementarpädagogisches Verständnis eröffnet eine lebendige und freudvolle Alltagspraxis. Es erfordert aber auch vielfältige Fähigkeiten der pädagogischen Bezugspersonen, um ihrer anspruchs- und verantwortungsvollen Aufgabe gerecht werden zu können. Trainingsprogramme, Erziehungstechnik und Förderwahn zerstören die elementarpädagogischen Entwicklungsräume. Stattdessen ist dringend geboten, genügend Zeit, regelmäßige Supervision, Fortbildung und selbstbestimmte Konzeptentwicklung im Sinne verstehender Praxis durchzusetzen.

 

7. Literatur

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[1] Hier zeigt sich auch der Zusammenhang von Sprachentwicklung und Beziehungserfahrungen. Im besten Fall symbolisiert die Sprache sowohl die Bedürfnisse und das innere Erleben des Kindes als auch die äußere Ordnung der Dinge. Die Voraussetzung dazu ist aber eine geglückte Loslösung des Kindes von seiner primären Bezugsperson, die es dem Kind erlaubt, die Bezugsperson auch bei ihrer Abwesenheit als gutes Objekt innerlich zu symbolisieren (vgl. Schäfer 2005b, S.121ff.). Darauf aufbauend kann das Kind zunehmend über Menschen und Dinge nachdenken und sprechen, die nicht unmittelbar anwesend sind (vgl. Gerspach 2006, S.138). Auf diese Weise kann die Fähigkeit zur Mentalisierung wachsen, das Bewusstsein einer getrennten Welt, mit der gleichwohl eine bedürfnisorientierte Kommunikation möglich ist. Umgekehrt muss Mentalisierung (vorerst) scheitern, wenn das Kind sich nicht getrennt zu denken wagt, weil die Trennung von der primären Bezugsperson als zu bedrohlich erlebt wird.

[2] Was die Psychoanalytische Pädagogik schon länger weiß, bestätigt in jüngerer Vergangenheit auch die moderne Hirnforschung. Ob im Hinblick auf die neuronale Verschaltungen im Gehirn, die Ausschüttung von Botenstoffen oder gar die Aktivität von Genen – es sind soziale Erfahrungen und deren psychische Erlebniseindrücke, die das Gehirn gleichsam in biologische Signale verwandelt (vgl. Bauer 2009, S.196). Diese Erkenntnis ist auch für die Selbstbildung wesentlich: „Was die Motivationssysteme des menschlichen Gehirns aktiviert, ist die Beachtung, das Interesse, die Zuwendung und die Sympathie anderer Menschen, was sie inaktiviert, ist soziale Ausgrenzung und Isolation“ (ebd., S.197).

[3] Empfohlen sei an dieser Stelle das bindungstheoretisch fundierte „Berliner Eingewöhnungsmodell“ (Hédervári-Heller 2007).

[4] Im Rahmen der Kindertageseinrichtung ergibt sich daraus der sinnvollste Weg zur Sprachförderung. Diese kann nicht gelingen, wenn die Kinder durch Trainingsprogramme mit Worten und Sprachnormen konfrontiert werden, die sie mit ihrem inneren Erleben kaum zu verknüpfen vermögen. Wenn hingegen die Kindertageseinrichtung als Spiel- und Sprachraum verstanden wird, wenn die Kinder das Wort erhalten, von ihren Bedürfnissen und Interessen aus mitsprechen und darauf empathische und erweiternde Antworten bekommen, ist der Autonomie, der Empathiefähigkeit und der Sprachentwicklung deutlich mehr gedient (vgl. Gerspach 2006, S.139).