Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, die Ausgabe 4/2010 der Zeitschrift Inklusion Online präsentieren zu können. In der Inklusionsdebatte wird die Bedeutung von sozialer Ungleichheit und Armut bisher selten thematisiert. In dieser Ausgabe widmen wir uns deshalb dem Themenbereich „Armut“ vor dem Hintergrund inklusiver Forderungen und Handlungsstrategien. Acht Beiträge beleuchten das Gebiet aus unterschiedlichen Perspektiven. Zusätzlich finden Sie unter der Rubrik „Tagungshinweise und Berichte“ Eindrücke der Arbeitstagung für empirische sonderpädagogische Forschung 2010.

Im ersten Beitrag dieser Ausgabe befasst sich Frank J. Müller mit der derzeitigen Situation im Primarbereich Berliner Schulen. Im Zusammenhang mit einem Indikator für Armut zeigt er Interdependenzen zu den Kategorien nichtdeutsche Herkunftssprache und sonderpädagogischer Förderbedarf auf und stellt die Ergebnisse den Daten aus dem Sozialstrukturatlas gegenüber. Dabei werden auch die Schwierigkeiten bei der Ressourcenverteilung aufgegriffen.

In einem zweiten Beitrag zeigt Thomas Müller in welchem Ausmaß Kinder und Jugendliche, die in Armut leben, von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten ausgeschlossen werden. Zwei Untersuchungen zur Wahrnehmung der Kinderarmut durch Lehrkräfte zeigen, dass die Inklusion armer und sozial benachteiligter Kinder nicht nur eine bislang kaum wahrgenommene Aufgabe ist, sondern auch, in welchem Ausmaß sich Schule an der Exklusion dieser Kinder beteiligt.

Martin Schenk befasst sich mit dem Zusammenhang von Armut und zukunftsbezogenen Lebensperspektiven von Kindern. Je sozial gespaltener eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert. Umgekehrt gilt: Je mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtigt sind die Zukunftschancen sozial benachteiligter Kinder. Bildung ist einer der effektivsten Faktoren, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Kindbezogene Armutsprävention erfordert eine ausreichende und qualifizierte Infrastruktur für Kinder und ihre Eltern/Familien.

Gerda Holz thematisiert die Rolle der Kommune sowohl als Lebensort ihrer Bürger/-innen als auch als Garant sozialer Daseinsvorsorge gerade für die kindbezogene Armutsprävention. Es werden bereits vorhandene Ansätze kommunaler Armutsprävention für Kinder vorgestellt, wobei zwischen integrierten Gesamtansätzen und komplexen Teilansätzen zu differenzieren ist. Insgesamt stellt Gerda Holz eine Zurückhaltung in der theoretischen Diskussion und in der praktischen Umsetzung präventiver Handlungsansätze fest.

Hans Weiß thematisiert Kinderarmut als Herausforderung für eine inklusive Perspektive. Auf der Grundlage eines lebenslagebezogenen Armutskonzeptes werden deprivierende Wirkungen von Armut und Benachteiligung auf Kinder mit und ohne biologische Schädigungen aufgezeigt. Der Beitrag regt dazu an, das Verhältnis der Anerkennung von Verschiedenheit und ausgleichender Gerechtigkeit aus einer kritischen Inklusionsperspektive genauer zu analysieren. Einrichtungen des Elementar- und Schulbereichs sind im Hinblick auf kontextsensitive Bildungsangebote für Kinder in Armut weiterzuentwickeln.

Christoph Butterwegge geht davon aus, dass der Prozess der Umstrukturierung fast aller Gesellschaftsbereiche nach Markterfordernissen für soziale Polarisierungs- und Prekarisierungstendenzen verantwortlich ist. Die Wurzeln des vermehrten Auftretens von (Kinder-)Armut liegen auf den Ebenen der Produktion (Aushöhlung des „Normalarbeitsverhältnisses“), der Reproduktion (Auflösung der „Normalfamilie“) und der des Sozialstaates (Abbau von Sicherungselementen). Interventions- und Präventionsmaßnahmen erfordern vor allem ein verbessertes Zusammenwirken von Schule und Jugendhilfe. Nur wenn sich (Sozial-)Pädagogik und (Regierungs-)Politik ergänzen, lässt sich die Armut von Kindern erfolgreich bekämpfen.

Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen. Wolfgang Gern, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (NAK), skizziert in sieben Thesen die aktuellen Bedingungen und Entwicklungen von Armut in Deutschland. Aus der Sicht der Nationalen Armutskonferenz werden Positionen zur Überwindung von Kinderarmut, zur Verringerung des Niedriglohnsektors, zu Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung und zur Stärkung des Sozialstaats artikuliert.

Für Kirsten Puhr und Anne Bayhas sind das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung sowie die aktuellen Diskussionen um die Kürzung von Sozialleistungen Anlass für ihre Betrachtungen zum Thema Kinderarmut. Mit welchen Maßnahmen agiert die deutsche Sozialpolitik im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung? Nach der Auseinandersetzung mit der Fragestellung werden Konsequenzen dieser politischen Entscheidungen für Kinder in Armutslagen und mögliche sozialpolitische Alternativen diskutiert.

Im Rahmen der Rubrik „Tagungshinweise und Berichte“ referiert Reimer Kornmann die Beiträge der AESF-Tagung vom Juni 2010 in Rostock unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für Inklusion.
Als Themenschwerpunkte der folgenden Ausgaben sind geplant:
Heft 1/2011: Gender
Heft 2/2011: Stand der Umsetzung der UN-Konvention
Heft 3/2011: Ausbildung für Inklusion
Heft 4/2011: Inklusion braucht Strukturwandel: Policy - Change management - Gestaltung von Veränderungsprozessen – Organisationsentwicklung

Carmen Dorrance für die Redaktion von Inklusion-Online